Urteilskopf
100 IV 155
39. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 31. Mai 1974 i.S. Generalprokurator des Kantons Bern gegen Hadorn und Bruchez.
Regeste
Art. 137 StGB
. Übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund.
Erlaubt ein Grundeigentümer auf seinem Grund und Boden das Ausbeuten von Mineralien (sog. Strahlen) durch Dritte nur unter der Bedingung, dass bestimmte Regeln eingehalten werden, dann kann sich derjenige, der diese Übung missachtet, nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des Grundeigentümers berufen.
1.
Im Jahre 1966 fand Rufibach am Zinggenstock im Grimselgebiet im Kanton Bern auf 2750 Meter über Meer eine Kluft mit Rauchquarzen. Da das Loslösen von Rauchquarzgruppen in dieser Höhe zeitraubend ist, weil die im vereisten Lehm und Fluoritsand festgehaltenen Mineralien vorerst abgeschmolzen und danach von Staub und Stein gereinigt werden müssen, und die Arbeitsleistung pro Tag deshalb sehr gering ist, musste Rufibach mit einer sich über eine längere Zeit hinziehenden Ausbeutung rechnen. Aus diesem Grund belegte er die Kluft, indem er seine Werkzeuge an Ort und Stelle zurückliess. Nach allgemeinem und überliefertem Strahlerbrauch ist damit ein Dritter von einer Ausbeutung der betreffenden Höhle ausgeschlossen. Zur wirksameren Sicherung gegen "Wilderer" brachte Rufibach in der Folge beim Einstieg in die Kluft ein in den Felsen eingemauertes Eisentor an.
Laut Grundbuch gehört das Gebiet, in dem diese Mineralien liegen, der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO).
2.
Als sich Rufibach zusammen mit einem Kollegen am 28. August 1970 in der genannten Kluft befand, kam Hadorn mit seinen zwei Söhnen anlässlich einer Bergwanderung bei
BGE 100 IV 155 S. 156
der Höhle vorbei. Rufibach zeigte den Knaben die Kluft und beschenkte sie mit Rauchquarzstückchen.
Am 11. September 1970 begab sich Hadorn zusammen mit Bruchez zur Kluft. Sie hatten sich entschlossen, das Eisentor aufzubrechen und sodann in die Höhle einzusteigen, wo sie sich Kristalle aneignen wollten. Mit entsprechendem Werkzeug ausgerüstet machten sie sich gegen 22.00 Uhr auf den Weg und erreichten die Kluft nach etwa zwei Stunden. Gemeinsam brachen sie das Eisentor auf, indem sie drei Vorhängeschlösser aufsprengten und einige Schrauben lösten. Hierauf drangen sie in die Höhle ein, brachen Stücke aus einer Mineraliengruppe ab und behändigten diese zusammen mit lose auf dem Boden liegenden Kristallstücken.
B.-
Am 6. Dezember 1972 sprach das Strafamtsgericht von Oberhasli Hadorn und Bruchez des Diebstahls und der Sachbeschädigung schuldig. Es verurteilte Hadorn zu sieben und Bruchez zu acht Monaten Gefängnis, gewährte beiden Angeschuldigten den bedingten Strafvollzug und setzte die Probezeit auf drei Jahre an.
Am 17. April 1973 gab das Obergericht des Kantons Bern dem Verfahren gegen die beiden Verurteilten wegen Sachbeschädigung, angeblich begangen durch Beschädigung von Kristallen und des Eisentors, keine weitere Folge. Es sprach Hadorn und Bruchez von der Anschuldigung des Diebstahls frei, verurteilte sie jedoch wegen Sachbeschädigung (Vorhängeschlösser) zu je Fr. 50.- Busse.
C.-
Der Generalprokurator des Kantons Bern führt Nichtigkeitsbeschwerde. Er beantragt u.a. die Angeschuldigten wegen Diebstahls zu verurteilen.
D.-
Hadorn und Bruchez beantragen Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Es ist unbestritten und ergibt sich aus den Fotos und den vorinstanzlichen Feststellungen, dass die Kluft in kulturunfähigem Felsgebiet in einer Höhe von 2750 m liegt.
Nach
Art. 664 Abs. 2 ZGB
besteht an nicht kulturfähigem Land wie Felsen und Schutthalden, Firnen und Gletschern vorbehältlich anderweitigen Nachweises kein Privateigentum. Der Beschwerdeführer schliesst daraus, die Kristallkluft gehöre
BGE 100 IV 155 S. 157
nicht der KWO, sondern dem Staate Bern. Die Vorinstanz und die Beschwerdegegner verweisen jedoch zutreffend auf die Unterlagen, aus denen sich das Privateigentum der KWO ergibt. Laut Grundbuch Meiringen wurde das Grundstück im Jahre 1514 von der Burgergemeinde Törbel erworben und seither unangefochten besessen und am 7. August 1911 in die kantonalen Bücher eingetragen. Bei Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches war das Gebiet somit nicht herrenlos, sondern stand im Privateigentum der Burgergemeinde. Von ihr erwarb es die KWO mit Kaufvertrag von 1948. Diese wurde unter Nr. 949 als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
Der Beschwerdeführer wendet ein, die Burgergemeinde Törbel habe das Felsgebiet nicht wirtschaftlich genutzt, daran also auch kein Eigentum erworben und kein solches auf die KWO übertragen können. Der Einwand hält nicht stand. Für den räumlichen Inhalt des Grundstückes wird zwar auf 35 Kuhrechte Weide verwiesen, das Recht selber aber nicht etwa als blosses Alprecht bezeichnet. Der ursprüngliche Eintrag bezieht sich auf einen Kaufvertrag über eine geographisch genau umschriebene Besitzung. Das vom Grundbuch ausgewiesene Eigentum der Burgergemeinde und seit 1948 der KWO ist bis heute unangefochten geblieben. Der Kanton Bern selbst hat zwar diese Liegenschaft zusammen mit andern am 1. August 1958 unter Naturschutz gestellt, in Ziffer III/7 seines Beschlusses aber ausdrücklich "alle Rechte der Kraftwerke Oberhasli AG als Eigentümerin der Grimsel-, Oberaar- und Räterichsbodenbesitzungen..." vorbehalten, also nicht etwa nur im Rahmen der bestehenden Kraftwerkanlagen und der gegenwärtigen Nutzungsart. Auch die kantonale Forstverwaltung verweist auf das grundbuchlich eingetragene Privatrecht. In ihrem Schreiben vom 29. Dezember 1972 beansprucht die KWO selbst das volle Eigentumsrecht am betreffenden Grundstück.
Übrigens ist der Einwand des Beschwerdeführers unbeachtlich, weil die vorinstanzlichen Feststellungen über den Eigentumserwerb der Burgergemeinde Törbel die Anwendung kantonalen Rechts betreffen, die vom Bundesgericht nicht überprüft werden kann (
BGE 89 II 295
Erw. 3).
2.
Die Beschwerdegegner berufen sich auf
Art. 667 ZGB
, wonach sich das Eigentum so weit nach unten in das Erdreich erstreckt, als für die Ausübung des Eigentums ein Interesse
BGE 100 IV 155 S. 158
besteht. Dieses bestimmt sich nach Auffassung der Beschwerdegegner nach der gegenwärtigen Nutzung durch den derzeitigen Eigentümer. Die KWO sei nicht an den Mineralien interessiert, weshalb sie kein Eigentum an den in der Kluft befindlichen Kristallen habe. Die betreffenden Mineralien stellten demnach herrenlose Sachen dar.
Für die vertikale Abgrenzung des Grundeigentums kommt es nicht auf die gegenwärtige Nutzung durch den konkreten Eigentümer an. Vielmehr ist der künftigen möglichen Entwicklung Rechnung zu tragen (HAAB, N. 5 zu
Art. 667 ZGB
). Der Grundeigentümer ist vorbehältlich des Bergregals (das im Kanton Bern die Kristallvorkommen nicht erfasst) berechtigt, Bodenmaterialien auszubeuten (HAAB, a.a.O., N. 12). Ob er ein schutzwürdiges Interesse hat, sein Eigentum bis in eine bestimmte Tiefe auszunutzen, entscheidet sich nicht nach der gegenwärtigen wirtschaftlichen Tätigkeit des Eigentümers, sondern danach, ob er den betreffenden Raum überhaupt beherrschen und daran aus dem Eigentum fliessende Nutzungsbefugnisse ausüben kann (
BGE 93 II 175
Erw. 5 mit Verweisungen); es genügt das Interesse an einer allfällig künftigen Nutzung (
BGE 97 II 338
Erw. 2).
Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz stehen die fragliche Kluft und alle darin mit dem Fels verbundenen Mineralien im Eigentum der KWO. Diese übt ihr Recht an den Mineralien gegenwärtig nicht aus, könnte dies aber jederzeit tun. Sie hat daher ein schutzwürdiges Interesse daran, das Eigentum an ihrem Grundstück nach unten bis zu diesen Mineralien geltend zu machen.
Ist dem aber so, dann trifft die Behauptung des Beschwerdeführers und der Beschwerdegegner, die Kristalle seien herrenlose Sachen gewesen, nicht zu.
3.
Waren die fraglichen Mineralien nicht herrenlos und konnten die Beschwerdegegner demnach nicht durch blosse Aneignung Eigentum daran erwerben, so ist zu prüfen, ob die übrigen Tatbestandsmerkmale des Diebstahls erfüllt sind.
a) Nach verbindlicher Feststellung der Vorinstanz war die Kristallkluft im Zeitpunkt der Tat erschlossen und die KWO hatte den Herrschaftswillen über das Gebiet, einschliesslich der Mineralien. Sie hatte also Gewahrsam an der Kluft, auch wenn sie Strahlern unter gewissen Voraussetzungen die Ausbeutung gestattete. Die Beschwerdegegner haben diesen Gewahrsam
BGE 100 IV 155 S. 159
durch das Aufsprengen des Tors, das Abbrechen der mit dem Felsen verbundenen Mineralien und deren nachträgliche Wegschaffung gebrochen. Dass die Eigentümerin zur Zeit der Tat vorübergehend nicht in der Lage war, die Sache tatsächlich zu beherrschen (
BGE 80 IV 153
), ändert entgegen der Auffassung der Beschwerdegegner nichts.
b) Sodann stellt die Vorinstanz verbindlich fest, dass die Täter die Rauchquarze aus dem Eigentum der KWO weggenommen und in ihr eigenes Vermögen überführt haben. Dadurch strebten sie den Erwerb von Kristallen an, für den sie sonst Zeit, Arbeit und Geld hätten aufwenden müssen. Die unrechtmässige Bereicherung ist damit ausgewiesen. Was die Beschwerdegegner dazu ausführen, ist unzulässige Kritik an tatsächlichen Feststellungen (
Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP
).
c) Endlich haben die Täter nach der verbindlichen Feststellung der Vorinstanz vorsätzlich gehandelt.
4.
Obschon die Tatbestandselemente des Diebstahls erfüllt sind, hat die Vorinstanz die Beschwerdegegner freigesprochen mit der Begründung, es liege der Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des Verletzten vor.
Sind die einzelnen Merkmale eines Delikts erfüllt, so macht sich der Täter dann nicht strafbar, wenn die Tat ausschliesslich private Vermögensinteressen verletzt und der Verletzte im voraus die Einwilligung dazu erteilt (SCHWANDER, Das schweizerische Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Nr. 173). Auch eine bloss mutmassliche EinWilligung des Verletzten kommt, wo dieser nicht rechtzeitig einwilligen kann, für eine in seinem Interesse liegende Tat als Rechtfertigungsgrund in Betracht (GERMANN, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 9. Auflage, S. 61).
Die Vorinstanz stellt fest, die KWO erlaube auf dem in ihrem Eigentum stehenden Gebiet grundsätzlich jedem Dritten das Strahlen; diese Erlaubnis habe somit auch für die beiden Täter gegolten. Diese könnten sich deshalb auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung der Verletzten berufen. Diese Auffassung ist unzutreffend. Die KWO hat die Aneignung von Kristallen aus dem ihr gehörenden Grund und Boden, insbesondere des Zinggenstocks nicht vorbehaltlos zugelassen. Vielmehr gestattete sie das Strahlen lediglich grundsätzlich, d.h. unter bestimmten Voraussetzungen. Diese hat sie in ihrer Stellungnahme vom 29. Dezember 1973 unzweideutig genannt: sie erlaubt das Strahlen nur unter der Bedingung,
BGE 100 IV 155 S. 160
dass die allgemeinen überlieferten Strahlerregeln eingehalten werden. Insbesondere darf eine bereits belegte oder gar durch ein Tor gesicherte Fundstelle nur durch die ursprünglichen Entdecker, die die Kluft belegt haben, nicht aber durch Dritte ausgebeutet werden. Die Vorinstanz verneint die Rechtsverbindlichkeit dieser an sich unbestrittenen Beschränkungen für die Beschwerdegegner mit dem Hinweis darauf, die Bedingungen seien nicht öffentlich kundgegeben worden. Darauf kommt jedoch nichts an. Für die Einwilligung des Verletzten gilt das Willensprinzip: Der tatsächliche Umfang der Erlaubnis hängt ausschliesslich vom Willen des Verletzten ab (NOLL, Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 130 ff.). Im vorliegenden Fall ergibt sich dieser eindeutig aus den nicht in Frage gestellten Erklärungen der KWO. Deshalb kann sich derjenige nicht auf den Rechtfertigungsgrund der Einwilligung des Grundeigentümers berufen, der sich nicht an die überlieferten Strahlerregeln hält oder gar an einer bereits belegten Kluft "wildert".
Die KWO hat zudem nicht etwa früher eine Erklärung veröffentlicht, die eine bedingungslose Einwilligung darstellen würde. Wussten die Beschwerdegegner aber nur ganz allgemein, dass das Strahlen erlaubt worden sei, so hätten sie erst recht Anlass gehabt, sich über die Modalitäten zu vergewissern. Die Rechtswidrigkeit der von den Beschwerdegegnern begangenen Handlungen wurde demnach durch die grundsätzliche Strahlerbewilligung der KWO nicht ausgeschlossen. Deshalb haben sich jene des Diebstahls schuldig gemacht. Das angefochtene Urteil ist in diesem Punkte aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Beschwerdegegner des Diebstahls schuldig erkläre und entsprechend bestrafe.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.