BGE 107 III 73 vom 15. Oktober 1981

Datum: 15. Oktober 1981

Artikelreferenzen:  Art. 164 StGB, Art. 175 ZGB, Art. 209 ZGB , Art. 164 Ziff. 1 Abs. 3 StGB, Art. 209 Abs. 1 ZGB, Art. 175 Abs. 1 ZGB

BGE referenzen:  85 II 361, 82 III 130, 81 III 18

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

107 III 73


17. Auszug aus dem Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 15. Oktober 1981 i.S. Erben G. und Mitbeteiligte (Rekurs)

Regeste

Pfändung.
1. Der Betreibungsbeamte kann bei der Pfändung vom Schuldner nicht verlangen, dass dieser sich über die Verwendung von Geldbeträgen ausweist, die er möglicherweise vor Jahren besessen hat (E. 3).
2. Behauptet der Gläubiger, dem Schuldner stehe eine Forderung zu, so ist diese auch dann zu pfänden, wenn deren Bestand bestritten ist. Pfändung einer Ersatzforderung einer Ehefrau gegenüber ihrem Ehemann für eingebrachtes Frauengut (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 73

BGE 107 III 73 S. 73
In den zehn Betreibungen 946/80 bis 955/80 stellten die Gläubiger am 31. Oktober 1980 beim Betreibungsamt Brusio das Fortsetzungsbegehren. Darin wiesen sie darauf hin, die Schuldnerin habe am 23. Dezember 1974 Fr. 20'000.-- und am 12. April 1977 Fr. 46'774.25 aus Erbschaft erhalten; nötigenfalls seien diese Beträge bzw. entsprechende Ersatzforderungen der Ehefrau gegenüber ihrem Ehemann zu pfänden. Anlässlich der Pfändung vom 9. Januar 1981 erklärte die Schuldnerin, sie besitze keine pfändbaren Vermögenswerte; die aus Erbschaft erhaltenen Beträge seien für Spesen und Prozesskosten aufgebraucht worden. Das Betreibungsamt hielt diesen Sachverhalt in den Pfändungsurkunden vom 26. Februar 1981 fest und stellte den Gläubigern am 6. März 1981 Verlustscheine aus.
Mit Beschwerde an den Kantonsgerichtsausschuss von Graubünden als kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs beantragten die Gläubiger, diese Pfändungsurkunden und Verlustscheine seien aufzuheben und das Betreibungsamt
BGE 107 III 73 S. 74
Brusio sei anzuweisen, Ersatzforderungen der Schuldnerin gegenüber ihrem Ehemann im Gesamtbetrag von Fr. 66'774.25 zu pfänden, eventuell die Behauptung der Schuldnerin, sie habe diesen Betrag für Anwaltskosten und Spesen verwendet, anhand von Belegen näher abzuklären. Der Kantonsgerichtsausschuss wies die Beschwerde mit Entscheid vom 5. Mai 1981 ab, worauf die Gläubiger unter Erneuerung ihrer Anträge an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts rekurrierten.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer heisst den Rekurs teilweise gut, hebt die Pfändungsurkunden und die Verlustscheine auf und weist das Betreibungsamt Brusio an, die Frauenguts- Ersatzforderung der Schuldnerin gegenüber ihrem Ehemann, gegebenenfalls als bestrittene Forderung, zu pfänden.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Der Rekurs ist insoweit als unbegründet abzuweisen, als die Rekurrenten verlangen, das Betreibungsamt Brusio sei anzuweisen, von der Schuldnerin Belege darüber zu verlangen, dass sie den angeblich aus Erbschaft erhaltenen Betrag von Fr. 66'774.25 für Anwaltskosten und Spesen verwendet habe. Die von den Rekurrenten in diesem Zusammenhang erhobene Rüge, das Betreibungsamt habe die Verhältnisse bei der Schuldnerin nicht genügend abgeklärt, geht fehl. Der Betreibungsbeamte kann von einem Schuldner nicht verlangen, dass er sich über die Verwendung von Geldbeträgen, die er möglicherweise vor Jahren besessen hat, ausweist. Ein solches Vorgehen würde übrigens auch zu nichts führen. Wenn der Schuldner keine Belege vorlegen könnte, so hätte der Betreibungsbeamte ja deswegen doch keine Möglichkeit, Vermögenswerte, deren Vorhandensein er nicht feststellen kann, zu pfänden. Er kann nichts anderes tun, als auf die Angaben des Schuldners abstellen, wenn ihm nicht aus Angaben des Gläubigers oder auf andere Weise bekannt wird, dass und welche Vermögenswerte der Schuldner besitzt. Dieser ist bei Straffolge ( Art. 164 Ziff. 1 Abs. 3 StGB ) zu vollständigen und lückenlosen Angaben verpflichtet. Was das Amt im vorliegenden Falle mehr hätte tun können, ist jedenfalls nicht einzusehen. Übrigens behaupten ja die Rekurrenten selbst nicht, die Schuldnerin sei noch im Besitze des geerbten Geldes, sondern sie machen vielmehr geltend, sie habe dieses in Liegenschaften des Ehemannes investiert und es stehe ihr dafür eine Frauenguts-Ersatzforderung zu.
BGE 107 III 73 S. 75

4. Insoweit, als die Rekurrenten die Pfändung dieser Frauenguts-Ersatzforderung verlangen, ist ihr Rekurs dagegen begründet. Die Vorinstanz hat zu diesem Begehren in ihrem Entscheid überhaupt nicht Stellung genommen. Wenn der Gläubiger behauptet, dem Schuldner stehe eine Forderung zu, so ist diese auch dann zu pfänden, wenn der betriebene Schuldner oder der angebliche dritte Schuldner dieser Forderung deren Bestand bestreiten. Die Forderung ist dann als bestrittene Forderung zu pfänden (vgl. dazu BGE 85 II 361 /362, BGE 82 III 130 , BGE 81 III 18 /19 mit weiteren Hinweisen). Zwar wird eine Frauenguts-Ersatzforderung normalerweise erst mit der Aufhebung der Güterverbindung fällig ( Art. 209 Abs. 1 ZGB ). Davon sieht indessen Art. 175 Abs. 1 ZGB eine Ausnahme vor. Kommen die Gläubiger eines Ehegatten bei der Betreibung auf Pfändung zu Verlust, so werden dessen Ansprüche an den andern Ehegatten fällig und können gepfändet werden. Diese Voraussetzung war im vorliegenden Falle, da der Betreibungsbeamte bei der Pfändung kein anderes pfändbares Vermögen der Schuldnerin vorfinden konnte, erfüllt. Der Beamte hätte daher entsprechend dem von den Gläubigern gestellten Begehren die Ersatzforderung der Schuldnerin gegenüber ihrem Ehemann für eingebrachtes Frauengut pfänden müssen, gegebenenfalls als bestrittene Forderung, falls die Schuldnerin oder deren Ehemann den Bestand einer solchen Forderung in Abrede gestellt hätten. Das Amt wird das Versäumte nachzuholen haben. In diesem Sinn ist der Rekurs gutzuheissen.

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