Urteilskopf
112 V 337
61. Urteil vom 23. Dezember 1986 i.S. Bundesamt für Sozialversicherung gegen Ciba-Geigy AG und Kantonale Rekurskommission für die Ausgleichskassen, Basel
Regeste
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
und
Art. 1 IVG
; Art. 3 Abs. 1 des schweizerisch-belgischen, Art. 4 des schweizerisch-deutschen und Art. 3 Abs. 1 des schweizerisch-französischen Abkommens über Soziale Sicherheit: Gleichbehandlungsklausel und obligatorische Versicherung.
Aufgrund der Gleichbehandlungsklausel in den Abkommen mit Belgien, der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich ist der Angehörige eines Vertragsstaates, der in einem Drittstaat für einen in der Schweiz domizilierten Arbeitgeber tätig ist und von diesem entlöhnt wird, obligatorisch bei der schweizerischen AHV/IV versichert und der Arbeitgeber der paritätischen Beitragspflicht unterstellt. Dagegen kann eine Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung (
Art. 2 AVIG
) und in der Erwerbsersatzordnung (
Art. 27 EOG
) aus der Gleichbehandlungsklausel nicht abgeleitet werden.
A.-
Die Schweiz hat mit der Bundesrepublik Deutschland, mit Frankreich und mit Belgien Abkommen über Soziale Sicherheit abgeschlossen. Die Firma Ciba-Geigy AG beschäftigte in den Jahren 1978 bis 1982 Angehörige der genannten Vertragsstaaten in Ländern, mit denen die Schweiz keine Sozialversicherungsabkommen abgeschlossen hat. Auf die Aufforderung der Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes sandte die Ciba-Geigy am 28. Oktober 1983 der Kasse die AHV/AlV-Bescheinigungen für diese Arbeitnehmer, unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass sie damit keine Beitragspflicht für die gemeldeten Arbeitnehmer anerkenne. Gestützt auf diese Meldung erhob die Ausgleichskasse am 14. November 1983 verfügungsweise von der Ciba-Geigy AG paritätische AHV/IV/EO- und AlV-Beiträge sowie einen Verwaltungskostenbeitrag.
B.-
Die Ciba-Geigy AG beschwerte sich bei der Kantonalen Rekurskommission für die Ausgleichskassen Basel und beantragte die Aufhebung der Verfügung. Eventuell sei diese soweit aufzuheben, "als sie Beiträge für belgische und französische Staatsangehörige und EO- und AlV-Beiträge für deutsche Staatsangehörige betrifft".
Mit Entscheid vom 16. Februar 1984 hiess die Rekurskommission die Beschwerde im Sinne des Hauptantrages gut mit der Begründung, Angehörige der genannten Vertragsstaaten würden nach der in den betreffenden Abkommen enthaltenen Gleichbehandlungsklausel der schweizerischen Sozialversicherungsgesetzgebung unterstehen. Diese Abkommen beruhten auf dem Erwerbsortsprinzip. Nach ihrem Sinn und Zweck würden sie aber eine Gleichbehandlung der betreffenden Staatsangehörigen mit Bezug auf ihre Unterstellung, wenn sie in einem Nichtvertragsstaat beschäftigt werden, nicht beinhalten. Insbesondere sei eine solche Unterstellung auch nicht Gegenstand des mit Deutschland abgeschlossenen Abkommens, selbst wenn dessen Entstehungsgeschichte darauf hindeute, dass die "Auslands-AHV" beabsichtigt gewesen sei.
C.-
Gegen diesen Entscheid führt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf Wiederherstellung der Kassenverfügung.
Die Ciba-Geigy AG trägt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde an. Ferner stellt sie den Eventualantrag, es sei festzustellen, dass sie keine AHV/IV/EO- und AlV-Beiträge für die von ihr im Ausland beschäftigten belgischen und französischen und keine EO- und AlV-Beiträge für die deutschen Staatsangehörigen zu entrichten habe. Subeventuell sei festzustellen, dass sie für die im Ausland beschäftigten französischen, deutschen und belgischen Staatsangehörigen keine EO- und AlV-Beiträge entrichten müsse.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
2.
Gemäss
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
sind nach Massgabe des AHVG obligatorisch versichert "die Schweizerbürger, die im Ausland für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden".
Art. 3 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Schweiz und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 24. September 1975 bestimmt:
"Unter Vorbehalt der Bestimmungen dieses Abkommens und seines Schlussprotokolls sind die Staatsangehörigen des einen Vertragsstaates in ihren Rechten und Pflichten aus der Gesetzgebung des anderen Vertragsstaates den Staatsangehörigen dieses Vertragsstaates gleichgestellt."
Art. 3 des schweizerisch-deutschen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 25. Februar 1964 lautet:
"Dieses Abkommen gilt, wo es nichts anderes bestimmt, für die Staatsangehörigen der Vertragsparteien sowie für ihre Angehörigen und Hinterbliebenen, soweit diese ihre Rechte von den Staatsangehörigen ableiten."
Nach Art. 4 des Abkommens stehen die in Art. 3 genannten Personen "in ihren Rechten und Pflichten aus den Rechtsvorschriften der Vertragsparteien einander gleich, soweit dieses Abkommen nichts anderes bestimmt."
Art. 3 Abs. 1 des Abkommens vom 3. Juli 1975 über Soziale Sicherheit mit Frankreich schreibt vor:
"Unter Vorbehalt der Bestimmungen dieses Abkommens und seines Schlussprotokolls sind die Staatsangehörigen des einen Vertragsstaates in ihren Rechten und Pflichten aus der Gesetzgebung des anderen Vertragsstaates den Staatsangehörigen dieses Vertragsstaates
BGE 112 V 337 S. 340
gleichgestellt."
Es fragt sich, ob die in den Abkommen mit Belgien, Deutschland und Frankreich enthaltenen Gleichbehandlungsklauseln zur Folge haben, dass
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
nicht nur auf schweizerische, sondern auch auf solche Personen anwendbar ist, die einem der drei genannten Vertragsstaaten angehören und von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigt und entlöhnt werden.
3.
Das BSV erachtet den in Frage stehenden Wortlaut der genannten Sozialversicherungsabkommen als klar und leitet aus den Gleichbehandlungsklauseln ab, dass - mangels einer Ausnahmebestimmung zur jeweiligen Gleichbehandlungsklausel -
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
auch auf die von Arbeitgebern in der Schweiz in Drittstaaten beschäftigten Angehörigen von Vertragsstaaten anwendbar ist.
Die Beschwerdegegnerin vertritt indessen den Standpunkt, die Gleichbehandlungsklausel setze voraus, dass der Angehörige des Vertragsstaates grundsätzlich der schweizerischen AHV unterstellt sei, wobei diese Unterstellung nicht aus der Gleichbehandlungsklausel abgeleitet werden dürfe. Mit Gewissheit könne der Gleichbehandlungsklausel nur entnommen werden, "dass die Ausländer (Belgier, Franzosen, Deutsche) in ihren Rechten und Pflichten aus der schweizerischen (Sozial-)Gesetzgebung den Schweizern gleichgestellt sind". Dem Wortlaut lasse sich aber nicht mit Gewissheit entnehmen, "ob er die Ausländer unmittelbar der schweizerischen Gesetzgebung unterstellt oder ob er die Gleichbehandlung nur für Ausländer, die der schweizerischen Gesetzgebung kraft einer andern Bestimmung unterstellt werden, festlegt". Aufgrund der Vertragstexte betreffend die Gleichbehandlungsklausel stünden beide Möglichkeiten offen.
4.
Bezüglich der Auslegung von Staatsverträgen hat das Bundesgericht in
BGE 97 I 364
ausgeführt:
"Zu Beginn der Auslegung ist die normale (gewöhnliche, natürliche) Wortbedeutung der verwendeten Ausdrücke zu ermitteln, sofern nicht Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Parteien von einem besonderen Sprachgebrauch ausgegangen sind; dabei sind Gegenstand und Zweck der Vereinbarung zu berücksichtigen. Erscheint der Vertragstext klar und ist seine Bedeutung, wie sie sich aus dem gewöhnlichen Sprachgebrauch sowie aus Gegenstand und Zweck des Übereinkommens ergibt, nicht offensichtlich sinnwidrig, so kommt eine über den Wortlaut hinausgehende, ausdehnende bzw. einschränkende Auslegung nur in Frage, wenn aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte mit Sicherheit auf eine vom Wortlaut abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten zu schliessen ist (vgl.
BGE 96 I 648
mit Hinweisen auf Literatur und Praxis)."
BGE 112 V 337 S. 341
Im gleichen Sinn hat auch das Eidg. Versicherungsgericht in
BGE 111 V 119
,
BGE 109 V 188
und 226,
BGE 108 V 68
,
BGE 105 V 16
,
BGE 103 V 170
und
BGE 97 V 36
entschieden. In diesem Zusammenhang ist auch auf die - von der Schweiz nicht ratifizierte - Wiener Konvention über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 hinzuweisen, in deren Art. 31 der Grundsatz festgelegt wird, dass ein Vertrag nach Treu und Glauben ausgelegt werden muss, entsprechend der üblichen Bedeutung, die den Begriffen des Vertrages in ihrem Zusammenhang und unter Berücksichtigung seines Zieles und Zwecks beizulegen ist (vgl. JÖRG PAUL MÜLLER/LUZIUS WILDHABER, Praxis des Völkerrechts, 2. Aufl., 1982, S. 589; VPB 1979 Nr. 89 S. 414).
5.
Gemäss den dargelegten Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung ist bei der Auslegung der vorliegend in Frage stehenden Sozialversicherungsabkommen vorerst deren normale Wortbedeutung zu ermitteln. Dabei ist davon auszugehen, dass in jedem der drei Vertragswerke ausdrücklich erklärt wird, dass dieses für die Bundesgesetzgebung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung sowie über die Invalidenversicherung gilt (Art. 2 Abs. 1 des schweizerisch-belgischen Abkommens, Art. 2 des schweizerisch-deutschen Abkommens und Art. 2 des schweizerisch-französischen Abkommens). Anschliessend folgt in allen drei Abkommen die Gleichbehandlungsklausel. Kein einziges Abkommen enthält einen Vorbehalt zur Gleichbehandlungsklausel bezüglich der Anwendung von
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
auf Angehörige von Vertragsstaaten, die in Drittstaaten beschäftigt werden. Die normale Wortbedeutung dieser Vertragstexte ist in diesem Punkt klar und bedeutet, dass nach
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
Angehörige von Vertragsstaaten, die von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigt und entlöhnt werden, gleich zu behandeln sind wie Schweizerbürger in vergleichbarer Situation.
6.
Es fragt sich im weitern, ob Gegenstand, Sinn und Zweck der betreffenden Abkommen offensichtlich zu einem von der wörtlichen Auslegung der Gleichbehandlungsklauseln abweichenden Ergebnis führen.
Unter Berufung auf das von ihr eingeholte Rechtsgutachten von Prof. Dr. Wildhaber vom 24. Juni 1983 über "AHV-Abgaben für Ausländer im Ausland" vertritt die Beschwerdegegnerin die Auffassung, dass die Schweiz das Territorialitätsprinzip durchbreche, wenn sie ausländische Staatsangehörige, die im Ausland wohnen, dem Versicherungsobligatorium des
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
unterstelle. Sie übersieht dabei, dass im Rahmen dieser Gesetzesbestimmung
BGE 112 V 337 S. 342
der Anknüpfungspunkt für das Versicherungsobligatorium die Existenz eines Arbeitgebers in der Schweiz ist, der im Ausland niedergelassene Arbeitnehmer entlöhnt. Der schweizerische Gesetzgeber kann durchaus dieses Kriterium auch für die Zugehörigkeit ausländischer Arbeitnehmer zu einer schweizerischen Sozialversicherung vorsehen und wäre es auch nur mit dem Zweck, eine Schlechterstellung dieser Arbeitnehmer gegenüber den vom gleichen Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmern schweizerischer Staatsangehörigkeit zu verhindern. Insofern widerspricht die wörtliche Auslegung der Gleichbehandlungsklausel auch nicht dem Zweck der Sozialversicherungsabkommen.
7.
Schliesslich muss in Anwendung des weitern, in Erw. 4 dargelegten Grundsatzes über die Auslegung von Staatsverträgen geprüft werden, ob aus dem Zusammenhang oder der Entstehungsgeschichte des je einschlägigen Abkommens mit Sicherheit auf eine vom Vertragstext abweichende Willenseinigung der Vertragsstaaten in dem Sinne zu schliessen ist, dass es die Absicht der Vertragsstaaten war, ihre von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigten Arbeitnehmer nicht dem Versicherungsobligatorium des
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
zu unterstellen.
a) Das am 25. Februar 1964 abgeschlossene, zur sog. zweiten Vertragsgeneration gehörende schweizerisch-deutsche Abkommen über Soziale Sicherheit enthält die in Erw. 2 zitierte Gleichbehandlungsklausel. Dazu wurde in Nummer 7 des Schlussprotokolls zum Abkommen der folgende Vorbehalt angebracht:
"Artikel 4 des Abkommens gilt nicht für die schweizerischen Rechtsvorschriften über die Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung von Schweizerbürgern, die ausserhalb des Gebiets der Vertragsparteien für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden, sowie über die Fürsorgeleistungen für die im Ausland wohnhaften invaliden Schweizerbürger."
Damit war ausdrücklich klargestellt, dass das in
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
für Schweizerbürger statuierte Versicherungsobligatorium auf deutsche Staatsangehörige nicht galt.
Bei den bilateralen Verhandlungen für die Revision des Abkommens und des Schlussprotokolls wurde u.a. die Frage der Aufhebung dieses Vorbehalts geprüft. Dazu hielt das BSV in einer amtsinternen Verhandlungsnotiz fest:
"Die schweizerische Delegation erklärte sich bereit, auch deutsche Staatsangehörige, die in einem Drittstaat für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden, zu versichern. Im umgekehrten Fall wird jeder ausländische Arbeitnehmer, der für einen
BGE 112 V 337 S. 343
deutschen Arbeitgeber im Ausland tätig ist, gemäss dem im deutschen Recht geltenden Ausstrahlungsprinzip den deutschen Rechtsvorschriften unterstellt."
Schliesslich wurde in Art. 1 Ziffer 24 des Zusatzabkommens vom 9. September 1975 die Nummer 7 des Schlussprotokolls wie folgt neu formuliert.
"Artikel 4 des Abkommens gilt nicht für die schweizerischen Rechtsvorschriften über den Beitritt zur freiwilligen Versicherung der im Ausland niedergelassenen Schweizer Bürger sowie über die Fürsorgeleistungen für die im Ausland wohnhaften invaliden Schweizer Bürger."
Damit war der Vorbehalt zur Gleichbehandlungsklausel bezüglich der deutschen Arbeitnehmer, die in einem Drittstaat für einen Arbeitgeber in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden, aufgehoben. In seiner Botschaft zum Zusatzabkommen, insbesondere zur erwähnten Ziffer 24, führte der Bundesrat aus (BBl 1975 II 2176):
"Schliesslich wurde die Gelegenheit des Zusatzabkommens benützt, um nebst rein redaktionellen Verbesserungen einige Ergänzungen betreffend den Personenkreis einzufügen, die sich in der Zwischenzeit als wünschenswert erwiesen haben, z.B. ... die Gleichstellung der Deutschen, die im Ausland für einen schweizerischen Arbeitgeber beschäftigt sind, mit den schweizerischen Arbeitskollegen (Art. 1 Ziff. 24)."
Die Materialien lassen demnach nicht darauf schliessen, dass die Vertragsstaaten "mit Sicherheit" beabsichtigt hatten, deutsche Staatsangehörige, die von einem Schweizer Arbeitgeber in einem Drittstaat beschäftigt werden, vom Versicherungsobligatorium gemäss
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
auszunehmen. Wohl hatte der Wortlaut der in Art. 4 des Abkommens von 1964 enthaltenen Gleichbehandlungsklausel keine Änderung erfahren. Das Zusatzabkommen von 1975 und die entsprechenden Materialien zeigen aber eindeutig, dass die ursprünglich ausdrücklich ausgeschlossene Unterstellung deutscher Staatsangehöriger unter das Versicherungsobligatorium des
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
mit dem Inkrafttreten des Zusatzabkommens von 1975 nunmehr beabsichtigt war.
b) Das am 3. Juli 1975 abgeschlossene, ebenfalls der zweiten Vertragsgeneration angehörende schweizerisch-französische Abkommen über Soziale Sicherheit enthält die in Erw. 2 zitierte Gleichbehandlungsklausel. Dazu wurde kein Vorbehalt in dem Sinne angebracht, dass die Gleichbehandlungsklausel für die von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigten und entlöhnten französischen Staatsangehörigen nicht gelte. Auch die Materialien enthalten keine Anhaltspunkte dafür, dass die
BGE 112 V 337 S. 344
Vertragsstaaten mit Sicherheit beabsichtigt hätten, die genannten Personen von der Gleichbehandlungsklausel auszunehmen. Vielmehr wurde französischerseits bei den Verhandlungen zur Revision des Abkommens vom 9. Juli 1949 der Wunsch geäussert, dass die französischen Staatsangehörigen, die in einem Drittstaat von einem Arbeitgeber in der Schweiz beschäftigt werden, gleich behandelt würden wie Schweizerbürger. Dieses Begehren wurde in einem gegenseitigen Verhandlungsprotokoll vom 6./12. Dezember 1972 ausdrücklich festgehalten. Eine - allerdings bloss indirekte - Bestätigung dafür, dass diesem Wunsch entsprochen wurde, findet sich in einer amtsinternen Notiz vom 4. März 1974 über die Verhandlungen mit der Bundesrepublik Deutschland über die Anwendung von
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
auf deutsche Staatsangehörige, der sich entnehmen lässt, "dass die Schweiz im revidierten Abkommen mit Frankreich erstmals bereit war, eine entsprechende Konzession zu machen". Auch der bundesrätlichen Botschaft zum Abkommen von 1975 lässt sich kein Hinweis entnehmen, aus dem geschlossen werden könnte, dass
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
von der Gleichbehandlungsklausel ausgenommen sein sollte.
c) Die in Art. 3 Abs. 1 des schweizerisch-belgischen Abkommens über Soziale Sicherheit vom 24. September 1975 enthaltene Gleichbehandlungsklausel (s. vorstehende Erw. 2) ist in ihrem Wortlaut identisch mit derjenigen des schweizerisch-französischen Abkommens. Auch dazu wurde kein Vorbehalt in dem Sinne angebracht, dass die Gleichbehandlungsklausel für die von einem Arbeitgeber in der Schweiz in einem Drittstaat beschäftigten und entlöhnten belgischen Staatsangehörigen nicht gelten solle. Ebensowenig enthalten die Materialien zu diesem Abkommen Hinweise für eine gesicherte Willenseinigung der Vertragsstaaten, dass
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
für belgische Staatsangehörige keine Gültigkeit habe.
d) Gesamthaft ergibt sich, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, welche gemäss den zur Auslegung von Staatsverträgen entwickelten Grundsätzen (s. vorstehende Erw. 4) erlauben würden, die in den drei Sozialversicherungsabkommen enthaltenen, nach ihrem Wortlaut klaren und in ihrer Bedeutung nicht offensichtlich dem Sinn der Abkommen widersprechenden Gleichbehandlungsklauseln über deren Wortlaut hinaus einschränkend zu interpretieren.
Das hat zur Folge, dass die deutschen, französischen und belgischen Staatsangehörigen, die in einem Drittstaat für einen Arbeitgeber
BGE 112 V 337 S. 345
in der Schweiz tätig sind und von diesem entlöhnt werden, in Anwendung von
Art. 1 Abs. 1 lit. c AHVG
und
Art. 1 IVG
obligatorisch der schweizerischen Gesetzgebung über die AHV und IV unterstellt sind. Die Ciba-Geigy AG hat dementsprechend auf den Löhnen, die sie in den Jahren 1978 bis 1982 den von ihr in Drittstaaten beschäftigten Arbeitnehmern aus den erwähnten Vertragsstaaten ausbezahlt hat, paritätische AHV- und IV-Beiträge (nebst Verwaltungskosten) zu entrichten.
8.
Die Ausgleichskasse hat die Ciba-Geigy AG nicht nur zur Bezahlung von paritätischen AHV- und IV-Beiträgen verpflichtet, sondern erhob auch Beiträge an die Arbeitslosenversicherung und an die Erwerbsersatzordnung.
Es steht fest, dass sich aus den staatsvertraglichen Gleichbehandlungsklauseln eine solche Beitragspflicht nicht unmittelbar ergibt. Denn die Gesetzgebungen, für welche die Abkommen gelten, sind in den genannten Sozialversicherungsabkommen selbst abschliessend aufgezählt; die Gesetzgebung über die Erwerbsersatzordnung und über die Arbeitslosenversicherung ist hier aber nicht erwähnt. Das BSV vertritt die Auffassung, für die Beitragspflicht in der Erwerbsersatzordnung und in der Arbeitslosenversicherung gelte Landesrecht. Nach
Art. 27 EOG
und
Art. 2 AVIG
seien in der Erwerbsersatzordnung und in der Arbeitslosenversicherung alle in der AHV versicherten Arbeitnehmer und deren Arbeitgeber beitragspflichtig. Daraus ergebe sich, dass Personen, "welche gemäss Abkommen in der AHV/IV beitragspflichtig sind, es auch in der EO bzw. AlV sein müssen, es sei denn, die entsprechenden Gesetze würden ausdrücklich eine Ausnahme vorsehen".
Der Auffassung des BSV kann nicht gefolgt werden. Die Unterstellung unter die schweizerische AHV/IV aufgrund der Gleichbehandlungsklauseln zieht nicht ohne weiteres die Beitragspflicht in der Erwerbsersatzordnung und in der Arbeitslosenversicherung nach sich. Diese Beitragspflicht müsste sich aus den betreffenden Abkommen selbst ergeben; denn die Schweiz ist grundsätzlich nicht befugt, innerstaatliche Rechtsvorschriften, die nicht ausdrücklich Gegenstand des Staatsvertrages sind, einseitig auf in Drittstaaten tätige Angehörige von Vertragsstaaten auszudehnen. In den Sozialversicherungsabkommen, welche die Schweiz mit der Bundesrepublik Deutschland, mit Frankreich und mit Belgien abgeschlossen hat, sind nun aber - wie gesagt - gerade die Erwerbsersatzordnung und die Arbeitslosenversicherung nicht erwähnt.
BGE 112 V 337 S. 346
Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall, dass die Ciba-Geigy AG auf den Löhnen, die sie ihren in Drittstaaten tätigen deutschen, belgischen und französischen Staatsangehörigen in den Jahren 1978 bis 1982 ausbezahlt hat, keine paritätischen EO- und AlV-Beiträge entrichten muss. Eine AlV-Beitragspflicht insbesondere bezüglich der deutschen Staatsangehörigen für die betreffenden Jahre lässt sich auch nicht etwa aus dem Abkommen über Arbeitslosenversicherung ableiten, welches die Schweiz am 20. Oktober 1982 mit der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossen hat, weil dieses erst am 1. Januar 1984, also nach Ablauf der in Betracht fallenden Beitragsperiode in Kraft getreten ist.
Es wird Sache der Ausgleichskasse sein, die von der Ciba-Geigy AG geschuldeten AHV/IV-Beiträge in einer beschwerdefähigen Verfügung neu festzusetzen.
9.
Mit ihrer Verfügung vom 14. November 1983 hat die Ausgleichskasse in Anwendung von
Art. 69 Abs. 1 AHVG
,
Art. 66 Abs. 1 IVG
und
Art. 22 EOG
auch einen Verwaltungskostenbeitrag von 6%o der geforderten AHV/IV/EO-Beiträge erhoben. Da die Ciba-Geigy AG keine EO-Beiträge zu bezahlen hat, wird die Ausgleichskasse auch die Verwaltungskosten anhand der geschuldeten AHV- und IV-Beiträge neu berechnen.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der Entscheid der Rekurskommission Basel für die Ausgleichskassen vom 16. Februar 1984 und die angefochtene Kassenverfügung vom 14. November 1983 aufgehoben werden und die Sache an die Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes zurückgewiesen wird, damit diese im Sinne der Erwägungen neu verfüge.