Urteilskopf
111 V 324
61. Auszug aus dem Urteil vom 15. November 1985 i.S. Schrotberger gegen Schweizerische Krankenkasse Helvetia und Versicherungsgericht des Kantons Zürich
Regeste
Art. 21 Abs. 6 KUVG
, Art. 1 Vo VI: Zulassung zur Kassenpraxis. Die Einschränkung der Zulassung zur Kassenpraxis auf medizinische Hilfspersonen, die selbständig und auf eigene Rechnung tätig sind, ist gesetzeskonform.
Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a und b KUVG: Leistungen bei Hauspflege. Keine Austauschbefugnis zwischen Pflichtleistungen und billigeren Nichtpflichtleistungen.
A.-
Die 1909 geborene Elsa Schrotberger war vom 29. Dezember 1982 bis 1. Februar 1983 im Spital A hospitalisiert. In der Folge wurde sie zu Hause gepflegt. Am 5. Mai 1983 musste sie ins Spital B eingewiesen werden, wo sie am 8. Mai 1983 verstarb. Am 3. August 1983 reichte Max Schrotberger, Ehemann der Versicherten, der Krankenkasse Helvetia verschiedene Rechnungen im Gesamtbetrage von Fr. 6078.55 ein. Die Kasse bezahlte die Rechnung des Spitals B von Fr. 1749.15 sowie eine Rechnung von Fr. 90.-- für den Krankentransport und nach Abzug einer Franchise von Fr. 50.-- einen Betrag von Fr. 396.75 an die Rechnung des Hausarztes Dr. P. von Fr. 446.75. An die Rechnungen der Gemeindekrankenpflege von total Fr. 2952.65 leistete die Kasse Fr. 1509.75. Dagegen lehnte sie jeglichen Beitrag an die Kosten von Fr. 840.-- für die Miete des für die Hauskrankenpflege benötigten Spitalbetts ab. Das Total der von der Kasse zugesprochenen Vergütungen belief sich auf Fr. 3745.65. Am 14. Oktober 1983 erliess die Kasse eine entsprechende Verfügung.
B.-
Hiegegen erhob Max Schrotberger Beschwerde und beantragte, die Kasse sei zu verpflichten, ihm den Betrag von Fr. 2332.90 (Fr. 6078.55 abzüglich Fr. 3745.65) zu vergüten. Zur Begründung machte er geltend, der Chefarzt im Spital A habe es ihm freigestellt, die bettlägerige und todkranke Ehefrau weiterhin im Spital zu belassen oder sie nach Hause zu nehmen, wo sie durch den Hausarzt und die Gemeindekrankenschwester betreut werden könnte. Im Einvernehmen mit seiner Ehefrau habe er sich für die Heimpflege entschieden, und zwar weil die Betreuung zu Hause bis zu ihrem bereits voraussehbaren Ableben erträglicher gewesen sei und zudem die Krankenkasse weniger belastet würde. Der Verzicht auf eine Spitalbehandlung in der Zeit vom 1. Februar bis 5. Mai 1983 habe der Kasse Spitalkosten von mindestens Fr. 15'000.-- bis Fr. 20'000.-- erspart. Mit Entscheid vom 20. März 1984 wies das Versicherungsgericht des Kantons Zürich die Beschwerde ab.
BGE 111 V 324 S. 326
C.-
Max Schrotberger führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und verlangt die Übernahme der Kosten für die Gemeindekrankenschwester im Betrage von Fr. 1442.90 und für die Spitalbettmiete von Fr. 840.--. Die Krankenkasse beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung enthält sich eines Antrags.
Aus den Erwägungen:
2.
a) Die Gemeindekrankenschwester war im vorliegenden Fall nicht selbständig und auf eigene Rechnung tätig und mithin nicht medizinische Hilfskraft im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. b KUVG und Art. 1 Vo VI (SR 832.156.1). Sie war auch nicht ärztliche Angestellte, deren Tätigkeit praxisgemäss der ärztlichen Behandlung gemäss Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. a KUVG zuzurechnen wäre (
BGE 110 V 191
,
BGE 107 V 48
Erw. 2,
BGE 100 V 4
Erw. 2). Ihre Tätigkeit stellt deshalb keine Leistung dar, welche die Kasse aufgrund des Krankenversicherungsgesetzes oder seiner Nebenerlasse zu übernehmen hätte.
Die Berufung der Kasse auf diese rechtliche Ordnung ist entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers keineswegs rechtsmissbräuchlich. Die Einschränkung der Zulassung auf medizinische Hilfspersonen, die selbständig und auf eigene Rechnung tätig sind (Art. 1 Vo VI), ist geltendes Recht und gesetzeskonform, so dass die Kasse - statutarische Sonderregelungen vorbehalten - zur Verweigerung von Leistungen für die streitige Hauspflege und -behandlung berechtigt und verpflichtet war. Dass der Kasse dank der Hauspflege hohe Spitalkostenvergütungen erspart blieben, begründet keinen Anspruch des Beschwerdeführers auf eine von der gesetzlichen Ordnung abweichende Behandlung. Es gibt keine Austauschbefugnis zwischen Pflichtleistungen und Nichtpflichtleistungen in der sozialen Krankenversicherung (MEYER-BLASER, Zum Verhältnismässigkeitsgrundsatz im staatlichen Leistungsrecht, Diss. Bern 1985, S. 95). Wählt ein Versicherter aus welchen Gründen auch immer eine nicht zu den gesetzlichen Pflichtleistungen gehörende Pflege und Behandlung, so hat er keinen Anspruch auf Anrechnung der dadurch eingesparten Pflichtleistungskosten.
Auch aus
Art. 23 KUVG
ergibt sich nichts anderes. Mit dieser Bestimmung soll verhindert werden, dass die Krankenkassen zu den Pflichtleistungen zählende Verrichtungen entschädigen müssen, die unwirtschaftlich sind. Sie verleiht keine Ansprüche auf
BGE 111 V 324 S. 327
Versicherungsleistungen und bedeutet insbesondere nicht, dass die Krankenkassen Nichtpflichtleistungen zu übernehmen hätten, wenn diese billiger sind als die an deren Stelle in Frage kommenden Pflichtleistungen. Dergleichen lässt sich auch nicht aus der Pflicht der Krankenkassen zu sparsamer Haushaltführung ableiten.
Wohl befriedigt es in manchen Fällen nicht ganz, dass Krankenschwestern und Krankenpfleger, die im Dienste einer Gemeinde oder gemeinnützigen Institution die Hauspflege und -behandlung ausüben, zur Tätigkeit für die Krankenkassen nicht zugelassen sind und daher keine Pflichtleistungen zu begründen vermögen. Das gleiche gilt für die Tatsache, dass nach dem gesetzgeberischen Willen - in Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 lit. b KUVG und in der bundesrätlichen Botschaft vom 5. Juni 1961 zur Revision des KUVG (BBl 1961 I 1425f.) werden nur die Heilanwendungen erwähnt - für die spitalexterne Krankenpflege überhaupt keine Leistungen vorgesehen sind. Für eine richterliche Normenkorrektur im Sinne der Füllung einer unechten Gesetzeslücke bleibt jedoch kein Raum, da eine solche praxisgemäss nur in Frage käme, wenn der Gesetzgeber sich offenkundig über gewisse Tatsachen geirrt hat oder wo sich die Verhältnisse seit Erlass des Gesetzes in einem solchen Masse gewandelt haben, dass die Vorschrift unter gewissen Gesichtspunkten nicht bzw. nicht mehr befriedigt und ihre Anwendung rechtsmissbräuchlich wird (
BGE 108 V 72
Erw. 2c,
BGE 106 V 70
,
BGE 105 V 213
Erw. 2c; MAURER, Schweizerisches Sozialversicherungsrecht, Bd. I, S. 230 mit Hinweisen). Der Hauspflege mag heute als Instrument zur Verminderung der Kosten im Gesundheitswesen besondere Aktualität zukommen. Von einem wesentlichen Wandel der Verhältnisse kann indessen nicht gesprochen werden. Eine allfällige Änderung der geltenden Ordnung wird mithin Sache des Gesetzgebers sein. In den bisherigen Bestrebungen zur Revision des Krankenversicherungsgesetzes sind die Hauspflege und die Stellung der im Dienste einer Gemeinde oder gemeinnützigen Institution stehenden Krankenschwestern und Krankenpfleger denn auch eingehend behandelt worden (siehe Bericht der Eidgenössischen Expertenkommission für die Neuordnung der Krankenversicherung vom 11. Februar 1972, S. 124-127; Bericht der Expertenkommission für die Teilrevision der Krankenversicherung vom 5. Juli 1977, S. 85-89, 151 und 162; Botschaft über die Teilrevision der Krankenversicherung vom 19. August 1981, BBl 1981 II 1143ff. und 1162 ff.).
BGE 111 V 324 S. 328
Aus dem Gesagten folgt, dass nach dem KUVG kein Anspruch auf Kassenleistungen für die streitige Hauspflege besteht. Zu prüfen ist noch, ob und gegebenenfalls in welchem Masse die Statuten einen Anspruch einräumen.
b) In der Grundversicherung (Abteilung A) sehen die Statuten der Krankenkasse Helvetia keine Leistungen vor für die Hauspflege, die durch Krankenpflegepersonal von Gemeinden oder gemeinnützigen Institutionen gewährt wird. Dagegen werden unter näher umschriebenen Voraussetzungen für die durch den Beizug einer Hauskrankenpflegerin entstandenen Kosten aus der Versicherungsabteilung H das halbe Spitalgeld und aus den Abteilungen HB und HU die halbe Tagespauschale vergütet, zusammen jedoch maximal Fr. 45.-- im Tag bzw. je 6 Stunden Pflege (Art. 11 Abs. 1 des Reglements für die Spitalzusatzversicherungen).
Die Kasse hat hier die maximal möglichen Leistungen ausgerichtet, nämlich Fr. 1350.--. Der Beschwerdeführer macht zu Recht nicht geltend, dass ihm die Statuten und Reglemente einen höheren Anspruch einräumten. Zu weiteren Leistungen kann die Kasse nicht verpflichtet werden. Aufgrund der mit
Art. 1 Abs. 2 KUVG
gewährleisteten Autonomie können die Krankenkassen grundsätzlich frei darüber bestimmen, wie hoch die Leistungen aus den von ihnen betriebenen Zusatzversicherungen sein sollen. Auch hier kann von Rechtsmissbrauch oder von der Verletzung des Grundsatzes der Gegenseitigkeit nicht die Rede sein, wenn die Kasse keine höhere Tagespauschale als Fr. 45.-- ausrichtete.
Nicht zu beanstanden ist schliesslich, dass die Kasse gestützt auf allgemeine Empfehlungen des Kantonalverbandes Bernischer Krankenkassen vom 14. Oktober 1982 für einzelne medizinische Verrichtungen der Krankenschwester Entschädigungen von insgesamt Fr. 159.75 zusprach. Auch hiebei besteht kein Anspruch auf höhere Leistungen.
3.
Die Kasse ist von Gesetzes wegen nicht verpflichtet, für die Kosten der Spitalbett-Miete aufzukommen, da diese Leistung in
Art. 12 Abs. 2 Ziff. 1 KUVG
nicht vorgesehen ist. Die Statuten schliessen einen Anspruch ausdrücklich aus (Art. 69 Ziff. 1 lit. a), womit sich die Kasse im Rahmen der ihr zustehenden Gestaltungsrechte gemäss
Art. 1 Abs. 2 KUVG
hält.