Urteilskopf
110 IV 12
7. Urteil des Kassationshofes vom 21. August 1984 i.S. N. c. Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 137 Ziff. 1 StGB
.
Wer sich an einer Tankstelle mit zentraler Kasse Benzin einfüllen lässt, diesen Bezug der Kassiererin nicht meldet und ohne Bezahlung des Kaufpreises wegfährt, um sich dadurch unrechtmässig zu bereichern, macht sich des Diebstahls schuldig.
A.-
Am 13. November 1982 liess sich N. an der Autobahn-Raststätte Ruderbach-Süd vom Tankwart B. Benzin im Werte von
BGE 110 IV 12 S. 13
Fr. 52.- einfüllen, bediente sich dann noch mit Zigaretten im Werte von Fr. 23.- und bezahlte an der zentralen Kasse mit einer Hunderternote. Die Kassiererin gab ihm Fr. 77.- zurück, berücksichtigte also den Benzinbezug nicht, weil sie das ihr diesen Bezug anzeigende Klingelzeichen überhört hatte und N. nichts sagte. Dieser begab sich darauf schnell zu seinem Auto und fuhr weg.
B.-
Wegen dieses Verhaltens wurde N. am 20. Februar 1984 vom Kantonsgericht St. Gallen im Appellationsverfahren des Diebstahls schuldig erklärt und zu einer Woche Gefängnis mit bedingtem Strafvollzug verurteilt.
C.-
Gegen diesen Entscheid führt N. Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zur Freisprechung, eventuell zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
In tatsächlicher Hinsicht ist nach den für den Kassationshof verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer das eingefüllte Benzin nicht bezahlte, den Irrtum der Kassiererin bemerkte und vorsätzlich mit dem nicht bezahlten Benzin die Raststätte verliess, um sich dadurch unrechtmässig zu bereichern.
Gegen die Bestrafung wegen Diebstahls erhebt N. den Einwand, es fehle das Tatbestandselement der Wegnahme. Der Tankwart habe den Gewahrsam am Benzin (durch das Einfüllen) freiwillig aufgegeben. Der nachträgliche Entschluss, das Benzin nicht zu bezahlen, könnte höchstens als Unterschlagung erfasst werden, doch fehle hiefür ein rechtzeitiger Strafantrag.
2.
Es ist daher zu prüfen, ob eine Wegnahme im Sinne von
Art. 137 StGB
vorliegt, d.h. ob der Gewahrsam des Eigentümers gebrochen wurde.
Bei einem Barkauf (Handkauf), welcher korrekterweise so vor sich geht, dass der Käufer die Ware an sich nimmt (Selbstbedienungsladen, Selbstbedienungstankstelle) oder sich geben lässt und nachher an der Kasse bezahlt, bevor er den Verkaufsraum oder das Verkaufsareal verlässt, geht nach der Rechtsprechung der Gewahrsam an der Kaufsache erst mit der ordnungsgemässen Bezahlung des Kaufpreises vollständig auf den Käufer über. Bis zur Preiszahlung bleibt zumindest Mitgewahrsam des Verkäufers bestehen (vgl. R. LEVI-ANLIKER, Zur Problematik des strafrechtlichen
BGE 110 IV 12 S. 14
Gewahrsamsbegriffs, Diss. Zürich 1977, S. 64 ff.). Die in dieser Phase (vor der Zahlung des Preises) vorhandene "Herrschaftsmöglichkeit" des Kunden erlaubt allenfalls die Verschiebung innerhalb des Verkaufsareals, nicht aber die Wegnahme der Sache aus dem Herrschaftsbereich des Verkäufers. Die gänzliche Aufhebung der Sachherrschaft des Verkaufsgeschäftes, d.h. die Mitnahme der Sache aus dem Verkaufsraum/Verkaufsareal ist rechtlich erst zulässig, wenn der Preis bezahlt ist. Ein Mitnehmen oder Wegführen der Sache ohne Zahlung des Preises (oder Zustimmung des Verkäufers, d.h. Vereinbarung eines Kreditkaufes) stellt einen Bruch des Gewahrsams bzw. Mitgewahrsams des Verkäufers dar (vgl.
BGE 92 IV 90
; R. STEPHANI, Die Wegnahme von Waren in Selbstbedienungsgeschäften durch Kunden, Diss. Bern 1968, S. 9 f.).
Diese herrschende strafrechtliche Betrachtungsweise entspricht dem effektiven Ablauf der Verkaufstätigkeit in solchen Geschäften. Ob die Ware vom Kunden selber vom Regal genommen oder durch Verkaufspersonal abgeschnitten und eingepackt (z.B. Fleisch, Käse) bzw. eingefüllt (Benzin) wird, kann für die Frage des Fortbestandes von Mitgewahrsam des Verkäufers bis zur ordnungsgemässen Bezahlung des Preises nicht massgebend sein. Solange die Ware sich noch im Verkaufsareal befindet und nicht bezahlt ist, hat der Verkäufer subjektiv und objektiv noch eine erhebliche Sachherrschaft, die von demjenigen rechtswidrig gebrochen wird, der die Ware ohne Bezahlung mitnimmt (
BGE 92 IV 90
/91).
Das vorsätzliche Wegfahren mit dem nicht bezahlten Benzin wurde daher im vorliegenden Fall richtigerweise unter
Art. 137 StGB
subsumiert. Eine Bestrafung wegen Unterschlagung kam von vornherein nicht in Frage, weil
Art. 141 StGB
voraussetzt, dass der Täter den Alleingewahrsam hat und dass dieser Gewahrsam ohne den Willen des Täters (durch Naturgewalt, Irrtum, Zufall, Fund) zustande kam. Dies trifft hier nicht zu. Die Beziehung zur in Frage stehenden Ware hat der Beschwerdeführer willentlich herbeigeführt, indem er sich vom Tankwart Benzin einfüllen liess. Diese Übergabe der Ware erfolgte unter der stillschweigenden, aber klaren Bedingung, dass der Preis sofort bezahlt werde und dass ein Wegführen des Benzins ohne Bezahlung nicht gestattet sei. Die Sachherrschaft des Verkäufers über das Benzin war mit dem Einfüllen in den Tank faktisch gelockert, aber nicht aufgehoben. Mitgewahrsam am eingefüllten, aber (noch)
BGE 110 IV 12 S. 15
nicht bezahlten Benzin blieb bestehen, und diesen Mitgewahrsam hat der Beschwerdeführer durch das Wegfahren gebrochen.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.