Urteilskopf
109 IV 90
25. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 19. Dezember 1983 i.S. W. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 68 Ziff. 2 StGB
; Zusatzstrafe zu ausländischer Grundstrafe.
1.
Art. 68 Ziff. 2 StGB
gilt auch im Falle einer im Ausland ergangenen Grundstrafe (E. 2b).
2. Die Zusatzstrafe zu einer ausländischen Grundstrafe ist in Anwendung der Strafzumessungsregeln des schweizerischen Rechts zu bestimmen (E. 2c und d).
Das Landgericht Düsseldorf (BRD) verurteilte W. am 11. Mai 1976 wegen fortgesetzter Zuhälterei, fortgesetzten vorsätzlichen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz und Urkundenfälschung zu einer Gesamtstrafe von 10 Jahren. Am 15. November 1982 sprach ihn das Strafamtsgericht Bern der wiederholten und fortgesetzten Zuhälterei (begangen in der Zeit von 1971 bis Sommer 1972) schuldig und verurteilte ihn zu einer Zusatzstrafe zum Urteil des Landgerichts Düsseldorf von 12 Monaten Gefängnis.
Mit Entscheid vom 2. September 1983 erhöhte das Obergericht des Kantons Bern die Zusatzstrafe auf 18 Monate Zuchthaus.
W. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, die Zusatzstrafe sei aufzuheben.
Aus den Erwägungen:
2.
a) Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe bei der Strafzumessung zu Unrecht schweizerisches anstelle von deutschem Recht angewandt. Der Schuldspruch wegen wiederholter und fortgesetzter Zuhälterei führe gemäss
Art. 68 Ziff. 2 StGB
zu einer Zusatzstrafe zum Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 11. Mai 1976; deshalb müsse geprüft werden, welche Strafe dieses deutsche Gericht, bei gleichzeitiger Beurteilung der vom Amtsgericht Bern am 15. November 1982 geahndeten Zuhälterei, nach deutschen Strafzumessungsregeln ausgesprochen hätte. Dadurch dass die Vorinstanz die Zusatzstrafe in Anwendung von
Art. 63 ff. StGB
festgesetzt habe, sei Bundesrecht verletzt worden.
b) Unbestritten ist, dass der Schuldspruch wegen wiederholter und fortgesetzter Zuhälterei zu Recht in Anwendung von
Art. 201 StGB
erging und dass der schweizerische Richter gemäss
Art. 68 Ziff. 2 StGB
eine Zusatzstrafe zum Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 11. Mai 1976 auszufällen hatte.
Das deutsche Gericht hat den Beschwerdeführer am 11. Mai 1976 wegen fortgesetzter Zuhälterei, fortgesetzten vorsätzlichen Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz und Urkundenfälschung in Anwendung der Bestimmungen des deutschen Strafrechts
BGE 109 IV 90 S. 92
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Die in der Schweiz ergangenen Schuldsprüche betreffen Widerhandlungen, welche von 1971 bis Sommer 1972 mindestens teilweise in der Schweiz begangen wurden. Nach der Rechtsprechung verschiedener kantonaler Gerichte hat der Schweizer Richter in solchen Fällen nicht eine unabhängige neue Strafe, sondern eine Zusatzstrafe zur im Ausland ausgesprochenen Grundstrafe auszufällen (vgl. SJZ 58 (1962) S. 25; SJZ 63 (1967) S. 108; ZR 64 (1965) S. 56; ZBJV 102 (1966) S. 31). Diese Praxis blieb in der Doktrin unwidersprochen (vgl. SCHULTZ, AT, Bd. 2, 4. Aufl., S. 82; ZBJV 102 (1966) S. 32). Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung will
Art. 68 Ziff. 2 StGB
das Gleichgewicht mit der Gesamtstrafe ermöglichen, die bei gleichzeitiger Beurteilung aller Taten auszufällen gewesen wäre; der Täter soll durch die Aufteilung der Strafverfolgung in mehrere Verfahren nicht benachteiligt und soweit als möglich auch nicht besser gestellt werden (
BGE 102 IV 244
, 94 IV 50). Es würde Sinn und Zweck von
Art. 68 Ziff. 2 StGB
sowie dem Gebot der Rechtsgleichheit widersprechen, wenn der im Ausland zu einer Grundstrafe verurteilte Täter anders behandelt würde als der in der Schweiz bestrafte. Dies trifft mindestens dann zu, wenn eine Beurteilung der im Ausland bestraften Delikte - wie vorliegend - gemäss
Art. 3-6 StGB
auch in der Schweiz möglich gewesen wäre. Wie es sich bei einer Bestrafung wegen anderer Taten verhalten würde, kann hier offen bleiben.
c) Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers hat der Richter, welcher eine Zusatzstrafe zu einem ausländischen Urteil auszusprechen hat, die Strafzumessung nach schweizerischem und nicht nach ausländischem Recht vorzunehmen. Die Vorschrift in
Art. 68 Ziff. 2 StGB
muss im Zusammenhang mit den andern Strafzumessungsregeln in
Art. 63 ff. StGB
und insbesondere mit
Art. 68 Ziff. 1 StGB
gesehen werden.
Art. 68 StGB
regelt gemäss dem Randtitel das "Zusammentreffen von strafbaren Handlungen oder Strafbestimmungen". Ziffer 1 bestimmt u.a. das Vorgehen bei Realkonkurrenz von gleichzeitig zur Beurteilung gelangenden Taten. Ziffer 2 regelt die Fälle retrospektiver Realkonkurrenz, und zwar in der Weise, dass das Gleichgewicht zu der nach Ziffer 1 auszusprechenden Gesamtstrafe sichergestellt wird (
BGE 102 IV 244
).
Art. 68 Ziff. 2 StGB
erlaubt also dem Richter die Berücksichtigung der Vorschrift von
Art. 68 Ziff. 1 StGB
auch bezüglich der Taten, welche zwar im Zeitpunkt des früheren Entscheids bereits begangen waren, aber erst in einem späteren Verfahren abgeurteilt werden.
BGE 109 IV 90 S. 93
Die fragliche Bestimmung will jedoch nur eine rechtsgleiche Aburteilung nach schweizerischem Recht ermöglichen; die Gleichstellung eines im Ausland zu einer Grund- und in der Schweiz zu einer Zusatzstrafe Verurteilten mit einem im Ausland mit Grund- und Zusatzstrafe (soweit das fremde Recht eine solche überhaupt kennt) Bestraften ist nicht beabsichtigt. Eine teilweise Anwendung von in- und ausländischem Recht ist im übrigen auch wegen der unterschiedlichen Strafzumessungsregelungen meist undenkbar.
Der Ausschluss der teilweisen Anwendung von ausländischem Recht im Rahmen der Strafzumessung ergibt sich zudem aus den Vorschriften zur räumlichen Geltung des Schweizerischen Strafgesetzbuches (
Art. 3 ff. StGB
). Selbst in den Fällen, für welche das StGB eine Anwendung des "milderen" ausländischen Rechts vorsieht, ist eine gleichzeitige Anwendung von in- und ausländischen Strafrechtsregeln im konkreten Fall ausgeschlossen. Das Delikt wird entweder nach schweizerischem oder nach ausländischem Recht - je nachdem welches Gesetz beim konkreten Vergleich als milder erscheint - beurteilt. In casu kommt dazu, dass es sich bei den vom Amtsgericht Bern beurteilten Taten unbestrittenermassen (jedenfalls zum Teil) um in der Schweiz begangene Delikte (
Art. 7 StGB
) handelt, so dass eine Beurteilung gemäss
Art. 3 StGB
ohnedies einzig nach schweizerischem Recht zu erfolgen hatte.
d) Bei der Bestimmung einer Zusatzstrafe zu einer in der Schweiz ergangenen Grundstrafe hat sich der Richter vorerst zu fragen, welche Strafe er im Falle einer gleichzeitigen Verurteilung in Anwendung von
Art. 68 Ziff. 1 StGB
ausgesprochen hätte. Ausgehend von dieser hypothetischen Gesamtbewertung muss er anschliessend unter Beachtung der rechtskräftigen Grundstrafe die Zusatzstrafe bemessen (vgl. LOGOZ, Commentaire du Code Pénal Suisse, Partie Générale, Ziff. 4 zu
Art. 68 StGB
, 2. Aufl., S. 376;
BGE 105 IV 82
,
BGE 80 IV 224
ff.). Für die Bemessung der Zusatzstrafe zu einer ausländischen Grundstrafe ist das Vorgehen nicht anders.
e) Die Vorinstanz kam aufgrund einer hypothetischen Gesamtbewertung zum Schluss, dass eine nach schweizerischem Recht vorgenommene Strafzumessung in etwa zur gleichen Sanktion geführt hätte, wie sie das Landgericht Düsseldorf verhängte, weshalb der Beschwerdeführer für die vom Amtsgericht Bern ausgesprochenen Schuldsprüche zu einer Zusatzstrafe zu verurteilen sei. Mit ausführlicher Begründung hält sie sodann eine solche von 18 Monaten Zuchthaus für angemessen.
...