Urteilskopf
100 Ib 325
56. Urteil des Kassationshofes vom 1. November 1974 i.S. Utiger gegen Regierungsrat des Kantons Bern.
Regeste
Art. 5 Abs. 1 lit. b, 25 VwG;
Art. 38 Ziff. 1 StGB
. Bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug; Feststellungsbegehren.
Unzulässigkeit eines Begehrens um richterliche Feststellung, dass der Entlassungsbeschluss so spät erfolgte, dass die Ergreifung eines Rechtsmittels illusorisch wurde.
A.-
Utiger trat am 7. Juli 1972 den Vollzug zweier Gefängnisstrafen von insgesamt 18 Monaten und 26 Tagen an. Am 29. Juli 1972 entwich er und wurde am 24. Oktober 1972 in die Strafanstalt zurückgebracht.
Am 8. August 1973 stellte er ein Gesuch um bedingte Entlassung gemäss
Art. 38 Ziff. 1 StGB
auf den frühestmöglichen Zeitpunkt, den 15. Oktober 1973.
BGE 100 Ib 325 S. 326
Die Polizeidirektion des Kantons Bern verfügte am 18. Oktober 1973 die bedingte Entlassung für den 8. November 1973; eine Einsprache Utigers vom 16. November 1973 wies sie ab.
Utiger beschwerte sich beim Regierungsrat des Kantons Bern mit dem Begehren um Feststellung, der Entlassungsbeschluss der Polizeidirektion sei so spät erfolgt, dass die Ergreifung eines Rechtsmittels illusorisch geworden sei. Der Regierungsrat wies die Beschwerde am 10. September 1974 ab.
B.-
Utiger führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, es sei festzustellen, dass der Entscheid der Polizeidirektion vom 18. Oktober 1973 derart spät erfolgte, dass die Ergreifung eines Rechtsmittels illusorisch wurde, und dass diese Verspätung eine Rechtsverweigerung bzw. eine Rechtsverzögerung darstelle.
Der Regierungsrat des Kantons Bern beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Den materiellen Gehalt des angefochtenen Entscheides, nämlich die Feststellung, das die am 8. November statt schon am 15. Oktober 1973 erfolgte bedingte Entlassung vor
Art. 38 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
standhalte, ficht Utiger ausdrücklich nicht an.
2.
Die Rüge der Rechtsverzögerung richtet sich gegen die im Entscheid des Regierungsrates enthaltene angeblich unrichtige Feststellungsverfügung (Art. 5 Abs. 1 lit. b und Art. 25 VwG; GYGI, Verwaltungsrechtspflege und Verwaltungsverfahren im Bund, S. 31 N. 4.6.3), mit der zwar die Legitimation des Beschwerdeführers zur Stellung des fraglichen Begehrens bejaht, dessen Begründetheit aber verneint wurde. Damit behauptet Utiger nicht eine noch bestehende Rechtsverzögerung, die nach
Art. 97 Abs. 2 OG
als Verfügung gelten und daher Gegenstand der Verwaltungsgerichtsbeschwerde bilden könnte. Vielmehr wiederholt er das vor dem Regierungsrat gestellte Begehren um Feststellung einer angeblich früher bestandenen, inzwischen aber behobenen unrechtmässigen Verzögerung einer Verfügung. Ob ein solches Begehren vor Bundesgericht zulässig sei, ist nach den Grundsätzen zu entscheiden, die das Bundesgericht zu
Art. 25 BZP
und
BGE 100 Ib 325 S. 327
Art. 25 VwG aufgestellt hat. Danach kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses nur geklagt werden, wenn der Kläger ein rechtliches und aktuelles Interesse an sofortiger Feststellung hat. Ob ein solches Interesse besteht, hat der Richter von Amtes wegen zu prüfen (
BGE 97 II 375
,
BGE 99 Ib 276
). Sache der Partei ist es, ihr Interesse zu substanzieren.
3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die verlangte Feststellung sei geeignet, die zuständige Behörde zu veranlassen, ihre unhaltbare Praxis zu revidieren, und "ihn in gewisser Weise zu rehabilitieren". Damit ist kein rechtlich geschütztes Interesse nachgewiesen.
a) Das Bestreben, die Behörde zu einer Änderung ihrer Praxis zu veranlassen, hat keinen Bezug auf die Rechtsfolgen im konkreten Falle. Zur Feststellung von bloss abstrakten Rechtsfragen des objektiven Rechts ist jedoch die Verwaltungsgerichtsbeschwerde nicht gegeben (s. analog zu
Art. 25 BZP
BGE 80 II 366
und STORCK, Die "eidgenössische" Feststellungsklage und ihre Formulierung, SJZ 1973 S. 195).
b) Eine Rehabilitierung im Rechtssinne (
Art. 76 ff. StGB
) vermag eine Feststellung der angeblichen Rechtsverzögerung ebenfalls nicht zu bewirken. Auf eine in einer solchen Feststellung für den Beschwerdeführer anscheinend liegende gefühlsmässige Genugtuung hat er schon deswegen keinen Anspruch, weil er selber erklärt, den Entscheid des Regierungsrats insoweit nicht anzufechten, als die Entlassung auf den 15. Oktober 1973 abgelehnt und erst für den 8. November 1973 angeordnet wurde. Dann aber muss es dabei sein Bewenden haben, dass die Verschiebung der bedingten Entlassung auf den 8. November 1973 rechtlich begründet war und somit die behauptete Verzögerung des Entlassungsentscheids keine unrechtmässige Beeinträchtigung seiner Ehre zur Folge gehabt hat.
4.
Das Begehren um Feststellung einer Rechtsverweigerung scheint der Beschwerdeführer damit begründen zu wollen, dass die späte Zustellung des Entlassungsentscheids die Ergreifung eines Rechtsmittels illusorisch gemacht habe. Er verkennt, dass der Gefangene keinen Rechtsanspruch darauf hat, den Entscheid über seine bedingte Entlassung so rechtzeitig vor dem frühestmöglichen Entlassungstermin zugestellt zu erhalten, dass er in der Lage wäre, noch vor diesem Termin ein Rechtsmittelverfahren durchzusetzen. Nach
Art. 38 Ziff. 1
BGE 100 Ib 325 S. 328
Abs. 1 StGB
kann die zuständige Behörde den zu Zuchthaus oder Gefängnis Verurteilten bedingt entlassen, wenn er zwei Drittel der Strafe, bei Gefängnis mindestens drei Monate, verbüsst hat und wenn sein Verhalten während des Strafvollzugs nicht dagegen spricht und anzunehmen ist, er werde sich in der Freiheit bewähren. Somit hängt die bedingte Entlassung auch vom Verhalten des Täters während des Strafvollzugs ab, das neben anderen Umständen die Prognose der Behörde beeinflussen kann. Diese muss daher das Verhalten des Gefangenen grundsätzlich während der ganzen gesetzlichen Mindestdauer des Strafvollzuges würdigen können mit der Folge, dass ihr Entscheid nur verhältnismässig kurze Zeit vor der bedingten Entlassung erwartet werden kann. Besteht demnach kein Anspruch auf eine Entlassungsverfügung zu einem früheren Zeitpunkt, dann kann der Verurteilte auch kein Recht darauf haben, ein Rechtsmittelverfahren vor dem theoretisch frühestmöglichen Entlassungstermin einzuleiten und durchzuführen. Damit fehlt es an einem rechtlichen und aktuellen Interesse auf Feststellung einer Rechtsverweigerung in dem vom Beschwerdeführer gemeinten Sinne.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.