BGE 109 II 400 vom 22. Dezember 1983

Datum: 22. Dezember 1983

Artikelreferenzen:  Art. 594 ZGB, Art. 602 ZGB, Art. 4 BV , Art. 464, 760 ff. ZGB, Art. 84 Abs. 2 OG, Art. 594 Abs. 2 ZGB, Art. 44 und 46 OG, Art. 48 OG, Art. 43 OG, Art. 602 Abs. 2 ZGB, Art. 602 Abs. 3 ZGB, Art. 464 ZGB

BGE referenzen:  121 III 118, 125 III 219, 144 III 277 , 104 II 140, 102 II 62, 100 II 288, 95 II 378, 103 II 71, 103 II 71

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

109 II 400


84. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Dezember 1983 i.S. X. gegen Z. (als Berufung behandelte staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Sicherstellung der Miterben durch einen nutzniessungsberechtigten Erben ( Art. 464, 760 ff. ZGB ).
1. Der Entscheid der letzten kantonalen Instanz, durch den ein nutzniessungsberechtigter Erbe zur Sicherstellung der Miterben verpflichtet wird, ist grundsätzlich mit Berufung anfechtbar (E. 1).
2. Das Sicherstellungsbegehren kann durch einen einzigen Erben eingereicht werden, doch müssen sich die Miterben dazu äussern können; soweit diese weder dem Begehren beitreten noch sich von vornherein einem darüber ergehenden Urteil unterziehen wollen, sind sie auf der Seite des Beklagten in den Prozess einzubeziehen (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 400

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Der am 7. August 1977 verstorbene A. X. hinterliess als gesetzliche Erben seine Ehefrau B. X.-Y. sowie neun Kinder. Durch das
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Urteil des Bundesgerichts (II. Zivilabteilung) vom 31. März 1982 wurde die zu seinem Nachlass gehörende landwirtschaftliche Liegenschaft rechtskräftig zum Ertragswert der Tochter C. Z.-X. zu Eigentum zugewiesen. Im übrigen blieb der Nachlass ungeteilt. In einem vom 12. März 1969 datierten Testament hatte der Erblasser unter anderem verfügt, dass seine Ehefrau von seinem Nachlassvermögen einen Viertel zu Eigentum und drei Viertel zur lebenslänglichen Nutzniessung erhalten soll.
Auf Begehren von C. Z.-X. ordnete das zuständige Bezirksgerichtspräsidium mit superprovisorischer Verfügung vom 25. August 1982 an, dass verschiedene Banken die auf den Namen des Erblassers, der Ehefrau oder der Erbengemeinschaft lautenden Guthaben vorläufig zu sperren hätten. Nach durchgeführtem Verfahren wurde das von C. Z.-X. gegen ihre Mutter gestellte Sicherstellungsbegehren durch Verfügung des Gerichtspräsidiums vom 20. Dezember 1982 geschützt; die superprovisorisch angeordnete Sperre wurde bestätigt, wobei festgehalten wurde, dass B. X.-Y. lediglich ermächtigt sei, über den jeweiligen Zins zu verfügen.
Eine von B. X.-Y. gegen die bezirksgerichtliche Verfügung eingereichte Beschwerde wies die Rekurs-Kommission des Obergerichtes des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 11. März 1983 ab.
Diesen Entscheid hat B. X.-Y. mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV beim Bundesgericht angefochten.
Am 17. November 1983 hat die erkennende Abteilung beschlossen, die als staatsrechtliche Beschwerde bezeichnete Eingabe von B. X.-Y. werde als Berufung und die Vernehmlassung von C. Z.-X. als Berufungsantwort entgegengenommen. Die Berufungsverhandlung ist heute durchgeführt worden.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Gemäss Art. 84 Abs. 2 OG ist die staatsrechtliche Beschwerde nur zulässig, wenn die behauptete Rechtsverletzung nicht sonstwie durch Klage oder Rechtsmittel beim Bundesgericht oder einer andern Bundesbehörde gerügt werden kann.
a) Streitig ist zwischen den Parteien die Sicherstellung erbrechtlicher Ansprüche im Sinne des Art. 464 in Verbindung mit den Art. 760 ff. ZGB durch die am ganzen Nachlass nutzniessungsberechtigte Beklagte. Im Gegensatz zu gewissen andern im Zivilgesetzbuch vorgesehenen Sicherungsmassnahmen, etwa zu den vorsorglichen Massregeln gemäss Art. 594 Abs. 2 ZGB zu Gunsten
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eines Vermächtnisnehmers, handelt es sich hier um einen ganz bestimmten materiell-rechtlichen Anspruch. Das wird daraus ersichtlich, dass der zur Sicherstellung der Miterben Verpflichtete unter Umständen auch zu einer eigenen Leistung wie der Pfandbestellung oder der Bürgschaft angehalten werden kann. Die gerichtliche Auseinandersetzung über einen solchen Anspruch ist als Zivilrechtsstreitigkeit im Sinne der Art. 44 und 46 OG zu bezeichnen (vgl. BGE 104 II 140 ). Aus dieser Sicht ist gegen den angefochtenen Entscheid somit die Berufung gegeben.
b) Die Berufung ist grundsätzlich erst gegen Endentscheide zulässig ( Art. 48 OG ). Die Rekurs-Kommission des Obergerichtes bestätigte einen Entscheid, der im summarischen Verfahren gemäss den § 193 ff. der thurgauischen Zivilprozessordnung ergangen war. Bezüglich des (summarischen) Befehlsverfahrens, wie es bis Ende 1976 im Kanton Zürich in Kraft stand, nahm das Bundesgericht an, dass obergerichtliche Entscheide betreffend Befehlsbegehren auf dem Wege der Berufung an das Bundesgericht weitergezogen werden könnten, sofern das Begehren gutgeheissen und der Beklagte zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet worden sei, ohne dass dadurch zwangsläufig ein ordentliches Verfahren ausgelöst worden sei. Den endgültigen Charakter solcher Entscheidungen erblickte das Bundesgericht darin, dass die dem Beklagten auferlegte Verpflichtung in der Regel doch während längerer Zeit ihre Wirkungen entfalte und sogar Gegenstand von Vollstreckungsmassnahmen bilden könne (vgl. BGE 102 II 62 E. 2; BGE 100 II 288 f. E. 1; dazu auch WURZBURGER, Les conditions objectives du recours en réforme au Tribunal fédéral, Diss. Lausanne 1964, S. 194). Diese Voraussetzungen sind beim hier angefochtenen Entscheid der obergerichtlichen Rekurs-Kommission erfüllt.
c) ...
d) Die falsche Wahl oder Bezeichnung eines Rechtsmittels an das Bundesgericht schadet der betreffenden Partei nicht, wenn ihre Eingabe den gesetzlichen Anforderungen des allein zulässigen Rechtsmittels genügt (so BGE 95 II 378 E. 2 und 3 bezüglich einer als staatsrechtliche Beschwerde zu behandelnden Berufung und BGE 103 II 71 f. E. 2 hinsichtlich einer staatsrechtlichen Beschwerde, die als Nichtigkeitsbeschwerde zu behandeln war). Die Beklagte wirft der obergerichtlichen Rekurs-Kommission eine willkürliche Anwendung der Art. 464 bzw. 760 ff. ZGB vor. Sie rügt mithin eine Verletzung von Bundesprivatrecht im Sinne von
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Art. 43 OG . Ihre Eingabe ist demnach als Berufung entgegenzunehmen.

2. Gemäss Art. 602 Abs. 2 ZGB werden die Erben Gesamteigentümer der Erbschaftsgegenstände; unter Vorbehalt der vertraglichen oder gesetzlichen Vertretungs- und Verwaltungsbefugnisse verfügen sie über die Rechte der Erbschaft gemeinsam. Das Prinzip der Gesamthandschaft gilt auch dann, wenn gegenüber einem nutzniessungsberechtigten Erben die Sicherstellung erbrechtlicher Ansprüche auf dem Prozessweg erwirkt werden soll. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein einzelnes Mitglied einer Erbengemeinschaft von den Miterben an der Durchsetzung seines Sicherstellungsanspruches gehindert werden könnte oder dass bei einer Weigerung der Miterben, sich dem Sicherstellungsbegehren eines einzelnen anzuschliessen, im Sinne von Art. 602 Abs. 3 ZGB ein Erbenvertreter zu bestellen wäre. Eine Sicherstellung im Sinne von Art. 464 ZGB muss jeder einzelne Erbe unabhängig von den andern verlangen können. Da jedoch vor der Teilung die Erbanteile der einzelnen Erben noch nicht ausgeschieden sind, bezieht sich eine Sicherstellung der erwähnten Art naturgemäss auf den ganzen Nachlass. Unter dem Gesichtspunkt des Gesamthandprinzips genügt es bei dieser Sachlage, dass sich sämtliche Erben zum Sicherstellungsbegehren äussern und, soweit sie weder dem Begehren beitreten noch sich von vornherein einem darüber ergehenden Urteil unterziehen wollen, auf der Seite des Beklagten am Prozess teilnehmen (vgl. BGE 74 II 215 ff., insbes. S. 217 E. 3, worin es um die Anfechtung eines Kaufvertrages betreffend eine zum Nachlass gehörende Liegenschaft ging, der zwischen einem Erben und den übrigen Mitgliedern der Erbengemeinschaft abgeschlossen worden war).
Im vorliegenden Fall sind die Miterben der Parteien in keiner Weise in das Verfahren einbezogen worden. Die für das klägerische Begehren erforderliche Sachlegitimation ist mithin nicht gegeben, so dass der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Klage abzuweisen ist (vgl. GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 139).

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