BGE 113 IA 362 vom 22. Dezember 1987

Datum: 22. Dezember 1987

Artikelreferenzen:  Art. 4 RPG, Art. 15 RPG, Art. 27 RPG, Art. 35 RPG, Art. 113 BV , Art. 22ter BV, Art. 27 Abs. 1 RPG, Art. 15 lit. a RPG, Art. 113 Abs. 3 BV, Art. 4 Abs. 2 RPG, Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG, Art. 90 Abs. 1 lit. b OG

BGE referenzen:  117 IA 35, 117 V 229, 120 IA 209 , 105 IA 229, 110 IA 165, 105 IA 228, 111 IA 26, 107 IA 243, 105 IA 233, 103 IA 256, 107 IA 243, 105 IA 233, 103 IA 256

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

113 Ia 362


56. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 22. Dezember 1987 i.S. X. AG gegen Regierung des Kantons Graubünden (staatsrechtliche Beschwerde)

Regeste

Art. 22ter BV ; Planungszone gemäss Art. 27 Abs. 1 RPG .
- Die Unterstellung unter eine Planungszone bewirkt eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung, die mit der Eigentumsgarantie nach Art. 22ter BV nur vereinbar ist, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, verhältnismässig ist, die Institutsgarantie nicht verletzt sowie voll entschädigt wird, sofern sie einer Enteignung gleichkommt (E. 2).
- Das öffentliche Interesse an einer Planungszone bedingt eine begründete Planungsabsicht und setzt voraus, dass die Vorstellung über die künftige Planung zulässig ist (E. 2a und b).
- Verhältnismässigkeit der Planungszone im konkreten Fall (E. 2c).

Sachverhalt ab Seite 363

BGE 113 Ia 362 S. 363
Die X. AG ist Eigentümerin einer Parzelle im Gebiet Tschüchas/Piz Sura in der Gemeinde Silvaplana. Sie beabsichtigt seit längerer Zeit, dieses Land zu überbauen.
Am 15. März 1985 beschloss die Gemeinde Silvaplana, ihre aus dem Jahre 1976 stammende Ortsplanung zu überarbeiten. Die Regierung des Kantons Graubünden genehmigte am 6. Oktober 1986 die abgeänderten Bestimmungen des kommunalen Baugesetzes sowie die neuen Zonen- und Generellen Gestaltungspläne jedoch nur teilweise und beauftragte das Departement des Innern und der Volkswirtschaft, im Sinne von Art. 12 der Verordnung über Bewilligungen für Bauten ausserhalb der Bauzonen und über Planungszonen vom 28. Januar 1980 (BAB) ein Verfahren zum Erlass von Planungszonen unter anderem für das Gebiet Tschüchas/Piz Sura in der Gemeinde Silvaplana einzuleiten.
Das Departement stellte die betroffenen Gebiete in zwei Plänen von 1:1000 dar und legte diese vom 20. Februar bis zum 11. März 1987 in der Gemeinde Silvaplana öffentlich auf.
BGE 113 Ia 362 S. 364
Dagegen erhoben die X. AG und andere Grundeigentümer Einsprache.
Die Regierung des Kantons Graubünden wies diese Rechtsmittel am 17. August 1987 ab und entschied unter anderem, es werde für das Gebiet Tschüchas/Piz Sura eine Planungszone im Sinne von Art. 27 des BG über die Raumplanung vom 22. Juni 1979 (RPG) bestimmt. Diese Anordnung gelte ab sofort und bleibe bis zum Vorliegen einer den Anforderungen des übergeordneten Rechts entsprechenden Ortsplanung, längstens aber für 5 Jahre, in Kraft. Innerhalb der Planungszone dürfe nichts unternommen werden, was die beabsichtigte Planung erschweren könnte. Es dürften insbesondere keine Hochbauten erstellt und keine Erschliessungsmassnahmen getroffen werden.
Die X. AG beantragt mit staatsrechtlicher Beschwerde, der Entscheid der Regierung des Kantons Graubünden sei, soweit er sich auf das Gebiet Tschüchas/Piz Sura beziehe, vollumfänglich aufzuheben. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es auf sie eintritt.

Erwägungen

Auszug aus den Erwägungen:

2. Müssen Nutzungspläne angepasst werden, so kann die zuständige Behörde für genau bezeichnete Gebiete Planungszonen bestimmen. Innerhalb der Planungszonen darf nichts unternommen werden, was die Nutzungsplanung erschweren könnte ( Art. 27 Abs. 1 RPG ). Die Unterstellung unter eine Planungszone bewirkt also eine öffentlichrechtliche Eigentumsbeschränkung. Sie ist mit der Eigentumsgarantie nur vereinbar, sofern sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruht, im überwiegenden öffentlichen Interesse liegt, verhältnismässig ist, die Institutsgarantie nicht verletzt sowie voll entschädigt wird, sofern sie einer Enteignung gleichkommt ( BGE 111 Ia 26 f. E. 3, 96 E. 2; je mit Hinweisen; vgl. auch JÖRG PAUL MÜLLER/STEFAN MÜLLER, Grundrechte. Besonderer Teil, Bern 1985, S. 292 ff.). Bestritten ist, dass ein ausreichendes öffentliches Interesse besteht und dass die Massnahme verhältnismässig sei. Das Bundesgericht darf jedoch die Regelung von Art. 27 RPG nicht überprüfen, sondern nur ihre Anwendung ( Art. 113 Abs. 3 BV ).
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a) Die Planungszone setzt eine begründete Planungsabsicht voraus; darin besteht das öffentliche Interesse an der Massnahme (vgl. BGE 105 Ia 229 E. 2d).
aa) Die Beschwerdeführerin macht im wesentlichen geltend, der angefochtene Entscheid lasse jegliche Angaben darüber vermissen, warum die Bauzone zu gross sei. Jedenfalls sei daraus nicht ersichtlich, warum die Reduktion gerade das Gebiet Tschüchas/Piz Sura betreffen müsse. Das sei weder rechtlich noch sachlich gerechtfertigt. Das Gebiet sei mit fünf Häusern teilweise überbaut, voll erschlossen sowie in ein separates Quartierplanverfahren einbezogen worden, das nur am Widerstand egoistischer Nachbarn gescheitert sei. Ihre Parzelle sei im übrigen so klein, dass deswegen eine Überschreitung der Baulandreserve nicht besonders schwer ins Gewicht falle. Belanglos sei, dass das Grundstück peripher liege, denn das Gebiet Tschüchas/Piz Sura sei sowohl im östlichen wie im westlichen Teil teilweise bereits überbaut; es sei deshalb auch nicht einsichtig, wo die von der Regierung geltend gemachte landschaftliche Bedeutung des Gebietes liegen solle; die Gefahr einer Zersiedlung bestehe nicht. Das Land in Tschüchas sei auch nur beschränkt zur landwirtschaftlichen Nutzung geeignet.
bb) Zu Recht bestreitet die Beschwerdeführerin nicht, dass schon eine klar umrissene Willenserklärung auf Planänderung, wie sie die Regierung in ihrem Beschluss vom 6. Oktober 1986 ausgesprochen hat, eine Planungszone begründen kann ( BGE 110 Ia 165 E. 6 mit Hinweisen). Eine einigermassen konkretisierte Absicht genügt, denn die Planung soll ja nicht in diesem Verfahren verwirklicht werden. Ziel ist vielmehr, die Entscheidungsfreiheit der Planungsorgane zu sichern. Folglich muss ausgeschlossen werden, was immer die Planungsabsicht behindern könnte ( BGE 110 Ia 165 E. 6; BGE 105 Ia 228 E. 2d). Es gilt, jede negative Präjudizierung zu verhindern. Dementsprechend dürfen die Anforderungen an den Erlass einer Planungszone nicht zu hoch angesetzt werden. Die Planungsabsicht kann vor allem dann nicht konkreter gefasst werden, wenn die Planungszone von der Exekutive erlassen wird, während das Planungsorgan, dessen Handlungsmöglichkeiten gewahrt werden sollen, Volk und Parlament sind. Da es gilt, die bundesgesetzlich gebotene demokratische Mitwirkung ( Art. 4 Abs. 2 RPG ) zu erhalten, kann das Bundesgericht nur einschreiten, wenn die Massnahme offensichtlich rechtswidrig oder sinnlos ist (vgl. BGE 105 Ia 228 f. E. 2d; nicht veröffentlichtes Urteil des
BGE 113 Ia 362 S. 366
Bundesgerichts vom 3. November 1982 i.S. M. gegen Kanton Basel-Stadt, E. 6a). Schliesslich bezieht sich die Planungsabsicht auf "Räume". Bezweckt ist eine auf ein ganzes Gebiet gerichtete, gesamthafte Überprüfung. Die Verhältnisse auf einzelnen Parzellen sind soweit von Belang, als dadurch der Charakter des Planungsgebietes insgesamt wesentlich beeinflusst wird.
Soweit die Beschwerdeführerin somit allein mit dem Überbauungs- und Erschliessungszustand ihrer Parzelle argumentiert, kann dies von vornherein nicht zu einer Gutheissung der Beschwerde führen. Das Gesetz orientiert sich nicht daran, ob Häuser, Leitungen oder Strassen auf einzelnen Parzellen vorhanden sind, sondern ob "Land" insgesamt "weitgehend überbaut" ist ( Art. 15 lit. a RPG ). Begründeter Anlass für eine Planungszone besteht, wenn sich die Eigentümerin wie hier intensiv um die Überbauung eines Gebietes bemüht, das ernstlich für eine Bauzonenreduktion in Frage kommt.
cc) Die Planungsabsicht muss ferner in einem Planungsbedürfnis begründet sein. Das ist jedenfalls zu bejahen, wenn die gegenwärtige Regelung der räumlichen Ordnung dem Raumplanungsauftrag widerspricht, wie er sich aus Verfassung, Gesetz und übergeordneten Plänen ergibt. Dann verlangt sogar das Gesetz eine Anpassung (vgl. Art. 35 Abs. 1 lit. b RPG ).
Unbegründet ist der Vorwurf, der angefochtene Regierungsentscheid enthalte keine genügenden Angaben. Er fasst mit ausdrücklichem Hinweis auf den Beschluss vom 6. Oktober 1986, der sich bei den Akten befindet, das Ergebnis zusammen, wonach die Gemeinde Silvaplana auch nach der Ortsplanungsrevision über Bauzonen verfüge, welche das bundesrechtlich zulässige Mass um etwa das Doppelte überstiegen, und dass in erster Linie nicht oder nur teilweise überbaute und nicht genügend erschlossene Baugebiete zu redimensionieren seien, darunter Tschüchas/Piz Sura. Es hätte an der Beschwerdeführerin gelegen, sich damit und mit den Angaben im Entscheid vom 6. Oktober 1986 näher auseinanderzusetzen (vgl. Art. 90 Abs. 1 lit. b OG ).
Eine nochmalige Überprüfung der Ortsplanung Silvaplana im Blick auf eine Bauzonenreduktion ist somit hinlänglich begründet.
b) Die Vorstellung über die künftige Planung, welcher die Planungszone dient, muss - soweit dies überhaupt zu untersuchen ist (vgl. E. 2a/bb) - zulässig sein (vgl. BGE 105 Ia 229 E. 2d).
Die Beschwerdeführerin vertritt im Grunde die Auffassung, ihre Parzelle müsse auf jeden Fall der Bauzone zugewiesen werden.
BGE 113 Ia 362 S. 367
Hier irrt sie sich offensichtlich. Auch Parzellen mit Erschliessungsanlagen oder Gebäuden dürfen oder müssen allenfalls einer Nichtbauzone zugeteilt werden ( BGE 107 Ia 243 E. 3b und c; BGE 105 Ia 233 E. 3c/aa; BGE 103 Ia 256 E. 3d). Mit dem Begriff der weitgehenden Überbauung ( Art. 15 lit. a RPG ) meint das Gesetz nicht die Qualität einzelner Parzellen, sondern ganzer Gebiete. Zudem ist auch der an die Strasse angrenzende Teil der Parzelle Nr. 1005 nach der Untersuchung von Marcel H., Raumplaner BSP, vom 30. Oktober 1985 kanalisationsmässig nicht erschlossen. Auch die Quartierplanverfahren sind gar nicht durchgeführt worden.
c) Die Planungszone darf nicht weiter gehen, als es ihr Zweck erfordert.
aa) Die Beschwerdeführerin macht unter sinngemässer Anrufung des Verhältnismässigkeitsprinzips geltend, es gehe um eine derart kleine Fläche, dass eine Überschreitung der Baulandreserve nicht besonders schwer ins Gewicht falle; dem Gebot des Natur- und Landschaftsschutzes könne zudem mit anderen, zweckmässigeren Mitteln Nachachtung verschafft werden; die Massnahme bedeute eine übermässige Härte.
bb) Soweit die Beschwerdeführerin die Massnahme an sich, bzw. das öffentliche Interesse an ihr, auch hier wiederum in Frage stellt, ist auf die Erwägungen in Ziffer 2a und b zu verweisen. Lässt sich die Planungszone mit einem hinreichenden öffentlichen Interesse rechtfertigen, so kann diese Raumplanungsmassnahme nicht allein für eine bestimmte Parzelle wiederum in Frage gestellt werden, indem vorgebracht wird, die fragliche Fläche falle nicht ins Gewicht. Auf die Grösse eines betroffenen Grundstückes kommt es nicht an, weil - wie dargetan - das fragliche Gebiet gesamthaft zu betrachten ist. Auch eine mildere Massnahme als ein Verbot von Hochbauten ist nicht angezeigt, solange die Möglichkeit einer Umzonung in das Nichtbaugebiet zur Diskussion steht. Die Frage, ob die auf dem Spiele stehenden Landschaftsschutzzinteressen nicht auch mit einer weniger weitgehenden Anordnung hinreichend geschützt werden könnten, ist deshalb gar nicht entscheidend; sie kann offenbleiben.

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