BGE 108 IV 180 vom 30. November 1982

Datum: 30. November 1982

Artikelreferenzen:  Art. 148 StGB, Art. 251 StGB, Art. 335 StGB, Art. 15 VStrR , Art. 277bis Abs. 1 BStP, Art. 335 StGB, Art. 14 VStrR

BGE referenzen:  108 IV 27, 112 IV 19, 112 IB 55, 126 IV 65 , 108 IV 27, 106 IV 39, 103 IV 39, 101 IV 57, 108 IV 31, 108 IV 31

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

108 IV 180


46. Urteil des Kassationshofes vom 30. November 1982 i.S. Sch. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 251 StGB , Art. 15 VStrR .
Die Straflosigkeit der Falschbeurkundung im verwaltungsrechtlichen Bereich schliesst eine subsidiäre Anwendung von Art. 251 StGB aus.

Sachverhalt ab Seite 180

BGE 108 IV 180 S. 180

A.- Sch. wurde vom Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt mit Urteil vom 9. Juni 1982 der Urkundenfälschung und der Widerhandlung gegen das AHVG schuldig erklärt und zu vier Monaten Gefängnis (unter Anrechnung der Untersuchungshaft) verurteilt.

B.- Sch. führt gegen diesen Entscheid Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Sache sei zur Freisprechung von der Anklage der Urkundenfälschung und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Zur Begründung wird geltend gemacht, die vom Beschwerdeführer erstellte, inhaltlich unwahre Urkunde - ein fingierter Mietvertrag über einen Sattelschlepper - sei ausschliesslich dazu bestimmt gewesen, das von den italienischen Fiskalbehörden (Guardia di Finanza in Varese) beschlagnahmte Fahrzeug herauszuverlangen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts komme aber auf Urkundendelikte, welche ausschliesslich einer Schädigung des Fiskus dienen, Art. 251 StGB nicht zur Anwendung. Da im vorliegenden Fall mit der falschen Urkunde ausländische Behörden getäuscht wurden, sei auch eine Bestrafung nach schweizerischem Fiskalstrafrecht nicht möglich.

C.- Das Appellationsgericht hat unter Hinweis auf das motivierte Urteil die Abweisung der Beschwerde beantragt. Die Staatsanwaltschaft stellt mit einlässlicher Begründung ebenfalls in diesem Sinne Antrag.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Nach den für den Kassationshof verbindlichen ( Art. 277bis Abs. 1 BStP ) und zudem unbestrittenen tatsächlichen Feststellungen
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der Vorinstanz sollte das in Frage stehende, inhaltlich unwahre Dokument (Mietvertrag) dem Beschwerdeführer und den weitern Beteiligten dazu dienen, den von der Guardia di Finanza zur Deckung von Ansprüchen des italienischen Fiskus beschlagnahmten Sattelschleppers SO 24'145 wieder freizubekommen. Dass die inhaltlich unwahre Urkunde zu irgendeinem andern Zweck hätte gebraucht werden können und dass ein solcher anderweitiger, nicht der Täuschung der Fiskalbehörden dienender Gebrauch zumindest in Kauf genommen worden sei, wird von keiner Seite behauptet.

2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts werden Urkundendelikte, welche ausschliesslich die ungerechtfertigte Reduktion der Steuerschuld bezwecken, von den Spezialnormen des Fiskalstrafrechts erfasst; Art. 251 StGB kommt nicht zur Anwendung, wenn der angestrebte unrechtmässige Vorteil ein Steuervorteil ist, Herstellung oder Gebrauch einer unwahren oder gefälschten Urkunde sich also ausschliesslich auf das Steuerveranlagungsverfahren beziehen ( BGE 108 IV 27 vgl. auch BGE 106 IV 39 ; BGE 103 IV 39 ; BGE 101 IV 57 ). In der neueren Praxis ist die Abgrenzung zwischen den fiskalstrafrechtlichen Spezialnormen und Art. 251 StGB insofern präzisiert worden, als bei einem auch für nichtfiskalische Zwecke verwendbaren Dokument nicht die objektive Möglichkeit, sondern der Vorsatz des Täters das Kriterium für die Subsumtion unter Art. 251 StGB bildet: Hat der Täter mit seiner Fälschung oder Falschbeurkundung nicht nur einen steuerlichen Vorteil erstrebt, sondern auch eine Verwendung des Dokumentes im nichtfiskalischen Bereich beabsichtigt oder zumindest in Kauf genommen, so liegt Konkurrenz zwischen Steuerdelikt und gemeinrechtlichem Urkundendelikt vor ( BGE 108 IV 31 /32). Fehlt es am Nachweis eines solchen Vorsatzes, so erfasst die fiskalstrafrechtliche Ahndung des nur zu Steuerzwecken begangenen Urkundendeliktes den gesamten Schuld- und Unrechtsgehalt der Tat (im gleichen Sinne schon Pfund in ASA 1979 S. 21/22).

3. Die Grundsätze dieser Rechtsprechung werden weder von den kantonalen Vorinstanzen noch von den Parteien kritisiert. Gegenstand der Nichtigkeitsbeschwerde ist die Anwendung der vom Bundesgericht entwickelten Regeln auf den vorliegenden Fall.
a) Zu beurteilen ist hier nicht ein Sachverhalt, der nach schweizerischem Recht in inländischen Verhältnissen als Steuerdelikt erfasst würde, sondern eine Falschbeurkundung, welche der Täuschung einer Verwaltungsbehörde dienen soll. Dass die in Frage stehende Handlung den fiskalischen Bereich im weitern Sinn
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betrifft, ist für die Entscheidung letztlich nicht massgebend. Es geht vielmehr darum, ob ein solches Verhalten wegen seiner Angriffsrichtung (Verwaltung, Gemeinwesen) nicht gemäss Art. 251 StGB , sondern ausschliesslich in Anwendung allfälliger Spezialnormen zu beurteilen ist. Daher muss das Verhältnis der allgemeinen Strafnorm ( Art. 251 StGB ) zu den verwaltungsrechtlichen Spezialstrafbestimmungen etwas näher abgeklärt werden.
b) Gemäss Art. 15 VStrR (BG über das Verwaltungsstrafrecht vom 22. März 1974; SR 313.0) werden Urkundendelikte, welche dazu dienen, einen "nach der Verwaltungsgesetzgebung des Bundes unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen oder das Gemeinwesen am Vermögen oder an andern Rechten zu schädigen", mit Gefängnis oder Busse bis zu 30'000 Franken bestraft. Damit hat der Bundesgesetzgeber für die Verwaltungsgesetzgebung des Bundes eine privilegierende Spezialnorm geschaffen und insoweit das verwaltungsrechtliche Urkundenstrafrecht sinngemäss dem Art. 251 StGB entzogen.
Die bisherige Praxis über die Einschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 251 StGB durch privilegierende Spezialnormen bezog sich durchwegs auf Urkundendelikte im Zusammenhang mit Steuerveranlagungsverfahren und wurde im wesentlichen nach dem Prinzip des Vorrangs der lex specialis (Steuerdelikt) gegenüber der lex generalis ( Art. 251 StGB ) entwickelt. Art. 15 VStrR erfasst jetzt nicht nur Urkundendelikte im Steuerveranlagungsverfahren, sondern jede derartige Handlung, welche sich gegen das Gemeinwesen richtet oder einen nach der Verwaltungsgesetzgebung unrechtmässigen Vorteil bewirken soll. Abweichend von der Tatbestandsumschreibung des Art. 251 StGB stellt Art. 15 VStrR die private Falschbeurkundung - das unrichtige Beurkunden einer rechtlich erheblichen Tatsache - nicht unter Strafe (vgl. PFUND, Das neue Verwaltungsstrafrecht des Bundes ... in ASA 1973 S. 174; GAUTHIER in Mémoires publiés par la Faculté de droit de Genève, No 46, 1975, S. 49).
Die Auswirkungen von Art. 15 VStrR auf die Grenzen der Anwendung von Art. 251 StGB lassen sich folgerichtig nicht einfach so bestimmen, dass die generelle Norm des Strafgesetzbuches nur dann nicht anwendbar sein soll, wenn der Tatbestand von Art. 15 VStrR erfüllt ist, aber stets zum Zuge kommen kann, sobald die Voraussetzungen der Strafbarkeit nach der Spezialnorm nicht gegeben sind. Eine solche Regelung des gegenseitigen Verhältnisses der beiden Vorschriften hätte die absurde Konsequenz,
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dass die vom Gesetzgeber im Verwaltungsstrafrecht straflos gelassene Falschbeurkundung im Ergebnis nicht straffrei wäre, sondern sogar unter eine strengere Strafdrohung ( Art. 251 StGB ) fiele als die gemäss Art. 15 VStrR zu ahndenden, eindeutig schwereren Verfehlungen. Eine solche Interpretation stände im Gegensatz zur ratio legis von Art. 15 VStrR und insbesondere zum Sinn der Nichterwähnung der Falschbeurkundung in diesem privilegierten Tatbestand; denn damit wollte der Gesetzgeber nicht die Beibehaltung der (strengern) Strafdrohung von Art. 251 StGB für die Falschbeurkundung, sondern deren Straflosigkeit (im Bereich des Verwaltungsstrafrechts) anordnen.
c) Die Frage der begrenzenden Auswirkung von Art. 15 VStrR auf den Anwendungsbereich von Art. 251 StGB lässt sich allgemeiner fassen: Muss aus Art. 15 VStrR der Schluss gezogen werden, dass alle Urkundendelikte, welche den in dieser Spezialnorm umschriebenen Zwecken dienen, auch dann nicht gemäss Art. 251 StGB zu ahnden sind, wenn es sich nicht um Verfehlungen im Bereich der Verwaltungsgesetzgebung des Bundes handelt, sondern um analoge Taten zum Nachteil anderer Gemeinwesen (Kanton, Gemeinde)? Die Kantone sind gemäss Art. 335 StGB befugt, im Bereich des kantonalen Verwaltungsrechts und insbesondere zum Schutze des kantonalen Steuerrechts Strafbestimmungen aufzustellen. Auf Inhalt und Grenzen dieser kantonalen Zuständigkeit ist hier nicht näher einzutreten. Dass solche Spezialstrafnormen gegenüber Art. 251 StGB den Vorrang beanspruchen können, ist unbestritten. Offen ist aber nach der bisherigen Rechtsprechung, ob Art. 251 StGB subsidiär auf verwaltungsrechtliche Urkundendelikte anwendbar ist, soweit Art. 15 VStrR nicht zum Zuge kommt (weil es um die Durchführung des kantonalen Verwaltungsrechts geht) und eine einschlägige kantonalrechtliche Strafnorm fehlt. Bejaht man die subsidiäre Anwendbarkeit von Art. 251 StGB auf die dem Tatbestand des Art. 15 VStrR entsprechenden, verwaltungsrechtlichen Urkundendelikte im kantonalen Bereich, so bedeutet dies im Ergebnis, dass eine solche Verfehlung, die sich gegen einen Kanton oder eine Gemeinde richtet, sofern eine kantonale Spezialnorm fehlt, nach Bundesrecht strenger bestraft wird als das gleiche Vorgehen gegenüber der Bundesverwaltung. Diese Konsequenz dürfte sich kaum überzeugend begründen lassen. Der gegenteilige Schluss, mit Art. 15 VStrR habe der Bundesgesetzgeber die ganze Regelung der verwaltungsrechtlichen Urkundendelikte aus dem Art. 251 StGB herausnehmen und
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gesamthaft der Spezialgesetzgebung vorbehalten wollen (VStrR, kantonales Strafrecht), liegt näher. Gegen eine solche Interpretation bestehen insbesondere auch deswegen keine Bedenken, weil mit der herrschenden Lehre davon auszugehen ist, dass der Kanton Widerhandlungen gegen sein Verwaltungsrecht auch mit Vergehensstrafen bedrohen kann (THORMANN-V. OVERBECK II. S. 496; SCHULTZ, Allgemeiner Teil I, 3. Aufl., S. 72).
d) Eine abschliessende Stellungnahme zum Verhältnis VStrR/StGB, das nicht nur bezüglich der Urkundendelikte, sondern auch bezüglich des Leistungs- und Abgabebetrugs ( Art. 14 VStrR / Art. 148 StGB ) der weitern Klärung bedarf, ist im vorliegenden Fall nicht notwendig; denn zu beurteilen ist ja nicht eine Handlung, die nach Art. 15 VStrR bei Begehung gegenüber dem Bund strafbar wäre und nun mangels einer anwendbaren speziellen Strafnorm allenfalls straflos bleibt, sofern nicht die strengere lex generalis des Art. 251 StGB subsidiär zum Zuge kommen kann. Es geht im konkreten Fall um die Herstellung einer echten, aber inhaltlich unwahren Urkunde, also um eine Falschbeurkundung, welche, soweit sie sich gegen das Gemeinwesen richtet oder zur Täuschung der Verwaltung dienen soll, durch Art. 15 VStrR von der Bestrafung ausgenommen wird und aus den dargelegten Gründen klarerweise nicht subsidiär gemäss Art. 251 StGB geahndet werden darf. Ist aber bei einem entsprechenden rein inländischen Sachverhalt die Strafbarkeit ausgeschlossen und eine subsidiäre Anwendung von Art. 251 StGB unzulässig, so muss selbstverständlich auch die zum Nachteil eines ausländischen Gemeinwesens begangene Falschbeurkundung straflos bleiben.
Das Appellationsgericht hat die Rechtslage verkannt, indem es annahm, Art. 251 StGB komme auf alle einschlägigen Sachverhalte zur Anwendung, soweit nicht eine Spezialnorm die Bestrafung regle und Vorrang habe. Sinngemäss ergibt sich aber aus Art. 15 VStrR die Straflosigkeit der Falschbeurkundung im verwaltungsrechtlichen Bereich und damit der Ausschluss der Anwendung von Art. 251 StGB auf solche Handlungen. Die Bestrafung des Beschwerdeführers gemäss Art. 251 StGB wegen Urkundenfälschung in der Form der Falschbeurkundung verletzt daher Bundesrecht. Zur Klarstellung sei festgehalten, dass die Straflosigkeit der Falschbeurkundung gemäss Art. 15 VStrR die Kantone nicht hindert, im Bereich des kantonalen Verwaltungsrechts (unter Einschluss des Steuerrechts) Falschbeurkundungen allenfalls durch kantonale Spezialnormen mit Strafe zu bedrohen.
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Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Appellationsgerichts-Ausschusses des Kantons Basel-Stadt vom 9. Juni 1982 wird aufgehoben, und die Sache wird zur Freisprechung des Beschwerdeführers von der Anklage der Urkundenfälschung und zur Neufestsetzung der Strafe an die Vorinstanz zurückgewiesen.

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