Urteilskopf
103 II 161
28. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Juni 1977 i.S. Meyer und Mitbeteiligte gegen Stettler und Haller
Regeste
Art. 28 ZGB
.
Verletzung in den persönlichen Verhältnissen durch eine unrichtige Behauptung in einem Presseartikel (E. 1).
Anspruch auf Berichtigung; Passivlegitimation der Herausgeber der Zeitung (E. 2).
A.-
In Biel erscheint unter der Bezeichnung "Bieler Zeitung/le Journal de Bienne" eine Zeitung, die einen deutschen und einen französischen Textteil enthält und von einem Kreis von Mitarbeitern herausgegeben wird. In der Nummer 8 dieser Zeitung vom Januar 1974 wurde auf der ersten Seite unter dem Titel "So wird in Biel spekuliert" in auffälliger Aufmachung ein Artikel veröffentlicht, der folgenden Wortlaut aufwies:
"Diese Gewinne ohne Arbeit müssen jetzt endlich aufhören", so donnerte wortgewaltig vor noch nicht allzulanger Zeit der freisinnige Ex-Bundesrat Nello Celio vor dem Nationalrat gegen die Bodenspekulation. In Biel gehen "diese Gewinne ohne Arbeit" derweil munter weiter. Im Zentrum Mett liegt gegenwärtig eine lukrative Bau- und Goldgrube: Miethäuser sollen dort entstehen. Die Mieten
BGE 103 II 161 S. 162
werden von prächtigen Gewinnen diverser Spekulanten diktiert sein: So kaufte eine Immobiliengesellschaft den Flecken Erde für rund 300'000 Fr., stiess ihn wieder ab für 770'000 Fr. Die Architekten, die das Terrain kauften, landeten noch am Kauftag den grossen Coup: Sie stiessen das Land für 1 Million 200'000 Franken an den "Immobilien-Anlagefonds der Schweizerischen Kantonalbanken" ab (Gewinn innert 24 Stunden: 430'000 Franken). So wird auch in Biel munter spekuliert. Celio hin, Celio her. Parteifreund hin, Parteifreund her."
Der gleiche Artikel war in ähnlicher Aufmachung unter dem Titel "Ces bénéfices sans travail doivent enfin cesser" auch im französischen Teil der betreffenden Zeitungs-Nummer enthalten. Darunter wurde ein Bild des fraglichen Terrains veröffentlicht, das von folgendem Text begleitet war:
"La mine d'or du centre de Mâche. Gain d'un jour: 430'000 francs. La facture sera payée par les locataires. Des entreprises biennoises sont également impliquées dans cette triste affaire. On trouve même un des profiteurs dans les rangs de la Commission des travaux publics."
B.-
Bei den in diesem Zeitungsartikel erwähnten, wenn auch nicht namentlich genannten Architekten, denen die Erzielung eines Gewinnes von Fr. 430'000.-- innert 24 Stunden vorgehalten worden war, handelte es sich um Heinrich Stettler und Rudolf Haller. Diese reichten am 3. Februar 1975 beim Appellationshof des Kantons Bern gegen die zehn Mitarbeiter der Bieler Zeitung, die in der betreffenden Zeitungs-Nummer aufgeführt waren, nämlich Frank H. Meyer, Richard Walter, Hans Kern, Ginette Schneider, Margreth Noth, Stefan C. Kaspar, Peter Ihly, Roland Fischer, Franz Weber und Romy Zesiger, Klage ein mit folgenden Begehren:
"1. Es sei festzustellen, dass die von den Beklagten in der Bieler Zeitung vom 8. Januar 1974 (Seite 1 der deutschen und französischen Ausgabe im Art. So wird in Biel spekuliert" bzw. "Ces bénéfices sans travail doivent enfin cesser" gemachte Behauptung, wonach die Kläger in 24 Stunden einen Spekulationsgewinn von Fr. 430'000.-- gemacht hätten, unrichtig ist, und die Kläger in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt.
2. Die Beklagten seien zu verurteilen, eine gerichtlich zu bestimmende Genugtuungssumme zu bezahlen.
3. Die Beklagten seien zu verurteilen, das Urteilsdispositiv innerhalb eines Monats nach dessen Rechtskraft auf der ersten Seite des Textteils der Bieler Zeitung zu veröffentlichen.
4. Die Kläger seien zu ermächtigen, auf Kosten der Beklagten das Urteilsdispositiv im Umfang einer Viertelseite im Inseratenteil einer von ihnen selbst zu wählenden, eventuell richterlich zu bestimmenden Tageszeitung, zu veröffentlichen."
BGE 103 II 161 S. 163
Der Appellationshof stellte in seinem Urteil vom 3. Dezember 1976 fest, dass die von den Beklagten im fraglichen Artikel aufgestellte Behauptung, die Kläger hätten innert 24 Stunden einen Spekulationsgewinn von Fr. 430'000.-- gemacht, unrichtig sei und die Kläger in ihren Persönlichkeitsrechten verletze. Die Beklagten wurden solidarisch verurteilt, die diese Feststellung enthaltende Ziffer des Urteilsdispositivs in der ersten Nummer der Bieler Zeitung nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils auf der ersten Seite des Textteils in der Grösse von mindestens 18 x 15 cm (dreispaltig) zu veröffentlichen, unter Strafandrohung im Unterlassungsfall. Gleichzeitung wurden die Kläger ermächtigt, nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils die gleiche Dispositiv-Ziffer im Inseratenteil einer von ihnen selbst zu bestimmenden Tageszeitung einmal im Umfang von 18 x 15 cm zu veröffentlichen, und zwar unter solidarischer Haftbarkeit der Beklagten für die damit verbundenen Kosten. Der von den Klägern geltend gemachte Genugtuungsanspruch wurde dagegen abgewiesen.
C.-
Gegen dieses Urteil haben die Beklagten Berufung ans Bundesgericht erhoben, mit dem Antrag, die Klage sei vollumfänglich abzuweisen, mindestens aber insoweit, als sie sich nicht nur gegen die Beklagten Meyer und Kern richte.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Aus den Erwägungen:
1.
Die Beklagten machen in erster Linie geltend, es fehle an einer Verletzung in den persönlichen Verhältnissen im Sinne von
Art. 28 ZGB
. Zur Begründung ihrer Auffassung führen sie aus, eine unwahre Sachdarstellung bedeute noch nicht von vornherein eine Verletzung der persönlichen Verhältnisse. Die schweizerische Rechtsordnung lasse es ohne weiters zu, dass durch den Kauf und Verkauf einer Liegenschaft innert 24 Stunden ein Gewinn von Fr. 430'000.-- erzielt werde. Für Leute wie die Kläger, die seit Jahren im Bauwesen tätig seien und für die der Abschluss von Geschäften zum täglichen Brot gehöre, stelle die eingeklagte Äusserung daher keine Persönlichkeitsverletzung dar, selbst wenn sie unrichtig gewesen sein sollte. Anders wäre es nur zu halten, wenn der Vorwurf erhoben worden wäre, der Gewinn sei auf illegale
BGE 103 II 161 S. 164
Weise erzielt worden, oder wenn es sich bei den Klägern um Personen handeln würde, die zur Armut verpflichtet seien. Davon könne aber keine Rede sein.
a) Eine Presseäusserung verletzt die persönlichen Verhältnisse dann, wenn sie einen widerrechtlichen Eingriff in ein persönliches Rechtsgut darstellt, das unter den Schutz des
Art. 28 ZGB
fällt. In erster Linie ist dabei an das Rechtsgut der Ehre zu denken.
Art. 28 ZGB
schützt die Ehre in weitergehendem Umfang als das Strafrecht, das nur die Geltung eines Menschen als sittliche Person gewährleistet. Der zivilrechtlich geschützte Bereich der Ehre umfasst auch das berufliche und gesellschaftliche Ansehen einer Person und ist weitgehend von deren sozialer Stellung und Umgebung abhängig. Ob eine Äusserung geeignet ist, das Ansehen einer Person zu mindern, ist nach einem allgemeinen Massstab zu beurteilen, und zwar vom Standpunkt des Durchschnittbürgers aus (
BGE 100 II 179
mit Zitaten).
b) Aus dem Inhalt des eingeklagten Zeitungsartikels geht hervor, dass die dafür Verantwortlichen die Bodenspekulation als etwas Verwerfliches betrachten. So wird das den Klägern vorgeworfene Spekulationsgeschäft im französischen Teil der Bieler Zeitung als "cette triste affaire" bezeichnet. Durch die Bezugnahme auf Alt-Bundesrat Nello Celio wird sodann zum Ausdruck gebracht, dass die Bodenspekulation auch von den verantwortlichen Behörden unseres Staates verurteilt werde. Die Erzielung eines Spekulationsgewinns von Fr. 430'000.-- innert 24 Stunden wird auch von weiten Kreisen der Bevölkerung missbilligt. Diese Haltung kann heute über alle Parteischranken hinweg geradezu als Standpunkt des schweizerischen Durchschnittsbürgers betrachtet werden. Die Sachdarstellung im eingeklagten Artikel war somit geeignet, das gesellschaftliche und berufliche Ansehen der Kläger zu mindern. Das muss umso eher angenommen werden, als noch besonders hervorgehoben wurde, dass die Mieter der geplanten Wohnhäuser solche Spekulationsgewinne dereinst zu berappen haben würden. Der Hinweis der Beklagten auf die langjährige Tätigkeit der Kläger in der Baubranche vermag an dieser Beurteilung nichts zu ändern. Das Ansehen eines Architekten wird durch einen Vorwurf wie den hier in Frage stehenden nicht weniger stark betroffen als dasjenige eines andern Bürgers. Die Vorinstanz hat deshalb zu Recht angenommen,
BGE 103 II 161 S. 165
dass die Kläger durch den eingeklagten Zeitungsartikel in ihren persönlichen Verhältnissen verletzt wurden.
c) Mit Recht ist auch die Widerrechtlichkeit der eingeklagten Veröffentlichung bejaht worden. Das Beweisverfahren hat ergeben, dass die im Artikel enthaltene Sachdarstellung unrichtig war. Die Beklagten sind mit ihrer staatsrechtlichen Beschwerde, in der sie die Beweiswürdigung der Vorinstanz als willkürlich angefochten haben, nicht durchgedrungen. Das Bundesgericht hat daher im vorliegenden Verfahren davon auszugehen, dass die Kläger den ihnen vorgeworfenen Spekulationsgewinn nicht erzielt haben. Wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt wird, ist die Widerrechtlichkeit unwahrer Äusserungen nach feststehender Rechtsprechung selbst dann zu bejahen, wenn die Mitteilung der unrichtigen Tatsachen nicht auf ein schuldhaftes Verhalten zurückzuführen ist (
BGE 91 II 406
f.). Nachdem der Inhalt der eingeklagten Presseäusserung entgegen der Auffassung der Beklagten geeignet war, das Ansehen der Kläger herabzusetzen, waren die Voraussetzungen für die Anwendung von
Art. 28 ZGB
somit gegeben.
2.
In zweiter Linie wird in der Berufungsschrift geltend gemacht, dass sämtlichen Beklagten mit Ausnahme von Frank A. Meyer und Hans Kern, welche den eingeklagten Zeitungsartikel verfasst hatten, die Passivlegitimation fehle. Die Auffassung des Appellationshofes, dass alle Beklagten gemäss
Art. 50 OR
solidarisch haftbar seien, da sie die Gelegenheit gehabt hätten, den Artikel vor seinem Erscheinen zu lesen, und verpflichtet gewesen wären, sich nach seinem Wahrheitsgehalt zu erkundigen, sei unhaltbar. Die Tatsache, dass die Beklagten, deren Passivlegitimation bestritten werde, als Mitarbeiter der betreffenden Zeitungs-Nummer aufgeführt gewesen seien, könne ihre zivilrechtliche Haftung nicht begründen. Sobald der verantwortliche Redaktor den Namen des Verfassers bekanntgebe, entfalle nicht nur seine strafrechtliche Verantwortlichkeit, sondern grundsätzlich auch seine zivilrechtliche Haftung. Das Beweisverfahren habe im übrigen ergeben, dass die in Frage stehenden Beklagten mit der Abfassung des eingeklagten Artikels nichts zu tun gehabt hätten. Sie hätten in anderer Art an der Herausgabe der Zeitung mitgewirkt, und zwar zum Teil in untergeordneter Weise. Was im besonderen den Beklagten Ihly anbetreffe, so habe dieser im
BGE 103 II 161 S. 166
Zeitpunkt der Herstellung der betreffenden Zeitungs-Nummer in den Ferien geweilt und könne aus diesem Grunde keinesfalls zivilrechtlich haftbar gemacht werden.
Nachdem der Appellationshof den von den Klägern geltend gemachten Genugtuungsanspruch abgewiesen hat, bildet Gegenstand der Berufung nur noch die Berichtigungsklage, welche von der Vorinstanz in Anwendung von
Art. 28 Abs. 1 ZGB
geschützt worden ist. Die verlangte Richtigstellung ist das geeignete Mittel, den durch eine Pressepublikation geschaffenen Störungszustand zu beseitigen (
BGE 100 II 180
E. 6). Als Unterform des durch
Art. 28 Abs. 1 ZGB
gewährleisteten Beseitigungsanspruches ist sie, wie im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt wird, nicht von einem Verschulden der Beklagten abhängig. Bildet das Verschulden aber keine Voraussetzung für die Belangbarkeit der Beklagten, besteht kein Anlass, bei der Prüfung der Passivlegitimation auf
Art. 50 OR
abzustellen. Diese Bestimmung regelt die Haftung für Schäden, die mehrere gemeinsam verschuldet haben. Hier geht es indessen nicht um einen Fall von Schadenshaftung, sondern um die Frage, gegen wen sich der vom Verschulden unabhängige Beseitigungsanspruch bei einer Ehrverletzung durch die Presse richten kann. Da die Verletzung in den persönlichen Verhältnissen durch Presseäusserungen nicht allein auf das Verhalten des Verfassers dieser Äusserungen zurückzuführen ist, sondern ebenso sehr auf die Herausgabe des betreffenden Presseerzeugnisses, muss sich der Abwehranspruch des Verletzten auch gegen den Herausgeber richten können.
Für die Beurteilung der Passivlegitimation ist deshalb entgegen den Ausführungen in der Berufungsschrift nicht nur massgebend, ob die Beklagten an der Abfassung des eingeklagten Artikels beteiligt waren, sondern auch, ob sie an der Herausgabe der Zeitung mitwirkten. Hiefür spricht, dass in der betreffenden Ausgabe der Bieler Zeitung kein besonderer Herausgeber genannt wird, sondern auf der vierten Seite unter der Angabe "Mitarbeit an dieser Zeitung:" lediglich die Namen aller Beklagten aufgeführt werden. Da
Art. 322 StGB
unter Strafandrohung vorschreibt, dass auf Druckschriften in erster Linie der Name des Verlegers sowie des Druckers und auf Zeitungen überdies der Name des verantwortlichen Redaktors anzugeben ist, muss angenommen werden, dass die Beklagten
BGE 103 II 161 S. 167
die Zeitung gemeinsam herausgaben und sich auch nach aussen gemeinsam als verantwortliche Herausgeber zu erkennen geben wollten. Im angefochtenen Urteil wird in diesem Zusammenhang festgestellt, dass nicht etwa der Verein "Freie Bieler Bürger", dem die Bieler Zeitung offenbar nahesteht, als Herausgeber zu betrachten sei, da für eine solche Annahme keinerlei Anhaltspunkte bestünden. Hierin ist eine das Bundesgericht bindende Feststellung tatsächlicher Art zu erblicken. In der Berufungsschrift wird nicht geltend gemacht, dass diese Feststellung offensichtlich auf Versehen beruhe oder in Verletzung einer bundesrechtlichen Beweisregel zustande gekommen sei. Die Kläger waren unter diesen Umständen berechtigt, die Beklagten gemeinsam als Herausgeber der Zeitung zu betrachten und die Berichtigungsklage daher gegen alle zu richten.
Dass die Beklagten Meyer und Kern sich in der Folge als Verfasser des eingeklagten Artikels bekannten, vermochte an der Passivlegitimation der übrigen Beklagten nichts zu ändern, nachdem es hiefür in keiner Weise auf das Verschulden ankommt. Für die Belangbarkeit der Beklagten gestützt auf
Art. 28 ZGB
genügt es, dass sie die Herausgabe der Zeitung gemeinsam an die Hand genommen hatten, und sich im Impressum auch als Herausgeber zu erkennen gaben. Welchen Anteil jeder einzelne Beklagte an der Herausgabe der hier in Frage stehenden Zeitungs-Nummer wirklich hatte, ist demgegenüber von untergeordneter Bedeutung. Der durch eine unwahre Presseäusserung in seinem Persönlichkeitsrecht Verletzte muss sich bei der Geltendmachung seines Berichtigungsanspruches grundsätzlich daran halten können, wer im Presseerzeugnis als Herausgeber genannt ist. Daher ist auch die Passivlegitimation des Beklagten Ihly, der zufolge Ferienabwesenheit an der Herausgabe der betreffenden Zeitungsausgabe nicht mitgewirkt hatte, zu Recht bejaht worden. Ihly hat nicht bestritten, dass er an sich dem Personenkreis, der die Bieler Zeitung herausgibt, angehört. Er konnte somit auch belangt werden, wenn er an der Herausgabe der Zeitung-Nummer, in der die verletzende Äusserung enthalten war, nicht unmittelbar beteiligt war. Die Frage der Berichtigungspflicht berührt ihn als Mitherausgeber der Zeitung nicht weniger als die übrigen Beklagten.