BGE 111 V 209 vom 20. August 1985

Datum: 20. August 1985

Artikelreferenzen:  Art. 8 HVI , Art. 21 Abs. 1 IVG, Art. 14 IVV, Art. 2 ff. HVI

BGE referenzen:  105 V 63, 107 V 93, 107 V 89, 114 V 90 , 107 V 89, 105 V 63, 110 V 269, 105 V 258, 107 V 93, 107 V 93

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

111 V 209


41. Urteil vom 20. August 1985 i.S. Zimmermann gegen Ausgleichskasse des Kantons Schaffhausen und Obergericht des Kantons Schaffhausen

Regeste

Art. 21 Abs. 1 IVG , Ziff. 13.05* und 13.06* HVI Anhang.
- Es ist nicht gesetzwidrig, dass die Hilfsmittelliste (in der ab 1. Januar 1983 geltenden Fassung) die Gewährung von Beiträgen an Hebebühnen, Treppenlifts, Rampen und das Verbreitern der Eingangstüre vom Erfordernis einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit abhängig macht, darauf jedoch bei Treppenfahrstühlen verzichtet (Erw. 1).
- Hat der Versicherte Anrecht auf Beiträge an einen Treppenlift auf der Grundlage einer Beitragsgewährung an einen Treppenfahrstuhl, wenn er die Anspruchsvoraussetzungen nur für das letztere Hilfsmittel erfüllt? Voraussetzungen einer solchen Leistungszusprechung (Präzisierung der Rechtsprechung). In casu Voraussetzungen für Beiträge auf der Grundlage der Kosten für einen Treppenfahrstuhl bejaht (Erw. 2).

Sachverhalt ab Seite 210

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A.- Die 1975 geborene, bei ihren Eltern wohnhafte Marion Zimmermann leidet seit Geburt u.a. an schweren zerebralen Lähmungen. Die Invalidenversicherung erbrachte deswegen seit 1975 verschiedene Leistungen, so u.a. Beiträge an die Sonderschulung, in deren Rahmen Marion Zimmermann eine heilpädagogische Schule besucht.
Am 14. Juli 1983 teilte ihr Vater der Invalidenversicherungs-Kommission mit, er beabsichtige, im Haus seiner Schwiegereltern einen Treppenlift einzubauen, dessen Kosten sich auf rund Fr. 30'000.-- belaufen würden; zur Begründung führte er u.a. an, er könne es nicht länger verantworten, dass seine Frau die gehunfähige Marion "täglich im Hause und zum Schulbus tragen" müsse; die Kommission werde deshalb um Prüfung ersucht, inwieweit die Invalidenversicherung einen Beitrag an die Baukosten leisten könne. Dieses Begehren lehnte die Ausgleichskasse des Kantons Schaffhausen gestützt auf einen Beschluss der Invalidenversicherungs-Kommission vom 29. September 1983 ab, weil nach Ziff. 13.05* HVI Anhang Beiträge an Treppenlifts nur zugesprochen werden könnten, sofern damit die Überwindung des Arbeitsweges zur Ausübung einer existenzsichernden Tätigkeit ermöglicht werde; dies treffe jedoch bei der minderjährigen nichterwerbstätigen Versicherten nicht zu (Verfügung vom 27. Oktober 1983).

B.- Das Obergericht des Kantons Schaffhausen wies die hiegegen erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 30. Dezember 1983 ab.

C.- Marion Zimmermann lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es sei die Invalidenversicherung, unter Aufhebung des vorinstanzlichen Entscheides, zu verpflichten, "einen
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Kostenbeitrag an den Einbau eines Treppenliftes im Sinne von 13.05* HVI Anhang zuzusprechen"; eventualiter wird beantragt, es sei die Invalidenversicherung zu verpflichten, "einen Kostenbeitrag an den Einbau eines Treppenliftes in Höhe der Anschaffungskosten eines Treppenfahrstuhles zuzusprechen".
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung in dem Sinne, dass der Versicherten an die Anschaffung des Treppenliftes ein Kostenbeitrag von Fr. 6000.-- zuzusprechen sei.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. a) Gestützt auf Art. 21 Abs. 1 IVG , Art. 14 IVV und nach Massgabe der Art. 2 ff. HVI gewährte Ziff. 13.05* HVI Anhang in der bis Ende 1982 gültig gewesenen Fassung "Beiträge an Hebebühnen, Treppenlifts, Treppenfahrstühle, Rampen und das Verbreitern der Eingangstüre, sofern damit die Überwindung des Arbeitsweges zur Ausübung einer existenzsichernden Tätigkeit ermöglicht wird".
Demgegenüber ist die Hilfsmittelliste, soweit vorliegend von Bedeutung, aufgrund der Verordnungsänderung vom 21. September 1982 (in Kraft seit 1. Januar 1983) folgendermassen ausgestaltet worden:
"13.05* Beiträge an Hebebühnen, Treppenlifts, ..., Rampen und das Verbreitern der Eingangstüre, sofern damit die Überwindung des Arbeitsweges zur Ausübung einer existenzsichernden Tätigkeit ermöglicht wird.
13.06* Treppenfahrstühle, sofern damit die Überwindung des Weges zur Arbeits-, Schulungs- oder Ausbildungsstätte ermöglicht wird."
Kraft dieser Verordnungsänderung ist es seit dem 1. Januar 1983 möglich, Beiträge an Treppenfahrstühle auch Versicherten zu gewähren, die keine existenzsichernde Tätigkeit im Sinne der Rechtsprechung ( BGE 105 V 63 ; vgl. auch BGE 110 V 269 Erw. 1c) ausüben, wie dies etwa bei Schülern oder Lehrlingen regelmässig zutrifft. Dagegen ist der Anspruch auf Gewährung von Beiträgen an einen Treppenlift nach wie vor vom Erfordernis einer existenzsichernden (Erwerbs-)Tätigkeit abhängig.
b) Soweit die Beschwerdeführerin wie bereits im vorinstanzlichen Verfahren rügt, die Verordnungsbestimmungen der Ziff. 13.05* und 13.06* HVI Anhang seien gesetzwidrig, kann ihr angesichts der dem Bundesrat bzw. dem Eidgenössischen Departement des Innern ( Art. 14 IVV ) zustehenden weitgehenden Freiheit in der
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Ausgestaltung der Hilfsmittelliste (vgl. BGE 105 V 258 Erw. 2) nicht beigepflichtet werden. Unter diesem Gesichtspunkt ist es nicht zu beanstanden, wenn das Departement die Gewährung von Beiträgen an Hebebühnen, Treppenlifts, Rampen und das Verbreitern der Eingangstüre vom Erfordernis einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit abhängig macht, darauf jedoch in bezug auf Treppenfahrstühle mit der erwähnten Verordnungsänderung verzichtet hat, um damit die Eingliederung jugendlicher, in Ausbildung befindlicher Versicherter zu erleichtern (vgl. ZAK 1982 S. 429 f.).

2. a) Das kantonale Gericht erwog, einer Beitragsgewährung stehe entgegen, dass die Beschwerdeführerin den eingebauten Treppenlift nicht primär zur Überwindung des Schulweges brauche, sondern in erster Linie für eine bessere Mobilität innerhalb des Hauses. Das Eidg. Versicherungsgericht hat jedoch, wie das BSV richtig bemerkt, im Urteil Blaser vom 3. Februar 1982 festgehalten, es liege in der Natur der Sache, dass ein Treppenlift (neben seiner Eignung zur Überwindung des Arbeitsweges) praktisch stets auch der Beweglichkeit des Invaliden innerhalb der Wohnung zugute komme und dennoch in die Hilfsmittelliste aufgenommen worden sei; nach geltendem Recht könne deshalb der Anspruch auf einen Kostenbeitrag nicht mit dem Hinweis darauf verneint werden, der Treppenlift diene vorwiegend der besseren Beweglichkeit im Hause; entscheidend sei vielmehr, ob ein Skalator in Anbetracht der jeweiligen konkreten baulichen Verhältnisse (nebst seiner hausinternen Verwendungsweise) auch tatsächlich der Überwindung des Arbeitsweges dient (ZAK 1982 S. 230 oben). An diesen Erwägungen ist festzuhalten. Vorliegend steht aufgrund der Akten fest, dass der Treppenlift zum Besuch der heilpädagogischen Schule Verwendung findet, indem die Beschwerdeführerin aus der elterlichen Wohnung zum Schulbus gebracht werden muss.
Nach dem Gesagten könnte die Beschwerdeführerin zur Überwindung des Schulweges gestützt auf Ziff. 13.06* HVI Anhang Beiträge an einen Treppenfahrstuhl beanspruchen, auf dessen Anschaffung indessen verzichtet wurde.
Anderseits hat sie nach Ziff. 13.05* HVI Anhang kein Anrecht auf Beiträge an den Treppenlift, weil sie diesen nicht für die Bewältigung des Arbeitsweges zur Ausübung einer existenzsichernden Erwerbstätigkeit braucht.
Zu prüfende Rechtsfrage ist somit, ob der Beschwerdeführerin an den von ihrem Vater eingebauten Treppenlift Leistungen auf
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der Grundlage einer Beitragsgewährung für den Treppenfahrstuhl zustehen, wie in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde eventualiter unter Berufung auf das Urteil Elsener vom 27. März 1981 ( BGE 107 V 89 ) beantragt wird. Das BSV schliesst sich diesem Antrag unter Hinweis auf seine seit anfangs 1984 geübte Verwaltungspraxis an. Danach bewillige es die Zusprechung eines Kostenbeitrages in der Höhe der Kosten eines Treppenfahrstuhles, wenn der Versicherte es vorgezogen habe, einen Treppenlift einzubauen; denn in diesen Fällen sei die von der Rechtsprechung ( BGE 107 V 89 ) verlangte Voraussetzung erfüllt, dass das vom Versicherten effektiv angeschaffte, ihm Rechtens zustehende Hilfsmittel dem gleichen Zweck diene wie jenes Hilfsmittel, das er an sich beanspruchen könnte. Sowohl Treppenfahrstuhl als auch Treppenlift würden für ein und denselben Zweck eingesetzt, nämlich zur Überwindung von Treppenstufen bei der Zurücklegung des Weges zur Arbeits-, Schulungs- oder Ausbildungsstätte. Das BSV sei deshalb gestützt auf Art. 8 HVI dazu übergegangen, in solchen Fällen die Beitragsleistung an den Treppenlift in der Höhe der durchschnittlichen Kosten eines Treppenfahrstuhles auf Fr. 6000.-- anzusetzen, um eine rechtsgleiche Behandlung der Versicherten zu gewährleisten.
b) In den Urteilen Gschwend vom 24. Juli 1979 (ZAK 1979 S. 564) und Furginé vom 29. November 1979 hat das Eidg. Versicherungsgericht festgehalten, dass der Versicherte, der auf eigene Kosten einen strassenverkehrstauglichen Elektrofahrstuhl (Ziff. 10.03* HVI Anhang) gekauft hatte, Anspruch auf einen für den Strassenverkehr nicht zugelassenen Elektrofahrstuhl (Ziff. 9.02 HVI Anhang) hat, weshalb Amortisationsbeiträge auf der Basis des Anschaffungspreises eines derartigen Hilfsmittels zu gewähren sind. Diesen Rechtsgedanken, welcher in der Lehre als Austauschbefugnis des Versicherten bezeichnet worden ist (MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 87 ff.), hat das Eidg. Versicherungsgericht in dem von den Verfahrensbeteiligten mehrfach erwähnten Urteil Elsener vom 27. März 1981 ( BGE 107 V 89 ) folgendermassen umschrieben: Umfasst das selber angeschaffte Hilfsmittel auch die Funktion eines dem Versicherten an sich zustehenden Hilfsmittels, so steht einer Gewährung von Amortisationsbeiträgen nichts entgegen; diese sind alsdann auf der Basis der Anschaffungskosten des Hilfsmittels zu berechnen, auf das der Versicherte an sich Anspruch hat ( BGE 107 V 93 ). Diesen Grundsatz hat das Gericht
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in den unveröffentlichten Urteilen Gilomen vom 5. April 1982 und Krüttli vom 21. April 1982 bestätigt, und zwar im Verhältnis des Treppenfahrstuhles bzw. -lifts nach Ziff. 13.05* HVI Anhang (in der bis Ende 1982 gültig gewesenen Fassung) zum normalen Personenlift, welcher nicht auf der Hilfsmittelliste figuriert (vgl. MEYER-BLASER, a.a.O., S. 92 f.).
c) An dieser Rechtsprechung ist grundsätzlich festzuhalten; doch ist sie in folgendem Sinne zu präzisieren: Massgeblich für die Bejahung der Austauschbefugnis im Sinne von BGE 107 V 89 ist, dass das vom Versicherten angeschaffte Hilfsmittel nicht nur unter den Voraussetzungen der unmittelbaren Gegenwart, sondern auch unter den Voraussetzungen, mit denen auf weitere Sicht gerechnet werden muss, die Funktion des dem Versicherten Rechtens zustehenden Hilfsmittels erfüllt.
Unter diesem Gesichtspunkt ist die Gewährung von Leistungen an einen Treppenlift auf der Grundlage der Beitragszahlung an einen Treppenfahrstuhl grundsätzlich möglich. Doch muss nach dem Gesagten die Gewähr bestehen, dass der Versicherte den Treppenlift auf weitere Sicht tatsächlich zur Überwindung des Weges zur Arbeits-, Schulungs- oder Ausbildungsstätte im Sinne von Ziff. 13.06* HVI Anhang benutzt. Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall erfüllt. Denn in Anbetracht des Alters der Beschwerdeführerin (im Zeitpunkt der angefochtenen Verfügung erst 8 1/2 Jahre), ihrer Betreuungsbedürftigkeit, der Wohnverhältnisse und der Schulsituation darf davon ausgegangen werden, dass der eingebaute Treppenlift während längerer Zeit zur Überwindung des Weges zur Sonderschule und später zu einer anderen Ausbildungsstätte eingesetzt wird. Damit ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erstellt, dass der eingebaute Treppenlift auf weitere Sicht die Funktion eines Treppenfahrstuhles übernimmt. Folglich ist das oben umschriebene Erfordernis für einen Beitrag an den Treppenlift auf der Grundlage einer Beitragsleistung an den Treppenfahrstuhl erfüllt.

3. Was die Höhe des Beitrages anbelangt, sieht das BSV für solche Fälle praxisgemäss eine Leistung von Fr. 6000.-- vor, was nach seinen Abklärungen dem durchschnittlichen Anschaffungspreis eines Treppenfahrstuhles entspricht. Diese Verwaltungspraxis hält sich im Rahmen von Art. 8 HVI und ist nicht zu beanstanden. Der Beschwerdeführerin steht deshalb ein Beitrag in der Höhe von Fr. 6000.-- zu.
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Dispositiv

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 30. Dezember 1983 und die Verfügung der Ausgleichskasse des Kantons Schaffhausen vom 27. Oktober 1983 aufgehoben, und es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin gegen die Invalidenversicherung Anspruch auf einen Beitrag von Fr. 6000.-- an die Kosten des Einbaues eines Treppenliftes hat.

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