BGE 105 IV 41 vom 16. Februar 1979

Datum: 16. Februar 1979

Artikelreferenzen:  Art. 237 StGB, Art. 3 LFV, Art. 1 LFG, Art. 90 LFG, Art. 1 VRV, Art. 60 VRV, Art. 1 SVG , Art. 237 Ziff. 2 StGB, Art. 114 LFV, Art. 3 Abs. 1 LFV, Art. 90 SVG, Art. 29, 30 Abs. 1 SVG, Art. 60-63 VRV, Art. 63 Abs. 3 lit. b SVG

BGE referenzen:  100 IV 54, 134 IV 255 , 101 IV 175, 102 IV 27, 86 IV 31, 92 IV 11, 100 IV 54, 100 IV 55, 100 IV 54, 100 IV 55

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

105 IV 41


11. Urteil des Kassationshofes vom 16. Februar 1979 i.S. K. gegen Schweiz. Bundesanwaltschaft und Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 237 StGB .
1. Auch ein Hubschrauberpilot, der im Gebirge abseits der üblichen Routen fliegt, kann den öffentlichen Verkehr in der Luft stören (E. 2).
2. Diese Bestimmung schützt den Passagier ohne Rücksicht auf seine Beziehung zum Fahrzeugführer und unabhängig davon, ob das Transportmittel ein öffentliches oder ein privates ist (E. 3). Bestätigung der Rechtsprechung.

Sachverhalt ab Seite 42

BGE 105 IV 41 S. 42
K. hatte am 22. Januar 1977, um 15.45 Uhr, auf dem Rückflug vom Lauberhornrennen (Gemeinde Grindelwald) nach Schindellegi SZ, 750 m SSW des Faulhorns auf 2380 m ü.M. mit dem von ihm pilotierten Helikopter Hughes 269 C für das Überqueren der Krete westlich des Faulhorns zu wenig Höhe gewonnen. Er war deshalb gezwungen, nach rechts vom Hang wegzudrehen, um die erforderliche Höhe gewinnen zu können. Der Hubschrauber sank indessen infolge einer starken Luftströmung rasch gegen den Hang ab, weshalb K. auf einem steil abfallenden Schneefeld unterhalb des Faulhorns notlanden musste. Dabei überschlug sich der Helikopter vornüber und kam völlig zerstört in einer Mulde zum Stillstand. Während K. mit dem Schrecken davonkam, erlitten seine beiden Passagiere leichte Verletzungen; nach ambulanter Behandlung konnten sie noch gleichentags aus dem Spital entlassen werden. Sie stellten keinen Strafantrag wegen Körperverletzung.
Nach dem Delegationsbeschluss der Bundesanwaltschaft und dem Einspruch gegen das Strafmandat des Richteramtes I Interlaken sprach der Gerichtspräsident I von Interlaken K. von der Anschuldigung der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 237 Ziff. 2 StGB frei, überband ihm aber die Kosten.
Auf Appellation der Bundesanwaltschaft und Anschlussappellation des K. zur Kostenfrage verurteilte die II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern K. wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs zu einer in zwei Jahren bedingt löschbaren Busse von Fr. 300.- und zu Kosten.
K. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Der Generalprokurator-Stellvertreter des Kantons Bern verzichtet auf Gegenbemerkungen; die Bundesanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Wer den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser oder in der Luft hindert, stört oder gefährdet und dadurch Leib und Leben von Menschen in Gefahr bringt, wird, wenn er fahrlässig handelt, mit Gefängnis oder Busse bestraft ( Art. 237 Ziff. 2 StGB ).
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Unbestritten ist, dass der Beschwerdeführer fahrlässig flugtechnische Fehler gemacht und die Windeinflüsse falsch beurteilt hat, was zur Notlandung und zur leichten Verletzung der beiden mitfahrenden Passagiere geführt hat. Auch bestand die Gefahr schwerer Verletzung.

2. Der Beschwerdeführer ist der Auffassung, er habe sich nicht im "öffentlichen Verkehr" befunden und den "öffentlichen Verkehr" weder gehindert, gestört noch gefährdet. Er habe den Unfall in einem Raum verursacht, dessen Benutzung zwar jedermann grundsätzlich erlaubt sei, der aber sonst nicht als Verkehrsweg benutzt werde, so dass bei seinem Unfall nur der eigene, von ihm selber geschaffene Verkehr, nicht aber der übrige öffentliche Verkehr gefährdet worden sei.
a) Das Gesetz enthält keine Definition des "öffentlichen Verkehrs". Es zählt lediglich einige Beispiele ("namentlich") auf, so den Verkehr auf der Strasse, zu Wasser und in der Luft. Dabei stand stets ausser Zweifel, dass der öffentliche Verkehr im Sinne von Art. 237 StGB nicht nur den Verkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Autobusse, Postkurswagen, Trolleybusse, Tramwagen, Kursschiffe, Linienflüge usw.) meint, sondern auch Fahrzeuge einschliesst, die von Privaten zu Privatzwecken benutzt werden, wenn sie sich an Orten bewegen, die dem allgemeinen Verkehr offen stehen (für den Strassenverkehr vgl. Art. 1 SVG und Art. 1 VRV ). Insbesondere ist nicht erforderlich, dass sich dort auch ein Verkehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln abwickelt (KARL DANNEGGER, ZBJV 108/1972, S. 436). Auf dem Erdboden kann der Tatbestand von Art. 237 StGB nicht nur auf der Strasse, sondern auch etwa auf Strassenverzweigungen und auf Plätzen erfüllt werden ( BGE 101 IV 175 ), sowie auf einem Ausstellungsareal oder einem Festplatz (HAFTER, Schweizerisches Strafrecht, BT, S. 524). Daraus, dass Art. 237 StGB nicht vom Verkehr "zu Lande" schlechthin spricht, sondern lediglich vom Verkehr "auf der Strasse", darf daher nicht der Schluss gezogen werden, Art. 237 StGB gelte nur für den Verkehr, der sich auf den üblichen Verkehrswegen abspielt, so etwa auf den üblichen Flugrouten bzw. den von den Linienflugzeugen benutzten Flugschneisen (vgl. indessen SCHULTZ, ZBJV 113/1977, S. 542); gerade in der Abweichung von der Schneise kann die rechtswidrige Gefährdung liegen. Vielmehr ist, vorbehältlich klar umschriebener Ausnahmen, der ganze Luftraum dem öffentlichen Verkehr zugänglich
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( Art. 1 LFG ) und es kann daher grundsätzlich überall in der Luft der Tatbestand von Art. 237 StGB erfüllt werden ( BGE 102 IV 27 und dort zitierte Literatur). Dies ergibt sich übrigens auch aus Art. 114 LFV (unter der Überschrift "Nichtlinienverkehr"), wonach gewerbsmässige Flüge, die nicht der Beförderung von Personen und Sachen auf regelmässig beflogenen Luftverkehrslinien dienen, einer Bewilligung des Eidgenössischen Luftamtes bedürfen.
b) Der Beschwerdeführer ist indessen der Meinung, der Luftraum sei nicht überall dort öffentlich, wo er einem unbestimmten Benützerkreis zugänglich sei, sondern nur in jenen Abschnitten, die zur Benützung durch ein bestimmtes Luftfahrzeug "geeignet" seien. Der von ihm benützte Abschnitt sei aber ungeeignet gewesen, was denn auch ein Grund für den Absturz gewesen sei.
Der Einwand geht fehl. Wenn das Bundesgericht in BGE 101 IV 175 , auf den der Beschwerdeführer verweist, zur Bejahung der Öffentlichkeit das Kriterium als massgebend bezeichnet hat, dass die Verkehrsfläche dem öffentlichen Verkehr "dient", so hat es damit - wie aus dem Gesamtzusammenhang klar hervorgeht - ausgedrückt, dass sie dem öffentlichen Verkehr zugänglich sein, ihm "zur Verfügung stehen", nicht aber, dass sie für den öffentlichen Verkehr geeignet sein müsse. Oft kann nicht zum vornherein gesagt werden, ob sich ein bestimmter Abschnitt des Luftraumes zur Benützung durch einen Helikopter eigne oder nicht; selbst übliche Flugrouten können sich unter Umständen (Wetter, Thermik, Defekt an der Maschine usw.) im konkreten Fall als "ungeeignet" erweisen. Auch an abgelegenen Stellen des allgemein zugänglichen Luftraums soll der Mensch vor Gefährdung durch ein Verkehrsmittel geschützt sein. Das Kriterium der "Eignung" ist zu unbestimmt und kann daher zur Abgrenzung des im Sinne von Art. 237 StGB strafbaren Verhaltens zum straflosen nicht herangezogen werden. Es ist demnach am Kriterium der allgemeinen Zugänglichkeit festzuhalten, wobei ein Raum auch dann einem unbestimmten Personenkreis offen steht, d.h. allgemein zugänglich ist, wenn die Benützung nach Art und Zweck eingeschränkt wurde ( BGE 86 IV 31 , BGE 92 IV 11 E. 1). Belanglos ist schliesslich, ob die Stelle, an welcher der Helikopter auf dem Erdboden aufschlug, dem öffentlichen Verkehr offen steht oder nicht; denn nicht erst auf dem Erdboden, sondern schon im Luftraum wurde in casu der Tatbestand von Art. 237 StGB erfüllt.
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c) Der Beschwerdeführer wendet ein, stelle man auf die allgemeine Zugänglichkeit eines Ortes für den Verkehr ab, fielen auch Gefährdungen durch Kanufahrten auf Wildwasser, durch Steinschlag beim Bergsteigen oder durch Kentern von Segelbooten unter Art. 237 StGB . Wie solche Grenzfälle (vgl. auch DANNEGGER, op.cit., insbes. S. 439 ff.) zu beurteilen wären, kann hier offen bleiben. Die Verwendung von Hubschraubern im allgemein zugänglichen Luftraum stellt jedenfalls keinen Grenzfall dar, ist doch der Helikopter heute ein in der Luft allgemein benütztes Verkehrsmittel (vgl. Art. 3 Abs. 1 LFV ), das sich in besonderem Masse zum Transport von Personen und Gütern im Gebirge oder sonst nicht leicht zugänglichen Orten eignet.

3. Der Beschwerdeführer macht im weiteren geltend, die durch ihn gefährdeten und leicht verletzten Insassen des Hubschraubers seien durch Art. 237 StGB nicht geschützt. Er habe sie als Bekannte und aus Gefälligkeit mitgenommen. Es sei nicht vom Zufall abhängig gewesen, wer konkret gefährdet wurde. Die beiden Passagiere repräsentierten ihm gegenüber nicht die Allgemeinheit. Damit greift der Beschwerdeführer auf die alte Rechtsprechung des Kassationshofes zurück ( BGE 76 IV 122 , 125), die mit BGE 100 IV 54 f. aufgegeben worden ist (zustimmend SCHULTZ, ZBJV 111/1975, S. 505, mit der Bemerkung, die Kehrtwendung und Rückkehr zu BGE 75 IV 124 sei schon lange erwartet worden; kritisch STRATENWERTH, BT, Bd. 2, S. 135, der auf die "Gemeingefahr" zurückgreift, welche das Strafgesetzbuch in Art. 221 f., nicht aber in Art. 237 aufgenommen hat).
Es besteht keine Veranlassung, im vorliegenden Fall von der neuen Rechtsprechung abzugehen.
a) Der Beschwerdeführer räumt ein, die Passagiere eines Fahrzeugs seien vom Schutz durch Art. 237 StGB nicht schlechterdings ausgenommen, es könne also der Führer eines Verkehrsmittels nicht nur Menschen, die sich ausserhalb desselben befinden, im Sinne von Art. 237 StGB gefährden, spiele es doch im Hinblick auf deren Gesundheit von ihrer Sicht aus gesehen keine Rolle, ob sie durch den eigenen Fahrzeugführer oder durch eine Drittperson gefährdet werden. Der Beschwerdeführer ist aber der Auffassung, dass nur die Passagiere öffentlicher Verkehrsmittel durch Art. 237 StGB geschützt seien.
Der Einwand geht fehl. Steht fest, dass der Passagier eines privaten Transportmittels gegen von aussen herrührende Gefährdung
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und der Benützer eines öffentlichen Verkehrsmittels gegen Gefährdung auch seitens des Fahrzeugführers selber (was nach STRATENWERTH, op.cit., S. 135 Mitte stets ausser Zweifel gestanden habe) durch Art. 237 StGB geschützt ist, so verdient diesen Schutz auch der Passagier eines privaten Transportmittels bei Gefährdung durch den Führer desselben. Denn der Mitfahrer auch eines privaten Verkehrsmittels nimmt am Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser oder in der Luft teil, unabhängig davon, ob die Gefährdung von aussen oder von seinem Führer selber herrührt. Für den Strassenverkehr ergibt sich der Schutz des Mitfahrers aus Art. 90 SVG (der hier weitgehend den Art. 237 StGB ersetzt) i.V.m. Art. 29, 30 Abs. 1 SVG , Art. 60-63 VRV (vgl. SCHULTZ, die Strafbestimmungen des SVG, S. 164, FN 102, mit der Bemerkung, "... dass nun auch - in Abkehr von der früheren Rechtsprechung, siehe BGE 76 IV 121 - die Mitfahrer des durch SVG Art. 90 Zif. 1 und 2 gewährten Schutzes teilhaftig werden "). Was den Luftverkehr betrifft, so regelt Art. 90 LFG lediglich die Gefährdung von Leib und Gut Dritter auf der Erdoberfläche durch den Kommandanten, ein Besatzungsmitglied oder einen Passagier eines (öffentlichen wie privaten) Luftfahrzeuges. Die Bestimmung ist nur eine Ergänzung zu Art. 237 StGB (BBl 1945 I S. 369); überhaupt bildet der ganze Titel des LFG betreffend die Strafbestimmungen "selbstverständlich nur eine Ergänzung zum schweizerischen Strafgesetzbuch, das insbesondere in Art. 237 und 239 luftverkehrsrechtliche Interessen weitgehend schützt" (BBl 1945 I S. 368). Zu diesen gehört aber namentlich auch die Verantwortlichkeit des Piloten gegenüber seinem Passagier, und zwar gleichgültig, ob das Flugzeug im Einzelfall ein öffentliches oder privates Verkehrsmittel ist.
b) Ebensowenig kann es darauf ankommen, ob der Passagier zum Führer des - öffentlichen oder privaten - Verkehrsmittels in einer besonderen Beziehung stehe oder nicht, zumal die Umschreibung dieses Verhältnisses unlösbare Schwierigkeiten bereiten würde (Verwandtschaftsgrad, Freundschaft, Bekanntschaft; Schulbusse, Transport zum Arbeitsplatz; Unentgeltlichkeit, Kostenteilung, eigenes Interesse an der Fahrt usw.). Weder das SVG noch Art. 237 StGB enthalten ein solches Unterscheidungsmerkmal. Im Gegenteil lässt Art. 63 Abs. 3 lit. b SVG in der Fassung vom 20. März 1975 (BBl 1973 II 1173) es nicht mehr zu, dass der Halter eines Motorfahrzeuges
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Ansprüche der Angehörigen wegen Tötung oder Verletzung von der Haftpflichtversicherung ausschliesst. Auch das deutsche StGB, dessen früherer Tatbestand der Transportgefährdung (§ 315) noch eine Gemeingefahr vorausgesetzt hatte, schützt im neuformulierten § 315 (Fassung von 1969) den Mitfahrer ohne Rücksicht auf sein Verhältnis zum Fahrzeugführer (SCHÖNKE/SCHRÖDER, 19. Aufl., N. 16 zu § 315).
c) Wenn der Kassationshof in BGE 100 IV 55 als Beispiele geschützter Mitfahrer die Passagiere eines Linienflugzeuges und die Benützer eines Passagierschiffes erwähnte, so hat er damit den geschützten Personenkreis entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers nicht auf die Benützer öffentlicher Verkehrsmittel bzw. auf die Passagiere, die zum Fahrzeugführer in keiner besonderen Beziehung stehen, beschränken wollen; dies ergibt sich aus dem jenem Entscheid zugrundeliegenden Sachverhalt, aus der Regeste und aus der Bezugnahme auf BGE 76 IV 121 , welcher dem Passagier im Verhältnis zum Fahrzeugführer den Schutz des Art. 237 StGB ebenso unterschiedslos versagt hatte, wie er ihm nach der neuen Rechtsprechung gewährt wird.
d) Sind nach dem Gesagten die Passagiere des Täters mitgeschützt, so ist Art. 237 StGB entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers unabhängig von der Dichte des zur Tatzeit am Tatort herrschenden Verkehrs anwendbar. Die Gefährdung des Passagiers durch den Fahrzeugführer fällt unter Art. 237 StGB , ohne dass es darauf ankommt, ob und wieviele Fahrzeuge zufälligerweise in der Nähe zirkulieren.
Die Vorinstanz hat, indem sie das Bestehen eines "öffentlichen Verkehrs" im Sinne von Art. 237 StGB am Tatort bejahte und die beiden Passagiere des Beschwerdeführers als durch diese Bestimmung geschützt betrachtete, Bundesrecht nicht verletzt. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

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