Urteilskopf
112 Ib 55
9. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Januar 1986 i.S. S. gegen Bundesamt für Polizeiwesen (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste
Auslieferung wegen Subventionsbetruges.
Art. 5 EAÜ
und
Art. 3 Abs. 3 IRSG
.
1. Subventionsbetrug fällt nicht unter die Tatbestände gemäss
Art. 3 Abs. 3 IRSG
, die von der Rechtshilfe grundsätzlich ausgenommen sind (E. 5d/aa).
2. Der Tatbestand des Subventionsbetruges wird durch denjenigen der Steuerhinterziehung nicht konsumiert (E. 5d/bb).
3. Beidseitige Strafbarkeit beim Subventionsbetrug (E. 5d/cc).
Aus den Erwägungen:
5.
d) Der Beschwerdeführer macht geltend, beim Vorwurf des Subventionsbetruges handle es sich um denjenigen eines Fiskaldeliktes, für welches die Auslieferung nicht zulässig sei.
aa) Nach
Art. 5 EAÜ
wird in Abgabe-, Steuer-, Zoll- und Devisenstrafsachen "die Auslieferung unter den Bedingungen dieses Übereinkommens nur gewährt, wenn dies zwischen Vertragsparteien für einzelne oder Gruppen von strafbaren Handlungen dieser Art vereinbart worden ist". Zwischen der Schweiz und der BRD bestehen keine solchen Vereinbarungen. Geht man vom Wortlaut der angeführten Bestimmung aus, so hält es allein schon deshalb schwer, den Subventionsbetrug in eine der hier genannten Gruppen einzugliedern. Bereits dieses Argument spricht dafür, dass diese Betrugsart auslieferungsrechtlich nicht privilegiert werden sollte.
Für die Auslegung des Begriffs der Fiskaldelikte ist im übrigen das Recht des ersuchten Staates massgebend. Der hier in Betracht fallende
Art. 3 Abs. 3 IRSG
bestimmt, dass einem Ersuchen dann nicht entsprochen wird, wenn Gegenstand des Verfahrens eine Tat ist, die auf eine Verkürzung fiskalischer Abgaben gerichtet erscheint oder Vorschriften über währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahmen verletzt.
Auch hier ist wiederum festzustellen, dass der Subventionsbetrug unter keine der nach dieser Bestimmung von der Rechtshilfe ausgenommenen Gruppen fällt. Eine "Verkürzung fiskalischer Abgaben" liegt dann vor, wenn der Private dem Staat nicht das leistet, was er ihm aufgrund der massgebenden Abgabegesetze schuldet (vgl. dazu HANS SCHULTZ, Das schweizerische Auslieferungsrecht, Basel 1953, S. 464 f.). Beim Subventionsbetrug dagegen veranlasst der Private den Staat zu einer Leistung, die ohne täuschende Machenschaften nicht erhältlich wäre. Hierin liegt ein so wesentlicher Unterschied, dass nicht angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe dies übersehen und den Subventionsbetrug gewissermassen stillschweigend zu den Abgabedelikten gerechnet. Zusätzlich ist auf die Botschaft des Bundesrates zum IRSG zu verweisen, die nicht den geringsten Hinweis darauf enthält, dass auch dieses Delikt ausgeschlossen werden sollte (BBl 1976 II 454 f.). Ein Versehen oder eine Gesetzeslücke kann ausgeschlossen werden.
Es könnte sich allerdings fragen, ob nicht ein Fiskaldelikt im weiteren Sinn vorliege, nämlich ein Verstoss gegen eine währungs-, handels- oder wirtschaftspolitische Massnahme. In der Botschaft zum IRSG
BGE 112 Ib 55 S. 57
werden als Beispiele für wirtschaftspolitische Massnahmen, deren Verletzung Auslieferung und Rechtshilfe ausschliesst, etwa die Beschränkungen des freien Zahlungsverkehrs und protektionistische Ein-, Aus- und Durchfuhrverbote angeführt. Der Bundesrat fügte bei, der Umschreibung des Gesetzes möge eine gewisse Unbestimmtheit anhaften, doch sei es angesichts der Vielgestaltigkeit der Verhältnisse am Platze, der Rechtsprechung einen gewissen Spielraum zu lassen. Sodann wird beispielsweise bemerkt, Beschränkungen der wirtschaftlichen Betätigung des einzelnen, die zum Schutz von Treu und Glauben im Verkehr aufgestellt worden seien, sollten von der Rechtshilfe (gemeint: im weiteren Sinn) nicht ausgeschlossen sein, obschon ihnen vielleicht eine Art wirtschaftspolitischer Charakter nicht abgesprochen werden könne. Ihrer Zielsetzung nach würde der Ausschluss dieser Strafsachen geradezu dem Sinn und Zweck der Rechtshilfe als einem Mittel zur Bekämpfung der Kriminalität zuwiderlaufen (BBl 1976 II 455).
bb) Der Beschwerdeführer wendet weiter ein, der Tatbestand des Subventionsbetruges sei im Sinne einer unechten Gesetzeskonkurrenz in demjenigen der Steuerhinterziehung inbegriffen, für welche die Auslieferung nicht bewilligt und keine Rechtshilfe gewährt werden dürfe. Nach den Regeln über die unechte Gesetzeskonkurrenz müsse daher die Auslieferung auch hinsichtlich des Subventionsbetruges unterbleiben.
Besteht zwischen Auslieferungsdelikten und fiskalischen Tatbeständen Konnexität, so ist nicht ausschlaggebend, auf welcher Gruppe das Schwergewicht liegt; die Auslieferung für die gemeinrechtlichen Tatbestände ist zu bewilligen unter der Bedingung, dass der Verfolgte für die Fiskaldelikte nicht bestraft werden darf und dass diese auch nicht als Strafschärfungsgrund berücksichtigt werden dürfen. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall der unechten Gesetzeskonkurrenz, d.h. dann, wenn der Tatbestand eines Nichtauslieferungsdeliktes denjenigen des Auslieferungsdeliktes nach allen Seiten umfasst, so dass das Auslieferungsdelikt im Nichtauslieferungsdelikt aufgeht (
BGE 110 Ib 188
E. 3c mit Hinweisen). Der Beschwerdeführer geht indessen nicht von dieser speziell für das Auslieferungsrecht gefassten Begriffsbestimmung der unechten Gesetzeskonkurrenz aus, sondern ist - mit Hinweis auf strafrechtliche Literatur und Rechtsprechung - der Meinung, eine solche liege dann vor, wenn "der Tatbestand nicht mit allen einzelnen Merkmalen, wohl aber wertmässig, dem Verschulden und Unrecht nach, in anderen enthalten ist, so dass die eine Bestimmung die andere konsumiert".
BGE 112 Ib 55 S. 58
Bereits die Differenz auf der begrifflichen Ebene lässt vermuten, dass der Einwand des Beschwerdeführers unbegründet ist. Konkret macht er geltend, der Subventionsbetrug sei wertmässig im Delikt der Steuerhinterziehung, für das er in Deutschland ebenfalls verfolgt werde, enthalten, so dass die Steuerhinterziehung den Subventionsbetrug konsumiere. Steuerhinterziehung begeht, wer durch unwahre Angaben oder Verletzung von Verfahrensvorschriften dem Staat Steuern vorenthält (vgl. dazu z.B. Art. 129 des BRB über die Erhebung einer direkten Bundessteuer vom 9. Dezember 1940; ERNST HÖHN, Steuerrecht, 4. Auflage, Bern/Stuttgart 1981, S. 419; WERNER DE CAPITANI, Internationale Rechtshilfe - eine Standortbestimmung, ZSR NF Bd. 100, II, S. 365 ff., 398). Demgegenüber führt der Private beim Subventionsbetrug den Staat unter Verwendung von Täuschungsmitteln, in der Regel von falschen Urkunden, hinters Licht in der Absicht, ihn zu einer Leistung zu veranlassen, die sonst nicht erhältlich wäre. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass der Subventionsbetrug im Tatbestand der Steuerhinterziehung nicht aufgeht. Insbesondere qualifiziert sich jener gegenüber diesem dadurch, dass nicht nur falsche Angaben gemacht werden, sondern spezifische täuschende Machenschaften erfolgen. Auch dieser Einwand des Beschwerdeführers erweist sich somit als unbegründet.
cc) Subventionsbetrug ist in der Bundesrepublik Deutschland strafbar. Er stellt einen Sonderfall des allgemeinen Betrugstatbestandes dar und enthält dieselbe Strafdrohung (§§ 326 und 264 dtStGB). Es bleibt zu prüfen, ob der dem Beschwerdeführer zur Last gelegte Subventionsbetrug zum Nachteil des Landes Berlin auch in der Schweiz strafbar wäre. Trifft dies nicht zu, so fehlt es an der für eine Auslieferung erforderlichen beidseitigen Strafbarkeit im Sinne von
Art. 2 Ziff. 1 EAÜ
(
BGE 108 Ib 298
E. 7a mit Hinweisen; H. SCHULTZ, a.a.O., S. 324).
Nach schweizerischem Recht fällt Subventionsbetrug zum Nachteil der Eidgenossenschaft unter Art. 14 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das Verwaltungsstrafrecht (VStrR); die Strafdrohung ist leichter als diejenige für Betrug nach
Art. 148 StGB
, geht aber immer noch bis zur Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis verbunden mit Busse. Allerdings wird dem Beschwerdeführer in Deutschland nicht Subventionsbetrug zulasten des Bundes, sondern zum Nachteil eines Landes vorgeworfen. Aufgrund eines neueren Urteils des Bundesgerichts steht fest - nachdem in dieser Hinsicht einige Unklarheit herrschte (vgl.
BGE 110 IV 24
ff.;
108 IV 180
ff.; DETLEF KRAUSS, Die strafrechtliche Problematik der Erschleichung kantonaler Subventionen, in Festschrift für Frank Vischer zum 60. Geburtstag, Zürich 1983, S. 47 ff.) -,
BGE 112 Ib 55 S. 59
dass Subventionsbetrug zum Nachteil eines Kantons jedenfalls dann gemäss
Art. 148 StGB
strafbar ist, wenn die Elemente dieses Straftatbestandes vorliegen (
BGE 112 IV 20
ff.). Der Beschwerdeführer macht nicht geltend, bestimmte Tatbestandselemente des gemeinrechtlichen Betrugs seien nicht gegeben. In bezug auf den Vorwurf des Subventionsbetruges ist deshalb auch die Voraussetzung der beidseitigen Strafbarkeit erfüllt.
Die vom Beschwerdeführer erhobenen Einwendungen gegen seine Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland zur Verfolgung wegen Subventionsbetrugs erweisen sich somit alle als unbegründet.