Urteilskopf
114 II 289
51. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. September 1988 i.S. A. gegen Immobiliengesellschaft B. (Berufung)
Regeste
Art. 8 ZGB
.
Umfang und Tragweite der allgemeinen Beweisvorschrift. Möglichkeiten der Verletzung, insbesondere dadurch, dass der Richter taugliche und formgültig beantragte Beweise zu rechtserheblichen Tatsachen nicht abnimmt (E. 2a; Verdeutlichung der Rechtsprechung).
Umstände, unter denen eine beschränkte Beweisabnahme
Art. 8 ZGB
verletzen kann (E. 2b).
A.-
Mit Vorvertrag von 1973 verpflichteten sich A. und die Immobiliengesellschaft B. zum Abschluss eines Kaufvertrages über eine Stockwerkeinheit in Teufen, bestehend insbesondere aus einer 2 1/2-Zimmerwohnung, die A. als Teil einer grösseren Überbauung von der Gesellschaft für Fr. 185'000.-- erwerben wollte. Nach Bezahlung des Preises sollte der Kaufvertrag geschlossen und im Grundbuch eingetragen werden. Ende April 1974 bezog A. die Wohnung.
Wegen Mehrkosten kam es zwischen den Parteien zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, die am 25. April 1984 damit endeten, dass A. zur Zahlung einer Kaufpreisrestanz von Fr. 6'830.25 nebst Zins verurteilt und die Gesellschaft verpflichtet wurde, den Vorvertrag nach Erhalt dieses Betrages zu erfüllen. Am 2. Mai 1985 schlossen die Parteien den Kaufvertrag, der vier Tage später im Grundbuch eingetragen wurde. Mit dieser Eintragung wurde A.
BGE 114 II 289 S. 290
gemäss Vertrag Eigentümer der Wohnung, die er seit Ende April 1974 besass.
B.-
Im Februar 1987 klagte die Gesellschaft gegen A. auf Zahlung von Fr. 31'232.80 nebst Zins, womit sie von ihm Eigentümerlasten der Jahre 1975-1984 zurückforderte. Der Beklagte widersetzte sich diesem Begehren und stellte zudem Schadenersatzforderungen zur Verrechnung.
Das Kantonsgericht St. Gallen, das sich als Appellationsinstanz mit der Sache zu befassen hatte, sprach der Klägerin mit Urteil vom 17. September 1987 Fr. 28'283.95 nebst Zins zu. Gegenforderungen des Beklagten hielt es für nicht bewiesen.
C.-
Der Beklagte hat dagegen Berufung eingelegt, mit der er an der Abweisung der Klage festhält; eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen.
Das Bundesgericht hebt das angefochtene Urteil gestützt auf
Art. 52 OG
auf und weist die Sache zu neuer Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
Aus den Erwägungen:
2.
Der Beklagte wirft dem Kantonsgericht eine Verletzung von
Art. 8 ZGB
vor, weil es seinen Beweisantrag, X. zu seinen Sachvorbringen über Gegenforderungen als Zeugen einzuvernehmen, nicht beachtet habe. Sein Schaden aus der späten Erfüllung des Vorvertrages könne nicht nur in den Nachteilen übermässiger Darlehenszinse, sondern auch in den Vorteilen von Kreditgeschäften erblickt werden, die er wegen Verzuges der Klägerin nicht habe abschliessen können.
a) Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat gemäss
Art. 8 ZGB
derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. Damit sind einerseits für den ganzen Bereich des Bundeszivilrechts neben der Beweislastverteilung auch die Folgen der Beweislosigkeit geregelt (
BGE 105 II 144
).
Art. 8 ZGB
gibt anderseits der beweispflichtigen Partei in allen Zivilstreitigkeiten einen bundesrechtlichen Anspruch darauf, für rechtserhebliche Sachvorbringen zum Beweise zugelassen zu werden, wenn ihr Beweisantrag nach Form und Inhalt den Vorschriften des kantonalen Rechts entspricht (
BGE 97 II 196
/97 mit Hinweisen).
Die allgemeine Beweisvorschrift des Bundesrechts ist daher insbesondere verletzt, wenn der kantonale Richter Behauptungen einer Partei unbekümmert darum, dass sie von der Gegenpartei
BGE 114 II 289 S. 291
bestritten worden sind, als richtig hinnimmt oder über rechtserhebliche Tatsachen überhaupt nicht Beweis führen lässt (
BGE 105 II 145
). Dies heisst nicht, dass die Beweisführung vom Richter beliebig begrenzt werden dürfe, der allgemeinen Vorschrift selbst eine beschränkte Abnahme von Beweisen stets genüge (vgl. SCHUBARTH, in BJM 1985 S. 69/70).
Art. 8 ZGB
setzt der Annahme einer Beweislosigkeit ebenfalls Schranken. Er ist auch dann verletzt, wenn der Richter taugliche und formgültig beantragte Beweise zu rechtserheblichen Tatsachen nicht abnimmt, obwohl er die Sachvorbringen dazu weder als erstellt noch als widerlegt erachtet. Diese Unklarheit ist nicht mit Beweislosigkeit oder Beweisschwierigkeiten zu verwechseln, berechtigt den Richter folglich auch nicht, gegen die beweispflichtige Partei zu entscheiden (
BGE 109 II 294
, 107 II 275; SCHUBARTH, a.a.O. S. 73). Ähnlich verhält es sich, wenn er eine Klage zu Unrecht mit der Begründung abweist, sie sei ungenügend substantiiert; denn damit bringt er auch ihre Beweisanträge zu Fall (
BGE 108 II 340
, 105 II 144/45).
Wo der Richter dagegen in Würdigung von Beweisen zur Überzeugung gelangt, eine Tatsachenbehauptung sei bewiesen oder widerlegt, ist die Beweislastverteilung gegenstandslos (
BGE 109 II 251
unten und
BGE 105 II 145
E. 6bb). Diesfalls liegt freie Beweiswürdigung vor, die bundesrechtlich nicht geregelt ist, auch nicht durch
Art. 8 ZGB
. Diese Bestimmung schreibt dem Richter nicht vor, mit welchen Mitteln der Sachverhalt abzuklären und wie das Ergebnis davon zu würdigen ist (
BGE 112 II 179
); sie schliesst selbst vorweggenommene Beweiswürdigung und Indizienbeweise nicht aus (
BGE 109 II 31
E. 3b und 344/45). Eine beschränkte Beweisabnahme verletzt
Art. 8 ZGB
daher nicht, wenn der Richter schon nach deren Ergebnis von der Sachdarstellung einer Partei überzeugt ist, gegenteilige Behauptungen also für unbewiesen hält. Eine andere Frage ist, ob die Beschränkung allenfalls gegen
Art. 4 BV
verstösst, sei es durch Willkür in der Beweiswürdigung oder in der Anwendung kantonalen Rechts, sei es durch Verweigerung des rechtlichen Gehörs, weil einem Beweismittel zum vornherein jede Erheblichkeit oder Tauglichkeit abgesprochen wird, ohne dass dafür sachliche Gründe angegeben werden können (
BGE 109 II 31
E. 3b,
BGE 106 II 171
E. 6b). Solche Verstösse sind mit der staatsrechtlichen Beschwerde zu rügen, die gemäss
Art. 84 Abs. 2 OG
aber auch vorbehalten bleibt, wenn die Berufung insbesondere mangels des erforderlichen Streitwertes ausgeschlossen ist.
b) Der Beklagte begründete seine Schadenersatzforderung im kantonalen Verfahren vorweg damit, dass er wegen der fehlenden Eigentumsübertragung einen ungedeckten Kredit von Fr. 200'000.-- zu 8% Zins habe aufnehmen müssen, um den Kaufpreis zu bezahlen. im Falle eines Hypothekarkredites aber über Fr. 45'000.-- Zinsen hätte einsparen können. Mit der Berufung macht er geltend, die Vorinstanz habe diese Forderung abgewiesen, weil es an einem rechtsgenüglichen Nachweis fehle; ihr Urteil schweige sich jedoch darüber aus, warum X. dazu nicht wie beantragt als Zeuge einvernommen worden sei.
Das Kantonsgericht äussert sich zu diesem Antrag in der Tat mit keinem Wort; es begnügt sich vielmehr mit dem Vorhalt, die eingelegten Urkunden vermöchten nicht zu beweisen, dass der Beklagte das Darlehen von Fr. 200'000.-- zur Finanzierung des Kaufpreises verwendet und dafür 8% Zins habe bezahlen müssen. Das kann, muss aber nicht, eine Verletzung von
Art. 8 ZGB
sein. So oder anders bezieht sich der Antrag auf Einvernahme des Zeugen indes auf Tatsachen, die für die Beurteilung der Gegenforderungen erheblich, aber nicht geklärt sind. Das angefochtene Urteil leidet insofern an einem Mangel im Sinne von
Art. 51 Abs. 1 lit. c OG
, weshalb es gestützt auf
Art. 52 OG
aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen ist, damit sie das Versäumte nachholt.
Sollte das Kantonsgericht finden, der Zeuge X. sei nicht formgültig angerufen worden, seine Aussage vermöchte den fraglichen Beweis nicht zu erbringen oder das übrige Beweisergebnis jedenfalls nicht umzustossen, so läge keine Verletzung von
Art. 8 ZGB
vor. Es ginge diesfalls um Fragen der Beweiswürdigung und des kantonalen Prozessrechts, die das Bundesgericht auf Berufung hin nicht zu überprüfen hat. Anders verhält es sich, wenn der Beweisantrag des Beklagten unter diesen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, ihm folglich zu entsprechen ist und das Ergebnis für die Rechtsbehauptung des Beklagten spricht, er sei durch die erhebliche Zinsdifferenz geschädigt worden und habe deshalb Anspruch auf Ersatz. Ist dies zu bejahen, so hat das Kantonsgericht sich auch zu den Fragen über die Höhe des Schadens, eine allfällige Schadenminderungspflicht und über einen angeblichen Verzicht zu äussern, welche es offengelassen hat.
c) (Ausführungen darüber, dass der Anspruch des Beklagten auf entgangenen Gewinn schon am Kausalzusammenhang scheitert.)