BGE 105 IV 114 vom 7. Mai 1979

Datum: 7. Mai 1979

Artikelreferenzen:  Art. 173 StGB , Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277 bis BStP

BGE referenzen:  100 IV 43, 124 IV 149, 125 IV 206 , 100 IV 43, 92 IV 97, 104 IV 16, 104 IV 14, 92 IV 98, 92 IV 98

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

105 IV 114


31. Urteil des Kassationshofes vom 7. Mai 1979 i.S. R. gegen Schachgesellschaft Allschwil und Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 173 StGB .
1. Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass der Betroffene in der ehrverletzenden Äusserung namentlich genannt werde; es genügt, dass nach den Umständen erkennbar ist, auf wen sie sich bezieht (E. 1).
2. Wer eine Äusserung durch die Presse verbreiten will, hat ihren Wahrheitsgehalt besonders sorgfältig zu überprüfen. Der Richter kann indessen bei der Beurteilung der persönlichen Verhältnisse der beruflichen Stellung und dem besonderen Auftrag des Journalisten Rechnung tragen (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 114

BGE 105 IV 114 S. 114

A.- Am 21. November 1976 fanden in Winterthur die Endspiele in der schweizerischen Schachmeisterschaft statt. Um den Verbleib in der Nationalliga A kämpften u.a. die Schachgesellschaft Allschwil und der Schachklub Luzern, die beide nebst Basel abstiegsgefährdet waren. Dank einem Unentschieden gegen Allschwil konnte sich Luzern den Verbleib in der obersten Spielklasse sichern, während Allschwil in die untere Klasse absteigen musste.
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Am 27. November 1976 erschien im Sportteil der "Luzerner Neuesten Nachrichten" ein von R. verfasster Artikel, der folgende Sätze enthielt:
Als Teilüberschrift:
"Der SK Luzern vermied mit einem
harterkämpften Unentschieden gegen
Allschwil in Winterthur den Abstieg..."
Text, zweiter Abschnitt:
"Bedauerlicherweise scheint sich die
"Lockheed-Mentalität" auch im geistigen
Sport einzunisten. Dass von Allschwiler
Seite versucht worden sein soll, einen
Luzerner Spitzenspieler mit Geld zu
bestechen, mutet widerlich an..."

B.- Das Amtsgericht Luzern-Stadt sprach R. am 7. Juli 1978 von der Anklage der üblen Nachrede, eventuell der Verleumdung frei, auferlegte ihm aber einen Teil der Kosten.
Am 29. November 1978 verurteilte das Obergericht des Kantons Luzern R. wegen übler Nachrede zu einer Busse von Fr. 100.- und auferlegte ihm die gesamten Verfahrenskosten, ausmachend Fr. 1'900.- und die Parteikosten der Privatklägerin im Betrag von Fr. 3'531.60.

C.- R. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

D.- Die Schachgesellschaft Allschwil beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft Luzern hat keine Gegenbemerkungen eingereicht.

E.- Eine von R. eingereichte staatsrechtliche Beschwerde hat der Kassationshof am 19. April 1979 abgewiesen, soweit auf sie einzutreten war.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Beschwerdeführer bestreitet zunächst die Aktivlegitimation der Schachgesellschaft Allschwil. Er macht geltend, die strafbare Ehrverletzung müsse sich stets gegen bestimmte oder eindeutig bestimmbare natürliche oder juristische Personen richten. Das könne zwar auch der Fall sein, wenn der Täter sich mit einer Kollektivbezeichnung gegen eine Mehrheit von Personen wende, doch müsse eine solche Bezeichnung so lauten, dass über die Zugehörigkeit einer Einzelperson zu den Betroffenen kein Zweifel bestehe. Ähnlich habe das
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Bundesgericht in BGE 100 IV 43 den allgemeinen Grundsatz aufgestellt, dass der gegen eine grössere Zahl von Personen gerichtete allgemeine Angriff nicht geeignet sei, den Ruf des Einzelnen zu schädigen, wenn keine Abgrenzung es erlaube, einen engeren Personenkreis festzustellen, der sich von der Gesamtheit unterscheide. Die Kollektivbezeichnung "Allschwiler Seite" lasse in ihrer Unbestimmtheit gar nicht eindeutig auf eine bestimmte Einzelperson, insbesondere auf die Schachgesellschaft Allschwil schliessen. Sie meine weder alle noch bestimmte Personen aus der Gegend von Allschwil und erlaube es nicht, einen engeren Personenkreis abzugrenzen, zumal die Bezeichnung "Allschwiler Seite" auch nicht in der Gegend von Allschwil wohnende Nichtmitglieder, Gönner oder irgendwelche Fanatiker umfassen könne. Weder der Durchschnittsleser noch der Kenner der Verhältnisse dürfte den Eindruck gewonnen haben, die dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Äusserung richte sich gegen die Schachgesellschaft Allschwil. Auch wäre es niemandem eingefallen, den Vorwurf eines Bestechungsversuches per Telefon, der nur durch eine Einzelperson begangen werden könne, mit einem Verein in Verbindung zu bringen. Sodann sei die hier verwendete Kollektivbezeichnung "Allschwiler Seite" für den mit den konkreten Verhältnissen Vertrauten nicht weniger allgemein als der vom Journalisten B. in seinem Bericht im "Luzerner Tagblatt" gewählte Ausdruck "aus Richtung Nord", der wegen seiner Unbestimmtheit von einem Gericht als zulässig erkannt worden sei. Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, er habe weder gewusst noch in Kauf genommen und auch nicht gewollt, dass der Leser von der Bezeichnung "Allschwiler Seite" auf die Schachgesellschaft Allschwil schliesse. Er habe überhaupt nicht eine bestimmte Person treffen wollen, sondern es sei ihm als begeistertem Schachspieler um die Bekämpfung schändlicher Bestechungsmethoden gegangen.
a) Der fragliche Zeitungsartikel enthält in der Teilüberschrift den ausdrücklichen Hinweis darauf, dass der Schachklub Luzern "mit einem harterkämpften Unentschieden gegen Allschwil" den Abstieg vermieden habe. Der erste Textabschnitt enthält die Feststellung, dass es in den hinteren Regionen hektischer zugegangen sei, "wo Basel, Luzern oder Allschwil noch als Absteiger in Frage kamen". Darauf folgt der inkriminierte zweite Abschnitt mit der Wendung, dass von
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"Allschwiler Seite versucht worden sein soll, einen Luzerner Spitzenspieler zu bestechen" und der dritte Abschnitt wird mit dem Satz eingeleitet: "Die Nerven der Luzerner waren begreiflicherweise schon vor Kampfbeginn gegen Allschwil strapaziert."
Die Vorinstanz hat Bundesrecht nicht verletzt, wenn sie erkannte, der unbefangene Leser dieser Sätze habe unwillkürlich auf die Schachgesellschaft Allschwil als Urheberin des Bestechungsversuches schliessen müssen. Einmal ergab sich für ihn aus dem Zeitungsartikel unmittelbar das Interesse der Schachgesellschaft Allschwil an einer Niederlage des Schachklubs Luzern, um sich in der Nationalliga A halten zu können. Sodann lag es nach dem gesamten Kontext nahe, den Versuch, dieses Ergebnis auf unlautere Weise herbeizuführen, dem abstiegsgefährdeten Allschwiler Verein zuzuschreiben, stand doch die Verdächtigung eines Bestechungsversuchs von Allschwiler Seite im Zusammenhang mit verschiedenen Ausführungen, in welchen für jedermann erkennbar auf die Schachgesellschaft Allschwil hingewiesen wurde. Der Einwand des Beschwerdeführers, wonach die inkriminierte Äusserung sich auf irgendeine Person aus der Gegend von Allschwil habe beziehen können, geht daher fehl. Es entspricht überdies dem allgemeinen Sprachgebrauch gerade auch in Sportmeldungen, zur Bezeichnung eines Sportvereins vereinfachend "Allschwil", "die Allschwiler", "auf/von Allschwiler Seite" zu schreiben: "Auf Allschwiler Seite spielten... besonders gut"; "Von Allschwiler Seite wurde Rekurs erhoben", etc. Schliesslich ist dem Beschwerdeführer auch nicht beizupflichten, wenn er behauptet, ein Bestechungsversuch per Telefon könne nur von einer Einzelperson, d.h. von einem Menschen begangen werden, weshalb es niemandem einfallen würde, die Verdächtigung auf einen Verein zu beziehen. Abgesehen davon, dass juristische Personen notwendig durch Menschen, nämlich ihre Organe handeln, war es im vorliegenden Fall nach dem gesamten Inhalt des Zeitungsartikels und den sich daraus ergebenden Zusammenhängen keineswegs wirklichkeitsfremd, die unmittelbar interessierte Schachgesellschaft Allschwil als Urheberin des behaupteten Bestechungsversuchs anzusehen.
Damit war aber der Angriff in seiner Zielrichtung deutlich genug, um bei objektiver Betrachtung die Beschwerdegegnerin von der Gesamtheit der natürlichen und juristischen Personen
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aus der Gegend von Allschwil abzuheben und als in ihrer Ehre Verletzte zu individualisieren. Deshalb muss auch der Hinweis des Beschwerdeführers auf BGE 100 IV 43 versagen. Damals handelte es sich im Unterschied zu der R. zur Last gelegten Äusserung um einen allgemeinen Angriff gegen eine weitreichende Personengesamtheit, deren zahlreiche Individuen einzig durch das Merkmal der mehr oder weniger regelmässigen Ausübung der Jagd gekennzeichnet waren, was eine Begrenzung auf eine sich vom Ganzen abhebende Gruppe oder auf bestimmte Einzelpersonen ausschloss. Der Vergleich mit dem Fall B. hilft deswegen nichts, weil hier allein die vorinstanzliche Würdigung des vom Beschwerdeführer geäusserten Verdachts zur Entscheidung steht und nicht eine von einem Dritten in anderer Form vorgebrachte und von einem anderen Gericht beurteilte Äusserung.
b) Die Einwände des Beschwerdeführers, mit denen er das Vorliegen des subjektiven Tatbestandes bestreitet, sind ebenfalls unbegründet. Gegen wen sich eine ehrenrührige Äusserung richtet, entscheidet sich nach objektiven Gesichtspunkten und nicht danach, was der Täter wollte (nicht veröffentlichte Urteile des Kassationshofes i.S. P. vom 17.10.1958 E. 1 und i.S. Sch. vom 20.2.1959 E. VII, 2a). Der Vorsatz hat demnach mit der Frage der Berechtigung zum Strafantrag nichts zu tun. Soweit er vom Beschwerdeführer bestritten wird, geschieht es überdies mit einer untauglichen Begründung. Insbesondere verkennt R., dass die Beleidigungsabsicht nicht Tatbestandsmerkmal der strafbaren Ehrverletzung ist. Es genügt, dass der Täter sich der Ehrenrührigkeit seiner Äusserung bewusst gewesen ist und sie dennoch getan hat ( BGE 92 IV 97 , 79 IV 22). Das aber ist hier unzweifelhaft der Fall gewesen.

2. Nach dem angefochtenen Urteil hat der Beschwerdeführer weder den Wahrheitsbeweis noch den Gutgläubigkeitsbeweis erbracht. Das erstere wird von R. nicht in Abrede gestellt. Dagegen macht er geltend, in zureichendem Masse dargetan zu haben, dass er ernsthafte Gründe hatte, seine Äusserung in guten Treuen für wahr zu halten.
a) Der Gutgläubigkeitsbeweis ist erbracht, wenn der Täter nachweist, dass er die ihm nach den Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen zumutbaren Schritte unternommen hat, um die Richtigkeit seiner Äusserung zu überprüfen und sie für gegeben zu erachten. Dabei ist besondere Sorgfalt
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geboten, wo die Äusserung durch die Presse verbreitet werden soll. Die in der Verbreitung durch das Presseerzeugnis liegende weite Streuung der Äusserung erhöht die suggestive Kraft des gedruckten Textes und verschärft damit den Angriff auf die Ehre des Betroffenen. Deshalb muss in solchen Fällen die Pflicht zu sorgfältiger Überprüfung des Wahrheitsgehalts der Äusserung strikte beachtet werden ( BGE 104 IV 16 /17). Der Journalist geniesst im Bereich der Ehrverletzungen keine Vorzugsstellung. Der Richter kann lediglich bei der Beurteilung der persönlichen Verhältnisse der beruflichen Stellung und dem besonderen Auftrag des Journalisten Rechnung tragen ( BGE 104 IV 14 E. 1c).
b) Das hat die Vorinstanz nicht verkannt. Sie stellt für den Kassationshof verbindlich fest, R. habe sich bei seiner Äusserung ausschliesslich auf Vermutungen Dritter gestützt, obschon ihm seit der Mitteilung durch Dr. M., wonach gegenüber J. telephonisch ein Bestechungsversuch unternommen worden sei, für Recherchierarbeiten rund 14 Tage zur Verfügung gestanden hätten. Überdies hätte auch die Möglichkeit bestanden, anlässlich der Schachfinalrunde vom 21. November 1976 mit vielen Schachspielern - auch denjenigen von Allschwil - den Sachverhalt eingehend zu erörtern. Anschliessend hätte R. bis zum 27. November Zeit gehabt, allfälligen Unklarheiten mit einer entsprechenden vorsichtigen Formulierung Rechnung zu tragen.
Die Vorinstanz hat Bundesrecht nicht verletzt, wenn sie gestützt auf diesen Sachverhalt zum Schluss gelangte, R. habe seiner journalistischen Informationspflicht nicht genügt und die Schachgesellschaft Allschwil leichtfertig eines nicht bewiesenen unehrenhaften Verhaltens bezichtigt. Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, hält nicht. Soweit seine Sachdarstellung von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz abweicht, ist er nicht zu hören ( Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277 bis BStP ). Fehl geht sein Einwand, nach dem Gespräch mit Dr. M. sei eine Kontaktnahme mit J. überflüssig gewesen, weil ihm die genannte Gewährsperson als glaubwürdig bekannt gewesen sei. R. verkennt, dass auch Dr. M. sich hinsichtlich der Urheberschaft des Bestechungsversuchs nur auf Vermutungen stützen konnte und dass er insbesondere nicht selber der Adressat des Telefonanrufs war. Über den Anruf hätte nur J. genauere Auskunft geben können.
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Eine Erkundigung bei ihm hätte dem Beschwerdeführer auch klar gemacht, dass besondere Zurückhaltung am Platz sei. Noch weniger als auf die Vermutung von Dr. M. durfte sich der Journalist R. auf das angeblich in Luzerner Schachkreisen kursierende Gerücht, dass Allschwil hinter dem Bestechungsversuch stehe, verlassen. Dass es dem Beschwerdeführer möglich gewesen wäre, am Schachturnier selber mit Spielern von Allschwil den Sachverhalt zu erörtern, bestreitet er nicht. Angesichts dieser Unterlassungen kann nicht gesagt werden, R. habe alles ihm Zumutbare unternommen, um sich von der Begründetheit seiner Verdächtigung zu überzeugen. Er hat seiner journalistischen Informationspflicht nicht genügt. Auch Beweisschwierigkeiten machen eine ehrverletzende Äusserung nicht erlaubt; wer solchen begegnet, muss sich hüten, ehrenrührige Vorwürfe zu erheben ( BGE 92 IV 98 ), zumal dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - zur Orientierung der Öffentlichkeit über gewisse Missbräuche die Nennung einer bestimmbaren Person überhaupt nicht erforderlich ist.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

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