BGE 100 IA 28 vom 3. April 1974

Datum: 3. April 1974

Artikelreferenzen:  Art. 8 ZGB, Art. 4 BV, Art. 58 BV , Art. 66 OG, § 248 ZPO, §§ 68, 70 und 73 ZPO

BGE referenzen:  92 I 271, 122 I 250 , 90 I 66, 97 I 4, 92 I 508, 91 I 401, 92 I 271, 92 I 271

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

100 Ia 28


5. Urteil vom 3. April 1974 i.S. Bachofner gegen Rekurskommission des Obergerichts des Kantons Thurgau.

Regeste

Art. 4 BV ; Kostenvorschuss.
1. Die Motive der staatsrechtlichen Urteile als verbindliche Weisungen an den kantonalen Richter (Erw. 2).
2. Die Prüfung eines Ausstands- oder Ablehnungsbegehrens darf der Richter nicht von einer Sicherstellung der diesbezüglichen Kosten abhängig machen (Erw. 3).

Sachverhalt ab Seite 29

BGE 100 Ia 28 S. 29

A.- Im Forderungsprozess von Peter Mathys, Gartenbau, Maischhausen, gegen die Beschwerdeführer wurde Gärtnermeister Julius Koch als Experte bestellt. Nach Eingang der Expertise stellten die Eheleute Bachofner gegen den Verfasser ein Ablehnungsbegehren und machten geltend, der Experte sei mit dem Kläger befreundet und stehe zu ihm in einem Abhängigkeits- und Pflichtverhältnis. Das Ablehnungsbegehren wurde vom Obergericht im Berufungsverfahren mit der Begründung abgelehnt, der Experte sei auf seine Pflichten hingewiesen worden.
Mit Urteil vom 14. November 1973 hob das Bundesgericht dieses Urteil auf. Es stellte dabei fest, das Obergericht habe pflichtwidrig nicht geprüft, ob das behauptete Befangenheitsverhältnis bestehe, und damit den Beschwerdeführern das rechtliche Gehör verweigert.

B.- Die Rekurskommission des Obergerichts setzte hierauf den Beschwerdeführern eine Frist zur Bezahlung eines Vorschusses von 200.--, verbunden mit der Androhung, dass bei Nichtleistung innert der gesetzten Frist die Befragung des Julius Koch zum Ablehnungsbegehren unterbleibe.
Mit einem vor Fristablauf gestellten Gesuch beantragten die Beschwerdeführer eine Fristverlängerung. Das Obergericht wies dieses Gesuch und gleichzeitig die Berufung gegen das Urteil in Gutheissung der Forderungsklage ein zweites Mal ab, wiederum ohne materielle Prüfung der gegen den Experten erhobenen Einwendungen. Es wird dargetan, dass die Abklärung eventueller Ausstandsgründe nicht von Amtes wegen erfolge, sondern nur auf Kosten desjenigen, dem nach Art. 8 ZGB die Beweispflicht zufalle.

C.- Gegen dieses Urteil haben die Beschwerdeführer erneut staatsrechtliche Beschwerde eingereicht.
Die Rekurskommission des Obergerichts beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
BGE 100 Ia 28 S. 30

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Im Urteil vom 14. November 1974 wurde ausdrücklich festgehalten, dass Art. 4 BV der Partei eines Zivil- oder Strafprozesses einen Anspruch darauf gibt, dass die anwendbaren Vorschriften über die Besetzung der Gerichte eingehalten werden ( BGE 90 I 66 Erw. 2). Ein Gleiches gelte auch für die Ausstandsvorschriften für Sachverständige, auf deren Gutachten sich ein Urteil stütze ( BGE 97 I 4 , 323 mit Hinweisen).
Das Bundesgericht stellte weiter fest, dass die Eheleute Bachofner ein Rekusationsbegehren eingereicht haben, welches das Obergericht nicht geprüft habe. Das Obergericht sei indessen zur ernsthaften Prüfung verpflichtet, weshalb sein Urteil aufgehoben wurde.

2. Der Umstand, dass sich das Bundesgericht gemäss der vorwiegend kassatorischen Funktion der staatsrechtlichen Beschwerde im Urteilsdispositiv mit der Aufhebung des fehlerhaften Urteils begnügt, ändert nichts daran, dass die Urteilsmotive zu beachten sind. Diese enthalten insofern verbindliche Weisungen, als sie sich auf eine gutzumachende Unterlassung beziehen (GIACOMETTI, Die Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 245 f; MARTI, Die staatsrechtliche Beschwerde, S. 145). Die Verbindlichkeit der Motive eines staatsrechtlichen Urteils für den kantonalen Richter, der nochmals zu urteilen hat, ergibt sich auch daraus, dass sich das Bundesgericht selbst daran gebunden erachtet ( BGE 92 I 508 ). Der in den Art. 66 OG und 227ter BStP niedergelegte Grundsatz, wonach die kantonale Instanz ihrer Entscheidung die rechtliche Begründung des Bundesgerichts zu Grunde zu legen habe, gilt auch für das staatsrechtliche Verfahren.
Die Rekurskommission des Obergerichts hatte demnach der ihr in den Motiven des Urteils vom 14. November 1974 auferlegten Verpflichtung, das Ablehnungsbegehren gegen den Experten zu prüfen, nachzukommen und durfte diese nicht von einer Kautionsleistung der Partei abhängig machen.
Deshalb ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

3. Die vom Obergericht vertretene Auffassung, es habe ein Ausstandsbegehren nicht von Amtes wegen zu prüfen, bzw. die ein Ausstandsbegehren stellende Partei habe die für die Abklärung erforderlichen Kosten vorzuschiessen, wäre ohnehin schlechthin unhaltbar. Der Anspruch der in ein Prozessverfahren einbezogenen Parteien auf die richtige Zusammensetzung
BGE 100 Ia 28 S. 31
des Gerichts und damit auch, dass gegenüber den Richtern und Hilfspersonen wie den Experten keine Ablehnungs- oder Ausstandsgründe vorliegen, ergibt sich sowohl unmittelbar aus Art. 58 BV wie auch aus Art. 4 BV . Die Umschreibung und Unterscheidung der Gründe, die einen Ausstand oder eine Ablehnung rechtfertigen, liegt zwar bei den Kantonen, doch unter Vorbehalt der sich aus dem Bundesverfassungsrecht unmittelbar ergebenden Grundsätze ( BGE 91 I 401 , BGE 92 I 271 f). Das thurgauische Prozessrecht ( § 248 ZPO ) verweist hinsichtlich der Eigenschaften, welche ein Experte zu besitzen hat, ausdrücklich auf die Vorschriften über die Ablehnung von Gerichtspersonen ( § § 68, 70 und 73 ZPO ). Davon, dass die Prüfung eines Ausstands- oder Ablehnungsbegehrens von einer Sicherstellung der diesbezüglichen Kosten abhängig gemacht werden könnte, sagt das Gesetz nichts. Eine solche Vorschrift wäre auch weder mit Art. 4 noch mit Art. 58 BV vereinbar. Zwar ist es zulässig, die Prüfung von Beweisanträgen von der Sicherstellung der entsprechenden Kosten abhängig zu machen. Doch kann sich dies nur auf solche Anträge beziehen, welche den Prozessgegenstand betreffen, und nicht auf die richtige Besetzung des Gerichts. Der verfassungsmässige Anspruch darauf, dass nur ein unabhängiger Richter und dieser nur auf Grund eines Gutachtens eines unabhängigen Experten urteilt, darf durch nichts geschmälert werden.

4. Muss die Beschwerde gutgeheissen werden, so erübrigt sich die Prüfung der Frage, ob die Vorinstanz sich auch der Willkür schuldig gemacht hat, indem sie die nachgesuchte Verlängerung der Zahlungsfrist ablehnte.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil der Rekurskommission des Obergerichtes des Kantons Thurgau vom 14. Januar 1974 aufgehoben.

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