Urteilskopf
101 Ib 9
2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. April 1975 i.S. R. und M. L. gegen Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt
Regeste
Ehelicherklärung (
Art. 258 ff. ZGB
); materiell zu Unrecht bestehender Registereintrag.
Auch wenn ein zu Unrecht bestehender Legitimationseintrag durch eine strafbare Handlung veranlasst wurde, darf er nicht auf dem Verwaltungsweg gelöscht werden; die damit im Widerspruch stehenden Weisungen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes sind mit der gesetzlichen Ordnung nicht vereinbar.
A.-
Am 4. Juli 1967 gebar die damals in erster Ehe mit H. verheiratete M. L. geb. W. den Knaben M. Dieser wurde als eheliches Kind der Eheleute H. in die Zivilstandsregister eingetragen. Mit Urteil des Schweizerischen Bundesgerichts vom 13. Mai 1971 wurde der Knabe als ausserehelich erklärt.
Die inzwischen von ihrem ersten Ehemann geschiedene Mutter des Knaben ging am 25. März 1970 mit R. L., von St. Gallen-Straubenzell, eine neue Ehe ein. Am 17. September 1971 erschienen die Eheleute L. auf dem Zivilstandsamt Basel-Stadt und liessen vom Zivilstandsbeamten beurkunden, der Knabe M. sei ihr gemeinsames Kind und somit durch die Heirat ehelich geworden. Gestützt darauf wurde der Knabe als eheliches Kind der Eheleute L. eingetragen und erhielt er den Familiennamen L. sowie das Bürgerrecht von St. Gallen-Straubenzell.
B.-
Mit Urteil vom 29. Januar 1973 wurden die Eheleute L. vom Strafgericht Basel-Stadt der Fälschung des Personenstandes sowie der Erschleichung einer falschen Beurkundung im Sinne von
Art. 216 und 253 Abs. 1 StGB
schuldig gesprochen und zu je 20 Tagen Gefängnis verurteilt, wobei ihnen der bedingte Strafvollzug gewährt wurde. Das Gericht betrachtete als nachgewiesen, dass sie vor dem Zivilstandsbeamten wider besseres Wissen erklärt hatten, M. sei ihr gemeinsames voreheliches Kind. Die beiden hatten in der polizeilichen Befragung zugegeben, dem Zivilstandsbeamten gegenüber zu Unrecht den Ehemann als Vater des Knaben angegeben zu haben. Vor Gericht widerriefen sie dieses Geständnis allerdings, ohne damit aber die Verurteilung verhindern zu können. Das Strafurteil erwuchs in Rechtskraft.
C.-
Mit Schreiben vom 14. August 1973 ersuchte das Departement des Innern des Kantons St. Gallen, das die Aufsicht über das Zivilstandswesen in diesem Kanton ausübt und das von der strafrechtlichen Verurteilung der Eheleute L. Kenntnis erhalten hatte, das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt als zuständige Aufsichtsbehörde, auf Grund des Strafurteils die Löschung des Legitimationseintrages zu verfügen. Im Einvernehmen mit dem Justizdepartement kam der Vorsteher des Zivilstandsamtes Basel-Stadt diesem Ersuchen nach und verfügte am 18. Dezember 1973 die Löschung der Legitimation des Knaben M.
Gegen diese Verfügung erhoben die Eheleute L. sowohl in
BGE 101 Ib 9 S. 11
ihrem eigenen Namen wie auch in jenem des Kindes Beschwerde an das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt, mit dem Antrag, die Legitimation sei aufrechtzuerhalten. Zur Begründung machten sie im wesentlichen geltend, die Ehelicherklärung eines Kindes könne gemäss
Art. 262 ZGB
nur innert drei Monaten durch Klage beim Gericht angefochten werden. Nachdem eine solche Anfechtung nicht erfolgt sei, könnten die Zivilstandsbehörden nicht von sich aus eine "Berichtigung" des Registers vornehmen.
Mit Entscheid vom 19. August 1974 wies das Justizdepartement die Beschwerde ab. Es führte im wesentlichen aus, die Verwaltung könne und dürfe eine Legitimation nicht bestehen lassen, von der auf Grund eines rechtskräftigen Strafurteils feststehe, dass sie falsch sei; jede andere Lösung wäre widersinnig und zudem mit der Regelung in
Art. 9 ZGB
unvereinbar, wonach öffentliche Register nur Solange für die durch sie bezeugten Tatsachen vollen Beweis erbrächten, als nicht die Unrichtigkeit ihres Inhaltes nachgewiesen sei; die Löschung der Legitimationseintragung erweise sich im übrigen auch auf Grund der Kreisschreiben E 4 und G 7 des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements als über jeden Zweifel erhaben.
D.-
Gegen diesen Entscheid erhoben die Eheleute L. für sich und für das Kind M. Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
2.
Nach
Art. 45 Abs. 1 ZGB
darf eine Eintragung in den Zivilstandsregistern nur auf Anordnung des Richters berichtigt werden. Beruht jedoch der Fehler auf einem offenbaren Versehen oder Irrtum, so kann nach Absatz 2 dieser Bestimmung die Aufsichtsbehörde die Berichtigung anordnen. Die gleiche Regelung enthält Art. 50 der Zivilstandsverordnung in den Absätzen 2 und 3. Über das Gesetz hinauszugehen, scheint hingegen Art. 51 Abs. 2 der gleichen Verordnung, indem die Aufsichtsbehörde auch als zuständig bezeichnet wird, dort Löschungen zu verfügen, "wo sich offensichtlich eine Eintragung im vollen Umfang als unrichtig, ungültig oder überflüssig herausstellt". Das Bundesgericht hat indessen in
BGE 101 Ib 9 S. 12
Weiterführung einer bereits vom Bundesrat als frühere Rekursinstanz begründeten Rechtsprechung entschieden, dass die Berichtigung einer Eintragung auf dem Verwaltungsweg keinesfalls in Frage kommen kann, wenn von irgend einer Seite mit einem Widerspruch zu rechnen ist oder wenn die Eintragung den Angaben entspricht, über die der Zivilstandsbeamte verfügte (
BGE 76 I 230
ff.
;
89 I 321
/322 Erw. 3; vgl. auch KAUFMANN, Die gerichtliche Berichtigung des Zivilstandsregisters nach
Art. 45 ZGB
, SJZ 11. Jahrg., 1915, S. 325 ff., insbes. S. 326 sub Ziff. III 1; FORNI, Berichtigung von Zivilstandseintragungen, Zeitschrift für Zivilstandswesen, 1973, S. 186 ff., insbes. S. 187).
An dieser Rechtsprechung und der sich daraus ergebenden einschränkenden Auslegung von Art. 51 Abs. 2 der Zivilstandsverordnung ist festzuhalten. Jede Abschwächung des in
Art. 45 Abs. 1 ZGB
aufgestellten Erfordernisses der richterlichen Anordnung einer Berichtigung würde bedeuten, dass die Betroffenen der Garantien beraubt würden, die ihnen nur ein gerichtliches Verfahren bieten kann.
Bereits auf Grund der erwähnten Rechtsprechung ergibt sich, dass die von den Zivilstandsbehörden des Kantons Basel-Stadt verfügte Löschung des Legitimationseintrages aufgehoben werden muss. Es fehlte gleich an beiden Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Berichtigung auf dem Verwaltungsweg. So stand von vornherein fest, dass die Eheleute L. mit der Löschung des Eintrages der Legitimation nicht einverstanden sein würden. Vor allem aber entsprach die Eintragung den Angaben, die dem Zivilstandsbeamten anlässlich der Beurkundung der Legitimation gemacht worden waren. Von einem offenbaren Versehen oder Irrtum im Sinne von
Art. 45 Abs. 2 ZGB
konnte daher keine Rede sein.
Dazu kommt, dass das legitimierte Kind im Strafverfahren, das zur Verurteilung der Eheleute L. wegen Fälschung des Personenstandes und Erschleichung einer falschen Beurkundung führte, gar nicht Partei und somit nicht in der Lage war, seine Interessen zu wahren. Das Strafurteil konnte auch aus diesem Grunde keinen Rechtstitel bilden, der die administrative Löschung des Eintrages der Legitimation in den Zivilstandsregistern erlaubt hätte.
3.
Die Löschung erweist sich aber auch noch aus einem andern Grunde als unhaltbar. Auch wenn die Ehelicherklärung
BGE 101 Ib 9 S. 13
eines Kindes voraussetzt, dass der Ehemann der Vater dieses Kindes ist, so ist damit noch keineswegs gesagt, dass eine Legitimation nichtig ist und in den Zivilstandsregistern gelöscht werden kann, sobald die Tatsache der Nichtabstammung feststeht. Nach der herrschenden Lehre und der Rechtsprechung bildet dieser Umstand vielmehr keinen Nichtigkeits-, sondern, gestützt auf
Art. 262 ZGB
, lediglich einen Anfechtungsgrund (
BGE 86 II 449
f. E. 4, wo die missverständlichen Ausführungen in
BGE 40 II 298
E. 2 klargestellt werden; HEGNAUER, N. 3 ff. und 7 zu
Art. 262 ZGB
sowie N. 13 zu Art. 258/259 ZGB, mit Zitaten; EGGER, N. 5 zu
Art. 258 ZGB
in fine).
Es wäre in der Tat nicht verständlich, welchen Sinn die gesetzliche Begrenzung der Möglichkeit zur Anfechtung der Ehelicherklärung auf drei Monate von deren Kenntnisnahme an hätte (
Art. 262 Abs. 1 ZGB
), wenn auch nach Ablauf dieser Frist die zuständige Behörde des Heimatkantons des Ehemannes oder eine andere Amtsstelle die Löschung des Legitimationseintrages im Zivilstandsregister erwirken könnte (SJZ 46. Jahrg., 1950, S. 207/208). Das Gesetz hat mit der Befristung der Anfechtungsklage den Grundsatz der Registerwahrheit jenem der Rechtssicherheit sowie dem Interesse des Kindes an der Aufrechterhaltung seines ehelichen Standes untergeordnet. Damit wird in Kauf genommen, dass eine materiell zu Unrecht vorgenommene Ehelicherklärung nach unbenütztem Ablauf der Anfechtungsfrist weiterhin rechtswirksam bleibt, auch wenn deren Vornahme von der Rechtsordnung missbilligt wird und sogar zur Bestrafung Anlass geben kann. Diese unterschiedliche Behandlung der Folgen einer zu Unrecht erfolgten Legitimation ist vom Gesetzgeber gewollt. Die Eintragung einer solchen Legitimation in den Zivilstandsregistern darf daher nicht unter Berufung auf einen (in dieser Allgemeinheit gar nicht bestehenden) Grundsatz der Unteilbarkeit der Rechtsordnung gelöscht werden.
Das Justizdepartement des Kantons Basel-Stadt beruft sich zur Rechtfertigung der Löschung des Legitimationseintrages auch auf
Art. 9 ZGB
. Diese Bestimmung enthält indessen lediglich eine Beweisregel und gibt keine Antwort auf die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Berichtigung von öffentlichen Registern möglich ist (KUMMER, N. 70 zu
Art. 9 ZGB
). Im übrigen verlangt gerade der in
Art. 9 ZGB
BGE 101 Ib 9 S. 14
enthaltene Grundsatz der verstärkten Beweiskraft öffentlicher Register, dass deren Einträge nicht leichthin ohne richterlichen Entscheid gelöscht werden können (vgl. FORNI a.a.O. S. 187).
Auch die Kreisschreiben E 4 und G 7 der Kreisschreibensammlung des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes über das Zivilstandswesen sind nicht geeignet, zu einer abweichenden Beurteilung der Rechtslage zu führen. Soweit sie die Löschung eines Legitimationseintrages durch Verfügung der Aufsichtsbehörde auf Grund eines Strafurteils als zulässig erklären, sind sie mit der gesetzlichen Ordnung nicht vereinbar und daher unbeachtlich.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Justizdepartements des Kantons Basel-Stadt vom 19. August 1974 aufgehoben. Die Löschung der Ehelicherklärung des Kindes M. L. in den Zivilstandsregistern ist rückgängig zu machen.