BGE 112 IB 94 vom 22. Januar 1986

Datum: 22. Januar 1986

Artikelreferenzen:  Art. 1 RPG, Art. 3 RPG, Art. 22 RPG, Art. 24 RPG, Art. 34 RPG , Art. 24 Abs. 2 RPG, Art. 24 Abs. 1 oder Abs. 2 RPG, Art. 104 OG, Art. 34 Abs. 1 RPG, Art. 1-3 RPG

BGE referenzen:  124 II 538 , 108 IB 54, 108 IB 361, 107 IB 240, 105 IB 108, 107 IB 234, 107 IB 241, 107 IB 242, 107 IB 234, 107 IB 241, 107 IB 242

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

112 Ib 94


15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Januar 1986 i.S. Regierung des Kantons Graubünden gegen X., Gemeinde Malix und Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Raumplanung; Ausnahmebewilligung.
1. Art. 34 RPG , Art. 24 Abs. 2 RPG : selbständiges kantonales Recht. Nach Art. 34 RPG ist auch die Verletzung kantonalen Rechts aus dem Anwendungsbereich von Art. 24 RPG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu rügen (E. 2).
2. Art. 24 Abs. 2 RPG ; Bundesrecht, kantonales Recht. In dem eine Ausnahmebewilligung gemäss Art. 24 Abs. 2 RPG betreffenden Verfahren ist zu prüfen, ob die bundesrechtlichen und die sich an den bundesrechtlichen Rahmen haltenden kantonalrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind (E. 2).
3. Art. 24 Abs. 2 RPG , teilweise Änderung. Für die Beurteilung einer teilweisen Änderung sind die realen Nutzflächen und Rauminhalte einander gegenüberzustellen. Massgebend sind die gesamten Umstände und nicht nur die erklärten Absichten des Bauwilligen. Die Vergrösserung eines Ferienhauses um rund einen Drittel ist nicht mehr eine geringfügige Erweiterung i.S. von Art. 24 Abs. 2 RPG (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 95

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Die Eigentümerin eines Ferienhauses, das gemäss dem Zonenplan von 1971/72 im übrigen Gemeindegebiet der Gemeinde Malix in Brambrüesch liegt und dort mit fünf anderen Häusern eine kleine Siedlung bildet, beabsichtigt, ihr Haus durch den Anbau eines Wohnraumes mit 17 m2 Geschossfläche und einer unterkellerten Terrasse zu erweitern. Der Gemeindevorstand bewilligte das Baugesuch; die Regierung des Kantons Graubünden versagte jedoch seine Zustimmung. Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden hob die Verfügung der Regierung auf und stimmte dem Baugesuch zu. Die von der Regierung des Kantons Graubünden gegen den Verwaltungsgerichtsentscheid erhobene Verwaltungsgerichtsbeschwerde heisst das Bundesgericht gut.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

2. Das zu vergrössernde Ferienhaus liegt unstreitig ausserhalb einer Bauzone und fällt demnach für eine ordentliche Bewilligung nach Art. 22 RPG ausser Betracht. Für das zonenwidrige Bauvorhaben ist daher eine Bewilligung nach Art. 24 RPG erforderlich. Zu prüfen ist zunächst, ob das Bauvorhaben
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unter Art. 24 Abs. 1 oder Abs. 2 RPG fällt. Kann es nicht einem der privilegierten Tatbestände von Art. 24 Abs. 2 RPG zugeordnet werden, so ist es wie ein Neubau gemäss Art. 24 Abs. 1 RPG zu behandeln. Nach der Vorschrift von Art. 24 Abs. 2 RPG kann das kantonale Recht gestatten, Bauten und Anlagen zu erneuern, teilweise zu ändern oder wieder aufzubauen, wenn dies mit den wichtigen Anliegen der Raumplanung vereinbar ist. Ob ein Bauvorhaben unter Art. 24 Abs. 2 RPG fällt, beurteilt sich ausschliesslich nach dieser Vorschrift. Erneuerung, teilweise Änderung und Wiederaufbau sind bundesrechtliche Begriffe. Sie stellen die Grenze für Bewilligungen nach Art. 24 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 2 RPG dar. Das kantonale Recht kann diese bundesrechtlichen Begriffe nicht - wie das Verwaltungsgericht anscheinend meint - im Sinne einer Erweiterung näher definieren. Das kantonale Recht kann nur bestimmen, ob und allenfalls inwieweit bauliche Massnahmen innerhalb des bundesrechtlich begrenzten Rahmens im Sinne von Art. 24 Abs. 2 RPG bewilligt werden dürfen. Dabei kann es den bundesrechtlich begrenzten Rahmen zulässiger Baumassnahmen enger festlegen ( BGE 108 Ib 54 E. 3b und c; 108 Ib 361 E. 3a; 107 Ib 240 E. 2b).
Für die Rüge, es sei das in Art. 24 RPG enthaltene Bundesrecht verletzt worden ( Art. 104 OG ), ist gemäss Art. 34 Abs. 1 RPG die Verwaltungsgerichtsbeschwerde an das Bundesgericht gegeben. Die Regierung macht geltend, zum Bundesrecht gehörten auch die zum Vollzug von Art. 24 RPG erlassenen kantonalen Ausführungsvorschriften. Zwar trifft zu, dass der kurze Kommentar in der Botschaft des Bundesrates vom 27. Februar 1978 zum RPG (BBl 1978 I S. 1032, Art. 35) in diesem Sinne missverstanden werden kann. Doch ist zu präzisieren, dass nicht sämtliche kantonalen Vorschriften, die vom RPG veranlasst geschaffen worden sind, durchwegs als unselbständige Ausführungsbestimmungen angesehen werden können. Das von den Kantonen im Rahmen von Art. 24 Abs. 2 RPG erlassene, das Bundesrecht im Kanton konkretisierende Recht wird vom Bundesgericht als Ergänzungsrecht, mithin als selbständiges kantonales Recht anerkannt ( BGE 108 Ib 54 E. 3b und 55 E. 3c). Dies hat jedoch nicht - wie in BGE 105 Ib 108 E. 1c beschrieben - eine Gabelung des Rechtsweges zur Folge. Nach der Spezialordnung in Art. 34 RPG kann auch die Verletzung kantonalen Rechts aus dem Anwendungsbereich von Art. 24 RPG mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde gerügt werden ( BGE 107 Ib 234 E. 1a).
Im Rahmen einer auf Art. 24 Abs. 2 RPG gestützten Beschwerde hat das Bundesgericht somit nicht nur die von dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen zu überprüfen, sondern gegebenenfalls auch, ob sich das kantonale Recht an den bundesrechtlichen Rahmen hält und schliesslich ob die von der letzten kantonalen Instanz vorgenommene Gesetzesanwendung dem Bundesrecht und dem einschlägigen kantonalen Recht genügt. Soweit selbständiges
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kantonales Recht in Frage steht, beschränkt sich das Bundesgericht indessen auf Willkürprüfung.

3. Das Ferienhaus auf Parzelle Nr. 702 enthält einen Wohnraum mit Kochnische, drei Schlafzimmer und ein WC mit Dusche. Seine Bruttogeschossfläche beträgt 69 m2. Die Beschwerdegegnerin beabsichtigt, ihr Haus an der Südseite zu erweitern. Dadurch soll der Wohnraum um 17 m2 Fläche vergrössert werden. Östlich anschliessend soll eine unterkellerte Terrasse errichtet werden.
Das Verwaltungsgericht hat dieses Bauvorhaben als teilweise Änderung gemäss Art. 24 Abs. 2 RPG anerkannt. Es hat das Bauprojekt indessen nicht unter dieser bundesrechtlichen Vorschrift geprüft, sondern lediglich unter den Regeln von Art. 10 der Verordnung der Regierung des Kantons Graubünden vom 13. Dezember 1982 über Bewilligungen für Bauten ausserhalb der Bauzonen und über Planungszonen (BAB). Es ist daher zunächst zu untersuchen, ob das Bauvorhaben sich innerhalb des von Art. 24 Abs. 2 RPG abgesteckten Bewilligungsrahmens hält.
Im vorliegenden Fall scheiden ein Wiederaufbau und eine blosse Erneuerung von vornherein aus. Es kann sich somit nur fragen, ob das Bauvorhaben unter den Begriff der teilweisen Änderung fällt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt eine geringfügige Erweiterung als teilweise Änderung. Es darf sich jedoch gemessen an der bestehenden Baute nur um eine Änderung von untergeordneter Bedeutung handeln, welche die Identität der Baute in den wesentlichen Zügen wahrt. Von der Festlegung einer quantitativen Grenze (z.B. bis zu einem Viertel, vgl. Art. 25 der Allgemeinen Gewässerschutzverordnung in der Fassung vom 6. November 1974) hat die Rechtsprechung bis anhin abgesehen, da sich eine solche unter dem Gesichtswinkel des Bundesrechts als zu starr erweisen könnte ( BGE 107 Ib 241 E. 2b/aa mit Hinweisen). Doch bedeutet dies nicht, dass dem Bundesgesetzgeber die Absicht zu unterlegen wäre, mit dem RPG eine gegenüber dem bisherigen Gewässerschutzrecht gelockerte Regelung einzuführen. Gegenteils gehören die deutliche Trennung des Baugebietes vom Nichtbaugebiet und alle Massnahmen, die diesem Ziele dienen, zu den zentralen Anliegen des RPG ( Art. 1-3 RPG ). Das Bundesgericht bezeichnete die Vergrösserung eines Restaurants um rund einen Drittel als nicht mehr geringfügige Erweiterung ( BGE 107 Ib 242 E. 2b/bb). In einem Urteil vom 15. Juni 1983 (ZBl 85/1984, S. 78 ff.) verneinte es die Geringfügigkeit bei einer Erweiterung des Gebäudevolumens
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von 910 m3 um rund 150 m3 und der Nutzfläche von 200 m2 um wenigstens 73 m2.
Die Vorinstanz setzt eine Erweiterungsfläche von 17 m2 in Beziehung zur bisherigen Bruttogeschossfläche von 69 m2 und stellt fest, dass die Vergrösserung nur 24,6%, also nicht ganz einen Viertel betrage. Diese Betrachtungsweise entspricht jedoch nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichts, welche eine projektierte Vergrösserung nach allen sachgerechten Kriterien zu erfassen sucht. Insbesondere sollen die realen Nutzflächen und Rauminhalte einander gegenübergestellt werden. Unter dem Gesichtswinkel des Bundesrechts fällt in Betracht, dass das Bauvorhaben nicht nur eine Vergrösserung des Wohnraums im Hauptgeschoss um 17 m2 vorsieht, sondern dazu auch noch eine Terrasse und unter dieser Terrasse einen als "Keller" bezeichneten Raum mit einer nutzbaren Fläche von gleichfalls 17 m2. Dieser "Keller" ist indessen nach Osten ebenerdig gelegen und hat auf dieser Seite eine Aussentüre. Auf der Südseite ist er mit einem Fenster versehen, das in seinen Abmessungen demjenigen eines Wohnraums entspricht und mit Klappläden verschliessbar sein wird. Dieser "Keller" wird an einen bereits bestehenden Raum von etwa 30 m2 Fläche anschliessen, der als "Keller bestehend" bezeichnet ist, aber ebenfalls nach Osten ebenerdig liegt und dorthin eine Aussentüre und ein Fenster, nach Norden ein weiteres Fenster normaler Grösse aufweist. Westlich anschliessend befindet sich ein eigentlicher Keller von nochmals etwa 30 m2 Fläche, in dem sich (abgeteilt) Heizung und Öltank befinden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts haben die Baubehörden bei der Prüfung eines Baubewilligungsgesuches hinsichtlich der in Aussicht genommenen Nutzung nicht nur auf die erklärten Absichten des Gesuchstellers, sondern auf die gesamten Umstände abzustellen (nicht veröffentlichtes Urteil vom 7. Oktober 1981 i.S. Pfister, E. 2a mit Verweisung). Das gleiche gilt bei bestehenden Bauten für die gegenwärtige Nutzung. Für die Frage der Anrechenbarkeit bei der Bestimmung der Ausnützung ist entscheidend, ob der fragliche Raum als Wohnraum verwendbar ist (Provisorische Richtlinien zur Orts-, Regional- und Landesplanung des ORL-Instituts ETHZ, Blatt 514 420, 1966, Ziffer 1.1). Vorliegend ist die Verwendbarkeit der im Altbau und im Erweiterungsprojekt nach Osten orientierten Räume des Untergeschosses als Wohnräume zu bejahen. Bezieht man aber diese Räume in den Flächenvergleich mit ein, so beträgt die nutzbare Fläche des Erweiterungsbaus
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rund einen Drittel derjenigen des Altbaus. Das gleiche Verhältnis ergibt sich bei Betrachtung der Kubatur. Eine Vergrösserung um einen Drittel kann aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu Art. 24 Abs. 2 RPG nicht mehr als geringfügig gelten. Schon aus diesem Grund ist die Beschwerde gutzuheissen.

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