BGE 111 III 66 vom 14. Oktober 1985

Datum: 14. Oktober 1985

Artikelreferenzen:  Art. 4 BV, Art. 174 SchKG, Art. 191 SchKG, Art. 194 SchKG, Art. 208 SchKG , Art. 208 ff. SchKG

BGE referenzen:  118 III 33, 123 III 402 , 96 III 33

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

111 III 66


16. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Oktober 1985 i.S. Einwohnergemeinde Kölliken gegen P. S. und Obergericht des Kantons Aargau (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Insolvenzerklärung ( Art. 191 SchKG ).
Die Annahme, die Gläubiger seien zur Anfechtung der aufgrund einer Insolvenzerklärung erfolgten Konkurseröffnung nicht legitimiert, ist nicht willkürlich.

Sachverhalt ab Seite 66

BGE 111 III 66 S. 66
Mit Entscheid vom 6. März 1985 eröffnete das Bezirksgericht Aarau über P. S. gestützt auf dessen Insolvenzerklärung in Anwendung von Art. 191 SchKG den Konkurs. Gegen diesen Entscheid legte die Einwohnergemeinde Kölliken beim Obergericht des Kantons Aargau Berufung ein. Sie machte im wesentlichen geltend, die
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Insolvenzerklärung sei als rechtsmissbräuchlich zu betrachten. Das Obergericht trat indessen mit Entscheid vom 19. Juni 1985 auf die Berufung nicht ein, mit der Begründung, die Gemeinde Kölliken sei als Gläubigerin zur Ergreifung der Berufung gegen die aufgrund der Insolvenzerklärung des Schuldners erfolgte Konkurseröffnung nicht legitimiert. Gegen diesen Entscheid hat die Einwohnergemeinde Kölliken staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4 BV erhoben. P. S. und das Obergericht beantragen in ihren Vernehmlassungen die Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Das Obergericht hat der Beschwerdeführerin die Legitimation zur Berufung deswegen abgesprochen, weil sie im Konkurseröffnungsverfahren aufgrund einer Insolvenzerklärung des Schuldners nicht Partei sei und weil sie als Drittperson von der Konkurseröffnung nur mittelbar betroffen werde. Diese Begründung ist zumindest nicht willkürlich. Die Konkurseröffnung aufgrund einer Insolvenzerklärung erfolgt in der Tat auf einseitigen Antrag des Schuldners hin. Eine Konkursverhandlung findet nicht statt, wie auch die Beschwerdeführerin einräumt. Die Gläubiger werden somit vom Konkursrichter nicht angehört, und das Konkursdekret wird ihnen auch nicht mitgeteilt. Unter diesen Umständen lässt sich sehr wohl die Auffassung vertreten, sie seien zur Berufung gegen das Konkursdekret nicht legitimiert. Aus Art. 174 SchKG , der nach Art. 194 SchKG auch auf die ohne vorgängige Betreibung erfolgten Konkurseröffnungen anwendbar ist, ergibt sich nichts anderes. Zwar sagt diese Bestimmung nicht ausdrücklich, dass nur die Parteien des erstinstanzlichen Konkurseröffnungsverfahrens als Berufungskläger in Frage kommen. Sie schreibt aber auch das Gegenteil nicht vor. Der Wortlaut von Art. 174 SchKG , wonach gegen den Entscheid über das Konkursbegehren binnen zehn Tagen seit dessen Mitteilung Berufung eingelegt werden kann, spricht eher gegen die Ausweitung der Berufungslegitimation auf weitere Beteiligte, da diesen der Entscheid über das Konkursbegehren nicht mitgeteilt wird und deshalb nicht feststünde, wann für sie die Berufungsfrist zu laufen beginnen würde. Es kann auch nicht gesagt werden, Art. 174 SchKG habe im Verfahren nach Art. 191 SchKG gar keinen Sinn, wenn er nicht
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im Sinne der Beschwerdeführerin ausgelegt würde. Immerhin räumt er dem Schuldner das Recht ein, gegen die Abweisung seines Konkursbegehrens Berufung zu erheben. Aber auch gegen die Gutheissung des Konkursbegehrens ist eine Berufung ausnahmsweise denkbar, dann nämlich, wenn der Schuldner geltend machen will, die Insolvenzerklärung habe nicht seinem Willen entsprochen (JAEGER, N. 3 zu Art. 191 SchKG ; FRITZSCHE, Schuldbetreibung und Konkurs, 2. Aufl., Bd. II, S. 33). Zuzugestehen ist der Beschwerdeführerin, dass die Auffassung des Obergerichts zur Folge haben kann, dass ein Konkurs aufgrund einer offenbar rechtsmissbräuchlichen Insolvenzerklärung eröffnet wird, da der Konkursrichter ohne Mitwirkung der Gläubiger kaum in der Lage ist, einen Rechtsmissbrauch zu erkennen. Diese Überlegung spricht jedoch nicht zwingend dafür, die Legitimation zur Berufung auf die Gläubiger auszudehnen. Hätte der Gesetzgeber nämlich Wert darauf gelegt, dass allfälligen Einwendungen der Gläubiger gegen die Insolvenzerklärung Rechnung getragen wird, so hätte er zweifellos schon das erstinstanzliche Verfahren anders organisiert. Nachdem er das nicht getan hat, darf ohne jede Willkür angenommen werden, solche Einwendungen seien auch im Berufungsverfahren nicht zu berücksichtigen.
Die Annahme des Obergerichts, die Legitimation zur Berufung sei der Beschwerdeführerin auch deswegen zu versagen, weil sie durch den aufgrund der Insolvenzerklärung über den Beschwerdegegner eröffneten Konkurs nur mittelbar betroffen werde, ist ebenfalls haltbar. Wohl hat der Konkurs mannigfache Auswirkungen auf die Rechte der Gläubiger (vgl. Art. 208 ff. SchKG ). Dabei handelt es sich jedoch bloss um eine Reflexwirkung der Konkurseröffnung. Die Voraussetzungen, unter denen nach den Ausführungen von GULDENER (Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., S. 492) ausnahmsweise am Verfahren nicht beteiligte Dritte zur Ergreifung eines Rechtsmittels legitimiert sind, sind daher für die Gläubiger im Verfahren nach Art. 191 SchKG nicht erfüllt, sowenig wie für die Gläubiger im ordentlichen Konkurseröffnungsverfahren, die nicht selber das Konkursbegehren gestellt haben. Auch diese können gegen die ohne ihre Beteiligung erwirkte Konkurseröffnung kein Rechtsmittel erheben, obwohl sich der Konkurs mittelbar auch auf ihre Rechte auswirkt.
Im übrigen steht der angefochtene Entscheid sowohl mit der kantonalen Rechtsprechung als auch mit der Lehre in Einklang (JdT 1962 II S. 126/127; ZBJV 86/1950 S. 535; JAEGER, N. 3 zu
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Art. 191 SchKG ; JAEGER/DAENIKER, N. 3 zu Art. 191 SchKG ; BLUMENSTEIN, Handbuch des schweizerischen Schuldbetreibungsrechtes, S. 605/606; FRITZSCHE, a.a.O., S. 33; W. BAUMANN, Die Konkurseröffnung nach dem Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Diss. Zürich 1979, S. 141/142; B. ZAHNER, Die Berufung gegen Erkenntnisse über Konkursbegehren, Diss. Zürich 1959, S. 56; R. GENTINETTA, Die Konkurseröffnung ohne vorgängige Betreibung, Diss. Freiburg 1928, S. 81). Die Beschwerdeführerin weist freilich darauf hin, das Bundesgericht habe in BGE 32 I 31 im gegenteiligen Sinn entschieden. Das Bundesgericht hatte indessen in diesem Entscheid nur zu prüfen, ob es willkürlich sei, den Gläubigern im Verfahren nach Art. 191 SchKG das Rechtsmittel der Revision zuzugestehen. Wenn es in diesem Zusammenhang ausführte, es dürfe ohne Willkür angenommen werden, dass auch die Gläubiger die aufgrund einer Insolvenzerklärung erfolgte Konkurseröffnung mit Berufung anfechten könnten, so kann daraus nicht abgeleitet werden, dass umgekehrt die Versagung der Berufung willkürlich wäre. Abgesehen davon lagen damals insofern besondere Verhältnisse vor, als der Schuldner die Insolvenzerklärung nicht an seinem Wohnsitz abgegeben hatte und der Konkurs deshalb nicht am richtigen Ort eröffnet worden war. Die Regeln über den Ort der Konkurseröffnung sind aber auch im Interesse der Gläubiger aufgestellt und daher zwingender Natur. Im ordentlichen Konkursverfahren gilt deshalb eine von einem unzuständigen Betreibungsamt ausgestellte Konkursandrohung als nichtig ( BGE 96 III 33 /34 E. 2). Da im Verfahren nach Art. 191 SchKG naturgemäss keine vorgängige Betreibung stattfindet und keine Konkursandrohung erlassen wird, mag es gerechtfertigt sein, den Gläubigern zu gestatten, ihr Interesse an der Durchführung des Konkurses am richtigen Ort auf dem Weg der Berufung zur Geltung zu bringen (in diesem Sinne JAEGER, N. 3 zu Art. 191 SchKG ; W. BAUMANN, a.a.O., S. 142 Anm. 1). Darum geht es hier jedoch nicht. Auf jeden Fall kann unter diesen Umständen nicht gesagt werden, das Obergericht habe gegen einen klaren und unumstrittenen Rechtsgrundsatz verstossen, wenn es der Beschwerdeführerin die Legitimation zur Berufung absprach. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.

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