Urteilskopf
108 III 105
30. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 14. Mai 1982 i.S. Silvaplanina S.A. (Rekurs)
Regeste
Sicherstellungsverfügung und von der kantonalen Steuerverwaltung erlassener Arrestbefehl für eine auf dem kantonalen Recht beruhende Steuerforderung (Art. 169 und 170 des bündnerischen Steuergesetzes).
Eine solche Sicherstellungsverfügung ist insofern unbeachtlich, als sie einem Arrestbefehl im Sinne von
Art. 274 SchKG
gleichgestellt wird. Ebenso unbeachtlich ist ein durch die kantonale Steuerverwaltung gestützt auf das kantonale Steuergesetz erlassener Arrestbefehl.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.
Art. 169 Abs. 1 des bündnerischen Steuergesetzes (StG) bestimmt, dass die kantonale Steuerverwaltung auch vor rechtskräftiger Veranlagung des Steuerbetrages jederzeit Sicherstellung verlangen kann, wenn die geschuldete Steuer durch das Verhalten des Steuerpflichtigen als gefährdet erscheint. Gemäss
Art. 170
BGE 108 III 105 S. 106
Abs. 1 StG
gilt sodann die Sicherstellungsverfügung als Arrestbefehl im Sinne des
Art. 274 SchKG
, und
Art. 170 Abs. 3 StG
erklärt die Arrestaufhebungsklage des
Art. 279 SchKG
für nicht zulässig. Die Rekurrentin ist der Ansicht, der auf diesen Bestimmungen des kantonalen Steuerrechts beruhende Arrestbefehl sei nichtig, weshalb der Arrestvollzug aufzuheben sei.
2.
Zwangsvollstreckungen, die auf eine Geldzahlung oder auf eine Sicherheitsleistung in Geld gerichtet sind, werden auf dem Wege der Schuldbetreibung durchgeführt (
Art. 38 Abs. 1 SchKG
).
Art. 43 SchKG
, der für Leistungen, die im öffentlichen Recht begründet sind, insofern eine Sonderregelung enthält, als die Konkursbetreibung ausgeschlossen wird, erwähnt ausdrücklich auch die Steuern.
Die Vorinstanz hält nun allerdings dafür, dass
Art. 170 StG
durch den Vorbehalt des
Art. 44 SchKG
gedeckt und deshalb mit dem Bundesrecht nicht unvereinbar sei.
Art. 44 SchKG
sieht vor, dass die Verwertung von Gegenständen, die auf Grund strafrechtlicher oder fiskalischer Gesetze mit Beschlag belegt sind, nach den zutreffenden eidgenössischen oder kantonalen Gesetzesbestimmungen geschieht. Entgegen der Auffassung der kantonalen Aufsichtsbehörde wird jedoch die Durchsetzung von Steuerforderungen durch diese Bestimmung nicht erfasst. Es geht in
Art. 44 SchKG
um die Verwertung von ganz bestimmten Gegenständen, nämlich von solchen, die unmittelbar im Zusammenhang mit einem Straf- oder Steuerverfahren nach den betreffenden - eidgenössischen oder kantonalen - Gesetzen beschlagnahmt worden sind (vgl.
BGE 101 IV 376
ff.;
BGE 89 I 185
ff.;
BGE 76 I 28
ff.); eine Betreibung im Sinne des Schuldbetreibungs- und Konkursrechtes findet in diesen Fällen nicht statt. Unter die Bestimmung des
Art. 44 SchKG
fallen somit Gegenstände, an oder mit denen beispielsweise Übertretungen von Bestimmungen über den Post-, Telegraphen- und Telephonverkehr oder über das Zollwesen begangen worden sind; ferner etwa Gegenstände, welche die zuständige Behörde auf Grund strafprozessualer Bestimmungen zur Deckung von Prozesskosten, Bussen und Strafvollzugskosten mit Beschlag belegt hat (vgl.
BGE 101 IV 377
f.; BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, S. 140; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., I. Band, S. 76, insbesondere N. 125).
Die Hinweise der Vorinstanz auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung sind unbehelflich. Sie kann für ihren Standpunkt daraus
BGE 108 III 105 S. 107
nichts herleiten.
BGE 101 IV 371
ff. betraf die strafrechtliche Beschlagnahme von Münzen und Sparheften, an denen ein Retentionsrecht nach kantonalem Recht zur Sicherung von Haftkosten beansprucht wurde. Um die gleiche Frage war es dem Grundsatze nach auch in
BGE 89 I 185
ff. und
BGE 76 I 28
ff. gegangen. In diesen Entscheiden wurde denn auch gerade der Unterschied zwischen einer Beschlagnahme nach kantonalem Recht und dem Arrest nach
Art. 271 ff. SchKG
hervorgehoben, welcher allein der Sicherung einer bereits eingeleiteten oder zukünftigen Zwangsvollstreckung einer Geldforderung, somit auch einer Steuerforderung, dient und allein nach Bundesrecht erfolgen kann.
3.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass
Art. 170 StG
in einem Gebiet Recht setzt, das ausschliesslich dem Bundesrecht vorbehalten ist. Dass das Bundesrecht selbst (in den Art. 118 und 119 des Bundesratsbeschlusses über die Erhebung einer Wehrsteuer; SR 642.11) eine als Arrestbefehl im Sinne des
Art. 274 SchKG
ausgestaltete Sicherstellungsverfügung vorsieht, vermag daran nichts zu ändern. Eine bundesrechtliche Sonderregelung ermächtigt die Kantone nicht, ähnliche oder gleiche Sondernormen einzuführen in einem Bereich, dessen Ordnung ausschliesslich Sache des Bundesgesetzgebers ist. Anders wäre es nur, wenn ein klarer Vorbehalt zugunsten der Kantone bestünde. Das trifft aber gerade für Fälle der vorliegenden Art nicht zu.
Die auf dem kantonalen Recht beruhende Sicherstellungsverfügung ist nach dem Gesagten insofern unbeachtlich, als sie einem Arrestbefehl gleichgestellt wird. Ebenso unbeachtlich ist der durch die Steuerverwaltung erlassene Arrestbefehl. Der gegenüber der Rekurrentin vollzogene Arrest ist deshalb als nichtig zu erklären. Bei dieser Sachlage braucht die weitere Rüge der Rekurrentin nicht mehr erörtert zu werden, wonach der erwähnte Arrestbefehl hinsichtlich des Inhaltes den Anforderungen von
Art. 274 SchKG
nicht entspreche.