BGE 101 IV 1 vom 7. Mai 1975

Datum: 7. Mai 1975

Artikelreferenzen:  Art. 21 StGB, Art. 22 StGB, Art. 65 StGB, Art. 187 StGB , Art. 187 Abs. 2 StGB, Art. 22 Abs. 1 StGB, Art. 21 Abs. 1 StGB

BGE referenzen:  98 IV 102, 100 IV 164, 91 IV 233, 99 IV 153

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

101 IV 1


1. Urteil des Kassationshofes vom 7. Mai 1975 i.S. H. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen.

Regeste

1. Art. 22 StGB , vollendeter Versuch. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung ist auf die sog. Erfolgsdelikte im technischen Sinn beschränkt, weil nur bei ihnen der Erfolg nicht ohne weiteres schon mit der Vollendung der strafbaren Tätigkeit gegeben ist (Erw. 2).
2. Art. 187 Abs. 2 StGB , qualifizierte Notzucht.
a) Da Notzucht ein sog. reines Tätigkeitsdelikt ist, gibt es keinen vollendeten Versuch gemäss Art. 22 StGB (Erw. 2) (Praxisänderung).
b) Widerstandsunfähigkeit einer Frau, die, von drei Männern an Armen und Beinen gefesselt, ein Bein befreien kann (Erw. 1).

Sachverhalt ab Seite 1

BGE 101 IV 1 S. 1

A.- Am 4. September 1973 wurde die 1956 geborene Monika B., als sie nach Wirtschaftsschluss das Dancing "Lanterne" in Rheineck verliess, von Walter E. angesprochen und zu einem Kaffee bei ihm zu Hause eingeladen. Sie stieg mit E.
BGE 101 IV 1 S. 2
und dessen Freunden Walter G. und Alberto H. in des letztern Auto. Die Fahrt ging zu einem Budenwagen in Altenrhein. Dort plauderten die vier längere Zeit. Dann zogen die drei Burschen das Mädchen trotz heftiger Gegenwehr nackt aus, legten es gewaltsam auf ein Kajütenbett und banden seine Arme und Beine am Bett fest. E. vollzog gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr. Darauf legte sich H. auf das Mädchen. Dieses hatte zuvor das linke Bein freimachen können und versucht, sich damit zu wehren. H. lag fünf bis zehn Minuten auf dem Mädchen, um geschlechtlich mit ihm zu verkehren. Doch ist nicht nachgewiesen, dass er sein Glied in die Scheide einführte. Schliesslich wurde das Mädchen freigelassen.

B.- Das Kantonsgericht St. Gallen beurteilte E., H. und G. am 4. November 1974. H. erklärte es des vollendeten Versuchs zu qualifizierter Notzucht schuldig (Art. 187 Abs. 2/ Art. 22 Abs. 1 StGB ) und verurteilte ihn zu zwei Jahren und drei Monaten Zuchthaus.

C.- H. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Rückweisung der Sache an das Kantonsgericht zur Schuldigerklärung wegen unvollendeten Versuchs der einfachen Notzucht und zur Verurteilung zu einer bedingten Gefängnisstrafe von nicht mehr als einem Jahr.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Vorinstanz führt aus, der Umstand, dass das Mädchen das linke Bein aus der Fesselung befreien konnte, bevor sich H. auf sie legte, sei rechtlich unerheblich. Ihre Wehrlosigkeit sei damit auch nicht teilweise aufgehoben gewesen. Die Fesselung an beiden Handgelenken und am rechten Fuss habe eine wirksame Betätigung ihres Abwehrwillens weiterhin verhindert. Die durch Lösung der linken Beinfessel gewonnene Teilfreiheit habe der Täter mit seinem Körpergewicht mit Leichtigkeit wieder zunichte machen können.
Der Beschwerdeführer bestreitet die Widerstandsunfähigkeit gemäss Art. 187 Abs. 2 StGB mit der Begründung, solange das Mädchen mit einem Bein frei war, sei sie zum Widerstand nicht vollständig unfähig gewesen; sie hätte z.B. mit dem Bein ausschlagen und den Beschwerdeführer wegstossen können, als dieser sich auf sie legte.
BGE 101 IV 1 S. 3
Die Gewaltanwendung muss die Abwehr des Opfers in solchem Masse ausschalten, dass irgendwelche Bewegungen, zu denen die Frau noch fähig ist, das Vorhaben des Angreifers weder zu vereiteln noch zu beeinträchtigen vermögen ( BGE 98 IV 102 , auch BGE 100 IV 164 ). Diese Wirkung war hier erzielt. Abgesehen davon, dass es dem Beschwerdeführer ein Leichtes gewesen wäre, Abwehrbewegungen des linken Beines des Mädchens erfolgreich zu begegnen, waren die Mitangeklagten E. und G. anwesend, die das Mädchen zuvor gefesselt hatten und ohne weiteres in der Lage waren, das freigewordene Bein wieder anzubinden oder festzuhalten (vgl. im letztern Sinne wiederum BGE 98 IV 102 ). Die Vorinstanz hat somit die Widerstandsunfähigkeit des Opfers zu Recht bejaht.

2. Der Beschwerdeführer macht hingegen zutreffend geltend, er hätte wegen unvollendeten statt wegen vollendeten Notzuchtversuches schuldig erklärt werden sollen. Der Notzucht im Sinne von Art. 187 Abs. 2 StGB macht sich insbesondere schuldig, wer mit einer Frau den ausserehelichen Beischlaf vollzieht, nachdem er sie zu diesem Zwecke zum Widerstand unfähig gemacht hat. Unvollendeter Versuch liegt nach Art. 21 Abs. 1 StGB vor, wenn der Täter, nachdem er mit der Ausführung des Verbrechens oder Vergehens begonnen hat, die strafbare Tätigkeit nicht zu Ende führt. So verhält es sich hier. Der Beschwerdeführer hat alles getan, um mit der zum Widerstand unfähigen Frau gegen ihren Willen den Beischlaf zu vollziehen, konnte dann aber das Glied nicht in die Scheide einführen. Hätte er es getan, würde vollendete Notzucht vorliegen; denn bei diesem Delikt fällt die Ausführung der strafbaren Tätigkeit in ihrer Endphase (Einführen des Glieds in die Scheide) mit dem tatbeständlichen Erfolg (Duldung des Beischlafs) notwendig zusammen und bleibt für einen über die zu Ende geführte strafbare Tätigkeit hinausgehenden Erfolg kein Raum. Einen vollendeten Versuch gemäss Art. 22 Abs. 1 StGB gibt es deshalb bei der Notzucht als einem sog. reinen Tätigkeitsdelikt nicht (SCHULTZ, 2. Aufl. I S. 229, STRATENWERTH, II S. 318). Die Anwendbarkeit von Art. 22 StGB ist auf die sog. Erfolgsdelikte im technischen Sinne beschränkt, weil nur bei ihnen der Erfolg nicht ohne weiteres schon mit der Vollendung der strafbaren Tätigkeit gegeben ist ( BGE 91 IV 233 a.E.). Soweit in BGE 99 IV 153 etwas anderes gesagt wurde, ist daran nicht festzuhalten.
BGE 101 IV 1 S. 4
Die Sache ist deshalb an die Vorinstanz zurückzuweisen zur Schuldigsprechung des Beschwerdeführers wegen unvollendeten Versuchs der qualifizierten Notzucht. Im übrigen hat sie an ihrem Urteil nichts zu ändern; denn sowohl Art. 21 Abs. 1 wie Art. 22 Abs. 1 StGB sehen fakultative Strafmilderung nach Art. 65 StGB vor.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen teilweise gutgeheissen und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

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