Urteilskopf
105 Ia 23
6. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 5. Februar 1979 i.S. B. gegen Erbengemeinschaft E. und Mitbeteiligte (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 59 BV
.
Die Klage auf Ausschluss aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft gemäss
Art. 649b ZGB
ist keine persönliche Ansprache im Sinne von
Art. 59 BV
.
Mit Leitschein vom 1. März 1974 leiteten 14 Stockwerkeigentümer des Gebäudes "Chesa Gravas" in Lenzerheide gegen den in St. Gallen wohnhaften Miteigentümer B. beim Bezirksgericht Albula eine Klage ein mit dem Rechtsbegehren, der Beklagte sei aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft auszuschliessen und zu verpflichten, seine Anteile innert Frist zu veräussern. Das Bezirksgericht hiess die Klage mit Urteil vom 25. März/14. Juli 1976 gut. Eine Berufung des Beklagten gegen dieses Urteil wurde vom Kantonsgericht von Graubünden am 22. November 1977 abgewiesen.
Gegen dieses Urteil erhob B. unter anderem staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 59 BV
.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
BGE 105 Ia 23 S. 24
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer macht zunächst eine Verletzung von
Art. 59 BV
geltend und bringt vor, die Klage auf Ausschluss aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft sei eine persönliche Ansprache, für die er nach der genannten Bestimmung vor dem Richter seines Wohnorts, das heisst in St. Gallen, eingeklagt werden müsse; die Gerichte des Kantons Graubünden, am Ort der gelegenen Sache, seien in diesem Falle nicht zuständig und hätten daher auf die Klage nicht eintreten dürfen.
b) Im Reglement der Stockwerkeigentümergemeinschaft "Chesa Gravas" vom 29. Mai 1969 wurde vertraglich kein bestimmter Gerichtsstand vereinbart. Im Gegensatz zu § 51 des deutschen Wohnungseigentumsgesetzes, der für Streitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern wegen Entziehung des Wohnungseigentums (vorbehältlich gegenteiliger Vereinbarung) das forum rei sitae als zuständig bezeichnet (dazu BÄRMANN, Kommentar zum Wohnungseigentumsgesetz, 3. Auflage, N. 2 zu § 51), enthält das schweizerische Zivilgesetzbuch für Streitigkeiten dieser Art keine Bestimmung über den Gerichtsstand. Da der Beschwerdeführer im Kanton St. Gallen wohnt, muss er sich daher auf die gegen ihn im Kanton Graubünden angehobene Klage nur einlassen, wenn es sich dabei nicht um eine persönliche Ansprache im Sinne von
Art. 59 BV
handelt.
c) Wie das Bezirksgericht Albula in seinem Urteil zu Recht ausführte, liegt dem Stockwerkeigentum sowohl ein sachenrechtlicher wie ein körperschaftlicher Aspekt zugrunde, insoweit es Rechtsbeziehungen einerseits zu einer Sache und anderseits zu den einzelnen Stockwerkeigentümern umfasst. Die Stockwerkeigentümergemeinschaft ist zwar körperschaftlich organisiert, doch kann nicht übersehen werden, dass die Stockwerkeigentümer sich nur über das gemeinsame Eigentum zur Gemeinschaft finden und dass ihre persönlichen Beziehungen nur der Sachinnehabung folgen. Die Aufnahme in die Stockwerkeigentümergemeinschaft erfolgt nicht, wie beim Verein, durch einen körperschaftlichen Aufnahmeakt (
Art. 65 Abs. 1 ZGB
), sondern ohne weiteres durch den Erwerb des Anteils und insofern sachbezogen. Auch der Ausschluss vollzieht sich nicht nach Vereinsrecht, sondern durch ein gerichtliches Verfahren im Sinne von
Art. 649b ZGB
, wodurch der Miteigentümer zur Veräusserung seines Anteils gezwungen
BGE 105 Ia 23 S. 25
wird. Ausgeschlossen aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft ist er erst, wenn er seinen Anteil verkauft bzw. die Zwangsversteigerung stattgefunden hat. Daraus ist mit dem Bezirksgericht Albula und dem Kantonsgericht von Graubünden, das diesbezüglich auf die Erwägungen der ersten Instanz verwies, und im Gegensatz zur Beschwerdeschrift abzuleiten, dass bei der Stockwerkeigentümergemeinschaft die sachenrechtliche Komponente im Vordergrund steht und überwiegt.
Der Anspruch auf Ausschluss aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft wegen schwerer Pflichtverletzung ist auf Seiten des Berechtigten wie des Verpflichteten mit dem Anteilsrecht verbunden. Er richtet sich nicht gegen jedermann, sondern nur gegen den seine Pflichten verletzenden Stockwerkeigentümer, und er vermittelt dem Berechtigten keine direkte Sachherrschaft. Der Anspruch ist demnach obligatorischer Natur, mit der Besonderheit allerdings, dass sowohl der Berechtigte wie der Verpflichtete Inhaber eines dinglichen Rechts sind. In der neuern Lehre werden derartige obligatorische Rechtsverhältnisse, aus denen zu einer positiven Leistung, zu einem Tun oder Handeln verpflichtet ist, wer an einer bestimmten Sache Eigentum, ein beschränkt dingliches Recht oder auch nur Besitz hat, als Realobligationen bezeichnet (obligatio propter/ob rem; vgl.
BGE 92 II 155
, 229/230; LIVER, Die Realobligation, ZBGR 43/1962 S. 261 und 280; LIVER, Privatrechtliche Abhandlungen, S. 211 und 236; LIVER, Die beschränkten dinglichen Rechte, Einleitung, N. 148 ff.; MEIER-HAYOZ, Sachenrecht, Systematischer Teil, N. 151 ff.).
Die Realobligation wird durch ihre Verknüpfung mit einer Sache zwar nicht zu einem dinglichen Recht (MEIER-HAYOZ, a.a.O., N. 154), enthält aber doch eine Wirkung, die der eines dinglichen Rechts entspricht oder zumindest nahe kommt (LIVER, Einleitung N. 148). Klagen aus Realobligationen gelten deshalb nicht als persönliche Ansprachen im Sinne von
Art. 59 BV
. So hat das Bundesgericht entschieden hinsichtlich der Klage auf Erfüllung eines vorgemerkten Kaufrechtsvertrags (
BGE 92 I 36
ff.) sowie derjenigen auf definitive Eintragung eines Bauhandwerkerpfandrechts (
BGE 41 I 292
ff. E. 2; vgl. auch
BGE 103 Ia 464
,
BGE 95 II 33
). Mit der Klage auf Ausschluss aus der Stockwerkeigentümergemeinschaft im Sinne von
Art. 649b ZGB
muss es sich gleich verhalten. Da ihre sachenrechtliche Komponente überwiegt, verstösst es nicht
BGE 105 Ia 23 S. 26
gegen
Art. 59 BV
, wenn sie am Ort der gelegenen Sache angebracht wird.
Für dieses Ergebnis sprechen auch praktische Gründe. Der richterliche Ausschluss eines Stockwerkeigentümers setzt eine umfassende Prüfung der geltend gemachten Ausschlussgründe und der tatsächlichen Verhältnisse der gefährdeten Gemeinschaft voraus, die am Ort der gelegenen Sache in der Regel einfacher und besser vorgenommen werden kann als an dem (möglicherweise weit entfernten) Wohnsitz des Beklagten. Wenn sodann mehrere Stockwerkeigentümer aus einer Stockwerkeigentümergemeinschaft ausgeschlossen werden sollen und jeder von ihnen an seinem Wohnort belangt werden müsste, wären unter Umständen in verschiedenen Kantonen gleichartige Prozesse anzustrengen und hätten unter Umständen verschiedene Richter in verschiedenen Kantonen dieselben Verhältnisse ein und derselben gefährdeten Gemeinschaft zu überprüfen und zu beurteilen, was zu rechtsungleichen Behandlungen, stossenden Ergebnissen und schwerwiegenden Unzukömmlichkeiten führen könnte. Derartige Mängel sind ausgeschlossen, wenn die Klage am Ort der gelegenen Sache zulässig ist (dazu auch FRIEDRICH, Das Stockwerkeigentum, N. 14 zu § 51).