Urteilskopf
114 II 335
61. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. Dezember 1988 i.S. Fornax AG gegen Kanton Zürich (Berufung)
Regeste
Art. 135 Ziff. 2 OR
.
Unterbrechung der Verjährung trotz unrichtiger Bezeichnung des Beklagten im Begehren um Ladung zum Aussöhnungsversuch.
A.-
Aufgrund eines mit dem Kanton Zürich im Jahr 1977 abgeschlossenen Werkvertrags, in dem ergänzend die "Allgemeinen Bedingungen für Bauarbeiten" gemäss SIA-Norm 118 (Ausgabe 1962) gelten sollten, installierte die an der Flugplatzstrasse 59 in Grenchen domizilierte Firma Fornax AG von ihr gelieferte Kehrichtbeseitigungsanlagen in Neubauten der Universität Zürich. Die vorläufige Abnahme der Arbeiten im Sinne von Art. 26 SIA-Norm fand am 6. April 1979 statt. Innert der nachfolgenden Garantiefrist von zwei Jahren (Art. 27 Abs. 1 und 2 SIA-Norm) rügte der Kanton Zürich verschiedene Mängel, die nicht alle zu seiner Zufriedenheit behoben wurden. Am 22. August 1983 erklärte der Besteller die Wandelung des Werkvertrags.
B.-
Mit Begehren an das Richteramt Solothurn-Lebern vom 28. März 1984 liess der Kanton Zürich die "Fornax Engineering AG, Erlenstr. 18, Grenchen" zum Aussöhnungsversuch über Ansprüche "betr. Werkvertrag, Wandelung, Forderung, Schadenersatz etc. (Bundesgerichtskompetenz)" laden. Am 5. April 1984 erging die Vorladung an die im Vorladungsbegehren genannten Parteien. Am Aussöhnungstermin vom 13. September 1984 bezeichnete sich Fürsprecher H. als Vertreter der Fornax Engineering AG und bestritt deren Passivlegitimation, da die Fornax AG Unternehmerin im streitigen Werkvertragsverhältnis sei.
C.-
Am 3. Januar 1985 klagte der Kanton Zürich beim Amtsgericht Solothurn-Lebern gegen die Fornax AG u.a. auf Zahlung von Fr. 67'883.65 aus Wandelung einschliesslich Schadenersatz. Im auf die Frage der Verjährung beschränkten Prozess schützte das Amtsgericht die Verjährungseinrede der Beklagten und wies die Klage am 25. Februar 1987 ab. Auf Appellation des Klägers
BGE 114 II 335 S. 336
hin verwarf das Obergericht des Kantons Solothurn die Verjährungseinrede und hob das erstinstanzliche Urteil am 3. Mai 1988 auf, da die mit der vorläufigen Abnahme am 6. April 1979 in Gang gesetzte Verjährungsfrist fünf Jahre betrage und durch den Kläger mit seinem gegen die Fornax Engineering AG gerichteten Ladungsbegehren am 28. März 1984 auch gegenüber der Beklagten unterbrochen worden sei.
D.-
Die Beklagte hat gegen den Entscheid des Obergerichts Berufung eingereicht und beantragt, diesen aufzuheben, den Eintritt der Verjährung festzustellen und die Klage abzuweisen. Der Kläger schliesst auf Abweisung der Berufung. Das Bundesgericht weist die Berufung ab.
Aus den Erwägungen:
3.
Zu prüfen bleibt, ob das Ladungsbegehren gegen die Fornax Engineering AG vom 28. März 1984 die am 6. April 1979 beginnende Verjährungsfrist von fünf Jahren auch gegenüber der Beklagten unterbrochen habe.
a) Ob dem Begehren diese Wirkung trotz der unrichtigen Parteibezeichnung zugekommen ist, beurteilt sich nach
Art. 135 Ziff. 2 OR
und ist damit eine Frage des Bundesrechts. Nach dieser Bestimmung tritt die Unterbrechung u.a. mit der Ladung zu einem amtlichen Sühneversuch ein, d.h. im Zeitpunkt, in dem der Ansprecher zum ersten Mal in bestimmter Form den Schutz des Richters anruft (
BGE 110 II 389
E. 2a mit Hinweisen). Die Wahrung der Form beschlägt kantonales Prozessrecht, das im Berufungsverfahren nicht überprüft wird (
Art. 55 Abs. 1 lit. c OG
); dazu gehört insbesondere die vom Obergericht bejahte Frage, ob das solothurnische Prozessrecht eine Korrektur der Parteibezeichnung zuliess oder einen Parteiwechsel erforderte (
BGE 85 II 316
E. 2). In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die kantonalen Prozessordnungen in der Berichtigung fehlerhafter Parteibezeichnungen grosszügig sind, sofern die Identität der Partei eindeutig ist (
BGE 85 II 316
f. E. 2; WALTER BISCHOFBERGER, Parteiwechsel im Zivilprozess unter besonderer Berücksichtigung des deutschen und des zürcherischen Zivilprozessrechts, Diss. Zürich 1973, S. 30 ff.; STRÄULI/MESSMER, N. 3 zu
§ 108 ZPO
/ZH; LEUCH, N. 2 zu
Art. 157 ZPO
/BE).
Damit die in
Art. 135 Ziff. 2 OR
aufgezählten Handlungen die Verjährung unterbrechen, ist erforderlich, dass sie vom Forderungsgläubiger
BGE 114 II 335 S. 337
ausgehen (
BGE 111 II 364
f. E. 4a) und gegen den richtigen Schuldner gerichtet sind (OSER/SCHÖNENBERGER, N. 2 zu
Art. 139 OR
; SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-, Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I, S. 430; SOERGEL/WALTER, N. 11 zu § 209 BGB). Das Risiko, dass die Verjährung durch Klage gegen den falschen Schuldner nicht unterbrochen wird, trägt der Gläubiger (STAUDINGER/DILCHER, N. 8 zu § 209 BGB; SOERGEL/WALTER, a.a.O.). Belangt der Gläubiger jedoch nicht den falschen Schuldner, sondern irrt er sich bloss in dessen Bezeichnung, tritt diese Folge nicht unbedingt ein. So sind Betreibungsurkunden gegen nicht klar und unzweideutig bezeichnete Schuldner grundsätzlich nichtig; lässt die mangelhafte Bezeichnung den wirklich gemeinten Schuldner aber ohne weiteres erkennen, ist die Betreibung gültig und bloss die Urkunde zu berichtigen (
BGE 102 III 64
ff. E. 2 und 3). Vermag der Schuldner trotz fehlerhafter Bezeichnung klar zu erkennen, dass ein Zahlungsbefehl gegen ihn ausgestellt ist, kann er sich nicht in guten Treuen darauf berufen, die unrichtige Angabe lasse seine Identität als zweifelhaft erscheinen (SCHWARTZ, Die Bezeichnung der Parteien in den Betreibungsurkunden, BlSchKG 19/1955, S. 11; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem Recht, Bd. I, S. 193 Rz. 6).
Gleiches muss für die Gültigkeit und damit die verjährungsunterbrechende Wirkung von Vorkehren der gerichtlichen Rechtsverfolgung wie dem Ladungsbegehren des Klägers vom 28. März 1984 gelten. In Anlehnung an die von der massgeblichen Literatur befürwortete Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs (Urteil vom 12. Mai 1977 in: NJW 1977 S. 1686 f.; VON FELDMANN, MünchKomm, N. 14 zu § 209 BGB; STAUDINGER/DILCHER, N. 8 zu § 209 BGB; entsprechend bei unrichtiger Gläubigerbezeichnung JOHANNSEN, RGRK, N. 9 zu § 209 BGB) ist eine fehlerhafte Parteibezeichnung unschädlich, wenn keine Zweifel an der Identität der wahren Partei bestehen. Nach dem die schweizerische Rechtsordnung beherrschenden Vertrauensgrundsatz hat es dabei im Gegensatz zur deutschen Auffassung, welche die Erkennbarkeit der wahren Partei für unbeteiligte Dritte fordert, zu genügen, dass der Schuldner nach den Umständen trotz unrichtiger Bezeichnung die Absicht des Gläubigers, ihn ins Recht zu fassen, erkennt oder erkennen muss. Treu und Glauben verbieten es auch hier, dass der Schuldner bei Kenntnis des wirklichen Willens des Gläubigers Vorteile aus einer diesem Willen äusserlich nicht entsprechenden Parteibezeichnung zieht.
Kann der Schuldner über die Absichten des Gläubigers nicht im Unklaren sein, werden keine schutzwürdigen Interessen des Schuldners verletzt, wenn mit bloss formellen Fehlern in der Parteibezeichnung behaftete Prozesserklärungen dem wirklichen Willen und Verständnis entsprechend behandelt werden. In der Gewissheit des Prozessgegners über die Absichten des Ansprechers liegt auch die Rechtfertigung des
Art. 139 OR
. Nach herrschender Auffassung verhindert diese Bestimmung die Folgen des Verjährungseintritts durch Einräumung einer sechzigtägigen Nachfrist zwar bei innert dieser Frist zu behebenden Formfehlern, nicht aber bei Klageabweisung wegen fehlender Passivlegitimation eines irrtümlich als Beklagten ins Recht gefassten Dritten, da sich der Wille des Gläubigers nur im ersten Fall für den Schuldner erkennbar gegen diesen, im zweiten Fall jedoch gegen den Dritten richtet (BECKER, N. 2 zu
Art. 139 OR
). Ob
Art. 139 OR
im vorliegenden Fall zudem unmittelbar angewandt werden könnte, wie das die Vorinstanz in ihrer Hilfsbegründung tut, kann offenbleiben.
b) Vorliegend stand für die Beklagte ausser Zweifel, dass der Kläger mit dem Vorladungsbegehren vom 28. März 1984 gegenüber ihr und nicht gegenüber der Fornax Engineering AG Sachgewährleistungsansprüche aus dem 1977 abgeschlossenen Werkvertrag geltend machen wollte, so dass das Begehren trotz falscher Parteibezeichnung die Verjährung unterbrochen hat. Einmal stellt die Vorinstanz für das Bundesgericht verbindlich fest (
BGE 113 II 27
E. 1a mit Hinweisen), dass der Kläger von Anfang an einzig die Beklagte zu belangen beabsichtigte, sich jedoch hinsichtlich der Parteibezeichnung irrte, weil er die Firma der Fornax Engineering AG, die ebenfalls in Grenchen domizilierte Schwestergesellschaft der Fornax AG, für die Firma der Vertragspartnerin hielt. Diesen Irrtum dem Kläger anzulasten besteht nach dem Vertrauensgrundsatz um so weniger Anlass, als es nicht der Kläger zu vertreten hat, dass sich die beiden Firmen nur durch den Zusatz "Engineering" unterscheiden und damit leicht zu Verwechslungen führen, zumal sich beide Gesellschaften nach dem statutarischen Zweck mit Feuerungsanlagen befassen. Ebenfalls verbindlich ist sodann die Feststellung des Obergerichts, die Beklagte habe nicht nur erkennen müssen, sondern auch tatsächlich erkannt, dass sich die im Vorladungsbegehren genannten Forderungen aus Werkvertrag nicht gegen die Fornax Engineering AG, sondern nur gegen sie selbst richten konnten. F., der sich als einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat der Fornax AG intensiv mit der Abwicklung
BGE 114 II 335 S. 339
des Werkvertrags befasst und genaue Kenntnis von den daraus entstandenen Differenzen gehabt habe, sei zugleich alleiniger und einzelzeichnungsberechtigter Verwaltungsrat der im übrigen erst 1981 und damit nach der vorläufigen Abnahme vom 6. April 1979 gegründeten Fornax Engineering AG gewesen. Nach Zustellung der Vorladung zum Aussöhnungsversuch an die im Vorladungsbegehren bezeichneten Parteien habe denn auch der von F. beauftragte Fürsprecher H. mit Brief vom 19. Juni 1984 namens und im Auftrag der "Firma Fornax" um Verschiebung des Termins ersucht und laut Orientierungsvermerk eine Kopie des Schreibens der "Fornax AG, Flugplatz, Grenchen" zur Kenntnis zugestellt.
c) Ob bei Gewissheit des Schuldners über Forderung und Ansprecher die Verjährung regelmässig selbst durch Prozesshandlungen eines nicht aktivlegitimierten Dritten unterbrochen wird (BUCHER, OR Allgemeiner Teil, 2. A. 1988, S. 464 Fn. 98; ähnlich SPIRO, a.a.O. S. 422 f., 425 und 427), ob bei für den Schuldner klarer Situation der unbeholfene oder unwissende Gläubiger ganz allgemein keinen Rechtsverlust erleiden darf (SPIRO, a.a.O. S. 421) und ob in gewissen Fällen sogar die Belangung eines anderen als des Verpflichteten unschädlich sein kann (SPIRO, a.a.O. S. 449 ff.), braucht wie in einem nicht publizierten Entscheid des Bundesgerichts vom 24. Juni 1980 i.S. K. AG und Mitb. nicht entschieden zu werden. Immerhin wurde dort in Ablehnung einer formalistischen Auffassung erkannt, dass mit dem Vorladungsbegehren dreier Gläubiger zum Aussöhnungsversuch über ihre sowie über noch nicht an sie zedierte Ansprüche weiterer achtzehn Gläubiger die Verjährung sämtlicher Ansprüche unterbrochen worden sei, da der Schuldner nach den gesamten Umständen um die Geltendmachung der Ansprüche aller einundzwanzig Gläubiger gewusst habe.