BGE 112 II 330 vom 24. September 1986

Datum: 24. September 1986

Artikelreferenzen:  Art. 2 ZGB, Art. 657 ZGB, Art. 11 OR, Art. 18 OR, Art. 216 OR, Art. 4 BV , Art. 657 ZGB, Art. 57 Abs. 5 OG, Art. 2 Abs. 2 ZGB

BGE referenzen:  96 II 27, 120 II 341, 132 I 249, 137 III 243, 138 III 123, 138 III 401, 140 III 200 , 106 II 147, 104 II 101, 106 II 151, 92 II 325, 99 II 161, 99 II 162, 87 II 34, 86 II 404, 104 II 104, 96 II 27, 95 II 40, 90 II 453, 90 II 281, 84 II 642, 92 II 327, 90 II 157, 90 II 26, 90 II 28, 86 II 262, 87 II 33, 99 II 161, 99 II 162, 87 II 34, 86 II 404, 104 II 104, 96 II 27, 95 II 40, 90 II 453, 90 II 281, 84 II 642, 92 II 327, 90 II 157, 90 II 26, 90 II 28, 86 II 262, 87 II 33

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

112 II 330


56. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. September 1986 i.S. Genossenschaft M. gegen Frau N. (Berufung)

Regeste

Art. 216 OR , Art. 2 ZGB . Grundstückkauf, Formmangel, Rechtsmissbrauch.
1. Die öffentliche Beurkundung eines Grundstückkaufes erfordert nach Bundesrecht, dass in der Urkunde auch das Vertretungsverhältnis richtig angegeben wird, wenn ein Dritter für eine Partei handelt (E. 1).
2. Berufung auf einen Formmangel, nachdem der Vertrag beidseitig freiwillig und irrtumsfrei erfüllt worden ist. Offengelassen, ob Formungültigkeit zur absoluten Nichtigkeit des Vertrages führt und der Mangel stets von Amtes wegen zu berücksichtigen ist (E. 2)
3. Umstände, unter denen die Berufung auf den Formmangel, insbesondere wegen dessen Art, sich als missbräuchlich erweist (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 330

BGE 112 II 330 S. 330

A.- Am 21. Dezember 1981 beurkundete Notar X. einen Vertrag über 835 m2 Bauland in der Gemeinde Riom-Parsonz, das die Genossenschaft M. zum Preise von Fr. 120'000.-- an Frau N. verkaufte. Für die Genossenschaft handelte ihr Vorstand, der laut Vertrag durch A. vertreten war. Dazu kam ein Dienstbarkeitsvertrag über ein Durchfahrtsrecht, für das die Käuferin Fr. 20'000.-- zu bezahlen hatte. Frau N. bezahlte die beiden Beträge und wurde als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen.
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Die "Feinerschliessung" des Baulandes sollte gemäss Vertrag zusammen mit anderen Grundeigentümern bis spätestens im Herbst 1982 erfolgen. Da sie sich verzögerte und auch nach zwei Jahren noch nicht ausgeführt war, erklärte Frau N. am 19. Januar 1984 den Rücktritt vom Vertrag, dem sich die Genossenschaft widersetzte.

B.- Am 2. Juli 1984 klagte Frau N. beim Bezirksgericht Plessur gegen die Genossenschaft M. auf Feststellung, dass der Kaufvertrag wegen Rücktritts bzw. Nichteintritts einer Bedingung dahingefallen sei; sie verlangte ferner, dass die Beklagte ihr gegen Rückübertragung des Eigentums die bezahlten Fr. 140'000.-- nebst Zins Zug um Zug zurückzuerstatten habe.
Das Bezirksgericht hiess die Klage am 19. April 1985 gut, da die Klägerin zu Recht wegen Verzugs der Beklagten zurückgetreten sei. Die Beklagte appellierte an das Kantonsgericht von Graubünden, das die Klage am 11. November 1985 ebenfalls schützte, aber fand, dass der Kaufvertrag wegen Verstosses gegen Vorschriften über die öffentliche Beurkundung nichtig sei.

C.- Die Beklagte hat gegen das Urteil des Kantonsgerichts Berufung und wegen Verletzung von Art. 4 BV auch staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Mit der Berufung beantragt sie, das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Berufung dahin gut, dass es das angefochtene Urteil aufhebt und die Sache zur Prüfung der Frage, wie es sich mit dem Rücktritt der Klägerin nach Art. 107 f. OR verhält, an das Kantonsgericht zurückweist.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

1. Das Kantonsgericht hält den Kaufvertrag vom 21. Dezember 1981 wegen fehlerhafter Beurkundung für nichtig. Es unterscheidet dabei zutreffend zwischen bundesrechtlichen Mindestanforderungen an die Beurkundung und zusätzlichen Formvorschriften des kantonalen Rechts (Art. 55 SchlT/ZGB; BGE 106 II 147 ff.). Davon geht auch die Beklagte aus, da sie die Verletzung von Bundesrecht mit der Berufung, die Verletzung kantonalen Rechts dagegen mit der staatsrechtlichen Beschwerde rügt. Es rechtfertigt sich, die Berufung entgegen der Regel des Art. 57 Abs. 5 OG vorweg zu beurteilen, weil die Beschwerde gegenstandslos wird, wenn das Schicksal des Vertrages so oder anders nicht von der mangelhaften Beurkundung abhängt.
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a) Es steht fest, dass der Vorstand der Beklagten sich anlässlich der Beurkundung nicht, wie in der Urkunde angegeben, durch A., sondern durch B. vertreten liess. Nach Auffassung des Kantonsgerichts widerspricht die Beurkundung deswegen Bundesrecht, da die einwandfreie Bezeichnung der Parteien und ihrer Vertreter im Vertrag zu den bundesrechtlichen Mindestanforderungen gehöre und der Notar mit seiner Feststellung über die Mitwirkung der beteiligten Personen und deren Erklärungen auch seine Wahrheitspflicht verletzt habe. Für die Beklagte ist dagegen entscheidend, dass die Vertragsparteien in der Urkunde richtig angegeben worden sind; unrichtig sei nur die Bezeichnung ihres Vertreters, was den Vertrag aber nicht ungültig mache, da ein Vertreter auch formlos ermächtigt werden könne, ein Grundstück zu verkaufen.
Das Kantonsgericht nimmt mit Recht an, dass die Form des streitigen Vertrages schon den bundesrechtlichen Mindestanforderungen nicht genügt. Mit der öffentlichen Beurkundung des Grundstückkaufes soll eine sichere Grundlage für den Eintrag im Grundbuch geschaffen werden. Die Urkundsperson hat deshalb alle für das Rechtsgeschäft wesentlichen Tatsachen und Willenserklärungen der Parteien im Vertrag festzuhalten ( BGE 106 II 147 E. 1 und BGE 99 II 161 E. 2a mit Zitaten). Zu diesen Tatsachen gehört auch die genaue Bezeichnung der Parteien, welche sich durch die Erklärungen berechtigen und verpflichten, sowie die Angabe des Vertretungsverhältnisses, wenn ein Dritter für eine Partei handelt ( BGE 45 II 565 und das in ZGBR 54/1973 S. 367 ff. veröffentlichte Urteil des Bundesgerichts vom 4. Juli 1972). Wieso es zulässig sein soll, dass die Urkundsperson im Vertrag einen Vertreter angibt, der nicht erscheint, den tatsächlich erscheinenden dagegen verschweigt, ist unerfindlich. Dass ein Vertreter auch formlos ermächtigt werden kann, ändert nichts am Erfordernis, dass das Vertretungsverhältnis in der Urkunde richtig wiederzugeben ist ( BGE 99 II 162 E. 2b).
b) Die Beklagte anerkennt, dass Formwidrigkeit einen formgebundenen Vertrag unter Vorbehalt von Rechtsmissbrauch nichtig macht. Es braucht daher vorerst nicht geprüft zu werden, ob das Vorgehen des Notars, wie das Kantonsgericht annimmt, bundesrechtlich auch sonst zu beanstanden sei, weil er bezüglich Anmerkungen und Vormerkungen lediglich auf das Grundbuch verwiesen und der Urkunde beigeheftete Belege über Quartierservituten nicht unterzeichnet habe.

2. Die Beklagte hielt den Versuch der Klägerin, den Kaufvertrag wegen Formwidrigkeit zu Fall zu bringen, schon im kantonalen
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Verfahren für missbräuchlich. Das Kantonsgericht liess diese Einrede nicht gelten, weil die Klägerin den Formfehler weder verschuldet noch beizeiten erkannt und deshalb den Vertrag aus Irrtum erfüllt habe. Die Beklagte hält an ihrer Einrede, die Klägerin handle missbräuchlich, auch vor Bundesgericht fest. Sie macht geltend, beide Parteien hätten den Vertrag vollständig erfüllt. Die Klägerin habe sich sodann um die Erschliessung der Parzelle gekümmert und erst hierauf wegen der Verzögerung, die dabei eingetreten sei, den Rücktritt erklärt; sie übe ihr Recht zweckwidrig aus und benehme sich daher missbräuchlich, wenn sie sich nun auf einen Formfehler berufe, um sich vom Vertrag loszusagen.
a) Das Bundesgericht hat seine Rechtsprechung zu solchen Einreden letztmals 1978 überprüft ( BGE 104 II 101 E. 3) und 1980 bestätigt ( BGE 106 II 151 E. 3). Es führte im ersten Entscheid insbesondere aus, die Frage, ob sich die Berufung auf Formwidrigkeit eines Vertrages wegen Rechtsmissbrauchs verbiete, entscheide sich nicht allgemein nach starren Regeln, sondern nach den Umständen des Einzelfalles. Dabei sei insbesondere die Tatsache, dass beide Parteien den Vertrag bereits freiwillig erfüllt hätten, von Bedeutung; sie schliesse zwar nicht aus, dass die Nichtigkeit des Vertrages dennoch berücksichtigt werde, lasse die Berufung auf den Formmangel aber doch als missbräuchlich erscheinen, wenn sich aus den übrigen Umständen, namentlich aus dem Verhalten der Parteien bei oder nach Vertragsschluss, nicht eindeutig das Gegenteil ergebe.
Diese Zusammenfassung der Rechtsprechung kann sich genau besehen nur auf BGE 92 II 325 E. 3 stützen, während nach den übrigen Präjudizien, insbesondere nach BGE 72 II 43 E. 3, die beidseitige freiwillige Erfüllung die Berufung auf den Formmangel nicht für sich allein, sondern nur in Verbindung mit zusätzlichen Gründen missbräuchlich macht. Die mit BGE 92 II 325 E. 3 aufgestellte Regel ist von der Lehre als Änderung der Rechtsprechung verstanden (MERZ, in ZBJV 104/1968 S. 49) und auch im Anschluss an BGE 104 II 101 E. 3 mehrheitlich gebilligt worden (GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, Skriptum zu OR Allg. Teil I N. 453; SCHÖNENBERGER/GAUCH, N. 156 zu Art. 18 OR ; ebenso im Ergebnis von TUHR/PETER, OR I S. 238; BUCHER, OR Allg. Teil S. 148; BUCHER in ZBGR 56/1975 S. 74). Dass bei beidseitiger Erfüllung des formnichtigen Vertrages Rechtsmissbrauch zu vermuten ist, bedeutete im übrigen keine grundlegende Änderung, hatte doch schon die frühere Rechtsprechung angenommen, die Berufung auf den Formmangel nach Vertragserfüllung sei jedenfalls dann missbräuchlich, wenn der Mangel bei
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Vertragsschluss bewusst in Kauf genommen worden oder gar gewollt gewesen sei ( BGE 87 II 34 , BGE 86 II 404 , BGE 78 II 228 , BGE 72 II 43 E. 3, BGE 53 II 165 ).
b) Auch die neuere Rechtsprechung hält für entscheidend, ob eine Partei sich des angerufenen Formmangels bei Abschluss des Vertrages oder doch bei dessen Erfüllung bewusst gewesen ist. Sie verlangt nicht bloss, dass der Vertrag beidseitig freiwillig, sondern auch irrtumsfrei erfüllt worden ist ( BGE 104 II 104 E. 3c). Das entspricht herrschender Lehre (BUCHER, S. 148; GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, N. 453) und bedeutet, dass die Berufung einer Partei auf einen Formmangel nicht rechtsmissbräuchlich ist, wenn sie den Vertrag in Unkenntnis des Mangels abgeschlossen und erfüllt hat (DESCHENAUX, in Schweiz. Privatrecht Bd. II S. 191; MERZ, N. 475 und 484 zu Art. 2 ZGB ; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 80 zu Art. 11 OR ). Wer einen formnichtigen Vertrag freiwillig erfüllt, ohne den Mangel zu kennen, verhält sich in der Tat nicht widersprüchlich, handelt folglich auch nicht missbräuchlich, wenn er sich nachträglich wegen des Mangels auf Nichtigkeit beruft. Das gilt selbst dann, wenn angenommen wird, die beidseitige Erfüllung des Vertrages heile den Formmangel, mache also nicht nur dessen Anrufung missbräuchlich (VON TUHR/PETER, S. 238; BUCHER, S. 147).
Eine andere Frage ist, ob unbekümmert um die Art des Mangels daran festgehalten werden kann, dass Formungültigkeit zur absoluten Nichtigkeit des Vertrages führe und der Formmangel stets von Amtes wegen zu berücksichtigen sei ( BGE 106 II 151 E. 3 mit Zitaten); sie stellt sich namentlich nach den kritischen Bemerkungen LIVERS (in ZBJV 118/1982 S. 117/18) über "ganz unannehmbare Konsequenzen", die sich dabei ergeben könnten. Dass das Hinwegsehen über einen Formmangel nicht eine absolute Heilung im Sinne von § 313 des deutschen BGB zur Folge hat, ist anerkannt (MEIER-HAYOZ, N. 141 zu Art. 657 ZGB ; DESCHENAUX, S. 190 ff.; BUCHER, in Archiv für die civilistische Praxis 186/1986 S. 42 ff.). Ob aber aufgrund zutreffender Auslegung der Formvorschriften oder auf dem Umweg über das Missbrauchsverbot angenommen wird, dass eine beidseitig freiwillige Erfüllung den Mangel unbeachtlich mache, vermag das Ergebnis kaum entscheidend zu beeinflussen (Merz, N. 468 zu Art. 2 ZGB ; GUHL/MERZ/KUMMER, S. 108/9; GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, N. 457; VOLKEN, in Zeitschrift für Walliser Rechtsprechung 15/1981 S. 465 ff.). Jedenfalls folgt daraus nicht notwendig, dass die freiwillige Erfüllung des Vertrages durch beide Parteien auch dann heilende Wirkung habe, wenn
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sie den Mangel nicht kennen. Es ist zudem wenig sinnvoll, die Formungültigkeit stets von Amtes wegen als absolute Nichtigkeit zu behandeln, dann aber diese Folge über Art. 2 Abs. 2 ZGB ohne Rücksicht auf die Motive der Parteien wieder zu korrigieren. Wie es sich damit grundsätzlich verhält, braucht vorliegend indes nicht weiter geprüft zu werden.

3. Nach dem angefochtenen Urteil hat die Klägerin die Mängel der Beurkundung weder beim Abschluss noch bei der Erfüllung des Vertrages erkannt, sich darüber also geirrt. Die gegenteiligen Behauptungen der Beklagten sind als Kritik an der Beweiswürdigung der Vorinstanz nicht zu hören ( BGE 96 II 27 E. 2b, BGE 95 II 40 E. 3, BGE 90 II 453 ). Es steht ferner fest, dass die Klägerin am 19. Januar 1984 den Rücktritt vom Vertrag erklärt hat, weil das Grundstück nicht, wie vereinbart, bis spätestens Herbst 1982 erschlossen worden ist. Mit der Klage sodann wollte sie vorweg festgestellt wissen, dass der Kaufvertrag infolge Rücktritts bzw. Nichteintritts einer Bedingung dahingefallen sei. Erst im kantonalen Rechtsmittelverfahren berief sie sich auch auf Nichtigkeit des Kaufs wegen fehlerhafter Beurkundung, obschon der Vertrag längst beidseitig erfüllt worden war. Eine missbräuchliche Rechtsausübung ist nach Auffassung des Kantonsgerichts gleichwohl zu verneinen, weil die Beurkundung nicht nur gegen Übereilung schütze und eine fachmännische Beratung garantiere, sondern auch Klarheit über das Rechtsgeschäft schaffe und damit der Beweissicherung und der Rechtssicherheit diene.
a) Es trifft zu, dass das Gesetz mit der öffentlichen Beurkundung solche Zwecke verfolgt, insbesondere die Parteien schützen und auch allgemeinen Interessen dienen will ( BGE 90 II 281 E. 6, BGE 84 II 642 , BGE 78 II 224 ; DESCHENAUX, S. 189; SCHÖNENBERGER/JÄGGI, N. 45 ff. zu Art. 11 OR ; GAUCH/SCHLUEP/JÄGGI, N. 411 ff). Schutz vor Übereilung und Beweissicherung fallen aber kaum mehr ins Gewicht, wenn wie hier eine öffentliche Beurkundung tatsächlich stattgefunden hat; dass diese einen genügenden Grundbuchausweis ergab, zeigt die erfolgte Eintragung; die Rechtssicherheit verlangt schliesslich eher, dass der Eintrag aufrechterhalten wird. Deshalb darf angenommen werden, dass der Schutz- und Sicherungszweck der Beurkundung mit der beidseitigen Erfüllung des Vertrages entfällt. Selbst wenn diese Folge nicht leichthin einer Heilung des Formmangels gleichzusetzen ist, darf ihre Bedeutung bei der Frage, ob in der Berufung auf den Mangel eine zweckwidrige Rechtsausübung zu erblicken ist, nicht verkannt werden.
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Unter welchen Umständen diese Frage zu bejahen ist, kann der Rechtsprechung allerdings nicht mit Sicherheit entnommen werden, da sie sich dazu sehr unterschiedlich, ja widersprüchlich äussert. So wurde die Berufung auf den Formmangel wiederholt als zweckwidrig und missbräuchlich erklärt, weil eine Partei damit z.B. die Wertsteigerung des Grundstücks auf Kosten der Gegenpartei ausnützen oder sich vertraglichen Gewährleistungspflichten entziehen wollte ( BGE 92 II 327 , BGE 90 II 157 E. 2d mit Hinweisen; DESCHENAUX, S. 192; MEIER-HAYOZ, N. 145 zu Art. 657 ZGB ; VOLKEN, S. 464). Es ist aber auch entschieden worden, dass es nicht Sache der den Mangel anrufenden Partei sei, ein schutzwürdiges Interesse darzutun ( BGE 90 II 26 E. 2a); selbst spekulative Beweggründe machten ihr Vorgehen nicht missbräuchlich ( BGE 90 II 28 E. 2d, BGE 86 II 262 ; ebenso MERZ, N. 505 zu Art. 2 ZGB ); es sei auch zulässig, dass die Partei sich vom Vertrag wegen Sachmängeln oder deshalb lossagen wolle, weil sie ihn sonst für unvorteilhaft halte ( BGE 87 II 33 E. 4b).
b) Vorliegend ist die strengere Betrachtungsweise am Platz. Die Klägerin war über zwei Jahre unangefochten als Eigentümerin der gekauften Parzelle im Grundbuch eingetragen. Sie hat sich auch als solche benommen, sich insbesondere zusammen mit anderen Grundeigentümern wiederholt um die Erschliessung des Baulandes bemüht. Weil sie dabei auf immer mehr Schwierigkeiten stiess, versuchte sie den Vertrag im Januar 1984 wegen Nichterfüllung oder Nichteintritts einer Bedingung rückgängig zu machen, berief sich aber erst im Verlaufe des Prozesses ergänzend auch auf den Formmangel. Gewiss hat sie davon erst nachträglich erfahren; dass sie sich bei sofortiger Aufdeckung des Mangels anders verhalten, sich insbesondere auf den Schutz- oder Sicherungszweck der Beurkundung berufen und von der Erfüllung abgesehen hätte, ist dem angefochtenen Urteil jedoch nicht zu entnehmen. Es geht deshalb zum vornherein nicht an, von einer irrtümlichen Vertragserfüllung zu sprechen, zumal aus ihren Bemühungen um die Erschliessung der Parzelle erhellt, wie sehr sie an einer Vertragserfüllung nach ihren Vorstellungen interessiert war. Ihre Berufung auf den Formmangel erweist sich nach ihrem eigenen Verhalten vielmehr als zweckwidrig und damit als missbräuchlich.
Zum gleichen Ergebnis gelangt man, wenn die Art des Formmangels berücksichtigt wird. Dieser betrifft weder die Willensäusserungen der Klägerin noch den Inhalt des Vertrages, sondern ausschliesslich die Identität des Vertreters, der für die Beklagte zur
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Beurkundung erschienen ist. Zwar geht es, wie eingangs ausgeführt, auch dabei um eine rechtserhebliche Tatsache, deren Falschbeurkundung den Vertrag ungültig macht. Entscheidend für die zweckwidrige Berufung auf den Mangel bleibt indes, wen die Formvorschrift schützen will ( BGE 72 II 43 E. 3; ebenso GUHL/MERZ/KUMMER, S. 108; DESCHENAUX, S. 192/93; MERZ, N. 484 zu Art. 2 ZGB ). Die Identität eines Vertreters ist zweifellos von erheblicher Bedeutung für den Vertretenen, der sich seine Erklärungen anrechnen lassen muss; sie kann auch für den andern Vertragspartner bedeutsam werden, wenn der Vertretene sich seinen Verpflichtungen unter Hinweis auf fehlende Ermächtigung entziehen will. Dafür liegt hier aber nichts vor; die Beklagte will vielmehr den Vertrag und damit auch das Handeln ihres Vertreters gegen sich gelten lassen. Unter diesen Umständen steht es der Klägerin nicht an, sich auf die falsche Beurkundung des Vertretungsverhältnisses zu berufen, um eine Parzelle loszuwerden, an der sie mangels gelungener Erschliessung offenbar nicht mehr interessiert ist.
Aus dem Hinweis des Kantonsgerichts auf weitere Verstösse gegen eidgenössisches und kantonales Beurkundungsrecht ergäbe sich ebenfalls nichts zugunsten der Klägerin. Dass der Notar sich mit einer blossen Verweisung auf das Grundbuch begnügt hat, statt auch die Vormerkungen und Anmerkungen über die Parzelle in die Urkunde aufzunehmen, und dass er den Anhang zum Vertrag zwar mit seinem Stempel versehen, aber nicht unterzeichnet hat, hätte allenfalls den Grundbuchverwalter veranlassen können, die Urkunde zu beanstanden. Dies ist nicht geschehen; die Klägerin ist vielmehr vorbehaltlos als neue Eigentümerin der Parzelle im Grundbuch eingetragen worden, weshalb sich auch die Berufung auf eine allfällige Formungültigkeit infolge der weiteren Verstösse als zweckwidrig und missbräuchlich erwiese.

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