Urteilskopf
110 IV 4
2. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. Januar 1984 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau c. H. (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
. Verlängerung der Probezeit. Beginn.
In Fällen, in denen der Richter erst nach Ablauf der in einem früheren Urteil bestimmten Probezeit deren Verlängerung anordnen kann, beginnt diese mit der Eröffnung des Verlängerungsbeschlusses und nicht - rückwirkend - am Ende der ersten Probezeit.
Aus den Erwägungen:
2.
Nach Auffassung der Vorinstanz kann der bedingte Vollzug hinsichtlich der Gefängnisstrafe von 7 Monaten gemäss Urteil des Bezirksgerichts Oberegg vom 14. Dezember 1978 infolge des vom Beschwerdegegner am 17./18. Mai 1982 verübten Diebstahls nicht widerrufen werden. Zur Begründung führt sie folgendes aus:
"Hingegen ist die Probezeit für das am 14. Dezember 1978 beurteilte Delikt abgelaufen. Wohl ist sie mit Entscheid vom 9. März 1982 um ein weiteres Jahr verlängert worden. Diese Verlängerung schliesst jedoch an den 14. Dezember 1980 an und nicht an den Zeitpunkt des Widerrufs, also den 9.3.1982. Die Probezeit für die bedingt ausgesprochene Strafe von 7 Monaten abzüglich 8 Tage Untersuchungshaft ging somit am 14. Dezember 1981 zu Ende, weshalb der bedingte Strafvollzug für diese Freiheitsstrafe nicht mehr widerrufen werden kann."
Diese Auffassung widerspricht, wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend geltend macht, der bundesgerichtlichen Rechtsprechung (
BGE 104 IV 147
E. 2,
BGE 79 IV 113
E. 4) und verstösst gegen Bundesrecht. Die Beurteilung der während der Probezeit verübten Delikte kann oft erst in einem Zeitpunkt erfolgen, in dem die im ersten Entscheid angeordnete Probezeit bereits abgelaufen ist. Findet der Richter, dass auf den Widerruf des bedingten Strafvollzugs verzichtet werden sollte, kann er den Verurteilten verwarnen, zusätzliche Massnahmen nach
Art. 41 Ziff. 2 StGB
anordnen oder (siehe dazu
BGE 98 IV 77
/78) die im ersten Urteil bestimmte Probezeit "um höchstens die Hälfte verlängern". Damit soll dem Verurteilten noch einmal eine Bewährungschance gegeben werden. Aus dieser ratio legis ergibt sich, dass die "Verlängerung" der Probezeit nicht beginnen kann, bevor der Täter von der Anordnung der Verlängerung Kenntnis erhält. Der Verlängerungsbeschluss kann mit anderen Worten sowenig zurückwirken wie die Weisungen oder die Schutzaufsicht. Denn der Verurteilte muss wissen, dass und wie lange er unter Probe steht, damit er sich entsprechend verhalten kann (
BGE 104 IV 147
). Wollte man die im angefochtenen Entscheid vertretene Auffassung, für die allein allenfalls der in
Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB
verwendete Begriff "verlängern" sprechen mag, teilen, so hätte dies unter Umständen (und gerade auch im vorliegenden Fall) zur Folge, dass die verlängerte Probezeit im Moment, in dem die
BGE 110 IV 4 S. 6
Verlängerung angeordnet wird und der Verurteilte davon Kenntnis erhält, schon vollständig abgelaufen ist. Das ist offensichtlich sinnlos. In Fällen, in denen der Richter erst nach Ablauf der im ersten Urteil bestimmten Probezeit die vom Täter während dieser Zeit vorgenommenen Handlungen zu beurteilen hat, bedeutet "Verlängern" der Probezeit nichts anderes als die Anordnung einer neuen, weiteren Probezeit.
Die vom Kantonsgericht St. Gallen angesetzte Verlängerung der Probezeit um ein Jahr begann somit nach der zutreffenden Auffassung der Beschwerdeführerin mit der Eröffnung des Verlängerungsbeschlusses, d.h. am 9. März 1982. Der vom Beschwerdegegner am 17./18. Mai 1982 verübte Diebstahl fiel in diese Probezeit. Die Anordnung des Vollzugs der Gefängnisstrafe von 7 Monaten gemäss Urteil des Bezirksgerichts Oberegg vom 14. Dezember 1978 ist demnach entgegen der Auffassung der Vorinstanz grundsätzlich möglich.