BGE 111 III 1 vom 8. Februar 1985

Datum: 8. Februar 1985

Artikelreferenzen:  Art. 170 ZGB, Art. 173 ZGB, Art. 177 ZGB, Art. 256 ZGB, Art. 289 ZGB, Art. 246 ZGB , Art. 173 ff. ZGB, Art. 176 Abs. 2 ZGB, Art. 192 und 246 ZGB, Art. 161 Abs. 2 ZGB, Art. 177 Abs. 1 ZGB, Art. 256 ff. ZGB, Art. 289 Abs. 1 ZGB, Art. 192 ZGB

BGE referenzen:  105 III 97, 108 III 54 , 108 III 54, 108 III 58, 108 III 59, 105 III 97

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

111 III 1


1. Entscheid der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 8. Februar 1985 i.S. R. (Rekurs)

Regeste

Art. 173 ff. ZGB ; Zwangsvollstreckungsverbot unter Ehegatten.
Die Parteientschädigung, die dem Ehemann im Anfechtungsprozess um die Vaterschaft des von der Ehefrau geborenen Kindes zugesprochen worden ist, untersteht dem Verbot der Zwangsvollstreckung.

Sachverhalt ab Seite 1

BGE 111 III 1 S. 1
Die Rekurrentin wurde von ihrem Ehemann für die Parteientschädigung betrieben, welche ihm in einem Anfechtungsprozess um die Vaterschaft des von der Ehefrau geborenen Kindes zugesprochen worden war. Im Zeitpunkt der Zustellung des Zahlungsbefehls lebten die Ehegatten getrennt und war das Scheidungsverfahren hängig.
Gegen die Zustellung des Zahlungsbefehls beschwerte sich die Rekurrentin bei der kantonalen Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs. Sie zog in der Folge deren abweisenden Entscheid an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts weiter, indem sie - wie schon vor der kantonalen Instanz - einen Verstoss gegen das Verbot der Zwangsvollstreckung geltend machte.
Das Bundesgericht hiess den Rekurs gut mit folgenden

Erwägungen

Erwägungen:

1. Es ist unbestritten, dass mit der vom Ehemann gegen die Rekurrentin eingeleiteten Betreibung gegen das grundsätzliche
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Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten, wie es in Art. 173 ZGB verankert ist, verstossen wurde. Daher stellt sich einzig die Frage, ob die Parteientschädigung, die dem Ehemann der Rekurrentin im Anfechtungsprozess um die Vaterschaft des von ihr geborenen Kindes zugesprochen wurde, ein Beitrag im Sinne von Art. 176 Abs. 2 ZGB sei, so dass sich der betreibende Ehemann auf diese Ausnahme vom Verbot der Zwangsvollstreckung berufen könnte.

2. Art. 173 ZGB ist eine Ausnahmebestimmung gegenüber Art. 177 Abs. 1 ZGB , welcher die Ehegatten zum Abschluss von Rechtsgeschäften miteinander befugt. Verboten ist aufgrund von Art. 173 ZGB die Zwangsvollstreckung unter den Ehegatten, was jedoch einen Ehegatten nicht hindert, den anderen gerichtlich für eine Forderung zu belangen (Kommentar LEMP, N. 5 zu Art. 173 ZGB ; STOCKER, in ZSR 1957, N. F. 76 II, S. 363a f.; GROSSEN, in BlSchK 1959, S. 107, 172). Auch ist die Ehefrau grundsätzlich betreibungsfähig, das heisst, sie kann selbständig betreiben oder betrieben werden; Einschränkungen ergeben sich insbesondere nach Massgabe des Güterstandes, den die Ehegatten gewählt haben (RÜTTIMANN, in BlSchK 1974, S. 162 ff.). Das Verbot der Zwangsvollstreckung bezweckt den Schutz der ehelichen Gemeinschaft (Kommentar LEMP, N. 1 zu Art. 173 ZGB ; ISLER, Das Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten nach schweizerischem ZGB, Zürcher Diss. 1950, S. 18; STORRER, Unterhaltsbeiträge in der Zwangsvollstreckung, Zürcher Diss. 1979, S. 11). Hingegen gibt es keine dem Art. 173 ZGB entsprechende Norm, welche die Zwangsvollstreckung von Eltern gegen die Kinder oder umgekehrt verbieten würde (Kommentar LEMP, N. 14 zu Art. 173 ZGB ; BÄTTIG, Die Wirkungen des Zwangsvollstreckungsverbotes unter Ehegatten auf die Forderungsabtretung, Zürcher Diss. 1957, S. 5; vgl. auch HEGNAUER, Grundriss des Kindesrechts, 2. Auflage Zürich 1983, S. 129 f.).
Art. 176 Abs. 2 ZGB hinwiederum statuiert eine Ausnahme gegenüber Art. 173 ZGB . Die Regel, wonach Ausnahmebestimmungen restriktiv auszulegen seien, führt deshalb so wenig weiter wie eine grammatikalische Auslegung des vom Gesetzgeber nicht definierten Ausdrucks "Beiträge" (französisch "subsides", italienisch "sovvenzioni") (GROSSEN, in JT 1955 II, S. 68; GROSSEN, in BlSchK 1959, S. 104, 168). Auch eine teleologische Auslegung, wonach der Zweck von Art. 176 Abs. 2 ZGB darin beruhe, "dass der forderungsberechtigte Ehegatte auf jeden Fall und sofort in
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den tatsächlichen Genuss der Leistung gesetzt werden muss, da er augenblicklich und schlechterdings als auf sie angewiesen erachtet wird" (ISLER, a.a.O., S. 86), vermag nicht zu helfen; denn sie wirft nur auf die Frage zurück, ob der betreibende Ehegatte auf die ihm zugesprochene Leistung unter allen Umständen angewiesen sei. Ein solcher Nachweis ist weder im Gesetz vorgesehen, noch wird er von der Rechtsprechung verlangt ( BGE 108 III 58 ).

3. Seine Rechtsprechung ändernd, hat das Bundesgericht in BGE 108 III 54 entschieden, dass Prozessentschädigungen, die in einem Scheidungs- oder Trennungsprozess oder in einem Verfahren nach Art. 170 ZGB dem obsiegenden Ehegatten zugesprochen werden, ohne dass im gleichen Prozess auch über Unterhaltsbeiträge entschieden worden wäre, als Beiträge im Sinne von Art. 176 Abs. 2 ZGB zu betrachten seien, die vom Richter festgesetzt worden sind. Daher seien sie vom Zwangsvollstreckungsverbot unter Ehegatten ausgenommen, sofern die Gatten das Zusammenleben nach Beendigung des Verfahrens nicht wieder aufnehmen. Dieser Entscheid ist zustimmend zur Kenntnis genommen worden (JdT 1984 II, S. 13 ff.; AMONN, in ZBJV 1984, S. 467).
Die kantonale Aufsichtsbehörde zieht im angefochtenen Entscheid eine Parallele zwischen den von BGE 108 III 54 angesprochenen Eheprozessen und dem Anfechtungsprozess nach Art. 256 ff. ZGB , indem sie sagt, dass auch der Ausgang des letzteren Verfahrens sich mittelbar auf den Umfang der familienrechtlichen Unterhaltspflichten auswirke. Ebenso wie die Eheprozesse sei der Anfechtungsprozess die Folge einer gestörten ehelichen Beziehung. Diese Gemeinsamkeiten rechtfertigen es nach der Meinung der kantonalen Aufsichtsbehörde, Art. 176 Abs. 2 ZGB auch auf die im Anfechtungsprozess zugesprochene Parteientschädigung anzuwenden, somit diese vom Verbot der Zwangsvollstreckung unter Ehegatten auszunehmen.

4. Diese Begründung vermag nicht zu überzeugen. Soweit der Ausgang des Anfechtungsprozesses sich auf die Unterhaltspflicht des Ehemannes auswirkt, handelt es sich nicht um eine Rechtsbeziehung zwischen den Ehegatten, sondern um die Wirkungen des Kindesverhältnisses. Der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge steht ungeachtet dessen, dass er durch Leistungen an den gesetzlichen Vertreter erfüllt wird, dem Kind zu ( Art. 289 Abs. 1 ZGB ). Wie oben (E. 2) erwähnt, verbietet keine gesetzliche Bestimmung die Zwangsvollstreckung zwischen Eltern und Kindern. Deshalb gibt das Argument, dass im Anfechtungsprozess um die Vaterschaft
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mittelbar auch über die Unterhaltspflicht des Ehemannes entschieden werde, nichts für das Problem der Zwangsvollstreckung zwischen Ehegatten her.
Auch der Hinweis darauf, dass der Anfechtungsprozess nicht anders als die Eheprozesse Ausdruck einer gestörten ehelichen Beziehung sei, hilft nicht weiter. Die Zerrüttung der ehelichen Gemeinschaft ist nicht Gegenstand des Anfechtungsprozesses um die Vaterschaft, sondern wird im Scheidungs- oder Trennungsprozess festgestellt. Die Parallele, welche die kantonale Aufsichtsbehörde gezogen hat, trägt deshalb nichts zur Auslegung des von Art. 176 Abs. 2 ZGB verwendeten Ausdrucks "Beiträge" bei.

5. Unter den Beiträgen im Sinne von Art. 176 Abs. 2 ZGB sind der Unterhalt und die Unterstützung zu verstehen, welche die Ehegatten sich nach Massgabe der Art. 160 Abs. 2 bzw. Art. 161 Abs. 2 ZGB schulden. Die Beitragspflicht der Ehefrau ist vom Gesetzgeber in den Art. 192 und 246 ZGB noch konkretisiert worden. Lehre und Rechtsprechung sind sich darüber einig, dass die aufgrund der genannten Bestimmungen geschuldeten Beiträge von einem Ehegatten gegen den anderen auf dem Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden können (Kommentar LEMP, N. 36 zu Art. 160 und N. 35 zu Art. 246 ZGB ; GROSSEN, in JdT 1955 II, S. 70, mit Hinweisen).
Aus der Unterhaltspflicht des Ehemannes leitet sich seine Verpflichtung ab, im Scheidungs- oder Trennungsprozess oder im Verfahren nach Art. 170 ZGB Kostenvorschuss und Prozessentschädigung zu bezahlen, die beide von der Ehefrau durch Betreibung eingefordert werden können ( BGE 108 III 59 ). Weniger weit geht demgegenüber die zum Wohl der ehelichen Gemeinschaft aufgestellte Beitragspflicht der Ehefrau. Insbesondere kann darauf nicht die Verpflichtung der Ehefrau zur Leistung einer Parteientschädigung abgestützt werden, die nicht im Rahmen eines Scheidungs- oder Trennungsprozesses oder von Eheschutzmassnahmen aufgrund von Art. 170 ZGB zugesprochen wurde. Die Leistung einer nicht in den genannten Verfahren der Ehefrau auferlegten Prozessentschädigung lässt sich weder mit der Sorge für die Gemeinschaft ( Art. 161 Abs. 2 ZGB ) noch mit der Lastentragung aus dem Sondergut ( Art. 192 ZGB ) noch mit der Tragung der ehelichen Lasten bei Gütertrennung ( Art. 246 ZGB ) begründen. Daher kann der extensiven Auslegung von Art. 176 Abs. 2 ZGB , wie sie die kantonale Aufsichtsbehörde - über die Rechtsprechung von
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BGE 105 III 97 und BGE 108 III 54 hinausgehend - vorgenommen hat, nicht beigepflichtet werden.
Die Parteientschädigung, die im vorliegenden Fall dem Ehemann der Rekurrentin im Anfechtungsprozess um die Vaterschaft des von ihr geborenen Kindes zugesprochen worden ist, untersteht somit dem Verbot der Zwangsvollstreckung gemäss Art. 173 ZGB .

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