BGE 100 IB 277 vom 31. Mai 1974

Datum: 31. Mai 1974

Artikelreferenzen:  Art. 83 ZG, Art. 135 OR , Art. 64 Abs. 3 ZG, Art. 64 Abs. 2 ZG, Art. 83 Abs. 3 ZG, Art. 83 OG, Art. 284 Abs. 3 BStP, Art. 135 ff. OR, Art. 101 Abs. 3 ZG

BGE referenzen:  102 IB 227, 110 IB 306 , 90 IV 63, 90 II 228, 88 IV 93, 89 IV 163

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

100 Ib 277


46. Auszug aus dem Urteil vom 31. Mai 1974 i.S. Zollagentur Öschger AG gegen Eidg. Zollrekurskommission.

Regeste

Zollgesetz:
1. Die Unterbrechung der Verjährung von Zollforderungen beurteilt sich, selbst wenn ein Zollvergehen vorliegt, einzig nach Art. 64 Abs. 3 ZG (Erw. 3).
2. Unterbrechung oder Ruhen der Verjährung im vorliegenden Falle? (Erw. 4.)

Sachverhalt ab Seite 277

BGE 100 Ib 277 S. 277
Sachverhalt:

A.- Die Zollagentur Öschger AG, Basel, hat in der Zeit vom 9. Mai bis 23. Dezember 1969 bei Basler Zollämtern
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insgesamt 83 Sendungen Damenkleider für die Firmen Spengler AG, Basel, und Steiner AG, Aarburg, zur Einfuhr angemeldet. Die Ware wurde gestützt auf EFTA-Ursprungserklärungen der Firma Ric Rac Ltd., London, zollfrei als EFTA-Zonenware abgefertigt.
Am 22. Januar 1970 ersuchte die Eidg. Oberzolldirektion die zuständige britische Zollbehörde um Überprüfung von insgesamt 44 EFTA-Erklärungen der Firma Ric Rac Ltd. Die britische Behörde antwortete am 9. Februar 1972, ein Teil der von den Erklärungen erfassten Ware müsse als ausserhalb der Freihandelszone erzeugt gelten, sei es, weil für ihre Fabrikation ausserzonale Materialien verwendet worden seien, sei es, weil die Firma Ric Rac Ltd. nicht in der Lage gewesen sei, einen Nachweis ihrer Unterlieferanten vorzulegen, wonach die verarbeiteten Materialien aus dem Gebiet der Freihandelsassoziation stammten. Der Antwort lag eine Liste bei, in der angegeben war, welche Waren sich nicht als EFTA-Zonenwaren qualifizierten.
Auf Weisung der Eidg. Oberzolldirektion eröffnete die Zollkreisdirektion Basel der Zollagentur Öschger AG am 22. März 1972 das Ergebnis der Überprüfung des Warenursprungs durch die britische Zollbehörde und stellte ihr die Nacherhebung des entgangenen Zolles von Fr. 38236.25 für die Sendungen an die Spengler AG und Fr. 1168.05 für die an die Steiner AG gegangene Ware in Aussicht. Sie bemerkte, auf die Einleitung eines Strafverfahrens werde verzichtet, da die Zollagentur Öschger AG nicht die Möglichkeit gehabt habe, den Warenursprung zu überprüfen. Die beiden angekündigten Nachforderungsverfügungen ergingen am 6. April 1972.

B.- Auf Beschwerde der Zollagentur Öschger AG setzte die Eidg. Zollrekurskommission am 5. September 1973 die Zollforderung für die Sendungen an die Spengler AG auf Fr. 34 189.90 herab, bestätigte im übrigen aber die Verfügungen der Zollkreisdirektion.

C.- Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Zollagentur Öschger AG, die Zollforderung von Fr. 34 189.90 aufzuheben oder angemessen herabzusetzen. Sie macht im wesentlichen geltend, die Zollnachforderungen seien bereits verjährt gewesen, als die Zollkreisdirektion Basel sie ihr am 22. März 1972 eröffnet habe. Das Ersuchen der Eidg. Oberzolldirektion an die britische Zollbehörde habe die Verjährung
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nicht unterbrochen. Nur eine gegen den Zahlungspflichtigen gerichtete Handlung vermöge gemäss Art. 64 Abs. 3 ZG die Verjährung zu unterbrechen. Nach Art. 83 Abs. 3 ZG setze die Unterbrechung der Verjährung eine "gegen den Täter gerichtete Verfolgungshandlung" voraus. Die Verjährung könne also nicht ohne Wissen des Zahlungspflichtigen unterbrochen werden jedenfalls nicht, solange dieser nicht einmal wisse, dass gegen ihn ein Verfahren laufe. Übrigens verjährten Zollnachforderungen bereits in einem Jahr, falls, wie hier, kein strafbares Zollvergehen vorliege. Die Vorinstanz habe zu Unrecht die zweijährige Verjährungsfrist des Art. 83 OG zur Anwendung gebracht.

D.- Die Eidg. Zollrekurskommission und die Eidg. Oberzolldirektion beantragen, die Beschwerde unter Kostenfolge abzuweisen.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. ...

2. Die Parteien sind sich darüber einig, dass am 22. Januar 1970, als die Eidg. Oberzolldirektion ihr Überprüfungsgesuch an die britische Zollbehörde richtete, die Verjährungsfristen für die hier im Streite liegenden Zollnachforderungen bereits liefen. Fest steht ausserdem, dass der Beschwerdeführerin erstmals mit Schreiben vom 22. März 1972 von dieser Überprüfung und ihrem Ergebnis sowie der Absicht der schweizerischen Zollbehörden, Zoll nachzufordern, Kenntnis gegeben wurde. Die Eidg. Oberzolldirektion hat die britische Zollbehörde, wie sich aus den Akten ergibt, erstmals am 12. Februar 1971, also mehr als ein Jahr nach Zustellung des Überprüfungsgesuchs, zur Antwort auf das Gesuch gemahnt. Die Verjährungseinrede der Beschwerdeführerin wäre demnach jedenfalls dann begründet, wenn den Schreiben der Eidg. Oberzolldirektion an die britische Zollbehörde keine die Verjährung unterbrechende Wirkung zukäme.

3. Die Unterbrechung der Verjährung von Zollforderungen ist in Art. 64 Abs. 3 ZG geregelt. Sie beurteilt sich selbst wenn ein Zollvergehen vorliegt nicht nach Art. 83 Abs. 3 ZG , bzw. Art. 284 Abs. 3 BStP , verweist Art. 64 Abs. 2 ZG doch für diesen Fall einzig auf die Absätze 1 und 2 von Art. 83 ZG .
Anzunehmen, die Unterbrechung der Verjährung der Zollforderungen
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aus Zollvergehen sei bloss aus Versehen nicht auch den für die Verfolgungsverjährung geltenden Regeln unterstellt worden, verbietet sich. Art. 64 Abs. 2 des bundesrätlichen Entwurfs zum Zollgesetz lautete: "Werden Zölle und andere Abgaben durch Widerhandlungen gegen Zollvorschriften hinterzogen, so gelten hinsichtlich ihrer Verjährung die für die Verfolgungsverjährung (Art. 82 dieses Gesetzes) vorgesehenen Bestimmungen" (BBl 1924 I 94). Dieser Wortlaut hätte zum Schlusse verführen können, nicht nur der Beginn und die Dauer, sondern auch die Unterbrechung der Verjährung von Zollforderungen richteten sich nach den für die Verfolgungsverjährung aufgestellten Regeln; dies obschon in Absatz 3 derselben Bestimmung bereits die heute in Art. 64 Abs. 3 ZG enthaltene Norm über die Unterbrechung der Verjährung von Zollforderungen vorgesehen war. Wenn die heute geltende Fassung von Art. 64 Abs. 2 ZG nur noch für den Beginn und die Dauer der Verjährung von Zollforderungen auf die Bestimmung über die Verfolgungsverjährung verweist, so will sie damit offenbar klarstellen, dass sich die Unterbrechung der Forderungsverjährung in jedem Falle nach Art. 64 Abs. 3 ZG beurteilt (vgl. Urteil vom 29. November 1963 i.S. Wolff, Erw. 7). Ob ein Zollvergehen vorliegt, braucht somit in diesem Zusammenhange hier nicht geprüft zu werden.

4. Nach Art. 64 Abs. 3 ZG wird die Verjährung von Zollforderungen durch jede zur Geltendmachung des Anspruchs gegen einen Zahlungspflichtigen gerichtete Handlung unterbrochen. Sie ruht während des Laufes eingeräumter Zahlungsfristen.
a) Es ist unbestritten, dass der Beschwerdeführerin weder das Überprüfungsgesuch noch die beiden Mahnungen der Eidg. Oberzolldirektion an die britische Zollbehörde zur Kenntnis gebracht worden sind. Amtshandlungen, von denen der Zahlungspflichtige keine Kenntnis erlangt, können aber in der Regel nicht als Handlungen betrachtet werden, die im Sinne von Art. 64 Abs. 3 ZG zur Geltendmachung des Anspruchs gegen den Zahlungspflichtigen gerichtet sind, mithin die Verjährung der Zollforderung unterbrechen. Analog der Regelung, die auf Grund von Art. 135 ff. OR für zivilrechtliche Forderungen gilt, kann auch die Verjährung von Zollforderungen grundsätzlich nur durch Handlungen unterbrochen werden, die dem Zahlungspflichtigen zur Kenntnis gelangen.
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Wie im Zivilrecht, ist eine Ausnahme von diesem Grundsatz im wesentlichen nur bei echter Solidarität zwischen mehreren Zahlungspflichtigen anzunehmen (vgl. zit. Urteil i.S. Wolff, Erw. 7).
Gegen diese Auslegung führt die Vorinstanz insbesondere an, Art. 64 Abs. 2 ZG habe den Zweck, sicherzustellen, dass hinterzogene Zölle solange nacherhoben werden könnten, als auch ein Strafanspruch geltend gemacht werden könnte. Die Verfolgungsverjährung werde aber nach der bundesgerichtlichen Praxis ( BGE 73 IV 258 , BGE 90 IV 63 ) durch jede amtliche Handlung unterbrochen, die geeignet sei, das Verfahren zu fördern und nicht, wie Aktenstudium, etc., rein interner Natur sei. Die Vorinstanz verkennt dabei, dass mit der ausdrücklichen Beschränkung der Tragweite von Art. 64 Abs. 2 ZG auf Beginn und Dauer der Verjährung klargestellt worden ist, dass sich die Unterbrechung der Forderungsverjährung nach anderen Regeln richtet, als die Unterbrechung der Verfolgungsverjährung, der Eintritt der Forderungsverjährung somit gar nicht immer mit dem Eintritt der Verfolgungsverjährung zusammenfallen muss. Sie übersieht auch die schweren praktischen Nachteile, die ihre Auslegung zur Folge hätte. Es versteht sich, dass es für den Zahlungspflichtigen von grösster Wichtigkeit ist, zu wissen, ob die Verjährung einer Zollforderung unterbrochen worden ist, dies insbesondere, wenn er, wie im vorliegenden Falle die Beschwerdeführerin, den Zollbetrag an sich auf Dritte überwälzen könnte. Einer Handlung der Zollbehörde, die dem Zahlungspflichtigen nicht zur Kenntnis gelangt, generell verjährungsunterbrechende Wirkung zuerkennen, hiesse, in diesem Gebiete die Rechtssicherheit aufheben.
Die Verjährung der Zollnachforderungen ist im vorliegenden Falle somit nicht gültig unterbrochen worden. Verjährungsunterbrechende Wirkung hätte dem Überprüfungsgesuch und den Mahnungen der Eidg. Oberzolldirektion an die britische Zollbehörde nur zuerkannt werden können, wenn diese Schreiben und ihre möglichen Folgen (Nacherhebung von Zoll) der Beschwerdeführerin unverzüglich zur Kenntnis gebracht worden wären, was übrigens ohne weiteres möglich gewesen wäre.
b) Die Eidg. Oberzolldirektion fragt sich in ihrer Vernehmlassung, ob nicht in Anlehnung an Art. 64 Abs. 3 ZG zweiter Satz anzunehmen sei, die Verjährung habe in der Zeit zwischen
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dem Abgang des Überprüfungsgesuchs und dem Eintreffen des Untersuchungsberichts geruht. Für eine solche Annahme lässt sich der Umstand anführen, dass die Eidg. Zollbehörden in jener Zeit tatsächlich gar nicht in der Lage waren, die Abgabeforderungen geltend zu machen und auch, abgeshen von Mahnungen, nichts vorkehren konnten, um das Eintreffen des Untersuchungsberichts der britischen Zollbehörde zu beschleunigen (vgl. Urteil vom 13. April 1962 i.S. Natural AG). Im Interesse der Rechtssicherheit kann aber nur in besonderen Ausnahmefällen ein Ruhen der Forderungsverjährung angenommen werden (vgl. BGE 90 II 228 ff.). Im vorliegenden Falle hätte diese Annahme höchstens getroffen werden können, wenn die Forderungsverjährung mit dem Überprüfungesuch der Eidg. Oberzolldirektion an die britische Zollbehörde gültig unterbrochen worden wäre. Aus Art. 101 Abs. 3 ZG hat das Bundesgericht geschlossen, dass die Verfolgungsverjährung während des Beschwerdeverfahrens über die Abgabefestsetzung ruhe ( BGE 88 IV 93 , BGE 89 IV 163 ). Für die Forderungsverjährung lässt sich weder aus dieser Bestimmung noch aus den bundesgerichtlichen Entscheiden dazu etwas herleiten.
Die gegen die Beschwerdeführerin geltend gemachten Zollnachforderungen sind somit verjährt.

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