Urteilskopf
108 Ia 55
12. Urteil der II. Zivilabteilung vom 4. Juni 1982 i.S. Haas gegen Haller und Obergericht des Kantons Nidwalden (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste
Art. 59 BV
; Klage aus
Art. 679 ZGB
.
1. Zulässigkeit der staatsrechtlichen Beschwerde. Es gibt keinen eidgenössischen Gerichtsstand für Klagen aus
Art. 679 ZGB
(E. 1).
2. Wird mit der Klage aus
Art. 679 ZGB
die Behebung der durch die Überschreitung des Grundeigentums hervorgerufenen Schäden auf dem betroffenen Grundstück verlangt, so kann sich der Beklagte auf die Garantie des Wohnsitzgerichtsstandes berufen. Qualifizierung des Rechtsbegehrens (E. 2).
Bruno Haller ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 394 GB Hergiswil, während die östlich davon gelegene Parzelle Nr. 766 dem in Kriens wohnhaften Josef Haas gehört. Als Abgrenzung der beiden Grundstücke dient eine ca. 1 m hohe Gartenmauer. Am 25. Oktober 1973 begann Josef Haas auf seinem Grundstück mit dem Bau eines Zweifamilienhauses. Dabei erlitt die Mauer Schäden und geriet ins Rutschen. Um ein weiteres Abrutschen der Mauer zu verhindern, liess Haas auf seinem Grundstück einen
BGE 108 Ia 55 S. 56
Betonriegel anbringen. In der Folge verlangte Haller den Bau einer neuen Grenzmauer; doch konnten sich die Parteien über die Kostentragung nicht einigen. Haller machte geltend, der Schaden an der Mauer sei vornehmlich durch die Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück verursacht worden, während Haas den Kausalzusammenhang zwischen den Bauarbeiten und dem Schaden bzw. ein Verschulden bestritt, mit der Begründung, die Mauer habe bereits vor Beginn der Bauarbeiten Risse gehabt und sei weit in sein Grundstück hineingeragt.
Am 21. September 1977 erhob Bruno Haller beim Kantonsgericht des Kantons Nidwalden gegen Josef Haas Klage mit folgenden Rechtsbegehren:
"1. Der Beklagte sei zu verpflichten, um die Gefahr eines weiteren Abrutschens der auf dem Grundstück Nr. 394/GB Hergiswil sich befindlichen Bauten und Anlagen zu verhindern:
a) Die entlang der Ostgrenze der Parz. Nr. 394/GB Hergiswil verlaufende Grenzmauer sowie die zwischen der Parz. Nr. 408/GB Hergiswil und Nr. 394/GB Hergiswil verlaufende Grenzmauer neu zu erstellen;
b) die durch den Aushub auf Parz. Nr. 766/GB Hergiswil erfolgten Geländeveränderungen auf Parz. Nr. 394/GB Hergiswil durch geeignete Massnahmen wie die Zuführung von neuen Humus auf seine Kosten auszugleichen.
2. Der Beklagte sei ausserdem zu verpflichten, allfällige weitere Instandstellungskosten wie Gärtnerarbeiten zu bezahlen.
3. Eventuell:
Der Kläger sei zu ermächtigen, auf Kosten des Beklagten die erforderlichen und sub. Ziff. 1 und 2 begehrten Massnahmen vorkehren zu lassen."
Mit Entscheid vom 24./31. Januar 1979 erklärte sich das Kantonsgericht als örtlich unzuständig und trat aus diesem Grund nicht auf die Klage ein.
Auf Appellation des Klägers hin hob das Obergericht des Kantons Nidwalden mit Urteil vom 20. Dezember 1979/7. Februar 1980/12. Juni 1980 den erstinstanzlichen Entscheid auf und wies die Sache zur Durchführung des Verfahrens an das Kantonsgericht zurück.
Josef Haas führt staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von
Art. 59 BV
mit dem Antrag auf Aufhebung des obergerichtlichen Urteils.
Bruno Haller beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventuell sei sie abzuweisen, während das Obergericht auf Abweisung schliesst.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die Klage stützt sich auf Art. 679 in Verbindung mit
Art. 685 Abs. 1 ZGB
. Der Beschwerdegegner begründet seinen Nichteintretensantrag damit, die örtliche Zuständigkeit für Klagen aus
Art. 679 ZGB
sei durch bundesrechtliche Vorschriften geregelt. Für die Beseitigungsklage sei von Bundesrechts wegen der Richter am Ort der gelegenen Sache zuständig, für die Schadenersatzklage der Richter am Wohnsitz des Beklagten.
Art. 59 BV
könne jedoch nicht angerufen werden, wenn eine bundesrechtliche Gerichtsstandsvorschrift eingreife. Die Verletzung solcher Vorschriften sei mit Berufung bzw. Nichtigkeitsbeschwerde zu rügen.
Eine bundesrechtliche Gerichtsstandsvorschrift für Klagen aus
Art. 679 ZGB
besteht indessen nicht. Zwar ist allgemein anerkannt, dass die Beseitigungs- und Unterlassungsklage des
Art. 679 ZGB
am Ort der gelegenen Sache anzubringen ist, während für die Schadenersatzansprüche der Wohnsitzrichter zuständig ist (MEIER-HAYOZ, N. 140/141 zu
Art. 679 ZGB
). Diese Regeln gelten jedoch nur im interkantonalen Verhältnis. Sie begründen keinen eidgenössischen Gerichtsstand für Klagen aus
Art. 679 ZGB
, gegenüber dem die in
Art. 59 BV
enthaltene Garantie des Wohnsitzrichters zurückzutreten hätte. Die Zuständigkeit des Wohnsitzrichters für die Schadenersatzklage lässt sich bundesrechtlich im Gegenteil nur auf diese letztere Bestimmung stützen.
Im übrigen ist im vorliegenden Fall nicht die Gerichtsstandsvorschrift als solche streitig, sondern allein die Einordnung der Rechtsbegehren. Werden diese als Beseitigungs- oder Unterlassungsansprüche qualifiziert, ist unbestrittenermassen der Richter am Ort der gelegenen Sache (Nidwalden) zuständig. Handelt es sich dagegen um Schadenersatzansprüche, ist ebenso unbestrittenermassen der allgemeine Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten (Luzern) gegeben. Nachdem der Beschwerdeführer geltend macht, entgegen der Auffassung des Obergerichts liege eine persönliche Ansprache im Sinne von
Art. 59 BV
vor, so dass der Richter an seinem Wohnsitz für die Beurteilung der Klage zuständig sei, ist nach dem ausdrücklichen Vorbehalt von
Art. 49 und 68 Abs. 1 lit. b OG
nicht die Berufung bzw. die Nichtigkeitsbeschwerde, sondern die staatsrechtliche Beschwerde das gegebene Rechtsmittel.
2.
Die klägerischen Rechtsbegehren lauten auf Neuerstellung der Grenzmauer, auf Ausgleichung der auf der Parzelle des Klägers erfolgten Geländeveränderungen sowie auf Bezahlung von
BGE 108 Ia 55 S. 58
allfälligen weiteren Instandstellungskosten, wie Gärtnerarbeiten. Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, geht es somit um die Behebung eines Schadens. Der Kläger verlangt neben der Bezahlung der Instandstellungskosten die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes, und zwar auf seinem eigenen Grundstück. Er ersucht keineswegs um die Beseitigung eines eigentumsüberschreitenden Zustandes bzw. um die Durchführung von Arbeiten zur Beseitigung einer Schadensquelle auf dem Grundstück des Beklagten (dem Ausgangsgrundstück). Nach der in
BGE 107 II 136
E. 3 vorgenommenen grundsätzlichen Unterscheidung gehört aber die Rückgängigmachung des Erfolges der Einwirkung, die Wiederherstellung des früheren Zustandes, nicht zum Beseitigungs-, sondern zum Schadenersatzanspruch. Charakteristisch für die Beseitigungsklage ist dagegen, dass sie sich gegen die Art der Bewirtschaftung des Ausgangsgrundstücks richtet. Das Obergericht hat die Klage daher zu Unrecht als (dingliche) Beseitigungsklage qualifiziert.
Das Obergericht führt allerdings aus, die Begehren des Klägers seien auf die Anordnung von Schutzmassnahmen gegen die Gefahr eines weiteren Abrutschens seines Grundstücks zufolge der vorgenommenen Geländeveränderungen gerichtet. Ob die Rutschgefahr durch die Anbringung eines Betonriegels seitens des Beklagten behoben worden sei, könne erst nach Durchführung des Beweisverfahrens festgestellt werden. Die Klagebegehren umfassten somit nicht eine reine Schadenersatzklage, sondern eine Beseitigungsklage bzw. eine Klage auf Anordnung von Schutzmassnahmen. Es ist richtig, dass der Kläger seine Begehren mit dem Satz eingeleitet hat, es sei der Beklagte zu Vorkehren zu verpflichten, welche die Gefahr eines weiteren Abrutschens verhindern sollten. Er verlangt jedoch nicht die Beseitigung eines angeblich weiterdauernden Gefahrenzustandes auf dem Grundstück des Beklagten (der im seinerzeit vorgenommenen Aushub und im bestehenden und vor Jahren fertiggestellten Haus liegen würde), sondern schlicht und einfach die Behebung der durch die Einwirkungen verursachten Schäden an der Grenzmauer bzw. auf dem eigenen Grundstück. Das ist aber nach dem Gesagten Gegenstand der Schadenersatzklage. Im übrigen ist nach den Feststellungen des Obergerichts die Klage bezeichnenderweise dadurch veranlasst worden, dass sich die Parteien über die Kostentragung, also einen Schadenersatzposten, für den Bau einer neuen Grenzmauer nicht einigen konnten.
BGE 108 Ia 55 S. 59
3.
Ist die vom Kläger eingereichte Klage als Schadenersatzklage zu betrachten, kann sich der Beschwerdeführer mit Erfolg auf die Garantie des Wohnsitzgerichtsstandes berufen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Nidwalden vom 20. Dezember 1979/7. Februar 1980/12. Juni 1980 aufgehoben.