BGE 104 V 14 vom 17. März 1978

Datum: 17. März 1978

BGE referenzen:  107 V 46, 125 V 284

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

104 V 14


4. Urteil vom 17. März 1978 i.S. Krankenkasse INTRAS gegen Schmuckli und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft

Regeste

Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG und Art. 1 der Verfügung 8 des Eidgenössischen Departementes des Innern über die Krankenversicherung.
- Die psychotherapeutische Behandlung durch nichtärztliche Psychotherapeuten und Psychologen stellt keine Pflichtleistung im Sinne des KUVG dar (Erw. 2).
- Zur Auslegung von Kassenbestimmungen (Erw. 3).

Sachverhalt ab Seite 14

BGE 104 V 14 S. 14

A.- Schmuckli schloss am 10. April 1975 mit der "Genfer Lebensversicherungs-Gesellschaft" eine Spitalversicherung ab; zusätzlich versicherte er sich bei der Krankenkasse INTRAS für Arzt- und Arzneikosten.
Mit Zeugnis vom 29. Juni 1976 bestätigte Dr. med. M., Schmuckli benötige wegen hochgradiger vegetativer Dystonie eine Kur mit autogenem Training. Er wies den Versicherten an Dr. phil. F., welcher in der Zeit von Mai bis Juli 1976 während insgesamt 22 Stunden Psychotherapie durchführte und hiefür Rechnung im Betrag von Fr. 2'200.- stellte.
Die Krankenkasse lehnte eine Kostenübernahme der Behandlung ab mit der Begründung, Dr. F. sei kein Arzt im Sinne von Art. 21 KUVG . Auf Einsprache des Versicherten erliess sie am 31. August 1976 eine gleichlautende Verfügung ( Art. 30 Abs. 1 KUVG ).

B.- Das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft hiess eine hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 24. November 1976 gut und verpflichtete die Kasse, die Kosten der psychotherapeutischen Behandlung zu übernehmen.
BGE 104 V 14 S. 15
Als massgebend hiefür erachtete das Gericht eine Bestimmung des Kassenreglementes, gemäss welcher die Kosten psychotherapeutischer Behandlungen von der 30. Sitzung an lediglich noch im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und der geltenden kantonalen Arzttarife vergütet werden. Mangels einer Bestimmung, wonach nur ein Arzt für solche Behandlungen in Betracht falle, müsse hieraus geschlossen werden, dass die Kosten der vorangehenden Behandlung ohne Einschränkungen übernommen würden. Selbst wenn das Reglement nicht als eindeutig zu erachten wäre, dürfe es nicht zum Nachteil des Kassenmitgliedes ausgelegt werden. Dem Vertrauensprinzip komme um so grössere Bedeutung zu, als die Versicherung bei der Krankenkasse INTRAS zusätzlich zu einer Spitalversicherung bei einer Privatversicherungsgesellschaft abgeschlossen worden sei.

C.- Die Krankenkasse INTRAS erhebt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt die Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides. Sie macht geltend, nach Gesetz und Rechtsprechung seien die Kassen nicht verpflichtet, die Kosten der Behandlung durch Psychologen zu übernehmen. Unerheblich sei die Rechtsform der Kasse und deren allfällige Zusammenarbeit mit einer Privatversicherungsgesellschaft. Im übrigen begründe auch eine kantonale Bewilligung zur Berufsausübung noch keine Leistungspflicht der Kasse.
Schmuckli lässt sich dahingehend vernehmen, die Pflicht der Kasse zur Übernahme der streitigen Behandlungskosten ergebe sich aus den gesetzlichen Bestimmungen, jedenfalls aber aus dem massgebenden Kassenreglement.
Das Bundesamt für Sozialversicherung äussert sich zur Auslegung des Kassenreglementes und beantragt Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. a) Nach Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG haben die Leistungen der Krankenversicherung bei ambulanter Behandlung mindestens zu umfassen die ärztliche Behandlung (lit. a), die von einem Arzt angeordneten, durch medizinische Hilfspersonen vorgenommenen wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen (lit. b), die von einem Arzt verordneten Arzneimittel (lit. c) und angeordneten Analysen (lit. d) sowie die Behandlung durch einen Chiropraktor (lit. e).
BGE 104 V 14 S. 16
Als ärztliche Behandlung im Sinne von lit. a der Bestimmung gilt gemäss Verfügung 8 des Eidgenössischen Departementes des Innern über die Krankenversicherung vom 16. Dezember 1965 auch die Psychotherapie, mit Ausnahme der analytisch-tiefenpsychologisch orientierten Methoden.
b) Ärzte im Sinne des KUVG sind diejenigen Personen, welche das eidgenössische Diplom besitzen ( Art. 21 Abs. 1 KUVG ). Personen, denen ein Kanton auf Grund eines wissenschaftlichen Befähigungsausweises die Bewilligung zur Ausübung des ärztlichen Berufes erteilt hat, sind ihnen innerhalb der Schranken dieser Bewilligung gleichgestellt ( Art. 21 Abs. 2 KUVG ).
Gestützt auf Art. 21 Abs. 6 KUVG hat der Bundesrat mit der Vo VI über die Krankenversicherung vom 11. März 1966 nähere Bestimmungen über die Zulassung von medizinischen Hilfspersonen in der Krankenversicherung erlassen. Gemäss Art. 1 der Verordnung sind als medizinische Hilfspersonen, die auf Anordnung eines Arztes wissenschaftlich anerkannte Heilanwendungen im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. b KUVG vornehmen, Personen zugelassen, die den Beruf eines Masseurs, Heilgymnasten, Physiotherapeuten, einer Krankenschwester oder eines Krankenpflegers selbständig und auf eigene Rechnung ausüben und die in der Verordnung genannten Zulassungsbedingungen erfüllen.

2. Nach der gesetzlichen Ordnung gehört die Psychotherapie, mit Ausnahme der analytisch-tiefenpsychologischen Methoden, zu den Pflichtleistungen der Krankenkassen. Voraussetzung ist indessen, dass sie durch einen Arzt im Sinne von Art. 21 Abs. 1 und 2 KUVG vorgenommen wird. Keine gesetzliche Leistungspflicht besteht, wenn die Behandlung von einem Psychotherapeuten oder Psychologen, der nicht Arzt ist, durchgeführt wird. Die Tätigkeit dieser Personen kann nicht als ärztliche Behandlung im Sinne des KUVG gelten. Psychotherapeuten und Psychologen sind auch keine medizinischen Hilfspersonen nach Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. b des Gesetzes und der Vo VI über die Zulassung der medizinischen Hilfspersonen. Schliesslich hat ihnen der Gesetzgeber auch nicht eine dem Chiropraktor vergleichbare Stellung als Medizinalperson verliehen. Auf Grund dieser als abschliessend zu erachtenden Regelung kann die Tätigkeit der nichtärztlichen Psychotherapeuten und Psychologen zu keinen Pflichtleistungen
BGE 104 V 14 S. 17
im Sinne des KUVG Anlass geben. Unerheblich ist, ob die Behandlung auf Anordnung eines Arztes erfolgt und ob der Psychotherapeut oder Psychologe über eine kantonale Bewilligung zur selbständigen Berufsausübung verfügt oder nicht. Entgegen der Annahme des Beschwerdeführers besteht daher auch im vorliegenden Fall keine Leistungspflicht der Kasse auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen.

3. Ausser den gesetzlichen Pflichtleistungen haben die Kassen auch diejenigen Leistungen zu erbringen, zu welchen sie sich durch Vertrag und Statuten verpflichtet haben.
a) Während die Statuten der Krankenkasse INTRAS keine Bestimmungen zur hier streitigen Frage enthalten, heisst es in Art. 10 des am 1. Januar 1976 in Kraft getretenen Reglementes betreffend die "Kombinierte Versicherung der Arzt- und Arzneikosten" (Ziff. 10.1):
"INTRAS vergütet:
a) die Kosten für ärztliche Behandlung (Arzt- und Untersuchungskosten).
Indessen werden die Kosten psychotherapeutischer Behandlungen von der 30. Sitzung an lediglich noch im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen und der geltenden kantonalen Arzttarife vergütet..."
Der Beschwerdegegner macht geltend, daraus gehe e contrario hervor, dass die Kasse für die Kosten psychotherapeutischer Behandlungen bis zur 29. Sitzung vorbehaltlos aufzukommen habe. Die Vorinstanz hat dieser Auffassung unter Hinweis auf den Grundsatz von Treu und Glauben im Ergebnis beigepflichtet. Als massgebend hiefür erachtete sie, dass es im Reglement an einer Bestimmung fehlt, dergemäss lediglich ein Arzt für eine solche Behandlung in Betracht fällt.
b) Es ist unbestritten, dass die Kasse auf Grund von Art. 10 des Reglementes bei psychotherapeutischen Massnahmen Leistungen gewährt, die über die gesetzlichen Pflichtleistungen hinausgehen. Streitig ist der Umfang dieser freiwilligen Leistungen.
Weil die anerkannten Krankenkassen auch mit Bezug auf die freiwilligen statutarischen Leistungen den Grundsätzen des KUVG unterliegen, sind die Kassenbestimmungen - jedenfalls soweit sich aus ihnen nicht eindeutig etwas anderes ergibt - im Sinne der gesetzlichen Begriffe zu verstehen (vgl. EVGE 1967, S. 131). Dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr, als Ziff. 1 der Reglementsbestimmung in der Systematik wie auch
BGE 104 V 14 S. 18
im Wortlaut weitgehend mit Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG übereinstimmt. Die Kostenübernahme von Psychotherapie wird in lit. a von Art. 10 Ziff. 1 geregelt, wo von den Kosten für ärztliche Behandlung die Rede ist. Es spricht nichts dafür, die Kasse habe diesem Begriff eine andere Bedeutung als der Gesetzgeber beigemessen und die psychotherapeutische Behandlung auch bei Vornahme durch nichtärztliche Psychotherapeuten und Psychologen übernehmen wollen. Anderseits lässt sich aus lit. b der Bestimmung nicht schliessen, die Kasse habe diese Personen entgegen Art. 1 Abs. 1 der Vo VI über die Krankenversicherung als medizinische Hilfspersonen anerkennen wollen. Das Kassenreglement kann daher nur dahingehend ausgelegt werden, dass die psychotherapeutische Behandlung durch einen Arzt bis zur 29. Sitzung ohne Einschränkungen hinsichtlich der Behandlungsmethode, d.h. mit Einschluss der nicht als gesetzliche Pflichtleistung geltenden analytisch-tiefenpsychologischen Methoden übernommen wird. Die gemäss Kassenreglement erweiterte Kostenübernahme für Psychotherapie bezieht sich somit auf die Art der Therapie und nicht auf die Person des Therapeuten.

4. An diesem Ergebnis vermag der auch im Sozialversicherungsrecht zu beachtende Grundsatz von Treu und Glauben nichts zu ändern. Zwar sind nach der Rechtsprechung kasseninterne Bestimmungen so auszulegen, wie sie der Versicherte bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit verstehen kann (RSKV 1969, S. 85), und es darf sich eine mangelnde Bestimmtheit der Kassenstatuten nicht zum Nachteil des Versicherten auswirken (RSKV 1971, S. 67). Nach dem Gesagten kann das massgebliche Reglement mit Bezug auf die vorliegende Streitfrage jedoch nicht als unklar gelten. Auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Versicherung bei der Krankenkasse INTRAS zusätzlich zu einem Privatversicherungsvertrag erfolgte, geht die Schlussfolgerung der Vorinstanz über das hinaus, was der Beschwerdegegner gestützt auf die Reglementsbestimmung annehmen durfte. Es muss daher mit der Feststellung sein Bewenden haben, dass die Kasse für die streitigen Massnahmen nicht aufzukommen hat.

Dispositiv

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der vorinstanzliche Entscheid aufgehoben.

Diese Seite ist durch reCAPTCHA geschützt und die Google Datenschutzrichtlinie und Nutzungsbedingungen gelten.

Feedback
Laden