Urteilskopf
111 IV 51
15. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 17. April 1985 i.S. B. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
1.
Art. 144, 25 StGB
; Hehlerei und Gehilfenschaft zur Vortat.
Zwischen Gehilfenschaft zu Vermögensdelikten und Hehlerei am Beutegut besteht Realkonkurrenz (E. 1).
2.
Art. 129 StGB
; Gefährdung des Lebens.
Wer in einem Handgemenge (allenfalls behindert durch Tränengas) versucht, eine Waffe durch Ladebewegung schiessfertig zu machen, schafft eine nahe Todesgefahr für in unmittelbarer Nähe weilende Menschen; ein Gelingen der Ladebewegung bzw. der Schussabgabe ist nicht notwendig (E. 2).
A.-
Am 29. Oktober 1984 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich B. wegen Gehilfenschaft zu Raub, wiederholten Diebstahls, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruchs, Hehlerei, Betrugs, versuchter Gefährdung des Lebens, Gewalt und Drohung gegen Beamte, Entwendung zum Gebrauch und verbotenen Waffentragens zu 4 1/2 Jahren Zuchthaus, abzüglich 418 Tagen Untersuchungs- und Sicherheitshaft, sowie zu Fr. 2000.-- Busse und 15 Jahren Landesverweisung (unbedingt). Den Schuldsprüchen wegen Gehilfenschaft zu Raub, Hehlerei und Gefährdung des Lebens lagen folgende Sachverhalte zugrunde:
- Im Bewusstsein darum, dass zwei ihm bekannte Männer, einen Raubüberfall auf eine Migros-Filiale in Baden begehen wollten, führte B. diese am 21. April 1982 mit dem Personenwagen seiner Freundin zum Standort des von ihm zuvor entwendeten und den Delinquenten überlassenen Tatfahrzeugs. Nach verübter Tat (Beute Fr. 34'793.--) holte er die beiden Täter am verabredeten Ort ab und brachte sie nach Wettingen. Am 23. April 1982 erhielt er von ihnen seinen Beuteanteil von Fr. 2112.35 ausgehändigt.
- Am 6. März 1984 wurde der zur Verhaftung ausgeschriebene B. von zwei Polizeibeamten im Restaurant Bonnie Prince Pub in Zürich kontrolliert. Es gelang ihm jedoch, seine Pistole aus dem
BGE 111 IV 51 S. 53
Schulterhalfter zu nehmen. In der Folge versuchte er - um die Polizeibeamten von einer Verhaftung abzuhalten -, einen Schuss in die Decke eines Restaurantteils abzufeuern, in dem sich keine Gäste aufhielten. Infolge eines Defekts konnte er dieses Vorhaben nicht ausführen. Während des darauf einsetzenden Handgemenges mit den Polizeibeamten machte er eine Ladebewegung. Da sich die Patrone zwischen Stossboden und Lauf verklemmte, war eine Schussabgabe jedoch erneut nicht möglich. Weitere Versuche, seine Waffe einzusetzen, konnte die Polizei verhindern.
B.-
Das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich ficht B. mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Er beantragt u.a., der vorinstanzliche Entscheid sei hinsichtlich der Schuldsprüche wegen Hehlerei und versuchter Gefährdung des Lebens aufzuheben.
Aus den Erwägungen:
1.
a) Der Beschwerdeführer kritisiert die gleichzeitige Verurteilung wegen Gehilfenschaft zu Raub und Hehlerei am Beutegut. Er macht geltend, der Gehilfe sei als Teilnehmer an der Vortat gleich zu behandeln wie der Täter und Mittäter; auf eine Bestrafung wegen Hehlerei an der durch die Vortat erlangten Beute müsse auch deshalb verzichtet werden, weil der Gehilfe - bei einem Verzicht auf eine Strafmilderung gemäss
Art. 25 StGB
- sonst strenger bestraft würde als der Haupttäter.
b) Das Bundesgericht hat in
BGE 70 IV 70
entschieden, dass der Anstifter zur Veruntreuung, der später die Beute erwirbt, zusätzlich auch wegen Hehlerei zu bestrafen ist, weil er mehr tat als das, was durch die Bestimmung über Anstiftung erfasst wird. Selbst dort wo diese Rechtsprechung in der Doktrin kritisiert worden ist, blieb ihre analoge Anwendung auf die Konkurrenzfrage zwischen Gehilfenschaft bei der Vortat und Hehlerei an der Beute unbestritten (STRATENWERTH, BT I, 4. Auflage, N. 28, S. 293; TRECHSEL, ZStR 91/1975 S. 404/405: Dieser Autor nimmt echte Konkurrenz zwischen Gehilfenschaft bei Vermögensdelikten und Hehlerei nur in den Fällen an, wo die Vortat mit schwererer Strafe bedroht ist als die Hehlerei; vgl. auch LOGOZ, Partie spéciale I, N. 4 zu
Art. 144 StGB
).
Im Unterschied zu Täter und Mittäter besitzt der Gehilfe keine Herrschaft über den Tatablauf; sein Beitrag besteht in der blossen Förderung der Tat anderer. Dem Gehilfen bei Vermögensdelikten kommt - anders als etwa dem mittelbaren Täter, der eine Sache
BGE 111 IV 51 S. 54
über einen Tatmittler erlangt - insbesondere keine entscheidende Verfügungsgewalt über das erbeutete Vermögensgut zu. Durch seine Verurteilung wegen Gehilfenschaft zu Vermögensdelikten wird deshalb eine allfällige spätere Hehlerei an der Beute nicht mitabgegolten. Soweit der Beschwerdeführer seine gegenteilige Ansicht mit dem Hinweis auf die Gefahr begründet, der Gehilfe werde strenger bestraft als der Vortäter, übersieht er, dass dies zwar allein mit Blick auf
Art. 68 Ziff. 1 StGB
theoretisch möglich erscheint, zufolge der Regelung in
Art. 63 StGB
aber in der Praxis ausgeschlossen werden kann; der Richter wird im Rahmen der Strafzumessung dem unterschiedlichen Verschulden Rechnung zu tragen haben. Die Vorinstanz hat demnach kein Bundesrecht verletzt, wenn sie zwischen Gehilfenschaft zu Raub und Hehlerei am erbeuteten Geld Realkonkurrenz annahm.
2.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von
Art. 129 StGB
und macht geltend, auf diese Bestimmung seien die
Art. 21 ff. StGB
nicht anwendbar. Die Vorinstanz gliederte das Tatgeschehen in zwei Phasen. Während sie im Ziehen der Pistole und im Zielen/Abdrücken in Richtung der Decke eines - zu diesem Zeitpunkt nicht besetzten - Restaurantteils noch keine Verletzung von
Art. 129 StGB
erblickte, sprach sie den Beschwerdeführer wegen des daraufhin an den Tag gelegten Verhaltens der versuchten Gefährdung des Lebens schuldig. Nach den für den Kassationshof verbindlichen tatsächlichen Feststellungen des Obergerichts war die Waffe - auch wenn sich ein erster Schuss aus nicht völlig geklärten Gründen nicht löste - an sich schiesstauglich. Um die Pistole nach dem ersten ergebnislosen Versuch zur Schussabgabe doch noch schiessfertig zu machen, führte der Beschwerdeführer eine Ladebewegung aus, wobei sich jedoch die "unbrauchbare" Patrone in der Auswurföffnung verklemmte. Bevor er die Ladehemmung beseitigen konnte, gelang es den Polizeibeamten, ihn zu überwältigen. Der Versuch, die Waffe wieder einsatzfähig zu machen, geschah, als der Beschwerdeführer in ein Handgemenge mit den Polizeibeamten verwickelt und zufolge des von diesen eingesetzten Tränengases sehbehindert war. Wäre die Ladebewegung trotz des Kampfes und Gerangels mit den Polizisten gelungen, hätte eine nahe Wahrscheinlichkeit bestanden, dass ein ungezielter Schuss gefallen und eine der im Restaurant anwesenden Personen direkt oder durch einen Querschläger getroffen worden wäre. Die Vorinstanz erachtete aufgrund dieser Beweiswürdigung alle subjektiven Tatbestandsmerkmale als gegeben,
BGE 111 IV 51 S. 55
verneinte aber das objektive Tatbestandselement der unmittelbaren Lebensgefährdung. Weil die verklemmte Patrone eine Schussabgabe verhindert hatte, sprach sie den Beschwerdeführer nur wegen versuchter Gefährdung des Lebens schuldig.
Diese Ansicht geht fehl. Der Tatsache, dass die Ladebewegung trotz der Bemühungen des Beschwerdeführers und vor allem wegen des Eingreifens der Polizei nicht gelang, kommt keine entscheidende Bedeutung zu. Der objektive Tatbestand von
Art. 129 StGB
war bereits vorher erfüllt. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist unmittelbare Lebensgefahr anzunehmen, wenn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Verletzung des Lebens besteht. Diese liegt nicht erst dann vor, wenn die Wahrscheinlichkeit des Todes grösser ist als die Wahrscheinlichkeit seiner Vermeidung, sondern schon dann, wenn überhaupt die nahe Möglichkeit des Todes gegeben ist (
BGE 106 IV 14
E. 2a,
BGE 101 IV 159
E. 2a,
BGE 94 IV 62
E. 2; NOLL, ZStR 1954 S. 22/23).
Wer unter den obgenannten Umständen (Handgemenge, Beeinträchtigung durch Tränengas) mittels einer blossen Ladebewegung seine Waffe schiessfähig zu machen versucht, schafft die hohe Gefahr, dass sich während des Hantierens mit der Pistole ein ungezielter Schuss löst. Wenn dies in unmittelbarer Nähe von Menschen (Polizisten, Gästen, Servierpersonal) geschieht, besteht eine nahe Möglichkeit des Todes. Ob die Ladebewegung schliesslich gelang bzw. ein Schuss abgegeben wurde, ist in diesem Zusammenhang unwesentlich. Das Obergericht hätte den Beschwerdeführer deshalb nicht bloss wegen versuchter, sondern wegen vollendeter Gefährdung des Lebens verurteilen sollen. Eine Aufhebung des angefochtenen Entscheides und die Rückweisung zur Schuldigsprechung im erwähnten Sinne sowie zur Anpassung des Strafmasses muss jedoch wegen des Verbots der reformatio in peius unterbleiben (
Art. 277bis Abs. 1 BStP
). Die Beschwerde ist deshalb in diesem Punkt abzuweisen.