BGE 112 III 9 vom 17. Januar 1986

Datum: 17. Januar 1986

Artikelreferenzen:  Art. 4 BV, Art. 58 BV, Art. 53 SchKG , Art. 4, 58 und 59 BV, Art. 84 Abs. 1 lit. d OG

BGE referenzen:  136 III 373 , 109 IA 54

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

112 III 9


4. Urteil der II. Zivilabteilung vom 17. Januar 1986 i.S. M. gegen Kanton Basel-Stadt und Appellationsgericht (Ausschuss) des Kantons Basel-Stadt (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Gerichtsstand für die Rechtsöffnung.
Örtlich zuständig für die Rechtsöffnung ist grundsätzlich der Richter des Ortes, wo die Betreibung angehoben wurde. Hat der Betriebene inzwischen den Wohnsitz verlegt, so ist das Rechtsöffnungsgesuch beim Richter des neuen Wohnsitzes zu stellen, sofern der Betriebene dem Gläubiger die Wohnsitzverlegung angezeigt oder dieser sonstwie davon erfahren hat. Auch in diesem Fall bleibt jedoch der Richter des ursprünglichen Betreibungsortes zuständig, wenn sich der Betriebene nicht darauf beruft, er habe seinen Wohnsitz seit Anhebung der Betreibung verlegt (Präzisierung der Rechtsprechung).

Sachverhalt ab Seite 10

BGE 112 III 9 S. 10
Mit Zahlungsbefehl vom 3. Juli 1984 betrieb der Kanton Basel-Stadt, vertreten durch die Finanzverwaltung, M. für eine Forderung von Fr. 437.-- nebst Kosten. Am 11. Juni 1985 erteilte der Zivilgerichtspräsident Basel-Stadt dem Gläubiger für den genannten Betrag die provisorische Rechtsöffnung. Dagegen beschwerte sich der Schuldner beim Appellationsgerichtsausschuss des Kantons Basel-Stadt. Er machte geltend, der Basler Richter sei für die Rechtsöffnung nicht zuständig gewesen, da er seinen Wohnsitz nach Münchenstein verlegt habe; der Gläubiger habe von seinem Wohnsitzwechsel Kenntnis gehabt, da er sich vor seinem Wegzug beim Finanzamt habe abmelden müssen. Mit Entscheid vom 12. August 1985 wies der Appellationsgerichtsausschuss die Beschwerde ab. Gegen diesen Entscheid hat M. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 4, 58 und 59 BV erhoben. Das Appellationsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, während sich der Kanton Basel-Stadt nicht vernehmen liess.
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Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Obwohl das SchKG diesbezüglich keine ausdrückliche Vorschrift enthält, hat die Rechtsprechung seit jeher angenommen, der Gerichtsstand für das Rechtsöffnungsverfahren sei bundesrechtlich geregelt, und zwar in dem Sinne, dass Rechtsöffnungsgesuche grundsätzlich beim Richter des Betreibungsortes anzubringen sind ( BGE 76 I 47 /48 E. 2). Die Verletzung bundesrechtlicher Zuständigkeitsvorschriften kann mit staatsrechtlicher Beschwerde im Sinne von Art. 84 Abs. 1 lit. d OG gerügt werden, wobei dem Bundesgericht freie Kognition zukommt. Dass sich der Beschwerdeführer in erster Linie auf Art. 4 BV beruft, schadet ihm nicht, da die Rüge der Willkür diejenige der einfachen Rechtsverletzung mitumfasst. Art. 59 BV , auf den sich der Beschwerdeführer ebenfalls beruft, kann gegenüber einer eidgenössischen Gerichtsstandsbestimmung nicht angerufen werden ( BGE 109 Ia 54 ), und Art. 58 BV hat in diesem Zusammenhang ohnehin keine selbständige Bedeutung.

2. Nach der bereits erwähnten Rechtsprechung ist die Rechtsöffnung grundsätzlich dort nachzusuchen, wo die Betreibung angehoben wurde, und zwar selbst dann, wenn dies nicht am richtigen Ort geschah, der Schuldner aber dagegen nicht rechtzeitig Beschwerde erhoben hat. Die gegenüber dem Zahlungsbefehl versäumte Unzuständigkeitseinrede ist auch für das am gleichen Ort angehobene Rechtsöffnungsverfahren verwirkt. Verlegt der am richtigen Ort betriebene Schuldner seinen Wohnsitz vor dem Rechtsöffnungsverfahren, so ist das Rechtsöffnungsbegehren grundsätzlich beim Richter des neuen Wohnsitzes zu stellen, denn der allgemeine Betreibungsort ist, wie sich aus Art. 53 SchKG ergibt, während des Einleitungsverfahrens mit Einschluss des Rechtsöffnungsverfahrens veränderlich und folgt dem jeweiligen Wohnsitz des Schuldners. Das Bundesgericht hat jedoch präzisiert, dem Schuldner könne füglich zugemutet werden, sich trotz Wohnsitzverlegung noch am alten Betreibungsort auf Rechtsöffnung belangen zu lassen, falls er dem Gläubiger die Wohnsitzverlegung nicht angezeigt und dieser auch nicht sonstwie nachweislich davon erfahren habe. Der Schuldner müsse darauf gefasst sein, dass der Gläubiger gegenüber dem durch Rechtsvorschlag bestrittenen Zahlungsbefehl Rechtsöffnung verlangen werde. Lasse er es darauf ankommen, dass der Gläubiger die Rechtsöffnung am alten Betreibungsort verlange, so sei Verwirkung der Unzuständigkeitseinrede
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für dieses Inzidentalverfahren der Betreibung anzunehmen, es wäre denn, der Gläubiger habe nicht in guten Treuen gehandelt, sich also über den ihm irgendwie bekannt gewordenen neuen Betreibungsort geflissentlich hinweggesetzt ( BGE 76 I 49 /50).
Das Appellationsgericht hält diese Voraussetzung nicht für erfüllt. Es führt aus, zwar sei richtig, dass Kantonseinwohner beim Wegzug auf der Steuerverwaltung einen Abmeldeschein beziehen müssten, was der Verwaltung Gelegenheit gebe, vom neuen Wohnsitz des Betreffenden Kenntnis zu nehmen. Im vorliegenden Fall sei jedoch zu beachten, dass es sich bei der in Betreibung gesetzten Forderung nicht um eine Steuerforderung handle, die mit der Abmeldung des Beschwerdeführers von Basel fällig geworden sei. Vielmehr gehe es um Steuern des Bezugsjahres 1973, für die im Jahre 1975 ein Verlustschein ausgestellt worden sei. Für das Inkasso derartiger Verlustscheinsforderungen sei jedoch nicht die Steuerverwaltung, sondern die Finanzverwaltung zuständig. Diese habe aber nicht unmittelbar Kenntnis vom neuen Wohnort des Schuldners gehabt. Es bestünden somit keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Gläubiger geflissentlich und in Verletzung von Treu und Glauben über den neuen Wohnsitz des Beschwerdeführers hinweggesetzt habe, auch wenn einzelne der kantonalen Abteilungen und Departement vom Wegzug des Schuldners Kenntnis gehabt hätten. In der Einreichung des Rechtsöffnungsbegehrens in Basel sei somit keine Schikane seitens des Beschwerdegegners zu erblicken.
Diese Begründung vermag nicht voll zu überzeugen. Gläubiger der in Betreibung gesetzten Forderung ist ja nicht die Finanzverwaltung des Kantons Basel-Stadt, sondern der Kanton Basel-Stadt selber. Nach allgemeiner Regel wäre aber anzunehmen, dass dieser sich das Wissen seiner einzelnen Verwaltungsabteilungen um den Wohnsitz des Beschwerdeführers anzurechnen hat. Das gilt um so mehr, als es sich bei der Steuerverwaltung und der als Vertreterin des Kantons auftretenden Finanzverwaltung nicht um zwei grundverschiedene Verwaltungszweige handelt; die beiden Verwaltungsabteilungen haben denn auch die gleiche Adresse, wie sich aus der im kantonalen Verfahren eingereichten Vernehmlassung ergibt. Dazu kommt, dass sich der Beschwerdeführer nach der unbestrittenen Behauptung in der Beschwerdeschrift auch bei der Einwohnerkontrolle abgemeldet hatte, also bei der zur Entgegennahme von Adressänderungsmeldungen zuständigen Amtsstelle. Man kann sich daher fragen, ob der Beschwerdegegner im Sinne der
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erwähnten Rechtsprechung nicht doch Kenntnis vom neuen Wohnsitz des Beschwerdeführers hatte.
Wie es sich damit verhält, kann jedoch dahingestellt bleiben, da die Zuständigkeit des Basler Rechtsöffnungsrichters aus einem andern Grund zu bejahen ist. Hat sich nämlich der Schuldner nach dem Gesagten am alten Betreibungsort auf Rechtsöffnung belangen zu lassen, falls er dem Gläubiger die Wohnsitzverlegung nicht anzeigt und dieser auch sonstwie nicht davon erfahren hat, so folgt daraus, dass der Gerichtsstand am neuen Wohnsitz nicht zwingend ist. Es bleibt vielmehr dem Schuldner überlassen, ob er sich darauf berufen will, er habe den Wohnsitz seit Anhebung der Betreibung verlegt und dies dem Gläubiger angezeigt. Solange er dies nicht tut, darf sich der Rechtsöffnungsrichter am alten Betreibungsort weiterhin als zuständig erachten. Von Amtes wegen braucht er sich nicht um die Wohnsitzverlegung zu kümmern, denn so gut wie der Schuldner darauf verzichten kann, einen am unrichtigen Ort ergangenen Zahlungsbefehl anzufechten, was die Zuständigkeit des Rechtsöffnungsrichters dieses Ortes zur Folge hat, so kann er auch darauf verzichten, sich auf die Wohnsitzverlegung nach Einleitung der Betreibung zu berufen. Mit andern Worten hat der Rechtsöffnungsrichter des alten Betreibungsortes die Wohnsitzverlegung nur auf Einrede des Schuldners hin zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer jedoch keine Unzuständigkeitseinrede erhoben. Er hat sich im Gegenteil zum Rechtsöffnungsgesuch überhaupt nicht vernehmen lassen. Unter diesen Umständen hatte der Rechtsöffnungsrichter keinen Anlass, seine Zuständigkeit in Zweifel zu ziehen, zumal er gar nicht wissen konnte, ob der Beschwerdeführer an seiner neuen Adresse in Münchenstein Wohnsitz genommen und ob er die Wohnsitzverlegung dem Gläubiger mitgeteilt habe. Im Beschwerdeverfahren konnte die Zuständigkeit des Rechtsöffnungsrichters nicht mehr in Frage gestellt werden. Der angefochtene Entscheid erweist sich daher, jedenfalls im Ergebnis, nicht als bundesrechtswidrig, weshalb die Beschwerde abzuweisen ist.

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