Urteilskopf
101 V 267
54. Auszug aus dem Urteil vom 29. Oktober 1975 i.S. Zeder gegen Ausgleichskasse des Kantons Luzern und Verwaltungsgericht des Kantons Luzern
Regeste
Art. 12 und
Art. 21 IVG
.
Einem Rückenmarkstimulator (Myelostat) geht der Charakter eines Hilfsmittels ab.
Dieser Apparat gilt bei Diskushernie auch nicht als medizinische Eingliederungsmassnahme.
A.-
Der 1918 geborene Landwirt Josef Zeder leidet an rezidivierenden Lumbaldiskushernien, schweren Wurzelverwachsungen L5/S1 und mässig grosser Rezidivdiskushernie L4/L5. Dr. med. P. ersuchte am 24. Dezember 1974 um Übernahme der Kosten eines Rückenmarkstimulators (Myelostat); mit diesem Apparat könnten in der Mehrzahl der Fälle die Schmerzen behoben oder so weit gedämpft werden, dass der Patient wieder einige Stunden zu arbeiten vermöge.
Die Invalidenversicherungs-Kommission beschloss am 27. Januar 1975, der Rückenmarkstimulator stelle kein Hilfsmittel im Sinne des Gesetzes dar; es könne auch nicht von einer medizinischen Eingliederungsmassnahme gemäss
Art. 12 IVG
gesprochen werden.
B.-
Das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern wies durch Entscheid vom 7. Mai 1975 eine vom Versicherten
BGE 101 V 267 S. 268
gegen die ablehnende Kassenverfügung vom 29. Januar 1975 erhobene Beschwerde ab.
C.-
Mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt Josef Zeder, die Invalidenversicherung habe den Rückenmarkstimulator samt dem operativen Einbau zu übernehmen.
Ausgleichskasse und Bundesamt für Sozialversicherung schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt weist u.a. darauf hin, dass es sich beim Myelostaten um einen kleinen Apparat handelt, der unter die Haut implantiert wird und elektrische Impulse abgibt, die zeitweise die Schmerzempfindung aufzuheben vermögen. Die Eidgenössische Fachkommission für allgemeine Leistungen der Krankenversicherung habe sich in der Sitzung vom 28. November 1974 nicht dazu entschliessen können, den Myelostaten als Pflichtleistung der Krankenversicherung zu anerkennen. Invalidenversicherungsrechtlich sei er dem Schrittmacher für Herzfunktionen gleichzusetzen, und es gehe ihm die Qualifikation eines Hilfsmittels ab ...
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
Gemäss
Art. 21 IVG
hat der Versicherte im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste Anspruch auf jene Hilfsmittel, deren er für die Ausübung der Erwerbstätigkeit oder der Tätigkeit in seinem Aufgabenbereich, für die Schulung, die Ausbildung oder zum Zwecke der funktionellen Angewöhnung bedarf (Abs. 1). Der Versicherte, der infolge seiner Invalidität für die Fortbewegung, für die Herstellung des Kontaktes mit der Umwelt oder für die Selbstsorge kostspieliger Geräte bedarf, hat im Rahmen einer vom Bundesrat aufzustellenden Liste ohne Rücksicht auf die Erwerbsfähigkeit Anspruch auf solche Hilfsmittel (Abs. 2).
a) Die in
Art. 21 Abs. 2 IVG
vorgesehene Liste hat der Bundesrat in
Art. 14 Abs. 2 IVV
- ergänzt durch die vom Departement des Innern erlassene Verordnung über die Abgabe von Hilfsmitteln durch die Invalidenversicherung in Sonderfällen vom 4. August 1972 - abschliessend aufgestellt (
BGE 98 V 46
mit Hinweisen); sie umfasst Rückenmarkstimulatoren nicht. Dementsprechend können solche nicht gestützt
BGE 101 V 267 S. 269
auf
Art. 21 Abs. 2 IVG
und
Art. 14 Abs. 2 IVV
abgegeben werden.
b) Die gestützt auf
Art. 21 Abs. 1 IVG
in
Art. 14 Abs. 1 IVV
aufgestellte Liste ist nur insofern abschliessend, als sie die in Frage kommenden Hilfsmittelkategorien aufzählt. Die Anführung der einzelnen Hilfsmittel innerhalb der genannten Kategorien ist dagegen bloss exemplifikatorisch und daher einer gesetz- und verordnungsgemässen Erweiterung um einzelne Hilfsmittel, die einwandfrei in eine der genannten Gruppen gehören, grundsätzlich zugänglich (
BGE 98 V 47
).
Beim Rückenmarkstimulator handelt es sich indessen weder um ein individuell noch kategorienmässig angeführtes, ja überhaupt nicht um ein Hilfsmittel. Unter Hilfsmittel des IVG ist nämlich ein Gegenstand zu verstehen, dessen Gebrauch den Ausfall gewisser Teile oder Funktionen des menschlichen Körpers zu ersetzen vermag. Daraus ist zu schliessen, dass der Gegenstand ohne strukturelle Änderung ablegbar und wieder verwendbar sein muss. Dieses Erfordernis bezieht sich jedoch nicht nur auf den Gegenstand selbst, sondern auch auf den menschlichen Körper und dessen Integrität. Ein Gegenstand, der seine Ersatzfunktionen nur erfüllen kann, wenn er zuerst durch einen eigentlichen chirurgischen Eingriff ins Körperinnere verbracht wird und nur auf gleiche Weise wieder zu ersetzen ist, stellt kein Hilfsmittel im Sinne des Gesetzes dar. Sowenig die Rechtsprechung künstlichen Herzklappen (EVGE 1965 S. 262) oder Schrittmachern für Herzfunktionen (ZAK 1966 S. 49) Hilfsmittelcharakter zuerkannt hat, ebensowenig weist der in Frage stehende Rückenmarkstimulator diese Eigenschaft auf. Wohl führt
Art. 14 Abs. 1 lit. e IVV
- ohne Beispiele zu nennen oder Einschränkungen zu machen - "Hilfsmittel für innere Organe" auf. Dieser Umstand vermag die Rechtslage jedoch nicht zu ändern, denn es ist Aufgabe der Rechtsprechung, die Grenze zwischen
Art. 12 IVG
einerseits und
Art. 21 IVG
anderseits zu ziehen und von Fall zu Fall zu prüfen, ob der Gegenstand dem Hilfsmittelbegriff im Sinne des Gesetzes entspricht.
2.
a) Gemäss
Art. 12 Abs. 1 IVG
hat der Versicherte Anspruch auf medizinische Massnahmen, die nicht auf die Behandlung des Leidens an sich, sondern unmittelbar auf die berufliche Eingliederung gerichtet und geeignet sind, die Erwerbsfähigkeit dauernd und wesentlich zu verbessern oder vor
BGE 101 V 267 S. 270
wesentlicher Beeinträchtigung zu bewahren. Um Behandlung des Leidens an sich geht es in der Regel bei der Heilung oder Linderung pathologischen oder sonstwie Krankheitswert aufweisenden Geschehens labiler Art. Unter solchen Umständen ist die Vorkehr nicht unmittelbar auf die Eingliederung gerichtet. Die Invalidenversicherung übernimmt im Prinzip nur unmittelbar auf die Beseitigung oder Korrektur stabiler Defektzustände oder Funktionsausfälle gerichtete Vorkehren, sofern diese die Wesentlichkeit und Beständigkeit des angestrebten Erfolges im Sinne von
Art. 12 IVG
voraussehen lassen. Dagegen hat die Invalidenversicherung eine Vorkehr, die der Behandlung des Leidens an sich zuzuzählen ist, auch dann nicht zu übernehmen, wenn ein erheblicher Eingliederungserfolg vorauszusehen ist. Der Eingliederungserfolg, für sich allein betrachtet, ist im Rahmen des
Art. 12 IVG
kein taugliches Abgrenzungskriterium, zumal praktisch jede ärztliche Vorkehr, die medizinisch erfolgreich ist, auch im erwerblichen Leben eine entsprechende Verbesserung bewirkt (
BGE 101 V 46
Erw. 1a mit Hinweisen).
b) Wie die Vorinstanz und das Bundesamt für Sozialversicherung mit Recht ausführen, stellt das Grundleiden des Beschwerdeführers - eine rezidivierende Diskushernie - labiles pathologisches Geschehen dar und begründet daher keinen Anspruch auf Übernahme des verlangten Apparates als medizinische Eingliederungsmassnahme ...