BGE 110 IV 42 vom 2. Mai 1984

Datum: 2. Mai 1984

Artikelreferenzen:  Art. 18 VRV, Art. 37 SVG , Art. 37 Abs. 2 SVG, Art. 100 Ziff. 2 SVG, Art. 18 Abs. 1 und Art. 36 Abs. 3 VRV, Art. 36 Abs. 3 VRV

BGE referenzen:  94 IV 131, 102 II 281 , 90 IV 232, 102 II 281, 94 IV 131, 101 IV 152, 103 IV 291, 103 IV 291

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

110 IV 42


15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 2. Mai 1984 i.S. A. und H. gegen Generalprokurator des Kantons Bern (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 37 Abs. 2 SVG , Art. 18 Abs. 1 und 36 Abs. 3 VRV, Art. 100 Ziff. 2 SVG .
1. Pflichtwidriges Anhalten eines Strassendienstwagens auf der Fahrbahn einer Autostrasse (E. 2).
2. Adäquater Kausalzusammenhang zwischen diesem Verhalten und dem Tod eines Mitfahrers (E. 3).
3. Sorgfaltspflicht des Vorgesetzten (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 42

BGE 110 IV 42 S. 42

A.- Am 29. September 1982, um 07.20 Uhr, fuhr eine Arbeitsequipe des bernischen Tiefbauamtes in einem Landrover auf der Autostrasse Biel-Lyss mit dem Auftrag, das Gras der Strassenböschung zu mähen. A. sass am Steuer, der Vorgesetzte H. neben ihm auf dem Beifahrersitz, während drei weitere Angestellte auf dem Rücksitz Platz genommen hatten. Die Autostrasse ist 9 m breit und dreispurig, wobei abwechslungsweise je zwei Spuren während einer bestimmten Strecke dem Verkehr in einer Richtung zur Verfügung stehen. Nachdem H. den Befehl zum Anhalten gegeben hatte, stoppte A. den Landrover auf der rechten der zwei hier dem Verkehr in Richtung Lyss zur Verfügung stehenden Spuren. H. stieg ab und war im Begriff, das Signal "Bauarbeiten" am Strassenrand hinter dem Fahrzeug aufzustellen, als sich ein Kranwagen näherte, dessen Führer das Hindernis im letzten Augenblick durch ein Ausweichen auf die Überholspur gerade noch umfahren konnte. Ein diesem Fahrzeug dicht folgender Car konnte dagegen weder rechtzeitig ausweichen noch anhalten, fuhr frontal gegen den linken Heckteil des Landrovers, den A. kurz zuvor wieder in Bewegung gesetzt hatte, um auf das Gras hinauszufahren, und schob dieses Fahrzeug mit Wucht ca. 42 m weit ins angrenzende
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Feld hinaus. Dabei erlitt M. einen tödlichen Genickbruch, während die zwei anderen Mitfahrer auf dem Rücksitz und A. sowie eine Reiseführerin des Cars leicht verletzt wurden.

B.- Am 15. Juni 1983 verurteilte der Gerichtspräsident II von Nidau A. und H. wegen fahrlässiger Tötung zu bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafen von 20 bzw. 30 Tagen.
Das Obergericht des Kantons Bern sprach die beiden am 18. November 1983 ausser der fahrlässigen Tötung der groben Verletzung von Verkehrsregeln schuldig, bestätigte aber den erstinstanzlichen Entscheid im Strafpunkt.

C.- A. und H. führen in gemeinsamer Eingabe Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, sie seien einzeln von der Anschuldigung der fahrlässigen Tötung und der groben Verletzung von Verkehrsregeln freizusprechen, eventuell sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Die Vorinstanz legt A. zur Last, gegen Art. 37 Abs. 2 SVG , Art. 18 Abs. 1 und Art. 36 Abs. 3 VRV verstossen und damit den Unfall und den Tod des M. verursacht zu haben.
a) Nach Art. 37 Abs. 2 SVG dürfen Fahrzeuge dort nicht angehalten oder aufgestellt werden, wo sie den Verkehr behindern oder gefährden könnten; womöglich sind sie auf Parkplätzen aufzustellen. Art. 18 Abs. 1 VRV präzisiert dies dahin, dass Fahrzeugführer nach Möglichkeit ausserhalb der Strasse zu halten haben. Sodann verpflichtet Art. 36 Abs. 3 VRV , der als Sonderregel für Autobahnen und Autostrassen erlassen wurde, den Fahrzeugführer, nur auf signalisierten Parkplätzen zu halten und für Nothalte Pannenstreifen und Abstellplätze für Pannenfahrzeuge zu benützen. Diese im vorliegenden Fall anwendbare Bestimmung macht klar, dass das Anhalten auf den Fahrbahnen solcher Strassen wegen der dort gefahrenen hohen Geschwindigkeiten äusserst gefährlich ist, weshalb nur auf von der Fahrbahn klar geschiedenen Parkplätzen und nur im Notfall auf den Pannenstreifen und entsprechenden Abstellplätzen gehalten werden darf.
b) Nach dem angefochtenen Urteil weist die Autostrasse Biel-Lyss jedenfalls auf der Unfallstrecke keine solchen von der Fahrbahn getrennten Verkehrsflächen auf, auf welchen der Beschwerdeführer
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den Landrover hätte anhalten können. Dagegen stellt die Vorinstanz für den Kassationshof verbindlich fest, es wäre für den geländegängigen Landrover kein Problem gewesen, auf das Grasband ausserhalb der Fahrbahn hinauszufahren; auch habe H. erklärt, der "normale Fahrer", d.h. der ordentliche Fahrer der Equipe, wäre von sich aus hinausgefahren. Hätte der Landrover aber nach dem Gesagten ohne weiteres ausserhalb der Autostrasse angehalten werden können, hätte A. dies unbedingt tun müssen, zumal er - wie die Vorinstanz erneut verbindlich feststellt - um die Gefährlichkeit der Autostrasse Biel-Lyss wusste. Indem er es unterliess, verstiess er schuldhaft gegen die vorgenannten Verkehrsregeln.
Demgegenüber beruft er sich vergeblich auf BGE 90 IV 232 , um die dort für den Fall höherer Gewalt angedeutete Ausnahme von der Regel für sich in Anspruch zu nehmen; denn von höherer Gewalt kann in casu nicht die Rede sein. Aus BGE 102 II 281 aber kann A. deswegen nichts zu seinen Gunsten ableiten, weil im damals beurteilten Fall der Lastwagen innerorts und zum Auf- und Abladen von Waren angehalten hatte, was hier nicht zutraf. Schliesslich ändert am Gesagten auch nichts, dass Rücklichter und Rundleuchte des Landrovers eingeschaltet waren und das Fahrzeug aus 100 bis 150 m Entfernung gesehen werden konnte. Das entband den Beschwerdeführer nicht der Pflicht, den Wagen dennoch ausserhalb der Fahrbahn anzuhalten. Im übrigen hatte das Bundesgericht in BGE 94 IV 131 , der einen ebenfalls auf der Autostrasse Biel-Lyss erfolgten Unfall betraf, dem damaligen Beschwerdeführer, der eine Panne gehabt hatte, vorgehalten, er hätte diese auf dem 3-4 m breiten Grasstreifen beheben sollen. Was aber für den Fall einer Panne gilt, muss a fortiori für den vorliegenden Fall Geltung haben, wo es dem Beschwerdeführer ohne weiteres möglich gewesen wäre, den fahrtüchtigen Landrover auf das Grasband zu lenken, um ihn daselbst anzuhalten.

3. Wie die Vorinstanz ausdrücklich und für den Kassationshof verbindlich feststellt ( BGE 101 IV 152 E. 2b mit Zitaten), war die schuldhafte Missachtung der vorgenannten Verkehrsregeln durch A. für den Unfall und damit für den Tod des M. "natürlich kausal". Soweit sich der Beschwerdeführer hiergegen wendet, ist er nicht zu hören. Es ist aber auch die rechtserhebliche Ursachenfolge gegeben; nach der allgemeinen Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge war nämlich das Verhalten des Beschwerdeführers geeignet, zu den tatsächlich eingetretenen Folgen
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zu führen ( BGE 103 IV 291 E. 2). Darüber hilft nicht hinweg, dass im Augenblick des Zusammenstosses sich das Fahrzeug wieder in langsamer Bewegung befand. Das schafft die Tatsache nicht aus der Welt, dass es zuvor unzulässigerweise auf der Fahrbahn angehalten worden war und wegen dieses Halts sich im Zeitpunkt des Unfalls noch in der Fahrbahn befand. Übrigens entschloss sich A. nach dem angefochtenen Urteil deswegen, den Wagen langsam in Bewegung zu setzen und auf das Grasband zu fahren, weil er festgestellt hatte, dass der Führer des überholenden Kranwagens das Hindernis offenbar erst im letzten Moment wahrgenommen hatte und deswegen nur knapp an diesem vorbeigekommen war.

4. Dem Strasseninspektor-Stellvertreter und Vorgesetzten der Arbeitsequipe H. wirft die Vorinstanz vor, seine Sorgfaltspflicht in mehrfacher Hinsicht verletzt zu haben. Einmal habe er A. aufgefordert anzuhalten und, als dieser es auf der Fahrbahn tat, ihn nicht angewiesen, aufs Gras hinauszufahren. Zum andern hätte er für die Fahrt an den Arbeitsort einen späteren Zeitpunkt wählen können, als ausgerechnet die Hauptverkehrszeit am Morgen. Und schliesslich hätte er ein Absperren der Fahrbahn, die er für das Aufladen des Grases vorgesehen habe, schon in diesem Zeitpunkt anordnen sollen.
Hiergegen wird in der Beschwerde nichts vorgebracht, was zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils führen müsste. Der Hinweis darauf, dass H. nach dem Aussteigen - eine brennende Stablampe in der Hand und das Gefahrensignal tragend - auf den Landrover aufmerksam machte, entlastet ihn nicht von dem Vorwurf, dass er es überhaupt nicht hätte zulassen dürfen, dass das Fahrzeug auf der Fahrbahn angehalten wurde. Dass er A. gegenüber "keine weiteren Weisungspflichten" gehabt habe, trifft nicht zu. Er war nach dem angefochtenen Urteil der Vorgesetzte der Equipe und als solcher nicht nur für deren Sicherheit, sondern auch dafür verantwortlich, dass sich diese bei Verrichtung ihrer Arbeit an die gesetzlichen Vorschriften und namentlich an die Verkehrsregeln hielt. Zutreffend stellt deshalb die Vorinstanz fest, er hätte A. anweisen müssen, den Landrover aufs Gras hinauszuführen. Dazu war er nicht nur befugt, sondern als Vorgesetzter nach Art. 100 Ziff. 2 SVG auch verpflichtet. Indem er es unterliess, hat er gleich A. und aus den bereits für diesen angeführten Gründen für den Tod des M. einzustehen.

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