BGE 114 II 225 vom 10. Mai 1988

Datum: 10. Mai 1988

Artikelreferenzen:  Art. 620 ZGB, Art. 620 Abs. 1 ZGB

BGE referenzen:  111 II 326 , 110 II 330, 107 II 35, 110 II 331, 111 II 326, 111 II 329, 89 II 19, 95 II 395, 110 II 491, 111 II 329, 89 II 19, 95 II 395, 110 II 491

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

114 II 225


39. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 10. Mai 1988 i.S. S. gegen F. (Berufung)

Regeste

Art. 620 Abs. 1 ZGB ; bäuerliches Erbrecht.
Dem Begehren einer 76jährigen Frau um Zuweisung eines landwirtschaftlichen Gewerbes nach Art. 620 ZGB kann nicht entsprochen werden, wenn die Bewerberin seit mehr als 20 Jahren keinen bäuerlichen Betrieb mehr geführt hat und ihr die Fähigkeit abgesprochen werden muss, die betriebliche Einheit der an mehrere Landwirte verpachteten Parzellen wiederherzustellen und den seit Jahren stillgelegten Betrieb wieder seiner eigentlichen Zweckbestimmung zuzuführen.

Sachverhalt ab Seite 225

BGE 114 II 225 S. 225

A.- Im Nachlass des am 21. Dezember 1984 verstorbenen W. F. befindet sich eine landwirtschaftliche Liegenschaft, bestehend aus Wohnhaus und Scheune sowie landwirtschaftlichen Grundstücken und Wald im Halte von insgesamt 597,98 Aren. Der Erblasser, der keine Nachkommen hat, hatte das Land sukzessive verpachtet, bis er im Jahre 1975 den Betrieb ganz aufgab. Gesetzliche Erbinnen sind allein K. S., geb. 1911, und A. F., geb. 1915, die beiden überlebenden Schwestern des Erblassers.

B.- Mit Klage vom 7. April 1986 verlangte K. S. die ungeteilte Zuweisung des landwirtschaftlichen Heimwesens zum Ertragswert. Ihre Miterbin und Schwester beantragte mit Klageantwort und Widerklage vom 11. August 1986, das Klagebegehren abzuweisen und den landwirtschaftlichen Betrieb zum Ertragswert ihr zuzuweisen.
Das Bezirksgericht Lenzburg hiess die Klage mit Urteil vom 29. Januar 1987 gut, wies das Heimwesen der Klägerin zum landwirtschaftlichen Ertragswert ungeteilt zu und wies die Widerklage ab.
BGE 114 II 225 S. 226
Eine Beschwerde der Beklagten wurde vom Obergericht des Kantons Aargau mit Urteil vom 27. Oktober 1987 teilweise gutgeheissen. Es hob das Urteil des Bezirksgerichts auf und wies Klage und Widerklage ab.

C.- Die Klägerin reichte beim Bundesgericht Berufung ein mit den Anträgen, in Gutheissung der Berufung sei der Entscheid des Obergerichts vom 27. Oktober 1987 aufzuheben und das Urteil des Bezirksgerichts Lenzburg vom 29. Januar 1987 zu bestätigen. Demgemäss sei der landwirtschaftliche Betrieb nebst den dazugehörigen Parzellen ihr ungeteilt zum landwirtschaftlichen Ertragswert zuzuweisen.
Die Beklagte beantragt die Abweisung der Berufung.
Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt das angefochtene Urteil.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. Das Obergericht hat die Eignung der Klägerin zur Selbstbewirtschaftung des Heimwesens des Erblassers vor allem aufgrund ihres Alters verneint. Auch dem Sohn der Klägerin hat es die Eigenschaften eines modernen landwirtschaftlichen Betriebsführers abgesprochen. Die Klägerin beanstandet dies nicht und findet sich demnach damit ab, dass eine Übernahme des landwirtschaftlichen Betriebs zur Selbstbewirtschaftung für sie nicht in Frage kommt. Das hindert sie jedoch nicht, die Zuweisung unter den weniger strengen Voraussetzungen der Übernahme zur Verpachtung zu verlangen. Aber auch diese Voraussetzungen hat die Vorinstanz als nicht erfüllt betrachtet. Sie wies darauf hin, dass die 76jährige Klägerin durch die Übernahme insbesondere vor eine physische Herausforderung gestellt würde, in welcher sie bei ihrem nicht fachkundigen Sohn keine Unterstützung finden würde. Die Zusammenführung der an verschiedene Landwirte verpachteten Grundstücke zu einer betrieblichen Einheit und die Reaktivierung des seit vielen Jahren stillstehenden Betriebs auf der Grundlage moderner Produktionsformen erfordere auch einen organisatorischen Aufwand des Verpächters, welchem die betagte Klägerin nicht gewachsen wäre, zumal sie seit über 20 Jahren keinen Betrieb mehr geführt habe und sich zunächst in die komplexe Organisation eines modernen Bauernbetriebs einarbeiten müsste.
a) Soweit die Klägerin aus der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine Bundesrechtsverletzung durch das Obergericht ableiten
BGE 114 II 225 S. 227
will, übersieht sie, dass die von ihr angeführten neuesten Entscheide des Bundesgerichts zum Teil wesentlich vom hier gegebenen Sachverhalt abweichen. Zutreffend ist, dass in BGE 110 II 330 ff. anders als im vorliegenden Fall zwei geeignete Bewerberinnen zur Übernahme des elterlichen Hofs zur Verpachtung bereit waren und dass es dort auf die engere Verbundenheit der einen Bewerberin mit dem elterlichen Hof ankam, nachdem keine der beiden Anwärterinnen Nachkommen mit Interesse für die Landwirtschaft hatte. Dass die Klägerin Kinder hat, die in der Landwirtschaft tätig sind, hat die Vorinstanz nicht festgestellt. Es ging vielmehr im erst- wie im zweitinstanzlichen Verfahren stets nur um den einen Sohn, der nach den verbindlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil seit seiner Jugend nicht mehr in der Landwirtschaft gearbeitet, sondern eine kaufmännische Lehre absolviert hat und nunmehr als Geschäftsführer in einer Buchhandlung tätig ist.
Die Vorinstanz hat in Frage gestellt, ob eine Übernahme durch die Klägerin Gewähr dafür biete, dass der Betrieb auch in Zukunft nicht zerstückelt oder der Landwirtschaft entzogen werde, worauf es in BGE 107 II 35 letztlich entscheidend ankam. Nachdem die Vorinstanz der Klägerin die Fähigkeit angesichts ihres fortgeschrittenen Alters abgesprochen hat, die verschiedenen verpachteten Grundstücke zusammenzuführen, um sie wieder zu einer betrieblichen Einheit zu vereinigen, ist es wohl berechtigt, Zweifel an dieser Gewähr zu haben, um so mehr, als kaum wahrscheinlich ist, dass der Sohn sich bereit finden wird, in absehbarer Zeit voll auf dem kleinen Bauernhof zu arbeiten und seine gute Anstellung hiefür aufzugeben.
Richtig ist, dass in BGE 110 II 331 festgestellt worden ist, ein Verkauf eines landwirtschaftlichen Betriebes komme nur als ultima ratio in Betracht. In jenem Fall aber hatte die kantonale Instanz diesen Verkauf vorgesehen trotz Vorhandenseins geeigneter Anwärterinnen, die beide zudem sowohl angesichts ihrer Persönlichkeit und beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten als auch altersmässig Gewähr für die Weiterführung des insgesamt verpachteten Betriebs geboten hatten. Im vorliegenden Fall geht es demgegenüber um eine Vielzahl von Pächtern, die es jedenfalls nicht als abwegig erscheinen lässt, wenn das Obergericht die Kräfte der Klägerin zur Wiederherstellung einer betrieblichen Einheit als nicht ausreichend betrachtet hat. Das meint die Vorinstanz offensichtlich, wenn sie feststellt, der gesetzgeberische Zweck der Bewahrung eines existenzfähigen Betriebs vor der Zersplitterung sei
BGE 114 II 225 S. 228
nur gegeben, wenn die Klägerin den organisatorischen Aufwand zur Reaktivierung des seit vielen Jahren stillstehenden Betriebs auf der Grundlage moderner Produktionsformen zu bewältigen vermöchte.
In BGE 111 II 326 ff. schliesslich stand ein ebenfalls bereits 75jähriger Bewerber zur Diskussion, dessen Sohn allerdings seit jeher als Landwirt tätig war und immer auch auf dem erblasserischen Heimwesen selbst gearbeitet hatte. Im Gegensatz zum vorliegenden Sachverhalt konnte daher ohne jedes Bedenken angenommen werden, es liefe dem Zweck des bäuerlichen Erbrechts zuwider, wenn unverhältnismässige Anforderungen an die Eignung des unmittelbaren Übernehmers gestellt würden und gleichzeitig die reale Möglichkeit, dass dessen bereits auf dem landwirtschaftlichen Gut tätiger Sohn dieses in absehbarer Zeit zur Bewirtschaftung auf eigene Rechnung übernehme, ausser Betracht bliebe ( BGE 111 II 329 ). Das Bundesgericht fügte bei, es komme deshalb in diesem besonderen Fall mehr auf die persönliche Eignung des Sohnes zur Weiterführung des landwirtschaftlichen Gewerbes als auf jene des Beklagten an. Ein solcher Sonderfall liegt hier nun aber gerade nicht vor. Auch wenn zutreffen würde, dass die Klägerin - wie sie neu behauptet - drei Söhne habe, von denen einer aktiv einen Landwirtschaftsbetrieb bewirtschafte, hat sie sich stets nur auf den einen Sohn und darauf berufen, dass dieser in die Landwirtschaft zurückkehren möchte. Dass dieser Sohn landwirtschaftlich ausgebildet sei, stellt die Vorinstanz ebenfalls nicht fest.
Soweit sich die Klägerin zur Begründung ihres Vorwurfs, das Obergericht habe Art. 620 ZGB verletzt, auf die zitierten Bundesgerichtsurteile beruft, erweist sich die Berufung daher als offensichtlich unbegründet.
b) Es bleibt die Frage zu prüfen, ob die Vorinstanz dadurch Bundesrecht verletzt hat, dass sie davon ausgegangen ist, die Klägerin müsste bei Zuweisung des Heimwesens an sie die betriebliche Einheit wieder herstellen und den Betrieb reaktivieren, wozu sie angesichts ihres vorgerückten Alters nicht mehr in der Lage wäre. Die Klägerin bringt dazu vor, gemäss Literatur und Rechtsprechung spiele es für die grundsätzliche Anwendung des bäuerlichen Erbrechts keine Rolle, ob die Grundstücke zu Lebzeiten des Erblassers parzellenweise an verschiedene Landwirte verpachtet worden seien, wenn die Gesamtheit der Parzellen erlaube, in vollem Umfang den Beruf eines Landwirts auszuüben. Sie verweist dazu auf ESCHER, Ergänzungslieferung zum landwirtschaftlichen
BGE 114 II 225 S. 229
Erbrecht, 3. Aufl., N. 3 zu Art. 620 ZGB . Es dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen, dass der Erblasser die Grundstücke zu seinen Lebzeiten an mehrere Landwirte verpachtet habe. Mit der Argumentation der Vorinstanz würde der Anwendungsbereich des bäuerlichen Erbrechts in vielen Fällen eingeschränkt, wenn nicht dessen Anwendung gar verunmöglicht.
Diese Rüge ist unbegründet, hat doch das Obergericht den Umstand, dass die Parzellen seit Jahren an verschiedene Landwirte verpachtet waren, bei der Prüfung der grundsätzlichen Anwendung des bäuerlichen Erbrechts gar nicht berücksichtigt. Eine der objektiven Voraussetzungen des Art. 620 ZGB bildet ja gerade die wirtschaftliche Einheit des Betriebs. Diese Voraussetzung hat das Obergericht im vorliegenden Fall in Wahrung der Grundsätze, wie sie in BGE 89 II 19 f. aufgestellt worden sind, bejaht.
c) Indessen ist die Berufung damit noch nicht abzuweisen. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob es sich mit dem Grundgedanken des bäuerlichen Bodenrechts und insbesondere mit der Zwecksetzung des bäuerlichen Erbrechts vereinbaren lässt, wenn für die Übernahme eines landwirtschaftlichen Heimwesens eine zusätzliche subjektive Voraussetzung aufgestellt wird, indem verlangt wird, dass der Bewerber geeignet und in der Lage sein müsse, eine Vielzahl verpachteter Parzellen wieder zu vereinen und den seit Jahren stillgelegten bäuerlichen Betrieb wieder seiner eigentlichen Zweckbestimmung zuzuführen.
Hiezu ist zu sagen, dass das bäuerliche Erbrecht ein Sonderrecht ist, dessen Anwendung sich nur rechtfertigt, wenn die Zuweisung eines landwirtschaftlichen Heimwesens auf lange Sicht der Erhaltung eines gesunden und existenzfähigen Bauernstandes dient. Es liegt ihm der Zweckgedanke zugrunde, dass leistungsfähige Familienbetriebe durch die bevorzugte Behandlung der Übernehmer am Leben bleiben sollen und eine gerade im Erbfall drohende Zersplitterung des landwirtschaftlichen Bodens verhindert werde, wozu auch die Zusammenführung einer Vielzahl verpachteter Parzellen gehört. Die agrarpolitische Zielsetzung des bäuerlichen Erbrechts ist nun aber nicht nur bei der Prüfung der objektiven Voraussetzungen, sondern auch der persönlichen Eignung des Übernehmers zu beachten. Wenn der Bewerber blosse Sonderinteressen verfolgt, wie etwa das elterliche Bauernhaus bewohnen zu können, so würde dies für die Zusprechung des Heimwesens auch bei grundsätzlicher Eignung zur Übernahme ohne Selbstbewirtschaftung nicht genügen ( BGE 95 II 395 ).
BGE 114 II 225 S. 230
Im vorliegenden Fall geht es um einen kleinen Bauernbetrieb, der aber seit vielen Jahren nicht mehr als solcher geführt, sondern auf mehrere Pächter aufgeteilt worden ist. An sich stellt ein Betrieb dieser Grössenordnung - wie die Klägerin mit Recht geltend macht - bei der Übernahme keine besondern Probleme, dies jedoch nur, wenn er einfach weitergeführt werden könnte. Das trifft hier aber gerade nicht zu, müsste die Klägerin doch dafür besorgt sein, dass das Heimwesen wieder als bäuerlicher Betrieb funktionieren würde. Eine solche Aufgabe würde aber einen namhaften organisatorischen Aufwand benötigen, wie er der nunmehr über 76 Jahre alten Klägerin nicht zugemutet werden kann. Es ginge auch nicht mehr an, den Betrieb in der Weise weiterzuführen, wie es der Erblasser getan hatte. Angesichts der heutigen Anforderungen an die Landwirtschaft müssten für die Wiederherstellung eines existenzfähigen Kleinbauernbetriebs erhebliche Anstrengungen unternommen werden ( BGE 110 II 491 ; BENNO STUDER, Die Integralzuweisung landwirtschaftlicher Gewerbe nach der Revision des bäuerlichen Zivilrechts von 1972, 2. Aufl., S. 209/210). Wenn die Vorinstanz unter diesen besondern Umständen der Klägerin die Eignung zur Übernahme des landwirtschaftlichen Heimwesens des Erblassers abgesprochen hat, so hat sie kein Bundesrecht verletzt.

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