Urteilskopf
114 IV 83
26. Urteil des Kassationshofes vom 12. Dezember 1988 i.S. U. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
; Anrechnung einer im Ausland verbüssten Strafe.
Die Auflage gemäss § 56 b Abs. 2 Ziff. 2 des deutschen StGB (Zahlung eines Geldbetrages zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse) weist einen derart strafähnlichen Charakter auf, dass sie bei der Anwendung des
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
wie eine Geldstrafe zu behandeln ist.
Das Obergericht des Kantons Schaffhausen verurteilte U. am 26. August 1988 wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand zu 25 Tagen Gefängnis und rechnete ihm einen Tag Untersuchungshaft an die Strafe an. Aufgrund des gleichen Sachverhalts hatte ihn bereits das Amtsgericht Waldshut-Tiengen (Bundesrepublik Deutschland) am 21. Januar 1988, rechtskräftig geworden am 3. März 1988, verurteilt; es verhängte wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr eine bedingte Freiheitsstrafe von 3 Monaten, verbunden mit der Auflage, einen Geldbetrag von DM 6'000.-- an die Björn-Steiger-Stiftung zu bezahlen. Das Obergericht lehnte eine Anrechnung dieses von U. bezahlten Betrages ab.
U. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die DM 6'000.-- mit wenigstens 24 Tagen Gefängnis an die Strafe anrechne.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.
Die
Art. 3-7 StGB
regeln wie die §§ 3-7 des deutschen StGB das sogenannte internationale Strafrecht, das bei Taten mit internationalem Bezug von Bedeutung ist. Diese Bestimmungen umschreiben
BGE 114 IV 83 S. 84
den räumlichen und persönlichen Geltungsbereich des schweizerischen respektive des deutschen Strafrechts. Sie betreffen jedoch nicht das Verhältnis zu anderen Strafrechtsordnungen, weshalb die Anwendung mehrerer Strafrechtsordnungen möglich ist. Unter Umständen kann daher wegen derselben Tat sowohl eine Verurteilung in der Schweiz als auch in Deutschland erfolgen. Eine derartige Doppelverurteilung und -bestrafung verstösst nach allgemeiner Ansicht nicht gegen den Grundsatz "ne bis in idem" (vgl. SCHÖNKE/SCHRÖDER/ESER, 23. Aufl., Vorbemerkungen zu den
§
§ 3-7 N 1
und 72). Der offensichtlichen Härte und Unbilligkeit solcher faktischer Doppelbestrafung begegnet sowohl die schweizerische als auch die deutsche Rechtsordnung durch Anerkennung oder Anrechnung ausländischer Urteile. Dieser Grundsatz ist für die Schweiz in
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
festgelegt (
BGE 99 IV 123
f. E. a). Danach muss der Richter dem Täter eine im Ausland abgegoltene Freiheits- oder Geldstrafe anrechnen (
BGE 111 IV 3
f.).
2.
a) Bei der Anrechnung einer ausländischen Strafe stellt sich - wie auch bei der Übernahme einer Strafvollstreckung eines ausländischen Urteils - die Frage, wie vorzugehen ist, wenn die ausländische Rechtsordnung eine Sanktion vorsieht, die das schweizerische Recht in dieser Form nicht kennt (vgl. LOGOZ/SANDOZ, art. 3 ch. 2c). Die Vorinstanz ging davon aus, der dem Beschwerdeführer auferlegte Geldbetrag stelle weder eine Geldstrafe noch eine Massnahme dar und sei somit nicht anrechnungspflichtig.
b) Die vorliegend angeordnete Verpflichtung, DM 6'000.-- zu bezahlen, stellt nach deutschem Recht formal keine Geldstrafe im Sinne von § 40, sondern eine Auflage gemäss § 56b Abs. 2 Ziff. 2 des deutschen StGB dar. Nach dieser Bestimmung kann das Gericht dem Verurteilten Auflagen erteilen, die der Genugtuung für das begangene Unrecht dienen; es kann ihm auferlegen, einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen.
c) Dass diese Auflage eventuell an eine gemeinnützige Einrichtung zu leisten ist, unterscheidet sie nicht wesentlich von einer Geldstrafe; und dass sie im Unterschied zur Geldstrafe nicht in Tagessätzen ausgesprochen wird, ist im Vergleich mit den Sanktionen des schweizerischen Rechts bedeutungslos, weil die Geldbusse gemäss
Art. 48 StGB
ebensowenig auf dem Tagessatzsystem beruht. Im übrigen wird in der Literatur die Auffassung vertreten,
BGE 114 IV 83 S. 85
dass bei der Geldzahlungspflicht gemäss § 56b Abs. 2 Ziff. 2 des deutschen StGB Parallelen zur echten Geldstrafe bestehen (HORN Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch,
§ 56b N 9
und 10 mit dem Hinweis, dass bei der Verpflichtung zur Zahlung an die Staatskasse "die Bewährungsauflage ganz eindeutig den Charakter einer Geldstrafe" erhält).
Ob die Geldzahlung an den Staat oder an eine gemeinnützige Einrichtung zu erfolgen hat, beeinträchtigt ihren geldstrafenähnlichen Charakter nicht; dem steht auch nicht entgegen, dass im schweizerischen Recht Geldstrafen stets an den Staat zu zahlen sind. Eine Ausnahme wäre nur gerechtfertigt, wenn eine Auflage die Funktion der Schadenswiedergutmachung hat (so § 56 Abs. 2 Ziff. 1 des deutschen StGB), was vorliegendenfalls nicht zutrifft. Dementsprechend bestimmt das deutsche Recht, dass bei einem Widerruf des bedingten Strafvollzugs eine bereits erbrachte Geldleistung auf die zu verbüssende Strafe angerechnet werden kann (§ 56f Abs. 3 deutsches StGB). Dabei wird teilweise angenommen, angesichts des strafähnlichen Charakters der Auflage bestehe eine Anrechnungspflicht (HORN, a.a.O., § 56 f. N 39; SCHÖNKE/SCHRÖDER/STREE, § 56 f. N 19).
Zusammenfassend weist die fragliche Auflage sowohl in ihren Wirkungen als auch aufgrund ihrer Rechtsnatur einen derart strafähnlichen Charakter auf, dass sie bei der Anwendung des Anrechnungsprinzips gemäss
Art. 3 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
wie eine Geldstrafe zu behandeln ist. Deshalb ist die Beschwerde insoweit gutzuheissen, als das Obergericht den bezahlten Geldbetrag auf die Strafe anzurechnen hat.