BGE 114 IV 36 vom 10. Juni 1988

Datum: 10. Juni 1988

Artikelreferenzen:  Art. 34 StGB, Art. 36 StGB, Art. 63 StGB, Art. 64 StGB, Art. 305 StGB , Art. 42-44 und 100bis StGB, Art. 305 Abs. 1 StGB, Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277bis BStP

BGE referenzen:  129 IV 138 , 106 IV 192

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

114 IV 36


13. Urteil des Kassationshofes vom 10. Juni 1988 in Sachen X. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz (Nichtigkeitsbeschwerde)

Regeste

Art. 305 StGB . Begünstigung.
Begünstigung durch Beherbergen einer polizeilich gesuchten Person für die Dauer einer Nacht.

Sachverhalt ab Seite 37

BGE 114 IV 36 S. 37

A.- X. machte zusammen mit seiner Ehefrau anlässlich eines Ferienaufenthalts in Paris im Frühjahr 1985 die Bekanntschaft mit S. und dessen Freundin R. Zu einem späteren Zeitpunkt im Verlaufe des Jahres 1985 übergab er S. auf dessen Bitten darlehensweise Fr. 1'000.-- als Startkapital für ein neues Geschäft, obschon er vermutete, dass er das Geld nicht zurückerhalten werde. Anfang Dezember 1986 meldete sich S. wieder bei X. Er teilte ihm mit, dass seine Freundin für längere Zeit nach Amerika verreist sei und er daher keine Bleibe mehr habe. X. nahm S. in sein Einfamilienhaus in Z. auf, das er zusammen mit seiner Ehefrau und seinen zwei Kindern bewohnte. Am 1. Februar 1987 setzte er S. vor die Tür, nachdem in seinem Haus eine tätliche Auseinandersetzung zwischen S. und dessen Freundin, die inzwischen aus Amerika zurückgekehrt war, stattgefunden hatte.
Am 4. Februar 1987 erstattete X. Strafanzeige gegen Unbekannt wegen Diebstahls von Silbermünzen und 2'000 Franken Bargeld etc., wobei er in der Folge S. als möglichen Täter bezeichnete. Im Rahmen der Ermittlungen wurde bei der Durchsicht des schweizerischen Fahndungsregisters festgestellt, dass S. steckbrieflich gesucht wurde und zur Verhaftung ausgeschrieben war. Dies wurde X. noch am 4. Februar 1987 mitgeteilt. X. machte sich daraufhin sofort auf die Suche nach S. und fand diesen in Begleitung seiner Freundin am späten Abend des 4. Februar 1987 in einem Restaurant in Richterswil. S. wusste nicht, wo er die Nacht verbringen sollte, da seine Freundin ihn nicht in ihrer Wohnung übernachten lassen wollte. X. gewährte S. daher auf dessen Bitten hin für die Dauer einer Nacht in seinem Haus Unterkunft, nachdem er ihn erfolglos aufgefordert hatte, sich der Polizei zu stellen. Am nächsten Morgen verliess S. das Haus um 6.45 Uhr, noch bevor ein Mitglied der Familie X. aufgestanden war. S. konnte am 6. Februar 1987 aufgrund eines anonymen Hinweises in einem Restaurant in Wädenswil verhaftet werden.

B.- Das Bezirksgericht Höfe verurteilte X. am 23. November 1987 wegen Begünstigung zu einer Gefängnisstrafe von 5 Tagen, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren. Das Kantonsgericht des Kantons Schwyz bestätigte am 15. März 1988 im Berufungsverfahren den Schuldspruch und reduzierte die Strafe
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auf 3 Tage Gefängnis, bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren.

C.- Der Verurteilte führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Entscheid des Kantonsgerichts des Kantons Schwyz vom 15. März 1988 sei aufzuheben und die Sache sei zu seiner Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Wer jemanden der Strafverfolgung, dem Strafvollzug oder dem Vollzug einer der in Art. 42-44 und 100bis StGB vorgesehenen Massnahmen entzieht, wird gemäss Art. 305 Abs. 1 StGB wegen Begünstigung mit Gefängnis bestraft.
Gegenstand des angefochtenen Urteils ist einzig die Gewährung von Unterkunft für die Nacht vom 4. auf den 5. Februar 1987.
a) Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass das Beherbergen einer polizeilich gesuchten Person den Tatbestand der Begünstigung erfüllen kann. Er macht geltend, dass die ihm zur Last gelegte Gewährung von Unterkunft für die Dauer von 6 bis 7 Nachtstunden jedenfalls unter den konkreten Umständen des vorliegenden Falles nicht als "Entziehen" im Sinne von Art. 305 StGB qualifiziert werden könne, da dadurch die polizeiliche Suche nicht "stark erschwert", die Flucht nicht "in entscheidender Weise unterstützt" und die gesuchte Person nicht "tatsächlich mindestens für eine gewisse Zeit" der Strafverfolgung oder dem Strafvollzug entzogen worden sei und somit die in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ( BGE 106 IV 192 mit Hinweisen) genannten Voraussetzungen für die Bejahung des objektiven Tatbestandes der Begünstigung entgegen der Ansicht der Vorinstanz nicht erfüllt seien. Er setzt sich auch mit dem Urteil des Kassationshofes vom 6. November 1987 in Sachen M. (auszugsweise publiziert in BJM 1988 S. 96 f.) auseinander, wonach die Gewährung von Unterkunft für die Dauer einer Nacht den objektiven Tatbestand der Begünstigung erfüllt. Nach Ansicht des Beschwerdeführers darf die Frage, ob das Beherbergen einer flüchtigen Person den objektiven Tatbestand von Art. 305 StGB erfülle, nicht schematisch behandelt werden, sondern ist entscheidend, "ob durch die Handlung des Täters die Wahrscheinlichkeit bedeutend verringert worden ist, dass der Gesuchte von der zuständigen Behörde gefunden wird". Diese Frage ist nach Auffassung des Beschwerdeführers im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der gesamten Umstände zu
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verneinen. Seines Erachtens ist angesichts der Tatsachen, dass S. sich bereits seit Monaten auf der Flucht befand, zweimal unbehelligt die Landesgrenze überschritt, sich seit längerer Zeit im Raum Ausserschwyz/linkes Zürichseeufer aufhielt, sowie unter Berücksichtigung der Umstände, dass die Polizei nachts lediglich einen Bereitschaftsdienst für Notfälle unterhält und wegen der Kälte naturgemäss nur wenige Personen unterwegs waren, durch die Gewährung von Unterkunft für 6 bis 7 Nachtstunden die Wahrscheinlichkeit, dass S. von der Polizei gefunden werde, nur unwesentlich reduziert worden.
b) Diese Ausführungen des Beschwerdeführers geben keinen Anlass zur Änderung der im Urteil des Kassationshofes vom 6. November 1987 in Sachen M. wiedergegebenen Rechtsprechung. Nach der in BJM 1988 S. 95 ff. nicht veröffentlichten Erwägung 5a dieses Entscheides ist es in vielen Fällen schwierig und oft unmöglich abzuschätzen, was geschehen wäre, wenn die Tathandlung unterblieben wäre. Zur Bejahung des objektiven Tatbestandes der Begünstigung reicht es aus, dass die Tathandlung geeignet ist, den Flüchtigen für eine gewisse Zeit der Strafverfolgung oder dem Strafvollzug zu entziehen. Es ist nicht erforderlich, dass diese Folge tatsächlich eintrat, sondern es genügt eine diesbezügliche Gefahr. Andernfalls wäre der Anwendungsbereich von Art. 305 StGB insoweit, dem Sinn und Zweck des Gesetzes zuwider, allzu stark eingeschränkt. Das Beherbergen einer flüchtigen Person für die Dauer einer Nacht ist seiner Natur nach geeignet, den behördlichen Zugriff auf die gesuchte Person zu erschweren bzw. zeitlich zu verzögern. Indem der Beschwerdeführer S. für die Dauer von 6 bis 7 Nachtstunden in seinem Einfamilienhaus in Z. Unterkunft gewährte, erfüllte er nach der zutreffenden Auffassung der Vorinstanz den objektiven Tatbestand von Art. 305 StGB . Ob er entsprechend den Erwägungen des Kantonsgerichts, die in der Nichtigkeitsbeschwerde kritisiert werden, durch die inkriminierte Handlung S.' "Entschluss, sich der Polizei nicht zu stellen, wesentlich erleichtert hat, indem er ihm die Gelegenheit bot, sich auf die neue Situation einzustellen und seine Flucht neu zu organisieren", kann dahingestellt bleiben, da es darauf nicht ankommt.

2. a) Der Beschwerdeführer wusste unbestrittenermassen, dass S. polizeilich gesucht wurde. Ihm war sodann, wie jedermann, bekannt, dass das Beherbergen einer flüchtigen Person in einer Privatwohnung für die Dauer einer Nacht seiner Natur nach geeignet ist, den behördlichen Zugriff auf die gesuchte Person zu erschweren
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bzw. zeitlich zu verzögern. Damit ist der Vorsatz gegeben. Da der tatsächliche Eintritt jenes Erfolges nach dem Gesagten zur Erfüllung des objektiven Tatbestandes von Art. 305 StGB nicht erforderlich ist, müssen sich das Wissen und der Wille des Täters nicht auf einen solchen Erfolg beziehen. Die Anwendung von Art. 305 StGB setzt sodann nicht voraus, dass der Täter in der Absicht oder aus dem Beweggrund handelte, den behördlichen Zugriff auf die gesuchte Person zu erschweren bzw. zeitlich zu verzögern. Es ist daher für die Frage der Tatbestandsmässigkeit der inkriminierten Handlung unerheblich, dass der Beschwerdeführer keine solchen Absichten bzw. Motive hatte, sondern S. nur ungern zu sich nahm, nachdem er ihn erfolglos aufgefordert hatte, sich der Polizei zu stellen. Der Beschwerdeführer gewährte S. trotz des Scheiterns seiner diesbezüglichen Bemühungen Unterkunft, und er macht mit Recht selber nicht geltend, dass sich dies zwecks weiterer Einflussnahme oder zwecks Gewährung einer Gelegenheit zur Besinnung aufgedrängt habe.
b) Der Beschwerdeführer behauptet, er habe S. aus Angst vor dessen möglichen gewalttätigen Reaktionen für den Fall, dass er ihn in der nächtlichen Kälte stehen liesse, zu sich genommen. Diese Behauptung steht im Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz und ist daher im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig ( Art. 273 Abs. 1 lit. b, 277bis BStP ). Sie berührt im übrigen als Tatmotiv die Frage des Vorsatzes nicht. Sie steht sodann im Widerspruch zur Darstellung des Beschwerdeführers, wonach S. als eigentlicher Kleinkrimineller mit Sicherheit Unterschlupf in einer Scheune oder sonst in einem privaten Unterstand gesucht hätte. S. hatte abgesehen davon nach dem von ihm verübten Diebstahl genügend Geld, um sich in einem geeigneten Ort vor der Kälte zu schützen. Dass der Beschwerdeführer in den kritischen Minuten, in denen er sich entscheiden musste, ob er S. für die Nacht Unterkunft gewähren solle, angeblich die Tragweite seiner Handlung nicht bedachte, berührt die Frage des Vorsatzes nicht. Dazu genügt es in einem Fall der vorliegenden Art, dass ihm die Tragweite seines Handelns an sich bewusst war. Der Beschwerdeführer legt schliesslich nicht dar, inwiefern die Vorinstanz seine Lage zu Unrecht nicht als Notstandssituation im Sinne von Art. 34 StGB bzw. als schwere Bedrängnis im Sinne von Art. 64 StGB qualifiziert habe.
Die Vorinstanz hat die Motive des Beschwerdeführers und den Bagatellcharakter seiner Tat im Rahmen von Art. 63 StGB gebührend
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dadurch berücksichtigt, dass sie die Mindeststrafe von 3 Tagen Gefängnis (Art. 305 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 36 StGB ), bedingt vollziehbar bei einer Probezeit von 2 Jahren, ausfällte.

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