Urteilskopf
108 II 288
56. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 28. Oktober 1982 i.S. C.-H. gegen Pro Infirmis und Mitbeteiligte (Berufung)
Regeste
Herabsetzung, Nacherbeneinsetzung
1. Ein pflichtteilsberechtigter Erbe braucht sich eine Nacherbeneinsetzung im Umfang seines Pflichtteils nicht gefallen zu lassen, sondern kann den Pflichtteil als freies Erbe beanspruchen, das er seinen eigenen Erben weitervererben kann. Das Pflichtteilsrecht kann auch von den Erben des Vorerben gegenüber den Nacherben geltend gemacht werden (E. 2).
2. Auf die Geltendmachung des Herabsetzungsanspruchs kann durch einseitige, formlose Erklärung gegenüber dem Begünstigten verzichtet werden. Ein solcher Verzicht kann auch stillschweigend erfolgen (E. 3).
A.-
Der am 23. März 1979 kinderlos verstorbene Martin C. war in erster Ehe mit Maria P. verheiratet. Diese Ehe wurde am 15. Dezember 1973 durch den Tod der Ehefrau aufgelöst. In einem
BGE 108 II 288 S. 289
Ehevertrag hatten die unter dem Güterstand der Güterverbindung lebenden Ehegatten C.-P. vereinbart, dass der eheliche Vorschlag beim Tode eines Ehegatten hälftig zu teilen sei. In einem eigenhändigen Testament vom 8. März 1962, teilweise abgeändert und ergänzt durch einen Nachtrag vom 26. November 1973, hatte die Ehefrau ihrem Mann die lebenslängliche Nutzniessung an ihrem Nachlass zugewiesen und ihn von der Pflicht zu einer Sicherheitsleistung entbunden. Sodann hatte sie verfügt, dass von ihrer Hinterlassenschaft nach dem Ableben ihres Gatten je Fr. 10'000.-- an Johann P. und an Dora H. sowie Fr. 5'000.-- an Lutzi P. auszurichten seien; der restliche Nettonachlass sollte der Beratungs- und Fürsorgestelle "Pro Infirmis" Graubünden, Chur, zur Unterstützung bedürftiger, körperlich und geistig behinderter Kinder zukommen. Ferner war Ulrich R. in Chur als Testamentvollstrecker bezeichnet worden.
Maria C.-P. hinterliess als einzigen pflichtteilgeschützten Erben ihren Ehemann. Am 17. Januar 1974 eröffnete das Kreisamt Chur das Testament und den Nachtrag dazu. Beide blieben unangefochten. Der Nachlass der Verstorbenen wurde auf Fr. 303'962.-- beziffert.
Am 19. November 1976 ging Martin C. mit der um 15 Jahre jüngeren Erika H. eine zweite Ehe ein. Vor der Heirat hatte er mit ihr einen Ehevertrag abgeschlossen und als Güterstand die allgemeine Gütergemeinschaft vereinbart. Danach sollten das Wohnhaus von Martin C. in Chur sowie das gesamte bewegliche Vermögen der Vertragsschliessenden in deren Gesamteigentum übergehen und das Gesamtgut beim Tode des einen Ehegatten dem überlebenden Teil zufallen. Am 22. November 1977 errichtete Martin C. sodann ein eigenhändiges Testament, in welchem er seine Ehefrau als Universalerbin einsetzte.
Am 23. März 1979 schied Martin C. freiwillig aus dem Leben. Als gesetzliche Erben hinterliess er seine zweite Ehefrau sowie zwei Brüder und drei Schwestern. Das Kreisamt Chur eröffnete am 4. April 1979 den Ehevertrag der Eheleute C.-H. sowie das Testament des Verstorbenen, die beide unangefochten blieben.
B.-
Mit dem Tode von Martin C. wurde die Frage des Vollzugs der letztwilligen Verfügungen von Maria C.-P. aktuell. Im Unterschied zu den übrigen gesetzlichen Erben widersetzte sich die zweite Ehefrau, Erika C.-H., der Ausrichtung der von Maria C.-P. verfügten Zuwendungen an die Begünstigten. Sie machte geltend, dass das Pflichtteilsrecht ihres verstorbenen Mannes verletzt
BGE 108 II 288 S. 290
worden und der sich daraus ergebende Herabsetzungsanspruch auf sie übergegangen sei.
In der Folge leiteten die als Verein konstituierte Pro Infirmis, deren Zweigstelle Chur im Testament begünstigt ist, sowie Lutzi P., Johann P. und Dora H. beim Vermittleramt des Kreises Chur gegen Erika C.-H. eine Klage auf Ausrichtung der Vermächtnisse ein.
Erika C.-H. beantragte die Abweisung der Klage und erhob ihrerseits Widerklage, mit der sie insbesondere die Herabsetzung der letztwilligen Verfügungen der Maria C.-P. verlangte, soweit diese das Pflichtteilsrecht des Martin C. verletzten.
Das Kantonsgericht von Graubünden, an welches das Verfahren prorogiert worden war, hiess die Klage mit Urteil vom 7. Dezember 1971 gut und verpflichtete die Beklagte, der Pro Infirmis Fr. 278'962.--, Johann P. Fr. 10'000.--, Lutzi P. Fr. 5'000.-- und Dora H. Fr. 10'000.-- zu bezahlen. Die Widerklage wies es ab.
C.-
Gegen dieses Urteil erhob Erika C.-H. Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag, die letztwilligen Verfügungen der Maria C.-P. seien auf das erlaubte Mass herabzusetzen.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Aus den Erwägungen:
2.
Wie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, hinterliess Maria C.-P. als gesetzliche Erben ausser ihrem Ehemann nur solche der grosselterlichen Parentel. Der Erbanspruch des Ehemannes umfasst somit nach
Art. 462 Abs. 2 ZGB
die Hälfte des Nachlasses zu Eigentum und die andere Hälfte zur Nutzniessung. Nach
Art. 471 Ziff. 4 ZGB
machte sein Pflichtteil den ganzen Anspruch zu Eigentum aus. Pflichtteilsgebunden war mit andern Worten die Hälfte des Nachlasses. Darin, dass Martin C. durch das Testament seiner ersten Frau auf die Nutzniessung am gesamten Nachlass beschränkt wurde, lag daher eine Verletzung seines Pflichtteilsrechts. Die Berufungsklägerin erhob gegenüber der Klage der Berufungsbeklagten auf Ausrichtung der ihnen nach Testament zustehenden Leistungen die Einrede der Herabsetzung. Sie machte geltend, dass der Herabsetzungsanspruch ihres Ehemannes auf Grund des Ehevertrages und des Testamentes von Martin C. auf sie übergegangen sei.
Die Vorinstanz hat nicht verkannt und die Berufungsbeklagten
BGE 108 II 288 S. 291
bestreiten mit Recht nicht, dass das Pflichtteilsrecht grundsätzlich vererblich ist (
BGE 75 II 192
f. E. 2). Im angefochtenen Urteil wird die Herabsetzungseinrede der Berufungsklägerin indessen aus zwei Gründen verworfen. Die erste Begründung der Vorinstanz geht dahin, dass die letztwilligen Anordnungen der Maria C.-P. als Nacherbeneinsetzung zu verstehen seien: Martin C. sei zusammen mit den Erben der grosselterlichen Parentel als Vorerbe eingesetzt worden, währenddem die Berufungsbeklagten als Nacherben zu betrachten seien. Als Erbin des Vorerben Martin C. habe die Berufungsklägerin keinerlei Anspruch auf das von Maria C.-P. hinterlassene Vermögen, weil dieses Vermögen gar nie zum Nachlass des Vorerben gehört habe, sondern von Gesetzes wegen unmittelbar auf die Nacherben übergegangen sei. Mangels Besitzes an diesen Vermögenswerten stehe der Berufungsklägerin die Herabsetzungseinrede deshalb nicht zu. Selbst wenn jedoch angenommen werden wollte, dass die tatsächliche Herrschaft über das Nachlassvermögen als Voraussetzung für die Einredeerhebung genüge, könne die Berufungsklägerin die Einrede dennoch nicht geltend machen; diese leite sich nämlich aus einem ganz anderen Nachfolgeverhältnis ab und richte sich gegen die von Maria C.-P. angeordneten Vor- und Nacherbfolge als solche.
Diese Betrachtungsweise der Vorinstanz trägt
Art. 531 ZGB
nicht Rechnung, wonach eine Nacherbeneinsetzung gegenüber einem pflichtteilsberechtigten Erben im Umfange des Pflichtteils ungültig ist. Diese Bestimmung begründet, ungeachtet des Wortes "ungültig", eine besondere Art der Herabsetzungsklage (
BGE 75 II 193
E. 3). Ein pflichtteilsberechtigter Erbe braucht sich eine Nacherbeneinsetzung im Umfange seines Pflichtteils nicht gefallen zu lassen, sondern kann den Pflichtteil als freies Erbe beanspruchen, das er seinen eigenen Erben weitervererben kann (
BGE 75 II 195
E. 6). Da das Pflichtteilsrecht wie gesehen vererblich ist, muss es auch von den Erben des Vorerben gegenüber den Nacherben geltend gemacht werden können. Es führt zur Aufhebung der Nacherbeneinsetzung in dem Umfang, in welchem sich diese auf den Pflichtteil des Vorerben erstreckt. Die Vorinstanz hat die Tragweite des Pflichtteilsschutzes verkannt, wenn sie annahm, der Herabsetzungsanspruch könne sich nicht gegen die Nacherbeneinsetzung als solche richten. Wenn die testamentarischen Anordnungen der Maria C.-P. entsprechend der Annahme der Vorinstanz wirklich als Nacherbeneinsetzung aufzufassen sind, so wird die Berufungsklägerin dadurch der Möglichkeit, das Pflichtteilsrecht
BGE 108 II 288 S. 292
ihres verstorbenen Mannes als dessen Erbin geltend zu machen, nicht zum vornherein beraubt. Unter diesen Umständen kann aber offen bleiben, ob es sich bei den testamentarischen Anordnungen der Maria C.-P. überhaupt um eine Nacherbeneinsetzung handelt oder ob Martin C. nicht bloss die Nutzniessung am gesamten Nachlass vermacht werden wollte.
Von der Geltendmachung der Herabsetzung wäre die Berufungsklägerin nur dann ausgeschlossen, wenn der Anspruch gemäss
Art. 533 ZGB
verwirkt oder durch Verzicht untergegangen wäre. Von einer Verwirkung kann jedenfalls nicht die Rede sein. Da im vorliegenden Fall die Herabsetzung gegenüber einer Klage auf Vollziehung der das Pflichtteilsrecht verletzenden Testamentsbestimmungen angerufen wird, wird sie einredeweise geltend gemacht, was nach
Art. 533 Abs. 3 ZGB
jederzeit möglich ist. Auch wenn für die Anwendbarkeit von
Art. 533 Abs. 3 ZGB
im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht auf die Verteilung der Parteirollen im Prozess, sondern auf das Vorhandensein von Mitbesitz am Nachlassvermögen abgestellt wird (vgl.
BGE 103 II 93
f. mit Hinweisen), so ist diese Voraussetzung der einredeweisen Geltendmachung des Herabsetzungsanspruches hier ebenfalls erfüllt. Soweit das Pflichtteilsrecht von Martin C. infolge Erbrechts tatsächlich auf die Berufungsklägerin übergegangen ist, ist diese im Umfang des Pflichtteils sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht Besitzerin des Nachlasses der Maria C.-P. geworden und ist daher zur Erhebung der Herabsetzungseinrede berechtigt.
3.
Der Ausgang des vorliegenden Verfahrens hängt somit davon ab, ob die zweite Begründung des angefochtenen Urteils, wonach Martin C. zu Lebzeiten auf den Herabsetzungsanspruch verzichtet habe, vor dem Bundesrecht standhält. Die Vorinstanz hat angenommen, Martin C. habe, obwohl ihm alle wesentlichen Elemente zur Begründung einer Herabsetzungsklage bekannt gewesen seien, nie auch nur in Erwägung gezogen, den letzten Willen seiner Gattin nicht zu respektieren. Aus den gesamten Umständen ergebe sich, dass er auf jegliche Herabsetzung habe verzichten wollen. Sei aber von einem Verzicht auszugehen, so habe der Herabsetzungsanspruch nicht Bestandteil des Nachlasses von Martin C. gebildet und habe somit auch nicht auf die Berufungsklägerin übergehen können.
In der Berufung wird demgegenüber im wesentlichen geltend gemacht, aus den Akten ergebe sich nicht der geringste Anhaltspunkt dafür, dass Martin C. von seinem Pflichtteilsrecht und
BGE 108 II 288 S. 293
dessen Verletzung jemals Kenntnis erlangt habe. Selbst wenn er aber den Willen gehabt haben sollte, den letzten Willen seiner Gattin anzuerkennen, so habe er diesen Willen gegenüber den durch das Testament Begünstigten nie in rechtswirksamer Weise erklärt. Mangels einer entsprechenden Willensäusserung könne kein Verzicht auf die Herabsetzung angenommen werden, nachdem zu Lebzeiten von Martin C. auch keine Erbteilung stattgefunden habe.
a) Ein Verzicht auf die Geltendmachung des Herabsetzungsanspruchs ist nach dem Eintritt des Erbganges rechtlich möglich, ohne dass es hiezu einer besonderen Form bedürfte (ESCHER, N. 7 der Einleitung zu den
Art. 522-533 ZGB
; TUOR, N. 16 der Vorbemerkungen zu den
Art. 522-533 ZGB
; W. ENGELOCH, Die Herabsetzungsklage des schweiz. ZGB, Berner Diss. 1920, S. 13; A. RÖSLI, Herabsetzungsklage und Ausgleichung im schweiz. ZGB, Zürcher Diss. 1935, S. 26). Auf eine Herabsetzungsklage hat Martin C. dadurch verzichtet, dass er die einjährige Klagefrist des
Art. 533 Abs. 1 ZGB
verstreichen liess, ohne Klage zu erheben. In der Berufung wird allerdings die Meinung vertreten, dass diese Klagefrist zu Lebzeiten von Martin C. gar nicht zu laufen begonnen habe, da dieser von der Verletzung seines Pflichtteilsrechts keine Kenntnis gehabt habe. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Die einjährige Klagefrist des
Art. 533 Abs. 1 ZGB
beginnt zu laufen, sobald dem Pflichtteilsberechtigten alle notwendigen Elemente zur Begründung einer Herabsetzungsklage bekannt sind (
BGE 78 II 15
E. 4;
BGE 70 II 148
E. 2). Von den letztwilligen Verfügungen seiner ersten Ehefrau erhielt Martin C. spätestens durch die Testamentseröffnung vom 17. Januar 1974 Kenntnis. Daraus war die Verletzung des Pflichtteilsrechts ohne weiteres erkennbar, da die Zuwendung einer Nutzniessung an Stelle des Eigentumsanspruchs für sich allein eine Pflichtteilsverletzung darstellt, und zwar ungeachtet des Wertes der Nutzniessung (
BGE 70 II 148
E. 2). Im übrigen war Martin C. auch der Umfang der Hinterlassenschaft seiner Ehefrau bestens bekannt, da er ja alleiniger Besitzer der Nachlasswerte war. Damit hatte er genügend Kenntnis von der Verletzung seines Pflichtteilsrechts, weshalb die einjährige Klagefrist des
Art. 533 Abs. 1 ZGB
spätestens mit der Testamentseröffnung zu laufen begann (vgl. dazu auch Tuor, N. 5 und ESCHER, N. 2 zu
Art. 533 ZGB
; ENGELOCH, a.a.O., S. 130). Auf eine allfällige Rechtsunkenntnis des Pflichtteilsberechtigten könnte es für den Beginn der Klagefrist nicht ankommen (TUOR, N. 4
BGE 108 II 288 S. 294
zu
Art. 521 ZGB
). Im angefochtenen Urteil wird übrigens festgestellt, dass Martin C. von dem in Erbschaftssachen bewanderten Treuhänder Ulrich R. beraten war. Daraus durfte ohne Bundesrechtsverletzung abgeleitet werden, dass Martin C. über die Verletzung seines Pflichtteils tatsächlich im Bilde war.
b) Aus dem Umstand, dass Martin C. nicht auf Herabsetzung klagte, kann nun aber, wie in der Berufung an sich zutreffend ausgeführt wird, noch nicht ein endgültiger Verzicht auf den Herabsetzungsanspruch abgeleitet werden, weil immer noch die Möglichkeit der einredeweisen Geltendmachung der Herabsetzung bestanden hätte. Es fragt sich deshalb, ob angenommen werden kann, Martin C. habe auch auf die Erhebung der Herabsetzungseinrede gültig verzichtet. Der Verzicht auf eine solche Einrede ist durch einseitige, formlose Erklärung gegenüber dem Gläubiger möglich und kann auch stillschweigend erfolgen (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des schweiz. OR, Bd. II, S. 231; VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des schweiz. OR, Bd. I, S. 29). Eine ausdrückliche Verzichtserklärung hat Martin C. gegenüber den Berufungsbeklagten nicht abgegeben. Hingegen bleibt zu prüfen, ob aus den im angefochtenen Urteil aufgeführten Tatsachen auf einen stillschweigenden Verzicht geschlossen werden kann.
c) Die Vorinstanz hat in Würdigung der Akten festgestellt, dass Martin C. nie im entferntesten erwog, den letzten Willen seiner ersten Ehefrau nicht zu respektieren. Darin ist eine Feststellung über den inneren Willen zu erblicken, die nach feststehender Rechtsprechung tatsächlicher Natur ist und das Bundesrecht bindet. Es ist daher davon auszugehen, dass Martin C. das Testament seiner Ehefrau, das seinen Pflichtteil verletzte, anerkennen und dass er von jeglicher Geltendmachung des Herabsetzungsanspruchs absehen wollte. Unter diesen Umständen stellt sich einzig die Frage, ob dieser Wille gegenüber den Begünstigten genügend zum Ausdruck gebracht worden sei.
Mit Schreiben vom 13. August 1976 teilte der Willensvollstrecker Ulrich R. der aus dem Testament in erster Linie begünstigten Pro Infirmis mit, dass der mit der Nutzniessung belastete Nachlass der Maria C.-P. rund Fr. 300'000.-- ("wovon Fr. 275'000.-- zu Ihren Gunsten") betrage. Dann fügte er folgendes bei:
"Herr C. hat uns kürzlich eröffnet, dass er in allernächster Zeit eine neue Ehe eingehen möchte. Unser Vorschlag, bei dieser Gelegenheit eine materielle Aufteilung der Hinterlassenschaft zwecks Sicherung der Legate vorzunehmen, wurde grundsätzlich angenommen. Noch sind die eingeleiteten
BGE 108 II 288 S. 295
Verhandlungen aber nicht abgeschlossen, so dass wir Ihnen verbindliche Vorschläge noch nicht unterbreiten können. Unsere Absicht geht dahin, ein "Nutzniessungs-Depot" zu Gunsten von Herrn Martin C. zu errichten, wobei Ihre Institution als Eigentümerin der unter dieser Bezeichnung liegenden Vermögenswerte genannt würde. Wir hoffen, Ihnen diesbezüglich in nächster Zeit Näheres und Abschliessendes berichten zu können."
Wäre die vorgeschlagene "materielle Aufteilung der Hinterlassenschaft zwecks Sicherung der Legate" tatsächlich vollzogen worden, so wäre darin zweifellos eine hinreichende Äusserung des Willens, auf die Herabsetzungseinrede zu verzichten, zu erblicken. Weshalb dies in der Folge nicht geschehen ist, kann weder dem Urteil der Vorinstanz noch den Akten entnommen werden. Immerhin ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass Verhandlungen stattfanden, aus denen die Berufungsbeklagten schliessen durften, Martin C. anerkenne die testamentarischen Anordnungen seiner verstorbenen Gattin. Aus dem Schreiben des Willensvollstreckers ergibt sich, dass Martin C. sogar grundsätzlich bereit war, die Legate sicherzustellen, obwohl er hiezu nicht verpflichtet gewesen wäre. Offen blieb nur die Art der Sicherstellung. Freilich hat Martin C. seinen Willen, das Testament anzuerkennen, den Begünstigten nicht direkt übermittelt. Treuhänder R. war aber nach den Feststellungen im angefochtenen Entscheid sein Berater, und es darf ohne weiteres angenommen werden, dass er ermächtigt war, die grundsätzliche Bereitschaft des Martin C., den Nachlass zu teilen und die Legate sicherzustellen, den Begünstigten bekanntzugeben.
Erhebliches Gesicht kommt aber auch dem Brief zu, den Martin C. am 28. Dezember 1978, wenige Monate vor seinem Tod, an Treuhänder R. richtete. Aus diesem Brief ergibt sich nach den zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz ein klares Bekenntnis des Martin C., dass er an dem der Pro Infirmis zustehenden Vermögen blosser Nutzniesser und dass er nicht damit einverstanden sei, dass seine zweite Ehefrau auch darauf greife. Es ist zwar einzuräumen, dass bei empfangsbedürftigen Erklärungen auch eine konkludente Willensäusserung grundsätzlich nur dann rechtswirksam sein kann, wenn sie gegenüber dem richtigen Empfänger erfolgte. Treuhänder R., der als Willensvollstrecker von Maria C.-P. mit den Berufungsbeklagten als Begünstigten in Verbindung stand und damit eine Mittlerstellung zwischen Martin C. und diesen einnahm, wurde indessen im Brief ausdrücklich ermächtigt, wenn nötig davon Gebrauch zu machen, d.h. den Inhalt des Briefs gegebenenfalls auch den Berufungsbeklagten mitzuteilen.
BGE 108 II 288 S. 296
Das hat er offensichtlich getan, wären die Berufungsbeklagten doch sonst nicht in der Lage gewesen, den Brief als Beilage zur Klage dem Gericht einzureichen.
Unter diesen Umständen darf angenommen werden, Martin C. habe seinen Willen, auf die Geltendmachung der Herabsetzungseinrede zu verzichten, hinreichend kundgetan. Diese Einrede steht der Berufungsklägerin daher nicht mehr zu.