Urteilskopf
104 III 79
20. Entscheid vom 23. November 1978 i.S. R.
Regeste
Deckungsprinzip (Art. 141 in Verbindung mit
Art. 126 SchKG
).
Die dem betreibenden Gläubiger im Range vorgehenden Pfandgläubiger können nicht auf die Einhaltung des Deckungsprinzips verzichten.
A.-
Am 1. September 1977 leitete der Schweizerische Bankverein (SBV) beim Betreibungsamt Goldach gegen R. Betreibung auf Grundpfandverwertung für eine Forderung von Fr. 32'365.20 nebst Zins ein (Betreibung Nr. 814). Die Forderung ist sichergestellt durch eine Grundpfandverschreibung im 3. Rang auf dem Grundstück Nr. 6046 (Stockwerkeinheit) in Goldach, das im Eigentum der betriebenen Schuldnerin steht. Nachdem der SBV das Verwertungsbegehren gestellt und das Betreibungsamt die Steigerung angesetzt hatte, meldete er mit Schreiben vom 17. April 1978 aus zwei Schuldbriefen im 1. und 2. Rang Forderungen nebst Zinsen von insgesamt Fr. 235'411.65 an. Er berief sich auf ein Faustpfandrecht an diesen beiden Schuldbriefen, die ursprünglich B. und der Immorex AG zu Miteigentum zustanden. B. befindet sich in einem Nachlassverfahren mit Vermögensabtretung; über die Immorex AG wurde am 17. November 1977 der Konkurs
BGE 104 III 79 S. 80
eröffnet, das Verfahren jedoch mangels Aktiven am 29. November 1977 wieder eingestellt, und die Firma ist inzwischen im Handelsregister gelöscht worden. Die Forderung des SBV, für welche die Schuldbriefe zu Faustpfand gegeben worden sind, übersteigt deren Nominalbetrag bei weitem, und R. hat offenbar die Schuldverpflichtung aus den beiden Schuldbriefen übernommen. Der SBV kündigte ihr diese mit Schreiben vom 2. September 1977 auf sechs Monate. Die Schuldbriefforderungen sind somit seit dem 2. März 1978 zur Rückzahlung fällig, wurden jedoch bisher nicht in Betreibung gesetzt.
In Ziff. 1 der am 23. Mai 1978 aufgelegten Steigerungsbedingungen verfügte das Betreibungsamt, das Grundstück werde nur zugeschlagen, wenn das Höchstangebot den Betrag von Fr. 235'411.65, also die Forderungen nebst Zinsen aus den beiden Schuldbriefen im 1. und 2. Rang, übersteige.
B.-
Gegen diese Verfügung beschwerte sich der SBV beim Bezirksgerichtspräsidenten von Rorschach als unterer Aufsichtsbehörde für das Betreibungswesen mit dem Antrag, es sei in Ziff. 1 der Steigerungsbedingungen auf die Angabe eines Mindestangebotes zu verzichten. Der Bezirksgerichtspräsident hiess die Beschwerde am 3. Juli 1978 gut und hob das für die Versteigerung verfügte Mindestangebot auf. Dieser Entscheid wurde auf Rekurs der Schuldnerin hin am 25. September 1978 von der kantonalen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen bestätigt. Beide kantonale Instanzen gelangten zum Ergebnis, das Deckungsprinzip im Sinne von Art. 141 in Verbindung mit
Art. 126 SchKG
bezwecke ausschliesslich die Wahrung der Rechte der im Range vorgehenden Pfandgläubiger. Diese könnten daher auf dessen Anwendung verzichten. Insbesondere treffe das dann zu, wenn dem betreibenden Grundpfandgläubiger vorgehende Pfandforderungen zustünden, die infolge Kündigung zur Rückzahlung fällig geworden seien.
C.-
Gegen den Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde rekurrierte R. an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts mit dem Antrag, das vom Betreibungsamt verfügte Mindestangebot von Fr. 235'411.65 wieder herzustellen.
Das Betreibungsamt Goldach beantragt die Gutheissung des Rekurses. Die Vorinstanz liess sich nicht vernehmen, während die Vernehmlassung des SBV verspätet einging.
BGE 104 III 79 S. 81
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Die Legitimation der Rekurrentin zum Rekurs ist ohne Zweifel zu bejahen. Sie ist nicht nur Schuldnerin der in Grundpfandbetreibung gesetzten Hypothekarforderung, sondern auch der beiden vorgehenden Schuldbriefforderungen. Als solche hat sie ein Interesse an einem möglichst guten Steigerungsergebnis, damit ein allfälliger Pfandausfall, für den sie mit ihrem übrigen Vermögen einzustehen hat, möglichst klein wird. Dass das vom Betreibungsamt verfügte Mindestangebot dazu dienen kann, den Steigerungserlös hinaufzutreiben, liegt auf der Hand.
2.
Dem Deckungsprinzip im Sinne von Art. 141 in Verbindung mit
Art. 126 SchKG
unterliegen grundsätzlich alle vorgehenden Pfandforderungen, die nicht in Betreibung gesetzt sind, und zwar auch dann, wenn sie dem gleichen Gläubiger zustehen wie die in Betreibung gesetzte nachgehende Pfandforderung. Das versteht sich von selbst und ergibt sich indirekt auch aus
BGE 58 III 17
, wo entschieden wurde, wenn ein Gläubiger nur den Zins, nicht aber das Kapital in Betreibung setze, gelte für das letztere das Deckungsprinzip. In einer Betreibung auf Pfändung oder auf Pfandverwertung kann kein Gläubiger gezwungen werden, sich die Liquidation einer Grundpfandforderung gefallen zu lassen, die er nicht in Betreibung gesetzt hat oder die noch gar nicht fällig ist, solange nicht ihm im Range vorangehende Pfandgläubiger die Verwertung verlangen.
3.
Es fragt sich somit einzig, ob ein Gläubiger auf die Einhaltung des Deckungsprinzips verzichten kann. Das wäre allenfalls dann zu erwägen, wenn dieses Prinzip allein dem Schutz des Gläubigers dienen würde. Dem ist indessen entgegen der Annahme beider kantonaler Instanzen nicht so. Auch der Schuldner und Pfandeigentümer kann ein berechtigtes Interesse daran haben, dass bei einer Pfandverwertung nicht auch Pfandrechte liquidiert werden, deren Forderungen nicht in Betreibung gesetzt worden sind; denn damit würden ihm die ihm im Betreibungsverfahren zustehenden Rechte (Rechtsvorschlag, Einhaltung der Verwertungsfristen) abgeschnitten. So muss ein Schuldner ganz sicher nicht dulden, dass das vorgehende Pfandrecht für eine noch gar nicht fällige Schuld bei der Verwertung zugunsten eines nachgehenden Pfandgläubigers, seien die beiden Gläubiger identisch oder nicht, mitliquidiert
BGE 104 III 79 S. 82
wird. Er hat ein Anrecht darauf, dass ihm vorerst die vorgehende Pfandforderung unter Einhaltung der Kündigungsfrist gekündigt wird. Aber auch wenn die Schuld wie im vorliegenden Fall gekündigt und zur Rückzahlung fällig ist, hat er einen schützenswerten Anspruch darauf, in der nachfolgenden Grundpfandbetreibung durch Rechtsvorschlag seine Rechte wahren zu können, sowie darauf, dass die Fristen von
Art. 154 Abs. 1 und
Art. 133 Abs. 1 SchKG
eingehalten werden. Das ist denn auch die Meinung von JAEGER (N. 6 am Anfang zu
Art. 141 SchKG
, S. 469, und zuunterst auf der gleichen Seite; N. 8 zu
Art. 141 SchKG
, S. 472 Mitte; N. 5 zu
Art. 126 SchKG
, S. 414 Mitte).
Dient aber das Deckungsprinzip nicht nur dem Schutz der vorgehenden Gläubiger, so können diese nicht auf dessen Einhaltung verzichten. Die beiden Schuldbriefe sind daher bei der Festsetzung des Mindestangebotes zu berücksichtigen, ohne dass geprüft werden müsste, ob der SBV unter den gegebenen besonderen Umständen die Stellung eines Grundpfandgläubigers beanspruchen kann, obwohl ihm an den Schuldbriefen blosse Faustpfandrechte zustehen.
4.
Was die beiden kantonalen Instanzen und der SBV vorbringen, kann zu keinem andern Ergebnis führen. Die Argumente, die das Bundesgericht dazu geführt haben, für das Retentionsrecht eine Ausnahme vom Deckungsprinzip zu machen (
BGE 89 III 75
/76,
BGE 65 III 6
ff.,
BGE 42 III 221
/222; Archiv SchK 3/1894 Nr. 25), gelten für vorgehende Grundpfandrechte auch dann nicht, wenn die betreffenden Forderungen zwar fällig, aber noch nicht in Betreibung gesetzt worden sind. Auch der Hinweis der Vorinstanz auf JAEGER verfängt nicht; dieser führt zwar an der im angefochtenen Entscheid zitierten Stelle (N. 5 am Anfang zu
Art. 126 SchKG
) aus, das Deckungsprinzip bezwecke die Wahrung der Rechte der nicht betreibenden Pfandgläubiger; er will jedoch damit den Unterschied zu den mitbetreibenden Pfandgläubigern hervorstreichen. Dass das Deckungsprinzip ausschliesslich die Rechte der vorgehenden Pfandgläubiger zu schützen bestimmt sei, sagt JAEGER nicht: aus den in E. 3 zitierten Stellen seines Kommentars ergibt sich das Gegenteil. Dass der SBV, wie der erstinstanzliche Entscheid darlegt, bei der Realisierung seiner Faustpfandrechte möglicherweise auf Schwierigkeiten stossen wird, hat er allein der von ihm selbst gewählten Art der Sicherstellung seiner
BGE 104 III 79 S. 83
Forderungen zuzuschreiben. Ein Eingriff in die gesetzlich garantierten Rechte der Schuldnerin rechtfertigt sich deswegen jedenfalls nicht. Die Schwierigkeiten sind im übrigen keineswegs unüberwindlich. Sollte dem SBV das Recht zur direkten Geltendmachung der verpfändeten Schuldbriefforderungen zustehen, wie er es für sich in Anspruch nimmt (vgl. hiezu
BGE 64 II 418
/419), so kann er ohne weiteres Betreibung auf Grundpfandverwertung anheben und das Grundstück innerhalb der gesetzlichen Fristen verwerten lassen. Sollte er dagegen auf die Verwertung der Faustpfänder angewiesen sein, so steht dem der Konkurs der Immorex AG und dessen Schliessung mangels Aktiven im Sinne von
Art. 230 SchKG
nicht entgegen. Wie das Bundesgericht mehrfach entschieden hat, ist nämlich das in
Art. 134 VZG
vorgesehene Verfahren betreffend die Liquidation von Grundpfändern nach Einstellung des Konkurses mangels Aktiven auch auf Fahrnispfänder anwendbar (
BGE 90 II 253
,
BGE 67 III 112
,
BGE 63 III 84
,
BGE 56 III 191
, 53 III 191). Inwiefern das Nachlassverfahren über B. der Verwertung der Schuldbriefe entgegenstehen soll, ist sodann zum vornherein nicht ersichtlich. Die pfandgesicherten Forderungen werden durch den Nachlassvertrag nicht erfasst (
Art. 311 SchKG
), und die Faustpfänder können nach
Art. 316k SchKG
ausserhalb des Nachlassverfahrens liquidiert werden.
Demnach erkennt die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer:
Der Rekurs wird gutgeheissen und der Entscheid der kantonalen Aufsichtsbehörde für Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons St. Gallen vom 25. September 1978 aufgehoben; die Beschwerde des Schweizerischen Bankvereins gegen Ziffer 1 der am 23. Mai 1978 aufgelegten Steigerungsbedingungen in der Betreibung Nr. 814 des Betreibungsamtes Goldach wird abgewiesen.