Urteilskopf
114 V 143
30. Auszug aus dem Urteil vom 17. August 1988 i.S. C. gegen Ausgleichskasse des Kantons Basel-Landschaft und Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft
Regeste
Art. 29 Abs. 2 Satz 1, 30 Abs. 2 und 41 IVG,
Art. 88bis Abs. 2 IVV
: Schicksal der Invalidenrente bei Inhaftierung des Anspruchsberechtigten.
- Bei Untersuchungshaft und bei dem von einer Strafbehörde angeordneten Straf- oder Massnahmenvollzug kann die Invalidenrente nicht mehr revisionsweise entzogen werden, sondern sie ist zu sistieren. Die Zusatzrenten sind in solchen Fällen weiterhin auszurichten (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 2).
- Beginn und Ende der Sistierung (Bestätigung der Rechtsprechung; Erw. 3).
Aus den Erwägungen:
2.
Nach der bis Dezember 1987 geltenden Rechtsprechung war die Invalidenrente eines Versicherten, dessen Invalidität durch einen Einkommensvergleich im Sinne von
Art. 28 Abs. 2 IVG
ermittelt worden ist, gestützt auf
Art. 41 IVG
zu revidieren, wenn er sich für eine gewisse Dauer in Untersuchungshaft oder im Strafvollzug befindet, weil dieser Freiheitsentzug eine Änderung des rechtlichen Status des Versicherten bewirke. Der Versicherte sei alsdann als Nichterwerbstätiger zu betrachten, da er in der Regel keine Erwerbstätigkeit ausüben könne. In seinem üblichen Aufgabenbereich, der in der Strafverbüssung bestehe, sei er aber nicht behindert, so dass er keine Rente beanspruchen könne. Müsse in diesem Sinne die Rente eines Versicherten revidiert bzw. aufgehoben werden, so ziehe das auch die Aufhebung der Zusatzrente für die Ehefrau und der Kinderrente (
Art. 34 und 35 IVG
) nach sich (
BGE 110 V 284
und
BGE 107 V 219
).
In seinem Urteil R. vom 18. Dezember 1987 (
BGE 113 V 273
) hat das Eidg. Versicherungsgericht die dargelegte Rechtsprechung überprüft und befunden, der Umstand, dass ein Versicherter sich im Strafvollzug befinde, sei kein Grund, um seine Rente in Anwendung von
Art. 41 IVG
zu revidieren. Einerseits werde der Gesundheitszustand durch den Freiheitsentzug offensichtlich nicht geändert und anderseits könne auch nicht von einer wirklichen Änderung des rechtlichen Status des Versicherten gesprochen werden. Im übrigen sei der Verurteilte während des Vollzugs einer Gefängnis- oder Zuchthausstrafe zu einer Arbeit verpflichtet, die seinen Fähigkeiten entspreche und ihm ermögliche, nach Beendigung des Freiheitsentzugs für seinen Unterhalt aufzukommen (
Art. 37 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
). Aus dieser Sicht sei die Auffassung, dass ein Gefangener als Nichterwerbstätiger behandelt werden müsse, dessen üblicher Aufgabenbereich nur in der Strafverbüssung bestehe, mit der erzieherischen Wirkung, welche die Massnahme ebenfalls bezwecke, nicht vereinbar. Daraus hat das Eidg. Versicherungsgericht den Schluss gezogen, dass die Inhaftierung oder jede andere Art eines von einer Strafbehörde angeordneten Freiheitsentzugs
BGE 114 V 143 S. 145
- einschliesslich Aufenthalt in einer Arbeitserziehungsanstalt - nicht einen Grund zur Revision des Rentenanspruchs, sondern lediglich einen Sistierungsgrund darstellt. Aus dem Umstand, dass der Rentenanspruch als solcher bestehen bleibt, hat das Gericht ferner gefolgert, dass der Strafantritt nicht mehr wie bisher zu einer Einstellung der Zusatzrenten führt, sondern dass diese im Gegenteil weiter ausgerichtet werden müssen (
BGE 113 V 273
, unveröffentlichte Urteile N. vom 2. Februar 1988 und B. vom 20. Januar 1988; vgl. auch ZAK 1988 S. 224 ff.).
3.
Ebenfalls in
BGE 113 V 273
(vgl. auch die bereits zitierten Urteile N. und B.) hat das Eidg. Versicherungsgericht entschieden, dass die Verordnungsbestimmungen betreffend die Rentenrevision (
Art. 87 ff. und 29bis IVV
) nicht mehr ohne weiteres angewendet werden können, wenn der Versicherte die Strafe antritt oder aus dem Strafvollzug entlassen wird. Um den Beginn der Sistierung festzulegen, müssen - mangels anderer Bestimmungen - die
Art. 29 Abs. 2 Satz 1 und
Art. 30 Abs. 2 IVG
sinngemäss angewandt werden. Das bedeutet, dass die Rente für jenen Monat noch ausgezahlt wird, in welchem der Versicherte die Strafe oder Massnahme angetreten hat; nach dem Ende des Freiheitsentzugs wird sie für den ganzen Monat, in welchem die Entlassung aus der Haftanstalt erfolgt, ausgerichtet.