Urteilskopf
108 II 77
13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 3. Februar 1982 i.S. M. gegen Stockwerkeigentümergemeinschaft E. (Berufung)
Regeste
Art. 44, 46 OG
.
Anfechtung von Beschlüssen der Versammlung der Stockwerkeigentümer.
Der Streit um die Gültigkeit von Beschlüssen der Versammlung der Stockwerkeigentümer ist im Sinne von
Art. 44 Abs. 1 und 46 OG
vermögensrechtlicher Natur.
M. ist Mitglied der Stockwerkeigentümergemeinschaft E. in Münchenstein. Vor seiner Wohnung stand ein stattlicher Zierahorn. Dieser wurde im Jahre 1978 gegen den Willen von M.
BGE 108 II 77 S. 78
gefällt. Am 26. März 1979 beschloss die Versammlung der Stockwerkeigentümer, von der Pflanzung eines neuen Baumes anstelle des Zierahorns abzusehen. Gegen diesen Beschluss erhob M. Klage, die jedoch vom Bezirksgericht Arlesheim und vom Obergericht des Kantons Basel-Landschaft abgewiesen wurde. Auf die Berufung gegen das Urteil des Obergerichts tritt das Bundesgericht nicht ein.
Aus den Erwägungen:
1.
In der Berufung wird die Auffassung vertreten, bei der vorliegenden Streitigkeit handle es sich um eine solche nicht vermögensrechtlicher Art im Sinne von
Art. 44 OG
. Eine Begründung wird hiefür allerdings nicht gegeben. Es stellt sich die Frage, ob diese Auffassung richtig sei.
a) Als nicht vermögensrechtlich sind Streitigkeiten über Rechte zu betrachten, die ihrer Natur nach nicht in Geld geschätzt werden können. Es muss sich um Rechte handeln, die weder zum Vermögen einer Person gehören noch mit einem vermögensrechtlichen Rechtsverhältnis eng verbunden sind. Dass die genaue Berechnung des Streitwertes nicht möglich oder dessen Schätzung schwierig ist, genügt aber nicht, um eine Streitsache als eine solche nicht vermögensrechtlicher Natur erscheinen zu lassen. Massgebend ist, ob mit der Klage letztlich ein wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird (BIRCHMEIER, Handbuch des OG, S. 126, N. 3 zu Art. 44; WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au TF, Lausanner Diss. 1964, S. 111 ff.; GULDENER, Schweiz. Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 109; STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur Zürcherischen ZPO, N. 11 zu § 17; KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts, 3. Aufl., S. 109; HABSCHEID, Droit judiciaire privé suisse, 2. Aufl., S. 140/141 und S. 513; S. SCHULLER, Die Berechnung des Streitwertes, Zürcher Diss. 1974, S. 72 ff.). Schwierigkeiten bei der Anwendung dieser Grundsätze bereiten der Praxis jene Fälle, die sowohl vermögensrechtliche als auch nicht vermögensrechtliche Aspekte aufweisen. In solchen Grenzfällen pflegt das Bundesgericht darauf abzustellen, ob das geldwerte oder das ideelle Interesse des Klägers überwiegt (
BGE 82 II 296
f.;
BGE 80 II 75
f.;
BGE 66 II 46
). Im Unterschied zum Streit über die Mitgliedschaft bei einer Aktiengesellschaft, den das Bundesgericht wegen der damit verbundenen wirtschaftlichen Interessen als einen solchen vermögensrechtlicher Natur betrachtet (
BGE 80 II 75
mit
BGE 108 II 77 S. 79
Zitat), gelten Streitigkeiten betreffend die Mitgliedschaft bei einem Verein nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung als solche nicht vermögensrechtlicher Art, weil das persönlichkeitsrechtliche Element dabei im Vordergrund steht (
BGE 82 II 296
f.). Was den Streit um die Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft anbetrifft, hat das Bundesgericht dessen Natur während langer Zeit als nicht vermögensrechtlich eingestuft (
BGE 56 II 297
; WURZBURGER, a.a.O. S. 118 No 167 mit Zitaten). Von dieser Rechtsprechung wurde später in einem Fall abgewichen, wo die Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft sich in einem rein wirtschaftlichen Interesse erschöpfte (
BGE 80 II 75
f. betreffend die Mitgliedschaft bei einer Krankenkasse). WURZBURGER schlägt vor, noch einen Schritt weiter zu gehen und Klagen betreffend die Mitgliedschaft bei einer Genossenschaft mit Rücksicht auf die in
Art. 828 Abs. 1 OR
hervorgehobenen wirtschaftlichen Interessen immer als vermögensrechtliche Streitigkeiten zu betrachten (a.a.O. S. 119 No 167). Hingegen billigt er die Qualifikation des Streits um die Vereinsmitgliedschaft als nicht vermögensrechtliche Angelegenheit unter der Voraussetzung, dass strikte am Erfordernis des Fehlens eines wirtschaftlichen Zweckes im Sinne von
Art. 60 Abs. 1 ZGB
festgehalten wird (a.a.O. S. 118 No 166).
b) Das Stockwerkeigentum als besondere Form des Miteigentums an einem Grundstück stellt wie das Eigentum an einer Sache überhaupt ein typisches Vermögensrecht dar. Streitigkeiten im Zusammenhang mit dem Stockwerkeigentum sind deshalb grundsätzlich als solche vermögensrechtlicher Natur zu betrachten. Es fragt sich hier, ob dies auch gelten soll hinsichtlich der Versammlung der Stockwerkeigentümer und der Anfechtung der von ihr gefassten Beschlüsse, wofür das Gesetz bekanntlich auf das Vereinsrecht verweist (
Art. 712m Abs. 2 ZGB
).
Die Anwendbarkeit des Vereinsrechts für die Anfechtung von Beschlüssen der Stockwerkeigentümerversammlung führt nicht dazu, dass die Rechtsnatur dieser Beschlüsse jener von Vereinsbeschlüssen angeglichen würde. Der Inhalt der Beschlüsse der Stockwerkeigentümerversammlung wird vielmehr dadurch geprägt, dass nicht persönlichkeitsrechtliche Elemente im Vordergrund stehen, sondern die wirtschaftlichen Interessen der Stockwerkeigentümer an der Ausübung des gemeinschaftlichen Eigentums. Die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums bleibt deshalb grundsätzlich eine vermögensrechtliche Angelegenheit, auch wenn sie Gegenstand von Beschlüssen der Stockwerkeigentümerversammlung
BGE 108 II 77 S. 80
bildet. Dies trifft insbesondere in einem Fall wie dem vorliegenden zu, wo ein Stockwerkeigentümer einen Versammlungsbeschluss anficht, weil er ihn für sein Stockwerkeigentum als schädlich erachtet. Er nimmt damit eindeutig wirtschaftliche und nicht ideelle Interessen wahr. Auf den Anfechtungsgrund (Missachtung früherer Versammlungsbeschlüsse, angeblich ungenügende Traktandierung, behauptete Verletzung des Reglements) kann es nicht ankommen. Abzustellen ist vielmehr einzig darauf, dass der Kläger mit seinem Beharren auf der Neuanpflanzung eines Baumes eine Verbesserung seines eigenen Stockwerkeigentums anstrebt.
Der vorliegende Rechtsstreit ist daher als ein solcher vermögensrechtlicher Natur zu betrachten.