BGE 100 IB 399 vom 8. November 1974

Datum: 8. November 1974

BGE referenzen:  104 IB 119, 117 IA 352

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

100 Ib 399


69. Auszug aus dem Urteil vom 8. November 1974 i.S. Schönholzer gegen Regierungsrat des Kantons Zürich.

Regeste

Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung vom 17. März 1972 (BMR).
1. Verweigerung des rechtlichen Gehörs durch Nichtdurchführung eines Augenscheins durch die kantonale Exekutive?
2. Anwendungsfall von Art. 4 Abs. 3 BMR: Verneinung der Standortgebundenheit und des sachlich begründeten Bedürfnisses für die Erstellung eines zusätzlichen Wohnhauses.

Sachverhalt ab Seite 399

BGE 100 Ib 399 S. 399
Aus dem Sachverhalt:

A.- Der Beschwerdeführer betreibt in der Steinweid, Gemeinde Wädenswil, eine Geflügelfarm. Auf Grundstück Kat.-Nr. 5406 befinden sich nebst Schafweiden fünf Hühnerhallen, ungefähr 250 m davon entfernt steht das Wohnhaus mit Nebenräumlichkeiten, von dem aus der Betrieb geleitet und überwacht wird. Sowohl die Hühnerhallen als auch das Wohnhaus befinden sich nach dem Zonenplan der Gemeinde
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Wädenswil im Übrigen Gemeindegebiet, das baulich nur in beschränktem Masse genutzt werden darf; sie befinden sich auch ausserhalb des Einzugsgebietes des generellen Kanalisationsprojektes. Seit dem Inkrafttreten der kantonalen Ausführungsbestimmungen zum Bundesbeschluss über dringliche Massnahmen auf dem Gebiet der Raumplanung vom 17. März 1972 gehört das in Frage stehende Land ausserdem zu einer Schutzzone I (allgemeine provisorische Schutzgebiete).
Wegen Raumknappheit stellte der Beschwerdeführer am 15. Januar 1973 das Gesuch um Erstellung eines Einfamilienhauses mit sechs Zimmern und Garage auf Grundstück Kat.-Nr. 5406, unmittelbar neben den Hühnerhallen.

B.- Nach Einholung eines Berichtes des Delegierten des Bundesrates für Raumplanung verweigerte die Direktion der öffentlichen Bauten des Kantons Zürich die nachgesuchte Baubewilligung. Auf Rekurs hin bestätigte der Regierungsrat die Bauverweigerung.

C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt der Beschwerdeführer die Aufhebung des Rekursentscheides und die Erteilung der Baubewilligung.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beanstandet der Beschwerdeführer die Nichtabnahme von Beweisen durch die kantonalen Instanzen, indem kein förmlicher Augenschein mit Beteiligung der Parteien durchgeführt worden sei, obwohl er die Durchführung eines solchen wiederholt beantragt habe.
Wie das Bundesgericht zuletzt im Urteil vom 18. September 1974 i.S. Camenzind c. Gemeinderat Schwyz und Regierungsrat des Kantons Schwyz entschieden hat, stellt der Verzicht auf einen persönlichen Augenschein durch die entscheidende Behörde keinen formellen Mangel dar, der von Bundesrechts wegen zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides führen müsste. In der Tat nehmen die Mitglieder der Exekutive nur ganz ausnahmsweise in Fällen von besonderer Tragweite an Augenscheinen teil; in aller Regel werden ihre Entscheide von einer Verwaltungsabteilung vorbereitet. Die Exekutive bestimmt, ob und inwieweit sie ihrem Entscheid die von der
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Verwaltung vorbereiteten Unterlagen zugrundelegen will. Die materielle Anfechtung eines ohne Durchführung eines Augenscheines gefällten Entscheides und die Würdigung des Sachverhaltes bleiben in jedem Falle vorbehalten; eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt deshalb nicht vor.
Im konkreten Fall durfte der Regierungsrat umso eher auf die Durchführung eines Augenscheines verzichten, als einerseits der Sachverhalt aus der bei den Akten liegenden Korrespondenz und den verschiedenen Plänen deutlich wird, anderseits sich der Entscheid im wesentlichen auf Berichte des kantonalen Amtes für Raumplanung stützt, dessen Sachbearbeiter mit den tatsächlichen Verhältnissen vertraut sind; endlich hat sich ein Vertreter der antragstellenden Organe zu einer informellen Besichtigung an Ort und Stelle begeben.

3. a) Art. 4 Abs. 3 des Bundesbeschlusses über dringliche Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung vom 17. März 1972 (BMR) hat folgenden Wortlaut:
"In den Gebieten, die aus Gründen des Landschaftschutzes oder der Erhaltung von Erholungsräumen ausgeschieden werden, dürfen nur land- und forstwirtschaftliche und andere standortbedingte Bauten bewilligt werden; sie dürfen das Landschaftsbild nicht beeinträchtigen. Weitere Bauten können ausnahmsweise nach Einholung der Stellungnahme und unter Vorbehalt von Aufsichtsmassnahmen des Bundes bewilligt werden, wenn der Gesuchsteller ein sachlich begründetes Interesse nachweist und kein öffentliches Interesse entgegensteht."
Art. 7 der bundesrätlichen Vollziehungsverordnung zum BMR vom 29. März 1972 definiert standortbedingte Bauten als solche, "die zur Wahrnehmung besonders schutzwürdiger Interessen erstellt werden müssen und die, um diese Interessen wahrnehmen zu können, an einem bestimmten Ort zu errichten sind".
§ 2 der Züricher Verordnung zum BMR vom 29. November 1972 (RVO) übernimmt fast wörtlich den Text von Art. 4 Abs. 3 BMR, was die Zulässigkeit von Bauten in der Schutzzone I betrifft. Als Beispiel standortbedingter Bauten, die neben land- und forstwirtschaftlichen Bauten errichtet werden dürfen, nennt die Bestimmung Gärtnereibetriebe.
b) Der Beschwerdeführer begründet sein Baugesuch damit, dass er den Betrieb demnächst seinem Sohn übergeben werde. Dieser wohne mit seiner Familie gegenwärtig ungefähr einen Kilometer von der Geflügelfarm entfernt, von wo aus eine
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Bewirtschaftung und Überwachung des Betriebes nicht möglich sei. In seinem eigenen Wohnhaus, das über die nötigen Räumlichkeiten für die Bewirtschaftung verfüge und von dem aus er bislang den Betrieb geführt habe, sei für den Sohn und dessen Familie kein Platz, da er noch drei weitere Kinder habe, die zuhause wohnten. Damit seien die Voraussetzungen von § 2 RVO erfüllt.
c) Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass das bestehende Wohn- und Ökonomiegebäude den Anforderungen des Betriebes bisher genügt hat und immer noch genügt; er räumt ein, dass die Betriebsüberwachung von da aus gewährleistet ist. Er macht auch nicht geltend, der Betrieb habe sich in einem Masse vergrössert oder werde sich in naher Zukunft noch derart vergrössern, dass ein zweites Wohn- und Ökonomiegebäude nötig sei. Schliesslich geht aus der Beschwerdeschrift und den gesamten Akten hervor, dass zumindest die für den Betrieb notwendigen Einrichtungen im Haus des Beschwerdeführers auch nach der Übergabe des Geschäftes an den Sohn weiterhin benützt werden sollen.
Bei der Prüfung der Standortbedingtheit des geplanten Wohnhauses ist der Betrieb als Ganzes zu betrachten. Er verfügt über die nötigen Ökonomieräume, die auch in Zukunft zur Verfügung stehen, und die vorhandenen Überwachungsmöglichkeiten sind genügend. Damit fehlt, wie der Regierungsrat und der Delegierte des Bundesrates für Raumplanung zutreffend festgehalten haben, für das Projekt die in Art. 4 BMR und den Ausführungsbestimmungen geforderte Standortbedingtheit. Selbst wenn die Interessen des Beschwerdeführers als besonders schutzwürdig anerkannt werden könnten, was vorderhand offen bleiben kann, müsste das geplante Wohnhaus nicht am vorgesehenen Ort errichtet werden, um diese Interessen wahrzunehmen.
d) Da die Standortbedingtheit des Wohnhauses zu verneinen ist, stellt dieses eine "weitere Baute" im Sinne von Art. 4 Abs. 3 BMR dar, die ausnahmsweise bewilligt werden kann, wenn der Gesuchsteller ein sachlich begründetes Bedürfnis nachweist und dem Bauvorhaben kein öffentliches Interesse entgegensteht.
Ob ein privates Bedürfnis als sachlich begründet anerkannt werden kann, bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Dabei sind an die Voraussetzungen des sachlich begründeten Bedürfnisses
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hohe Anforderungen zu stellen, um zu verhindern, dass die als enge Ausnahmeklausel gedachte Bestimmung den Charakter eines leicht zugänglichen Auffangtatbestandes erhält. Private Interessen persönlicher und finanzieller Art dürfen nicht ins Gewicht fallen, will man nicht die dringend notwendigen Schutzmassnahmen ihrer Wirkung im wesentlichen berauben. Dass Ausnahmebewilligungen nicht leichthin gewährt werden dürfen geht überdies aus der Tatsache hervor, dass zunächst die Stellungnahme des Bundes eingeholt werden muss und dessen Aufsichtsmassnahmen vorbehalten bleiben (vgl. das Urteil des Bundesgerichtes vom 5. Juli 1974 i.S. Burtscher c. Regierung des Kantons Graubünden).
Der Delegierte für Raumplanung ist bei der Prüfung des sachlichen Bedürfnisses zur Auffassung gelangt, die geltend gemachten Gründe vermöchten die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht zu rechtfertigen, weil in geringer Entfernung von den Hühnerhallen ein an sich genügendes Wohn- und Ökonomiegebäude vorhanden ist, und weil der Sohn des Beschwerdeführers, der die Geflügelfarm übernehmen soll, weniger als einen Kilometer vom Betrieb entfernt wohnt. Es sei deshalb ohne wesentliche Schwierigkeiten möglich, die betriebsnotwendigen Arbeiten auszuführen.
Dieser Auffassung ist beizupflichten. Der Wunsch des Beschwerdeführers, noch günstigere Voraussetzungen für die Bewirtschaftung des Betriebes zu schaffen, ist zwar verständlich; bei der gegebenen Situation jedoch vermag dieser Wunsch als persönlichen und finanziellen Interessen entspringend - die Erstellung des Wohnhauses auf eigenem Grund und Boden käme am günstigsten zu stehen - objektiv für die Erteilung einer Ausnahmebewilligung nicht zu genügen. Das Gesetz gewährt einen Anspruch nur auf Erstellung der sachlich notwendigen, nicht aber der bloss wünschbaren Einrichtungen. Eine Verbesserung der Bewirtschaftung kann in der Weise erreicht werden, dass der Beschwerdeführer seinem Sohn den Betrieb gesamthaft übergibt, also mit Einschluss des bestehenden Hauses, erfüllt doch die darin befindliche Wohnung die Funktion einer Betriebswohnung.
Der Wunsch, auf einem zonenkonformen, bereits mit dem nötigen Wohnraum ausgestatteten Betrieb ein weiteres Wohnhaus als Sitz der nachfolgenden oder der abtretenden Generation zu errichten, dürfte übrigens recht häufig sein. Wollte
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man ohne Rücksicht auf die objektiven Betriebsbedürfnisse eine solche familiäre Situation als sachliche Begründung des Bedürfnisses für ein zweites Wohnhaus anerkennen, so hätte dies gesamthaft weitreichende Konsequenzen und würde zu einer wesentlichen Vermehrung von Bauten in geschützen Zonen führen.
Da ein sachlich begründetes Bedürfnis fehlt, braucht nicht weiter geprüft zu werden, welche öffentlichen Interessen dem Projekt entgegenstehen. Immerhin ist zu bemerken, dass mit der Ausscheidung des in Frage stehenden Gebietes als Schutzzone das Überwiegen des öffentlichen Interesses grundsätzlich festgestellt ist.
e) Der Regierungsrat hat somit die Erteilung einer Ausnahmebewilligung an den Beschwerdeführer ablehnen dürfen; er hat mit seinem Entscheid Art. 4 Abs. 3 BMR nicht verletzt.

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