BGE 114 II 329 vom 8. November 1988

Datum: 8. November 1988

Artikelreferenzen:  Art. 2 ZGB, Art. 655 ZGB, Art. 2 ZGB, Art. 18 OR, Art. 20 OR, Art. 41 OR, Art. 70 OR, Art. 98 OR , Art. 2 und 27 ZGB, Art. 20 Abs. 1 OR, Art. 494 Abs. 3 ZGB, Art. 41 Abs. 2 OR, Art. 98 Abs. 3 OR, Art. 18 Abs. 1 OR

BGE referenzen:  137 III 293 , 109 II 262, 108 II 217, 114 II 97, 110 II 368, 108 II 409, 100 II 27, 99 II 285, 98 II 6, 95 II 146, 108 II 409, 100 II 27, 99 II 285, 98 II 6, 95 II 146

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

114 II 329


60. Urteil der I. Zivilabteilung vom 8. November 1988 i.S. Frau C. gegen Frau A. und Frau B. (Berufung)

Regeste

Art. 20 Abs. 1 und 98 Abs. 3 OR. Kollision von Verträgen.
1. Klage auf Feststellung, dass ein Kaufvertrag nichtig sei, weil er gegen einen Erbteilungsvertrag verstosse; Auslegung des Rechtsbegehrens (E. 1).
2. Ein Grundstückkauf unter zwei Erben, die sich damit über das im Erbteilungsvertrag vereinbarte Veräusserungsverbot hinwegsetzen, ist unter allen Beteiligten als ungültig zu betrachten, wenn das Verbot nach Art. 2 und 27 ZGB nicht zu beanstanden ist und der Käufer sich insbesondere nicht auf guten Glauben berufen kann (E. 2).

Sachverhalt ab Seite 330

BGE 114 II 329 S. 330

A.- A., der 1957 starb, hinterliess seine Ehefrau und die Töchter B. und C. als Erben. Entgegen seiner letztwilligen Verfügung, dass die Nutzniessung an seiner Liegenschaft Nr. 6554 in Schaffhausen der überlebenden Ehefrau eingeräumt werden sollte, schlossen die Erben am 22./30. Juli 1958 einen Erbteilungsvertrag, mit dem die Liegenschaft auf die Witwe übertragen wurde. Um die Rechte der Miterben zu wahren, vereinbarten die Parteien im Vertrag, dass die Witwe die Liegenschaft ohne Zustimmung der Töchter weder ganz noch teilweise verkaufen, zu Lebzeiten oder durch Testament vermachen, weiter belasten oder baulich verändern durfte. Die Verfügungsbeschränkungen konnten angeblich im Grundbuch nicht vorgemerkt werden.
Mit Vertrag vom 10. September 1985 verkaufte Frau A. die Liegenschaft an ihre Tochter B., die bei ihr wohnt.

B.- Am 6. Oktober 1986 klagte Frau C. gegen ihre Mutter und ihre Schwester auf Feststellung, dass die Abtretung der Liegenschaft Nr. 6554 gemäss Vertrag vom 10. September 1985 von der Erst- an die Zweitbeklagte nichtig sei; das Grundbuchamt sei deshalb zu veranlassen, den Eintrag zu berichtigen. Die Beklagten widersetzten sich diesen Begehren.
Das Kantonsgericht und auf Appellation hin am 6. Mai 1988 auch das Obergericht wiesen die Klage ab. Sie fanden, die Erstbeklagte habe zwar nicht die Verfügungserlaubnis, aber die Verfügungsmacht gehabt, die Liegenschaft an die Zweitbeklagte zu verkaufen. Der Teilungsvertrag habe sie wegen seines rein obligatorischen Charakters daran nicht gehindert. Die Erstbeklagte sei allerdings schadenersatzpflichtig, worüber im vorliegenden Prozess mangels eines entsprechenden Begehrens aber nicht zu entscheiden sei. Der Verkauf verstosse auch nicht gegen Treu und Glauben oder gegen die guten Sitten, zumal es nicht um eine familienrechtliche Verpflichtung gehe und die Parteien seit langem zerstritten seien.
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C.- Die Klägerin hat gegen das Urteil des Obergerichts Berufung eingereicht, mit der sie an ihren Rechtsbegehren sinngemäss festhält; eventuell sei die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Die Beklagten beantragen, die Berufung abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Im kantonalen Verfahren wollte die Klägerin festgestellt wissen, dass die Abtretung der Liegenschaft an die Zweitbeklagte nichtig sei. Beide Vorinstanzen haben deshalb den Kaufvertrag der Beklagten vom 10. September 1985 darauf hin geprüft, ob er wegen eines widerrechtlichen Inhalts oder wegen Verstosses gegen die guten Sitten im Sinne von Art. 20 Abs. 1 OR nichtig sei, was sie verneinten.
Mit dem Feststellungsbegehren ging es der Klägerin indes nicht bloss um die Nichtigkeit des Kaufvertrages. Sie führte dazu bereits vor den kantonalen Instanzen teils ausdrücklich, teils sinngemäss aus, dass die Abtretung der Liegenschaft an die Zweitbeklagte gegen den Erbteilungsvertrag der Parteien, insbesondere gegen das darin vereinbarte Veräusserungsverbot verstosse und ungültig sei, weshalb die Eigentumsverhältnisse gemäss Teilungsvertrag wiederhergestellt werden müssten. Das erhellt ferner aus ihrem Berichtigungsbegehren, womit sie verlangte, dass der Eintrag des Kaufvertrages im Grundbuch rückgängig gemacht werde. In der Berufung hat sie die beiden Rechtsbegehren denn auch dahin zusammengefasst, dass die Abtretung als ungültig zu erklären und die Beklagten zur Rückübertragung der Liegenschaft auf die Erstbeklagte zu verpflichten seien. Sie scheint dabei freilich anzunehmen, der Verstoss gegen den Erbteilungsvertrag genüge für sich allein nicht; die Nichtigkeit der Abtretung ergebe sich aber aus dem sittenwidrigen Vorgehen der Beklagten. Das schadet ihr indes nicht, denn das Bundesgericht hat das Bundesrecht auf den festgestellten Sachverhalt so oder anders von Amtes wegen anzuwenden ( BGE 109 II 262 und BGE 108 II 217 mit Hinweisen).

2. Die Klägerin macht geltend, sie habe Anspruch darauf, dass die im Erbteilungsvertrag vorgesehene Verpflichtung, die Liegenschaft nicht zu veräussern, eingehalten werde. Sie könne folglich verlangen, dass die Abtretung ungültig erklärt, der rechtswidrige
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Zustand beseitigt und die Liegenschaft wieder auf die Mutter übertragen werde. Das Obergericht habe diese Tatsachen verkannt und dadurch ihren Anspruch auf Realerfüllung der Verpflichtung verletzt. Die Beklagten halten dem insbesondere entgegen, bei der Unterzeichnung des Teilungsvertrages sei allen Beteiligten klar gewesen, dass sich die streitige Verfügungsbeschränkung nur gegen einen Verkauf der Liegenschaft an einen Aussenstehenden richte; es habe jedoch nie die Meinung bestanden, dass der Mutter auch ein Verkauf an eine der beiden Töchter ohne Zustimmung der andern verboten werden sollte. Die Klägerin habe daher weder der Mutter noch der Schwester gegenüber einen Erfüllungsanspruch.
a) Die streitige Verfügungsbeschränkung des Erbteilungsvertrages ist an sich als zulässig zu betrachten, da von keiner Seite behauptet wird, dass sie wegen übermässiger Bindungen nach Art. 2 oder 27 ZGB zu beanstanden sei (LIVER, Schweizerisches Privatrecht (SPR) V/1 S. 202; PIOTET, SPR IV/1 S. 180 unten). Als Rechtsgeschäft unter Lebenden fällt die Beschränkung auch nicht unter den Vorbehalt von Art. 494 Abs. 3 ZGB . Als obligatorisches Rechtsgeschäft entfaltet sie dagegen nur relative Bindungen, verpflichtet und berechtigt bloss die Parteien, nicht aber einen Dritten, der diese Bindungen missachtet. Auf dessen guten oder bösen Glauben kommt jedenfalls solange nichts an, als sein Verhalten nicht gegen die guten Sitten im Sinne von Art. 41 Abs. 2 OR verstösst und eine Schadenersatzpflicht deshalb als begründet erscheinen lässt ( BGE 114 II 97 /98; MEIER-HAYOZ, N. 10 zu Art. 655 ZGB ; KRAMER, OR Allg. Einleitung, N. 49).
Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nun aber darin, dass die Zweitbeklagte als Erwerberin der Liegenschaft nicht eine Dritte in der relativen Beziehung, sondern ihrerseits Vertragspartnerin im Dreiecksverhältnis der Parteien ist. Fragen kann sich somit bloss, ob sie mit dem Abschluss des Kaufvertrages eine vertragliche Pflicht der Klägerin gegenüber verletzt hat, ob diese also beiden Beklagten gegenüber aus dem Teilungsvertrag einen Anspruch auf Unterlassung der Handänderung hat und damit eine gemeinsame Vertragsverletzung vorliegt. Das eine wie das andere ist dann zu bejahen, wenn die Auslegung des Teilungsvertrages ergibt, dass das Veräusserungsverbot nicht nur im Verhältnis zu Dritten, sondern auch im internen Verhältnis der Vertragsparteien begründet worden ist, mit andern Worten, die Mutter und die Töchter sich je gegenseitig verpflichtet haben, auch unter sich eine
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Veräusserung ohne Zustimmung der zweiten Tochter zu unterlassen.
Bei dieser Auslegung des Verbotes haben beide Beklagten sich über die vertragliche Pflicht hinweggesetzt, auch der Klägerin gegenüber eine Veräusserung der Liegenschaft zu unterlassen. Die Klägerin kann deshalb entgegen der Annahme der Vorinstanzen nicht nur Schadenersatz beanspruchen; sie ist gemäss Art. 98 Abs. 3 OR auch berechtigt, von den Beklagten die Beseitigung des vertragswidrigen Zustandes zu verlangen. Es liegt nach der besondern Lage, die sich aus dem Zusammentreffen der beiden Verträge ergibt, der eher seltene Fall vor, dass ein Anspruch auf Realerfüllung bei untersagtem Vertragsschluss nicht nur nach dem Grundsatz der Prävention zu bejahen ist (VON TUHR/ESCHER, OR Allg. Teil II S. 88 Anm. 19a; KRASSER, Der Schutz vertraglicher Rechte gegen Eingriffe Dritter, S. 92 ff.), sondern wegen der gemeinsamen und identischen Vertragsverletzung auch gegenüber beiden Parteien, die den verpönten Vertrag abgeschlossen haben, durchgesetzt werden kann. Diese Auffassung wird übrigens auch bei Ausnützung fremden Vertragsbruchs, insbesondere beim Doppelverkauf vertreten, indem dem geschädigten Erstkäufer ein Anspruch auf Herausgabe der Sache gegenüber dem Zweitkäufer und Erwerber eingeräumt wird, wenn dieser sittenwidrig gehandelt hat (OFTINGER, Haftpflichtrecht I, 4. Aufl. S. 68 Anm. 64; KRAMER, a.a.O. N. 55). Auf ähnlichen Grundgedanken beruht Art. 70 OR . Den vorliegenden Sachverhalt anders zu behandeln, rechtfertigt sich umso weniger, als die Beklagten nicht nur eine sittliche, sondern eine vertragliche Pflicht verletzt haben.
b) Eine andere Frage ist, welche Rechtsfolge als angemessen zu betrachten ist. Dies hängt insbesondere davon ab, ob das Berichtigungsbegehren der Klägerin in ein Leistungsbegehren umgedeutet werden darf und als solches zu schützen ist, oder ob es mangels eines tauglichen Rechtsbegehrens bei der Abweisung der Klage bleibt.
Eine absolute Nichtigkeit des Kaufvertrages im Sinne von Art. 20 Abs. 1 OR , die von Amtes wegen festzustellen und zu berücksichtigen wäre ( BGE 110 II 368 , BGE 108 II 409 ), liegt nicht vor. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass Verträge, deren Inhalt gegen irgendwelche Vorschriften der Rechtsordnung verstösst, nicht gültig sein können und dürfen; wenn ihr Inhalt widerrechtlich ist und der Vorhalt beide Vertragspartner trifft, sind sie vielmehr als ungültig anzusehen (BUCHER, OR Allg. Teil S. 218).
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Gewiss ist dabei vorweg an Verstösse gegen Gebote oder Verbote der Rechtsordnung zu denken. Ein Vertrag ist indes auch dann als ungültig zu betrachten, wenn er autonomes Recht verletzt, alle Beteiligten diesem Recht unterstehen und dessen Verletzung zu verantworten haben. An die Stelle einer absoluten Nichtigkeit tritt diesfalls die parteiinterne Unwirksamkeit, die Ungültigkeit unter den Beteiligten. Alle aus dem autonomen Recht Berechtigten können sich darauf berufen und damit den Vertrag zu Fall bringen. Ist das Verpflichtungsgeschäft über die Veräusserung aber als unwirksam anzusehen, so muss dies auch für das kausale Verfügungsgeschäft gelten, das folglich zusammen mit dem Eigentumsübergang dahinfällt, wenn der Erwerber nicht anderweitig geschützt ist, sich insbesondere wie hier nicht auf guten Glauben stützen kann. So besehen erweist sich das Berichtigungsbegehren der Klägerin ebenfalls als zulässig.
c) Die Entscheidungsgründe des Obergerichts, das bloss einen Verstoss gegen die Verfügungserlaubnis angenommen und das Verfügungsgeschäft zu Unrecht für wirksam gehalten hat, gehen daran vorbei. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Tragweite der streitigen Vertragsklausel auch darauf hin prüft, ob die Verfügungsbeschränkung sich angeblich nach Meinung der Beteiligten nur gegen Dritte richtete, wie die Beklagten unbekümmert darum, dass sie nicht als gutgläubig anzusehen sind, noch vor Bundesgericht behaupten. Dem klaren Wortlaut der Klausel ist dafür allerdings nichts zu entnehmen. Fragen kann sich bloss, ob die Beteiligten einen davon abweichenden, übereinstimmenden innern Willen hatten, der gemäss Art. 18 Abs. 1 OR ihrer schriftlichen Willensäusserung vorginge und einer Auslegung der Klausel nach dem Vertrauensgrundsatz entgegenstände, was als Tatfrage aber vorweg zu klären ist ( BGE 100 II 27 , BGE 99 II 285 E. 2, BGE 98 II 6 E. 2, BGE 95 II 146 mit weiteren Hinweisen).

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts aufgehoben und die Sache zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.

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