BGE 109 III 49 vom 2. März 1983

Datum: 2. März 1983

Artikelreferenzen:  Art. 139 OR, Art. 83 SchKG , Art. 83 Abs. 2 SchKG

BGE referenzen:  91 III 15, 108 III 41, 126 III 288, 130 III 515, 135 V 124, 136 III 545, 138 III 610 , 91 III 15, 80 II 291, 98 II 183, 96 III 95, 108 III 41, 108 III 41

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

109 III 49


13. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. März 1983 i.S. Pan Impex Consult AG gegen Sentramat AG (Berufung)

Regeste

Einreichung der Aberkennungsklage bei einem unzuständigen Richter; Nachfrist.
Tritt der mit einer Aberkennungsklage angerufene Richter wegen Unzuständigkeit auf die Klage nicht ein, läuft dem Betreibungsschuldner ab Zustellung des Nichteintretensentscheides ein - der Nachfrist des Art. 139 OR nachgebildete - neue Klagefrist von zehn Tagen.

Sachverhalt ab Seite 49

BGE 109 III 49 S. 49
Durch Verfügung vom 31. März 1982 erteilte der Einzelrichter im summarischen Verfahren des Bezirkes Zürich der Pan Impex Consult AG in der gegen die Sentramat AG eingeleiteten Betreibung (Nr. 6305 des Betreibungsamtes Zürich 8) provisorische Rechtsöffnung für Fr. 19'000.-- nebst Zins zu 6% seit 15. Dezember 1981. Dieser Entscheid wurde den Parteien am 20. April 1982 zugestellt.
Mit der Post am 30. April 1982 übergebener Eingabe an das Bezirksgericht Zürich reichte die Sentramat AG gegen die Pan Impex Consult AG eine Aberkennungsklage ein.
Unter Hinweis auf ein Telefongespräch mit dem Bezirksgericht
BGE 109 III 49 S. 50
und auf eine nochmalige Überprüfung der Rechtslage stellte die Klägerin mit Eingabe vom 25. Mai 1982 beim Bezirksgericht das Gesuch, es sei das dort eingeleitete Aberkennungsverfahren im Sinne von § 112 der zürcherischen Zivilprozessordnung (ZPO) direkt an das für die Beurteilung der Klage zuständige Handelsgericht des Kantons Zürich zu überweisen.
Durch Beschluss vom 26. Mai 1982 entschied das Bezirksgericht Zürich (3. Abteilung), auf die Klage werde wegen fehlender Zuständigkeit nicht eingetreten; gleichzeitig überwies es die Akten an das Handelsgericht. Der bezirksgerichtliche Entscheid wurde den Parteien am 14. Juni 1982 zugestellt, und am 18. Juni 1982 gingen die Akten samt Beschluss beim Handelsgericht ein.
In einem Vorentscheid vom 28. September 1982 stellte das Handelsgericht fest, dass die Frist zur Einreichung der Aberkennungsklage eingehalten worden sei und dass demnach auf die Klage einzutreten sei.
Gegen das handelsgerichtliche Urteil hat die Beklagte beim Bundesgericht Berufung erhoben mit folgenden Anträgen:
"1. Das Vorurteil der Vorinstanz sei aufzuheben.
2. Die Streitsache sei zur Gutheissung des materiellen Rechtsbegehrens der Beklagten, auf die Klage sei nicht einzutreten, an die Vorinstanz zurückzuweisen.
3. Eventuell sei die Streitsache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen."
Die Klägerin schliesst auf Abweisung der Berufung.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Fest steht, dass die Klägerin die zehntägige Klagefrist des Art. 83 Abs. 2 SchKG insofern eingehalten hat, als sie die Klageschrift am 30. April 1982 der Post übergab, nachdem sie den Rechtsöffnungsentscheid am 20. April 1982 zugestellt erhalten hatte. Indessen reichte sie die Klage nicht bei dem im Falle der Parteien zuständigen Handelsgericht ein, sondern beim Bezirksgericht Zürich. Das Handelsgericht hat die Frist dennoch als gewahrt betrachtet, indem es in sinngemässer Anwendung von Art. 139 OR der Klägerin eine Nachfrist von zehn Tagen ab Zustellung des bezirksgerichtlichen Nichteintretensentscheides eingeräumt hat. Die Vorinstanz stellt sodann fest, dass die Klägerin innerhalb dieser Nachfrist bei ihr Klage erhoben habe.

3. ...
BGE 109 III 49 S. 51

4. Die Beklagte macht geltend, es treffe nicht zu, dass Rechtsprechung und Literatur sich eindeutig für eine analoge Anwendung des Art. 139 OR auf die Verwirkungsfrist des Art. 83 Abs. 2 SchKG aussprächen.
a) Der Vorinstanz ist zunächst insofern beizupflichten, dass ein Teil der Lehre die sinngemässe Anwendung des dem Wortlaut nach nur für die Verjährung geltenden Art. 139 OR auf Verwirkungsfristen nicht in Frage stellt (vgl. VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des schweizerischen Obligationenrechts, 3. Aufl., S. 230 N. 33c; BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, S. 409 oben und N. 114). Während WALDER (Prozesserledigung ohne Anspruchsprüfung, S. 120, N. 51) sowie STRÄULI/MESSMER (Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung, 2. Aufl., N. 2 zu § 112) die bundesgerichtliche Rechtsprechung erwähnen, sich aber im übrigen einer Stellungnahme enthalten, ist GULDENER (Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 274) der Auffassung, die Anwendbarkeit des Art. 139 OR sollte "vernünftigerweise" auf Verwirkungsfristen des Betreibungsrechts ausgedehnt werden.
b) Was andererseits die Rechtsprechung betrifft, so verläuft die Entwicklung eindeutig in der von der Vorinstanz erwähnten Richtung. Nachdem Art. 139 OR zunächst nur auf die Klagefristen des Familienrechts angewendet wurde, dehnte das Bundesgericht diese Praxis später allgemein auf die Klagefristen (Verjährungs- und Verwirkungsfristen) des Bundeszivilrechts aus (vgl. BGE 80 II 291 E. 1; BGE 98 II 183 , je mit Hinweisen). Ob auch im Falle einer Aberkennungsklage eine Nachfrist entsprechend Art. 139 OR zu laufen beginnen könne, wurde in BGE 49 III 68 noch ausdrücklich verneint, in BGE 68 III 84 dann aber immerhin in Erwägung gezogen, wenn auch letztlich noch offen gelassen. In BGE 91 III 15 ff. setzte sich die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts eingehend mit den Argumenten auseinander, die in BGE 49 III 68 zur Ablehnung der analogen Anwendung des Art. 139 OR geführt hatten. Sie gelangte zum Schluss, der Umstand, dass dem Schuldner noch die Rückforderungsklage zur Verfügung stehe, rechtfertige nicht, dass eine analoge Anwendung von Art. 139 OR abgelehnt werde mit der Begründung, dem Schuldner erwachse kein nichtwiedergutzumachender Schaden. Den endgültigen Entscheid überliess die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer jedoch dem zuständigen Richter, da die vollstreckungsrechtlichen Aufsichtsbehörden für die Beurteilung dieser materiellrechtlichen Frage nicht
BGE 109 III 49 S. 52
zuständig seien (S. 19). Die Frage wurde auch in BGE 96 III 95 E. 2 und 100 III 39 angeschnitten, jedoch unbeantwortet gelassen.
c) Unter Hinweis auf die Ausführungen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer in BGE 91 III 15 ff. ist hier festzuhalten, dass es in der Tat eine unbillige Härte wäre und einer vernünftigen Interessenabwägung widersprechen würde, wenn der Schuldner, der innert Frist eine Aberkennungsklage bei einem unzuständigen Richter eingereicht hat, zwangsläufig zur Zahlung verpflichtet wäre und ihm nur noch die - in manchen Fällen wenig aussichtsreiche - Rückforderungsklage zur Verfügung stünde. Es besteht sodann kein Anlass, nur bei fehlendem Verschulden eine Nachfrist zu gewähren, ist doch eine solche Voraussetzung Art. 139 OR gänzlich fremd. Hingegen ist der Besonderheit Rechnung zu tragen, dass die gesetzliche Frist für die Aberkennungsklage nur zehn Tage beträgt, und die in analoger Anwendung des Art. 139 OR zu gewährende Nachfrist ist deshalb auf ebenfalls zehn Tage zu beschränken (so auch Guldener, a.a.O.). Ob Art. 139 OR auch bei der Arrestprosequierungsklage heranzuziehen sei (verneint in BGE 75 III 73 ff., offen gelassen in den späteren Entscheiden; vgl. zuletzt BGE 108 III 41 ff.), mag weiterhin offen bleiben.
d) Aus Gründen der Rechtssicherheit und der Klarheit der Verhältnisse ist der Vorinstanz schliesslich auch darin beizupflichten, dass die Nachfrist im vorliegenden Fall erst mit der Zustellung des formellen Nichteintretensentscheides des Bezirksgerichts zu laufen begann. Das Telefongespräch zwischen diesem Gericht und dem Vertreter der Klägerin ist deshalb ohne Bedeutung.

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