Urteilskopf
104 Ia 69
16. Auszug aus dem Urteil vom 21. Juni 1978 i.S. Kobler gegen Stadtrat von Zürich sowie Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Zürich
Regeste
Art. 4 BV
. Rechtliches Gehör im Verwaltungsverfahren.
1. Voraussetzungen, unter denen Berichte verwaltungsinterner Fachstellen dem am Verfahren beteiligten Privaten zur Stellungnahme unterbreitet werden müssen.
2. Der am Verwaltungsverfahren beteiligte Private hat grundsätzlich Anspruch darauf, an den Beweiserhebungen der Verwaltungsorgane teilzunehmen. Eine Ausnahme gilt für Beweiserhebungen, die ihren Zweck nur erfüllen können, wenn sie unangemeldet erfolgen. In derartigen Fällen ist der Gehörsanspruch gewahrt, wenn nachträglich das festgehaltene Beweisergebnis zur Stellungnahme unterbreitet wird.
Aufgrund von Beschwerden verfügte die Lärmbekämpfungsstelle der Stadtpolizei Zürich, dass der vom Beschwerdeführer betriebene Privatclub jeweils ab 24.00 Uhr zu schliessen sei. Auf Einsprache hin liess der Stadtrat von Zürich durch die Lärmbekämpfungsstelle der Stadtpolizei in der Nähe des Privatclubs in drei Nächten den Schallpegel messen und Protokolle über die Lärm erzeugenden Vorgänge aufnehmen. Gestützt auf die betreffenden Berichte der Lärmbekämpfungsstelle wurde die angefochtene Massnahme von den kantonalen Rechtsmittelinstanzen geschützt. Der Beschwerdeführer erhebt mit staatsrechtlicher Beschwerde u.a. die Rüge, dass er zu den Lärmmessungen der Stadtpolizei nicht beigezogen worden sei.
Aus den Erwägungen:
a) Was die Frage der Neutralität der Personen betrifft, welche die Schallmessungen und die sie ergänzenden Beobachtungen vorgenommen haben, so verkennt der Beschwerdeführer den Unterschied zwischen dem Zivil- und dem Verwaltungsprozess. Während sich im Zivilprozess zwei gleichgeordnete Parteien gegenüberstehen, die sich in der Regel ausschliesslich von ihren privaten Interessen leiten lassen, hat die Behörde im Verwaltungsverfahren von Amtes wegen für die richtige Anwendung des Rechtes zu sorgen (
BGE 99 Ia 46
). Daraus folgt, dass sie zur Abklärung des Sachverhaltes und zur sachkundigen Würdigung desselben durchaus ihre eigenen Organe beiziehen darf, sofern diese über das nötige Fachwissen und über die allenfalls erforderlichen technischen Mittel verfügen.
b) Soweit sich der Bericht einer verwaltungsinternen Fachstelle darauf beschränkt, an sich feststehende Tatsachen sachverständig
BGE 104 Ia 69 S. 71
zu würdigen, muss er dem betroffenen Privaten vorgängig des behördlichen Entscheides nicht zur Stellungnahme unterbreitet werden (
BGE 101 Ia 311
E. 1; ZBl 79/1978, S. 40). Geht es jedoch darum, einen streitigen Sachverhalt abzuklären, so hat der am Verwaltungsprozess beteiligte Private, vorbehältlich gewisser Ausnahmen (s. unten), das Recht, an den Beweiserhebungen der Verwaltungsorgane teilzunehmen, und er besitzt in jedem Falle einen Anspruch darauf, zum Beweisergebnis Stellung nehmen zu können (
BGE 99 Ia 46
/47
;
91 I 92
). Der Bericht der Lärmbekämpfungsstelle der Stadtpolizei Zürich über die am 27., 28. und 30. September 1975 in der näheren Umgebung des Privatsclubs gemachten Beobachtungen und Messungen enthält das Ergebnis einer Beweiserhebung, auf das die Behörde nicht abstellen durfte, ohne es zuvor dem Betroffenen zur Stellungnahme zu unterbreiten. Der Beschwerdeführer konnte wenn nicht sofort, so wenigstens im Einspracheverfahren vor dem Stadtrat in die erwähnten Protokolle und Schalldiagramme Einsicht nehmen, und in den anschliessenden kantonalen Rechtsmittelverfahren erhielt er volle Akteneinsicht. Von einer Verletzung des rechtlichen Gehörs kann in dieser Hinsicht nicht mehr die Rede sein.
Der Beschwerdeführer beanstandet jedoch, dass er zu den Lärmmessungen der Stadtpolizei nicht beigezogen worden sei. Grundsätzlich haben die Parteien, wie erwähnt, auch im Verwaltungsprozess Anspruch darauf, an der Beweiserhebung teilnehmen zu können (
BGE 99 Ia 46
,
BGE 91 I 92
). Diese Regel erleidet jedoch Ausnahmen. Es ist in gewissen Fällen, namentlich auf dem Gebiet des Immissionsschutzes, unumgänglich, dass Augenscheine, Messungen usw. unangemeldet erfolgen, da sie andernfalls ihren Zweck nicht erfüllen könnten. Das Recht auf Teilnahme an der Ermittlungshandlung muss insoweit vor der Notwendigkeit der Feststellung des wirklichen Sachverhaltes zurücktreten (IMBODEN/RINOW, Verwaltungsrechtsprechung, Bd. 1 Nr. 82 B/III/c/1, S. 509). Es genügt hier, dass den Parteien nachträglich Einsicht in die Protokolle oder Messergebnisse gewährt wird. Dass auch im vorliegenden Falle die Messungen unangemeldet erfolgen mussten, bedarf keiner weiteren Erläuterung; die diesbezügliche Rüge ist unbegründet.