Urteilskopf
107 IV 3
2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Januar 1981 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell A. Rh. (Nichtigkeitsbeschwerde).
Regeste
Art. 10 f. StGB.
Nicht jede durch den Konsum von Alkohol oder andern bewusstseins- und willensbeeinflussenden Drogen bewirkte kurzfristige Enthemmung oder Verdummung genügt, um die Zurechnungsfähigkeit herabzusetzen. Berücksichtigung des Verhaltens des Täters vor, während und nach seiner Tat.
A.-
K. hielt sich am Abend des 3. Mai 1980 (Samstag) zusammen mit seiner Freundin zunächst in einem Restaurant in Gossau und anschliessend im Restaurant A. in Herisau auf. Er konsumierte verschiedene alkoholische Getränke (Bier, Wein, Café Lutz, Whisky) in nicht mehr genau feststellbarer Menge. Nachdem er um ca. 1 Uhr nachts mit dem Taxi nach St. Gallen gefahren war und sich dort von seiner Freundin verabschiedet hatte, bestellte er erneut ein Taxi und fuhr in diesem um 1.40 Uhr zum Restaurant A. nach Herisau zurück. Da das Lokal inzwischen geschlossen hatte und ihm auf sein Klopfen niemand öffnete, begab er sich zum ca. 50 m. daneben gelegenen Restaurant B., das ebenfalls geschlossen war. An der Hinterfront des Gebäudes schlug er ein Fenster ein, drang ins Haus ein und stieg die Treppe zum zweiten Stockwerk hinauf, öffnete eine Tür und schaltete das Licht ein. Das Zimmer, das er betrat, war das Schlafzimmer des allein im Haus wohnenden 80jährigen Wirts Z., der durch den Lärm und das Licht geweckt worden war. K. verlangte von Z. die Herausgabe von Geld, andernfalls er ihn zusammenschlage. Nach einer kurzen Rauferei zwischen den beiden gelang es Z. in einem günstigen Augenblick, aus dem Zimmer zu fliehen. Während Z. im Freien um Hilfe rief, konnte K. unbemerkt entkommen.
B.-
Die kantonalen Gerichte qualifizierten diese Tat als vollendeten Raubversuch, Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch und verurteilten K. deswegen und wegen verschiedener anderer Straftaten zu 18 Monaten Gefängnis unbedingt.
C.-
K. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Er rügt die Verletzung von
Art. 263,
Art. 11,
Art. 66 und
Art. 13 StGB
.
Aus den Erwägungen:
1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, er sei bei der in der Nacht vom 3. auf den 4. Mai 1980 begangenen Tat infolge des von ihm zuvor genossenen Alkohols unzurechnungsfähig oder jedenfalls vermindert zurechnungsfähig gewesen. Er sei daher insoweit wegen Verübung einer Tat in selbstverschuldeter Unzurechnungsfähigkeit (
Art. 263 StGB
) zu verurteilen, beziehungsweise es sei die Strafe gemäss Art. 11 in Verbindung mit
Art. 66 StGB
nach freiem Ermessen zu mildern.
a) In welchem Zustand sich K. zur Zeit der Tat befand, ist Tatfrage, die im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht zur Entscheidung gestellt werden kann (
Art. 273 Abs. 1 lit. b,
Art. 277bis BStP
). Rechtsfrage und vom Kassationshof zu prüfen (
Art. 269 Abs. 1 BStP
) ist, ob die Vorinstanz von zutreffenden Begriffen der (Un-)Zurechnungsfähigkeit und der verminderten Zurechnungsfähigkeit ausgegangen sei und ob sie diese im konkreten Fall richtig angewendet habe. Beides trifft zu.
Auch wenn man mit der Beschwerde davon ausgeht, dass K. in völlig nüchternem Zustand zu einem raffinierteren Vorgehen imstande gewesen wäre, so lässt sich daraus noch nicht auf eine Verminderung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit im bezug auf die konkrete Tat schliessen. Das Vorgehen des Beschwerdeführers war durchaus folgerichtig, wenn man berücksichtigt, dass er nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz am Abend erfolglos versucht hatte, von der Serviertochter Geld zu borgen. Als er bei seiner Rückkehr das Restaurant A. verschlossen vorfand und ihm auch auf sein Klopfen und Poltern hin nicht Einlass gewährt wurde, versuchte er das Geld auf anderem Wege zu beschaffen und drang zu diesem
BGE 107 IV 3 S. 5
Zweck in das Nachbargebäude ein. Als sich der 80jährige Z. durch die Drohungen des K. nicht einschüchtern liess, ergriff dieser, da er das Risiko der Verwirklichung seiner Absicht als zu gross erkannte, die Flucht. Es kann unter diesen Umständen keine Rede davon sein, dass das Vorgehen des K. "geradezu stupide" und persönlichkeitsfremd (K. ist schon mehrmals wegen Diebstahls, Entwendung und Betruges verurteilt worden) gewesen sei, wie in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Begründung der Unzurechnungsfähigkeit behauptet wird.
Dass der Alkohol womöglich eine gewisse Enthemmung und Verdummung des Beschwerdeführers bewirkte, reicht zur Bejahung einer Verminderung der strafrechtlichen Zurechnungsfähigkeit bezüglich der konkreten Tat nicht aus. Wie der Kassationshof bereits in bezug auf neurotische Fehlentwicklungen entschieden hat, genügt nicht jede Abweichung von der Norm zur Annahme verminderter Zurechnungsfähigkeit (
BGE 102 IV 226
E. 7b mit Hinweisen). Gleiches muss für die Wirkung von Alkohol und andern bewusstseins- und willensbeeinflussenden Drogen angenommen werden. K. war auch in seinem angetrunkenen Zustand in seiner Fähigkeit zur Erkenntnis des Unrechts seiner Tat und zu einsichtsgemässem Handeln nicht stärker eingeschränkt als viele andere Straftäter, die auch in nüchternem Zustand mit einer für den nicht kriminellen Rechtsgenossen unverständlichen Bedenken- und Hemmungslosigkeit fremde Rechtsgüter missachten.
Entgegen der Behauptung der Beschwerde hat die Vorinstanz nicht nur die Einsichtsfähigkeit des K., sondern, wie aus S. 15 vor E. 4 des angefochtenen Urteils hervorgeht, auch seine Fähigkeit zu einsichtsgemässem Handeln bejaht; dies völlig zu Recht, wenn in Betracht gezogen wird, dass K. auf den Widerstand des Z. hin die Risiken seines Tuns sofort als zu gross erkannte und sich daher zur Flucht entschloss, die ihm auch gelang.
Das Obergericht ist demnach von einem richtigen Begriff der Zurechnungsfähigkeit ausgegangen und hat diese angesichts des Zustands des Beschwerdeführers, wie er von verschiedenen Zeugen übereinstimmend beschrieben wurde, und seines Tatvorgehens mit Recht bejaht.
b) In der Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht behauptet, K. sei in seiner geistigen Gesundheit beeinträchtigt, geisteskrank oder -schwach. Die Beschwerde geht im Gegenteil davon aus,
BGE 107 IV 3 S. 6
er sei in nüchternem Zustand ein normal handelnder, intelligenter Mensch. Auch die Akten ergeben keine Anhaltspunkte für konstitutionnelle oder krankhafte Beeinträchtigungen seines Geisteszustandes. Unter diesem Gesichtspunkt bestand somit kein Anlass zu einer Begutachtung.
c) Im Appellationsverfahren hatte der Beschwerdeführer die Einholung eines medizinischen Gutachtens über die Wirkungen des gleichzeitigen Konsums von Alkohol und Medikamenten beantragt. Das Obergericht lehnte den Antrag ab unter anderem mit der Begründung, die Behauptung des K. betreffend die Einnahme von Tabletten am fraglichen Abend sei unglaubwürdig. Der Kassationshof hat auf staatsrechtliche Beschwerde hin den Verzicht auf eine Begutachtung im konkreten Fall als mit
Art. 4 BV
vereinbar erkannt, weil das Obergericht ohne Willkür den Tablettenkonsum als nicht erwiesen erachten durfte. In der Nichtigkeitsbeschwerde wird lediglich ausgeführt, es sei "nicht einzusehen, wie die Vorinstanz in Anbetracht der geschilderten Umstände (gemeint sind Alkoholkonsum und Tatvorgehen) frei von Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers sein konnte". Da indessen angesichts der übereinstimmenden Aussagen mehrerer Zeugen betreffend den Zustand des K. am fraglichen Abend und aufgrund seines Tatvorgehens kein Anlass zu Zweifeln an der Zurechnungsfähigkeit des Beschwerdeführers bestand, durfte die Vorinstanz ohne Verletzung von
Art. 13 StGB
auf die Einholung einer Expertise mit der gegebenen Begründung verzichten. Ein solches Gutachten wäre zudem mangels genügend gesicherter Grundlagen über Art und Menge der genossenen alkoholischen Getränke etc. ohnehin untauglich gewesen, die Beweiswürdigung zu beeinflussen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.