Urteilskopf
111 IV 63
18. Urteil des Kassationshofes vom 17. April 1985 i.S. P. X. und H. X. gegen röm.-kath. Kirchgemeinde Spiez (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 179ter Abs. 1 und 28 Abs. 1 StGB.
Die Kirchgemeinde ist nicht berechtigt, Strafantrag zu stellen, wenn anlässlich ihrer Gemeindeversammlung ein Teilnehmer die Äusserungen der Votanten ohne deren Einwilligung auf Tonband aufnimmt; sie ist nicht Gesprächsteilnehmerin im Sinne der erstgenannten Bestimmung.
A.-
Am 23. April 1982 fand im Zentrum Bruder Klaus in Spiez eine ordentliche Versammlung der römisch-katholischen Kirchgemeinde Spiez statt. Sie war vom Kirchgemeinderat gemäss Art. 9 des Reglementes für die genannte Gemeinde im Amtsanzeiger und Amtsblatt bekanntgemacht worden. Den ebenfalls publizierten Traktanden konnte entnommen werden, dass eine Orientierung über Probleme in der Pfarrei stattfinden sollte, wobei es um Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Pfarrer und einigen Pfarreimitgliedern ging. Bei der Eröffnung durch den Vorsitzenden wurde festgestellt, dass an der Versammlung 74 Stimmberechtigte und vier Nichtstimmberechtigte anwesend waren. Bei den letzteren handelte es sich um Dekan A., den Vorgesetzten des Pfarrers, B., Mitglied der Gemeinde, aber noch nicht 20jährig, Frau C., ebenfalls Mitglied der Gemeinde, aber noch nicht drei Monate in ihr wohnhaft, und D., vermutlich protestantischer Ehegatte eines Mitgliedes. B. hatte zudem den Auftrag, in der "BZ" objektiv Bericht zu erstatten. Während der Versammlung wurden vom Präsidenten des Kirchgemeinderates, E., sowie von Pius und Helena X. Tonbandaufnahmen gemacht. E. sass am gleichen Tisch wie der Versammlungsleiter, Pius X. und seine Tochter Helena hingegen hinten im Saal. E. hatte sein Gerät auf dem Tisch aufgestellt, während Vater und Tochter X. es auf den Knien hielten. Kurz vor der Pause
BGE 111 IV 63 S. 64
stellte eine Teilnehmerin Töne fest. Sie meldete sich zu Wort und warf die Frage auf, ob jemand ein Tonband laufen lasse. Auf die Erkundigung des Versammlungsleiters hin meldete sich nur E., der in der Folge sein Gerät auf entsprechende Intervention abstellte und die Aufnahmen später löschte. Pius und Helena X. meldeten sich nicht, ebensowenig ihre um den gleichen Tisch sitzenden Verwandten und Bekannten. Erst einen Tag nach der Versammlung wurde der Versammlungsleiter von Drittpersonen darauf aufmerksam gemacht, dass Herr und Frau X. während der ganzen Versammlung versteckt Aufnahmen gemacht hätten. Er bat darauf Pius X. telefonisch, die Aufnahmen in Anwesenheit des Präsidenten und der Sekretärin der Kirchgemeindeversammlung zu löschen und ein entsprechendes "Vernichtungsprotokoll" zu unterschreiben, was X. ablehnte mit der Begründung, die Aufnahmen seien nicht widerrechtlich erfolgt. Auch während des anschliessenden Strafverfahrens weigerte er sich, die Aufnahmen zu löschen, übergab aber dem Gericht die bespielten Kassetten. Die Tonbandaufnahmen waren bis zur Pause von Helena X. und danach von ihrem Vater gemacht worden.
Nachdem der Präsident der Kirchgemeindeversammlung sich "um die rechtliche Abklärung der Zulässigkeit" der Tonbandaufnahmen an die Gemeindedirektion des Kantons Bern gewandt hatte und von dieser auf die Möglichkeit der Stellung eines Strafantrags beim Untersuchungsrichteramt Niedersimmental hingewiesen worden war, stellte die römisch- katholische Kirchgemeinde Spiez mit Eingabe vom 20. Juli 1982 beim genannten Richteramt gegen Pius X. wegen der versteckten Tonbandaufnahmen Strafantrag. Am 24. Februar 1983 dehnte der a.o. Gerichtspräsident von Niedersimmental das Strafverfahren auf Helena X. aus.
B.-
Am 17. Mai 1984 sprach der Gerichtspräsident von Niedersimmental Pius und Helena X. des unbefugten Aufnehmens von Gesprächen (
Art. 179ter StGB
) schuldig und verfällte sie in Bussen von Fr. 300.-- bzw. Fr. 150.--. Zudem verfügte er die Einziehung der sechs dem Gericht zur Verfügung gestellten Kassetten.
Das Obergericht des Kantons Bern bestätigte am 6. November 1984 den erstinstanzlichen Entscheid im Schuld- und Strafpunkt unter Ergänzung des letzteren durch Anordnung der bedingten Löschbarkeit der Bussen im Strafregister.
C.-
Pius und Helena X. führen in einer gemeinsamen Eingabe Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben, die Sache zur Freisprechung der Beschwerdeführer
BGE 111 IV 63 S. 65
an die Vorinstanz zurückzuweisen und die Privatklägerin in die Gerichts- und Parteikosten "zu verurteilen, bestimmt nach gerichtlichem Ermessen".
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Das Obergericht vertritt die Auffassung,
Art. 179ter StGB
wolle dem Unbehagen entgegenwirken, der Möglichkeit einer heimlichen Fixierung von Äusserungen durch Gesprächspartner ausgesetzt zu sein; sobald nämlich ein Gesprächsteilnehmer damit rechnen müsse, dass die Gegenseite seine Äusserungen genau registriere und nicht wieder vergesse, würden die zwischenmenschlichen Beziehungen und die Persönlichkeitsentfaltung ernsthaft gestört. Zudem wolle das Gesetz der Möglichkeit allenfalls irreführender Weiterverbreitung den Riegel schieben. Ein so umschriebener Rechtsgüterschutz müsse auch einer öffentlichrechtlichen Institution zukommen. Das Gegenteil würde zu materiell unbefriedigenden Ergebnissen führen, wie gerade der vorliegende Fall zeige. Im übrigen stehe
Art. 179 StGB
, der unbestrittenermassen für den privaten wie den amtlichen Briefverkehr gelte, unter dem gleichen Marginale wie Art. 179ter. Das Obergericht kam damit zum Schluss, es stehe der römisch-katholischen Kirchgemeinde als einer juristischen Person des öffentlichen Rechts das Antragsrecht zu.
Demgegenüber wird mit der Beschwerde geltend gemacht, zur Antragstellung sei nur der durch das tatbestandsmässige, rechtswidrige und schuldhafte Verhalten Verletzte legitimiert. Dieser müsse zugleich Träger des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes sein. Geschütztes Rechtsgut nach
Art. 179ter StGB
sei nicht jeder Geheimbereich, sondern nur der persönliche, private. Die Kirchgemeinde sei weder eine natürliche noch eine juristische Person des Privatrechts, sondern eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Gemeinde verkörpere natürlicherweise das Öffentliche und habe in der Gemeindeversammlung offen das auszutragen und zu entscheiden, was in ihrem Aufgabenbereich gegenüber ihren Mitgliedern liege. Ein privates Eigenleben könne ihr nicht zukommen. Dem entspreche auch die Praxis des Bundesgerichts (
BGE 108 IV 21
und 163;
BGE 69 IV 81
). Im vorliegenden Fall sei es nicht um persönliche, die einzelnen Mitglieder als solche betreffende Angelegenheiten, sondern einzig um die Diskussion der Amtsführung durch den Pfarrer gegangen, woran ein öffentliches Interesse der Kirchgemeinde bestanden habe. Ein aus öffentlicher Verpflichtung geführtes
BGE 111 IV 63 S. 66
Gespräch könne keinen Behördenschutz auslösen. Die Kirchgemeinde sei deshalb zum Strafantrag nicht legitimiert gewesen.
2.
Nach
Art. 179ter Abs. 1 und 3 StGB
wird auf Antrag bestraft, wer als Gesprächsteilnehmer ein nichtöffentliches Gespräch, ohne die Einwilligung der anderen daran Beteiligten, auf einen Tonträger aufnimmt. Wie der Titel des gesetzlichen Erlasses, durch den die Bestimmungen der Art. 179bis-179septies ins Strafgesetzbuch eingefügt wurden, deutlich macht (Bundesgesetz vom 20. Dezember 1968 betreffend Verstärkung des strafrechtlichen Schutzes des persönlichen Geheimbereichs) und wie auch aus den Materialien erhellt, ist das durch jene Bestimmungen geschützte Rechtsgut die persönliche Geheimsphäre als ein dem Einzelnen zur Entwicklung seiner Persönlichkeit gewährleisteter freier Raum vor der Gemeinschaft und dem Staat sowie vor den anderen Einzelnen (Botschaft des Bundesrates, BBl 1968 I S. 585, 588, 589, 593 usw.; vgl. auch
BGE 108 IV 163
). Es soll sich der Einzelne in einem durch persönliche Beziehungen abgegrenzten Personenkreis mündlich frei äussern können, ohne Gefahr zu laufen, dass das von ihm geführte Gespräch ohne seinen Willen von einem anderen auf einem Tonträger festgehalten und damit die Unbefangenheit der nichtöffentlichen Äusserung durch die "Perpetuierung des flüchtig gesprochenen Wortes" (Juristenzeitung, 35/1980, S. 9) beeinträchtigt wird. Da es sich um ein Individualrecht handelt, das dem Menschen um seiner Persönlichkeit willen zusteht und auf dessen Schutz er in gewissen Fällen auch verzichten kann (Botschaft S. 585, 593), kommt als Berechtigter in erster Linie die natürliche Person in Betracht. Es kann aber ein Gespräch, auch wenn nur natürliche Personen hierzu fähig sind (s. SCHULTZ, Der strafrechtliche Schutz der Geheimsphäre, SJZ 67/1971, S. 304), von diesen als Organ einer juristischen Person geführt werden mit der Folge, dass diesfalls der Geheimbereich der juristischen Person berührt sein kann. Ob hierbei nur juristische Personen des privaten oder auch des öffentlichen Rechts den Schutz der Geheimsphäre im Sinne der
Art. 179bis ff. StGB
beanspruchen können, kann dahingestellt bleiben; denn selbst bei Bejahung der Frage müsste im vorliegenden Fall der römisch-katholischen Kirchgemeinde Spiez, in deren Namen der Strafantrag gestellt wurde, die Antragsberechtigung abgesprochen werden.
Am Rande sei zur Klarstellung angemerkt, dass - unabhängig von der Frage der Strafbarkeit gemäss
Art. 179ter StGB
- Tonbandaufnahmen (wie Photographieren oder Filmen) an Sitzungen
BGE 111 IV 63 S. 67
oder Versammlungen zur Vermeidung von Störungen und zur Verhütung von Verfälschungen durch besondere Vorschrift oder durch Anordnung des Leiters untersagt werden können.
3.
Antragsberechtigt ist nach
Art. 28 Abs. 1 StGB
nur der durch die Tat Verletzte. Ob einer natürlichen oder juristischen Person in concreto das Recht zusteht, Antrag zu stellen, beurteilt sich deshalb, was das Obergericht ausser acht gelassen hat, nicht allein danach, ob sie einen schutzwürdigen Geheimbereich besitzt, sondern und vor allem danach, ob und inwieweit dieser nach der einschlägigen Bestimmung strafrechtlich geschützt werden sollte. Nach
Art. 179ter Abs. 1 StGB
ist einzig die Geheimsphäre des Gesprächsteilnehmers geschützt. Es fällt deshalb als Verletzter nur in Betracht, wer sich an einem nichtöffentlichen Gespräch beteiligt hat, das von einem anderen Gesprächsteilnehmer ohne seine Einwilligung auf einen Tonträger aufgenommen wurde.
Im vorliegenden Fall hatte die römisch-katholische Kirchgemeinde Spiez nicht durch eines ihrer Organe an einem Gespräch mit den Beschwerdeführern teilgenommen. Vielmehr fanden die Verhandlungen innerhalb der Kirchgemeinde, und zwar im Rahmen der Kirchgemeindeversammlung als eines der ordentlichen Organe dieser Gemeinde statt (Art. 14 des bernischen Gesetzes über die Organisation des Kirchenwesens, systematische Gesetzessammlung (BSG) 410.11; Art. 18 der Verordnung vom 2. April 1946 über die kirchlichen Stimmregister und das Verfahren bei kirchlichen Wahlen und Abstimmungen, BSG 410.131). Die an der Versammlung - an der auch die Beschwerdeführer als stimmberechtigte Kirchgemeindegenossen teilnahmen - gefallenen mündlichen Äusserungen dienten der Willensbildung dieses Organs. Soweit dessen Verhandlungen überhaupt als Gespräch im Sinne des
Art. 179ter StGB
gelten können, war dieses somit nicht zwischen der Kirchgemeinde und den Beschwerdeführern geführt worden, standen sich doch die Parteien nicht als verschiedene Gesprächsteilnehmer gegenüber. Die von X. und seiner Tochter aufgenommenen Voten anderer Kirchgemeindegenossen waren vielmehr mündliche Äusserungen nur dieser einzelnen Versammlungsteilnehmer und nicht der Kirchgemeinde als solcher. Jene allein hätten daher im Verhältnis zu den Beschwerdeführern als durch die Tonbandaufnahme allenfalls Verletzte in Betracht fallen können, sofern - wie bereits bemerkt - die Verhandlungen als Gespräch und überdies als nichtöffentliches Gespräch gelten könnten, was offenbleiben kann; denn so oder anders hält das
BGE 111 IV 63 S. 68
angefochtene Urteil schon deswegen nicht, weil der ausschliesslich im Namen der römisch-katholischen Kirchgemeinde Spiez gestellte Strafantrag nicht rechtsgültig ist.