Urteilskopf
112 V 356
63. Urteil vom 12. Dezember 1986 i.S. Stöckli gegen Personalfürsorgestiftung der Firma Steiner + Steiner AG und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt
Regeste
Art. 49 Abs. 2 und 73 Abs. 1 BVG,
Art. 89bis Abs. 6 ZGB
: Zuständigkeit der BVG-Rechtspflegeinstanzen. Die mit
Art. 73 BVG
eingeführten Rechtspflegeinstanzen sind nicht zuständig für die Beurteilung von - nach dem 1. Januar 1985 gerichtlich anhängig gemachten - Streitigkeiten über Ansprüche und Forderungen, die aufgrund eines Versicherungsfalles erhoben werden, der noch unter der Herrschaft des alten Rechts zur beruflichen Vorsorge (also vor dem 1. Januar 1985) eingetreten ist (Erw. 3 und 4).
Art. 159 Abs. 2 OG
: Parteientschädigung. Personalvorsorgestiftungen haben, auch wenn sie obsiegen, im Regelfall keinen Anspruch auf Parteientschädigung (Erw. 6).
A.-
Josef Stöckli wurde mit Verfügung vom 17. November 1981 eine ab 1. Juli 1981 laufende Rente der Invalidenversicherung
BGE 112 V 356 S. 357
samt einer einfachen ordentlichen Kinderrente zugesprochen. Seit dem 1. August 1981 bezieht er eine Rente der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) und seit anfangs 1982 steht er im Genusse einer Invalidenrente der Personalfürsorgestiftung seiner Arbeitgeberfirma Steiner + Steiner AG. Mit Schreiben vom 7. Januar 1982 stellte ihm die Firma eine Abrechnung über Salär- und Rentenzahlungen im Jahre 1981 bzw. eine Auflistung der Rentenleistungen für das Jahr 1982 zu. Der Schlusssatz dieses Schreibens lautet: "Die Stiftung wird gegebenenfalls bei einer Rentenreduktion infolge Wegfalls eines Kinder-Rentenanteils seitens der SUVA bzw. IV für diesen Rentenanteil aufkommen."
Streitig war in der Folge die Frage, inwieweit die SUVA-Rente des Versicherten als Einkommen in die Überversicherungsberechnung einbezogen werden dürfe. Hierüber einigten sich der Versicherte und die Stiftung durch Vergleich vom 15. Februar 1983, in welchem in Ziff. 4 bestimmt wurde: "Herr Josef Stöckli anerkennt, dass er mit Abschluss dieses Vergleichs keine weiteren Ansprüche aus seiner Invalidität mehr an die Personalfürsorgestiftung der Firma Steiner + Steiner AG zu stellen hat ..."
Mit Wirkung ab 1. April 1985 erlosch der Anspruch Josef Stöcklis auf Ausrichtung der Kinderrente der Invalidenversicherung. Als dieser daraufhin die Stiftung aufforderte, den Betrag der weggefallenen Kinderrente (zuletzt Fr. 552.- monatlich) zu übernehmen, weil sich die Überversicherungsberechnung nun entsprechend anders gestalte, stellte sich die Stiftung auf den Standpunkt, dass aufgrund von Ziff. 4 des Vergleichs vom 15. Februar 1983 keinerlei weitere Ansprüche mehr erhoben werden könnten.
B.-
Die hierauf von Josef Stöckli am 2. Oktober 1985 eingereichte Klage wies das Versicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt, das sich gestützt auf
Art. 73 BVG
in Verbindung mit § 1 Abs. 1 lit. d der kantonalen Verordnung über das Verfahren im Sozialversicherungsprozess als zuständig erachtete, mit Entscheid vom 13. Juni 1986 ab.
C.-
Josef Stöckli lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und in der Hauptsache beantragen, die Personalfürsorgestiftung der Firma Steiner + Steiner AG sei zu verpflichten, ihm Fr. 3'312.- nebst Zins zu 5% seit dem 30. Juni 1985 zu bezahlen. Die Stiftung sei ferner zu verurteilen, ihm für die Zeit ab 1. April 1985 bis zum 28. Februar 1990 zuzüglich zum unbestrittenermassen geschuldeten Rentenbetrag von Fr. 4'694.- jährlich weitere
BGE 112 V 356 S. 358
Fr. 6'624.- pro Jahr zum Ausgleich der weggefallenen Kinderrente zu bezahlen.
Die Stiftung beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf einen Antrag.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1.
a) Gemäss
Art. 73 Abs. 1 BVG
bezeichnet jeder Kanton als letzte kantonale Instanz ein Gericht, das über die Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten entscheidet. Der Bundesrat hat diese Bestimmung laut
Art. 98 Abs. 2 BVG
in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 der Verordnung über die Inkraftsetzung und Einführung des BVG (SR 831.401) auf den 1. Januar 1985 in Kraft gesetzt.
Art. 73 BVG
findet auf den obligatorischen und überobligatorischen Bereich registrierter privat- und öffentlichrechtlicher Vorsorgeeinrichtungen Anwendung (
Art. 49 Abs. 2 BVG
), ferner auf den überobligatorischen Bereich nicht registrierter Personalvorsorgestiftungen (
Art. 89bis Abs. 6 ZGB
).
b) Gemäss § 1 Abs. 1 lit. d der Verordnung vom 4. Dezember 1984 des Kantons Basel-Stadt über das Verfahren im Sozialversicherungsprozess beurteilt das Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt als kantonales Versicherungsgericht Streitigkeiten zwischen Vorsorgeeinrichtungen, Arbeitgebern und Anspruchsberechtigten (
Art. 73 BVG
und
Art. 89bis Abs. 6 ZGB
).
2.
a) Es stellt sich die Frage, ob die Vorinstanz auf die hier streitige Sache eintreten durfte oder, generell, ob die mit
Art. 73 BVG
eingeführten neuen Rechtspflegeinstanzen zur Entscheidung von Prozessen der hier zu beurteilenden Art befugt sind.
b) Im vorliegenden Fall ist in materieller Hinsicht zu entscheiden, ob die wegen Überversicherung gekürzte Rente der Personalfürsorgestiftung für die Zeit ab 1. April 1985 zu erhöhen ist, weil von diesem Zeitpunkt an keine Kinderrente der Invalidenversicherung mehr auszurichten war. Mit dem blossen Umstand, dass eine Komponente (Kinderrente) der bisherigen Überversicherungsberechnung entfällt, liegt kein neuer Versicherungsfall vor. Vielmehr würde die beantragte Erhöhung des Rentenbetrages eine Rechtsfolge darstellen, die noch vollumfänglich auf dem Versicherungsfall beruhte, der den - an sich nach wie vor unverändert bestehenden - Rentenanspruch begründet hatte. Der hier massgebende
BGE 112 V 356 S. 359
Versicherungsfall ist mithin noch vor der Einführung des BVG (1. Januar 1985) eingetreten. Die aufgeworfene materielle Rechtsfrage hat ferner keinerlei Bezug zum BVG. Zur vollständigen Erledigung der Versicherungssache war schon bei der ersten Überversicherungsberechnung darüber zu befinden, was beim Wegfall der Kinderrente der Invalidenversicherung zu geschehen habe. Unbestrittenermassen ist dieser Punkt auch geregelt worden. Streitig ist heute einzig, ob diesbezüglich der im Schreiben der Arbeitgeberfirma vom 7. Januar 1982 zugestandene Kompensationsanspruch gilt oder ob der Beschwerdeführer mit dem Vergleich vom 15. Februar 1983 darauf verzichtet hatte. Dieser Tatbestand wird durch das BVG in keiner Weise beeinflusst oder berührt. Konkreter und genauer umschrieben lautet demnach die oben gestellte prozessuale Frage, ob die mit
Art. 73 BVG
neu eingeführten Rechtspflegeinstanzen auf - nach dem 1. Januar 1985 gerichtlich anhängig gemachte - Streitigkeiten über Ansprüche und Forderungen einzutreten haben, die vom BVG in keiner Weise berührt werden und auf einem Versicherungsfall beruhen, der noch unter der Herrschaft des alten Rechts zur beruflichen Vorsorge eingetreten ist.
3.
Eine ausdrückliche Regelung hiezu besteht weder im BVG noch in der genannten baselstädtischen Verordnung. In der Literatur wird ohne nähere Begründung die Zuständigkeit der neuen Instanzen für solche Rechtsstreitigkeiten bejaht (RIEMER, Das Recht der beruflichen Vorsorge in der Schweiz,
§ 1 N 48
S. 41; Lang, Aufsicht und Rechtspflege in der beruflichen Vorsorge, Schriftenreihe der IST Nr. 14, S. 24).
Art. 73 BVG
ist indessen primär für die mit diesem Gesetz eingeführte obligatorische Versicherung geschaffen worden und hat damit einen klaren zeitlichen Geltungsbereich, indem dieser notwendigerweise auf die Beurteilung von Streitsachen beschränkt ist, in welchen der Versicherungsfall nach dem 1. Januar 1985 eingetreten ist. Diese Begrenzung der Anwendbarkeit des neuen Verfahrensrechts gilt sinngemäss auch für die Rechtspflege im überobligatorischen Bereich (
Art. 49 Abs. 2 BVG
) und für die nicht registrierten Personalfürsorgestiftungen (
Art. 89bis Abs. 6 ZGB
). Wenn die
Art. 49 Abs. 2 BVG
und 89bis Abs. 6 ZGB auf
Art. 73 BVG
verweisen, so wird damit wohl der sachliche Geltungsbereich des
Art. 73 BVG
auf die erwähnten Zweige der beruflichen Vorsorge ausgeweitet, doch keine neue materielle Zuständigkeit für die Beurteilung von Rechtsansprüchen oder Forderungen begründet, die ausschliesslich
BGE 112 V 356 S. 360
vor Inkrafttreten des neuen Rechts entstanden sind oder auf einem Versicherungsfall beruhen, der noch unter der Herrschaft des alten Rechts eingetreten ist. Eine solche Ausdehnung der neuen Ordnung des
Art. 73 BVG
wäre im Gesetz verankert oder zumindest in den Materialien erwähnt worden, wenn eine entsprechende gesetzgeberische Absicht bestanden hätte. Zwar war der Gesetzgeber nach den Materialien bestrebt, eine Aufspaltung des Rechtsweges zu vermeiden. Diese Absicht beschränkte sich jedoch darauf, für den Obligatoriumsbereich und den überobligatorischen Bereich registrierter Vorsorgeeinrichtungen und den überobligatorischen Bereich nicht registrierter Personalfürsorgestiftungen eine einheitliche gerichtliche Zuständigkeit zu begründen (Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge vom 19. Dezember 1975, BBl 1976 I 212, 254 f. und 276; Amtl.Bull. 1981 N 1120, 1982 S. 28). Der Richter gemäss
Art. 73 BVG
ist mithin sachlich nur zuständig, wenn im angehobenen Prozess der massgebende Versicherungsfall (bzw. bei Beitragsstreitigkeiten die Fälligkeit) nach dem 31. Dezember 1984 eingetreten ist.
4.
a) Zum gleichen Ergebnis führen übergangsrechtliche Überlegungen. Nach der Rechtsprechung sind neue Verfahrensvorschriften grundsätzlich mit dem Tag des Inkrafttretens sofort und in vollem Umfange anwendbar, es sei denn, das neue Recht kenne anderslautende Übergangsbestimmungen (
BGE 111 V 47
mit Hinweisen). Dieser Grundsatz kann indessen für das Gebiet des Verwaltungsprozesses nicht uneingeschränkt gelten. Dessen Anwendung ist in der Regel zweckmässig oder geboten, wenn zwischen dem alten und dem neuen Recht eine Kontinuität des verfahrensrechtlichen Systems besteht und die Gesetzesrevision prozessual nur punktuelle Änderungen bringt, wie das beispielsweise bei der Ablösung des bis 31. Dezember 1983 gültig gewesenen zweiten Titels des KUVG durch das UVG der Fall war (vgl. etwa
BGE 111 V 46
). Er kann dagegen nicht zum Zuge kommen, wo eine Kontinuität des verfahrensrechtlichen Systems fehlt und eine grundlegende neue rechtliche Verfahrensordnung geschaffen wird. Denn damit sind zahlreiche Übergangsprobleme verbunden, denen der erwähnte Grundsatz nicht gerecht zu werden vermag.
b) Das BVG hat gänzlich neue rechtliche Strukturen geschaffen. Es hat insbesondere die Rechtspflege in einer Weise umgestaltet, dass von einer grundlegenden neuen Zuständigkeits- und Verfahrensordnung gesprochen werden muss, welche in einem wesentlichen
BGE 112 V 356 S. 361
Teil durch den Wechsel vom Zivilprozess zum Sozialversicherungsprozess gekennzeichnet ist. Eine sofortige und umfassende Anwendbarkeit des neuen Prozessrechts hätte beispielsweise zur Folge, dass sich der Sozialversicherungsrichter auch mit Streitigkeiten zu befassen hätte, die auf einen Jahre zurückliegenden Versicherungsfall zurückgingen und keinerlei Berührungspunkte mit dem BVG aufwiesen. Ebenso müsste er gegebenenfalls auf Vereinbarungen oder Absprachen zurückkommen, welche die Parteien nach den altrechtlichen Regeln getroffen hatten und welche vor dem neuen Recht nicht mehr zu bestehen vermöchten. Besondere Übergangsprobleme ergäben sich, um weitere Beispiele zu nennen, für die Fälle der Litispendenz, indem Prozesse, die vor Inkrafttreten des BVG bei einem Zivilrichter eingeleitet, aber noch nicht abgeschlossen worden sind, an den zuständigen Sozialversicherungsrichter weiterzuleiten wären, der dann den Prozess unter gänzlich neuen Verfahrensmaximen fortzusetzen hätte. Zudem käme es zu einem Instanzenzug vom kantonalen Zivilrichter zum Eidg. Versicherungsgericht. Derartige Konsequenzen erhellen deutlich, dass bei grundlegenden materiell- und verfahrensrechtlichen Änderungen wie hier mit dem BVG der Grundsatz der sofortigen und umfassenden Anwendbarkeit des neuen Prozessrechts nicht gelten kann. In einem solchen Fall ist es vielmehr geboten, dass das neue Verfahrensrecht auf die Beurteilung von Ansprüchen und Forderungen, die ausschliesslich während der Geltungszeit des alten Rechts begründet worden sind, nur anwendbar sein soll, wenn diese Regel aus dem neuen Recht klar hervorgeht oder spezielle Umstände dies notwendig machen, wie etwa die im öffentlichen Interesse liegende sofortige Durchsetzung des neuen materiellen Rechts. Im vorliegenden Fall sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt.
5.
Ist nach dem Gesagten der Richter gemäss
Art. 73 BVG
sachlich nur zuständig, wenn im angehobenen Prozess der massgebende Versicherungsfall nach dem 31. Dezember 1984 eingetreten ist, so hat sich die Vorinstanz im hier zu beurteilenden Fall zu Unrecht in ihrer Eigenschaft als kantonales Verwaltungsgericht als zuständig erklärt. Deren Entscheid vom 13. Juni 1986 ist deshalb aufzuheben. Auf die in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde gestellten materiellrechtlichen Anträge ist nicht einzutreten.
6.
Nach
Art. 159 Abs. 2 OG
darf im Verfahren der Verwaltungsgerichtsbeschwerde obsiegenden Behörden oder mit öffentlichrechtlichen Aufgaben betrauten Organisationen in der Regel
BGE 112 V 356 S. 362
keine Parteientschädigung zugesprochen werden. In Anwendung dieser Bestimmung hat das Eidg. Versicherungsgericht der SUVA und den privaten UVG-Versicherern sowie - von Sonderfällen abgesehen - den Krankenkassen keine Parteientschädigungen zugesprochen, weil sie als Organisationen mit öffentlichrechtlichen Aufgaben zu qualifizieren sind (
BGE 112 V 49
Erw. 3, 107 V 233 Erw. 3,
BGE 106 V 123
). Das hat grundsätzlich auch für die Träger oder Versicherer der beruflichen Vorsorge gemäss BVG zu gelten. Im vorliegenden Fall rechtfertigt sich indes eine Ausnahme, da hier die Personalfürsorgestiftung zu Unrecht als sozialversicherungsrechtliche Vorsorgeeinrichtung ins Recht gefasst worden ist.
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist, und der Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Basel-Stadt vom 13. Juni 1986 aufgehoben...