BGE 114 V 51 vom 30. Januar 1988

Datum: 30. Januar 1988

BGE referenzen:  120 V 489

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

114 V 51


11. Urteil vom 30. Januar 1988 i.S. Schweizerische Unfallversicherungsanstalt gegen Schweizerische Mobiliar Versicherungsgesellschaft betreffend Zuständigkeit und Leistungspflicht i.S. G.

Regeste

Art. 105 Abs. 2, 110 Abs. 1 UVG, Art. 118, 130 OG : Kompetenzkonflikt zwischen zwei Versicherern.
- Es geht nicht an, ausserhalb der im UVG und OG vorgesehenen Zuständigkeitsordnung Kompetenzkonflikte unter Versicherern durch Privatvereinbarung dem Eidg. Versicherungsgericht auf dem Wege der verwaltungsrechtlichen Klage zum Entscheid zu unterbreiten (Erw. 2a).
- Die Prorogation nach Art. 118 OG ist für das Eidg. Versicherungsgericht in den entsprechenden Verweisungsvorschriften nicht vorgesehen (Erw. 2b).

Sachverhalt ab Seite 51

BGE 114 V 51 S. 51

A.- Nicola G. arbeitete vom Montag, 29. April 1985, bis Freitag, 3. Mai 1985, als Handlanger bei der Firma B. in Camorino und war als Arbeitnehmer dieser Firma bei der Schweizerischen Mobiliar Versicherungsgesellschaft (nachfolgend Mobiliar) obligatorisch gegen die Folgen von Berufs- und Nichtberufsunfällen versichert. Er beabsichtigte, am Montag, 6. Mai 1985, bei der
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Garage P. eine neue Stelle als Hilfsmechaniker anzutreten. Die Arbeitnehmer dieses Betriebes sind bei der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) versichert.
An diesem Montag um 2.15 Uhr verursachte Nicola G. nach dem Besuch mehrerer Gaststätten im Verlaufe des Sonntagabends mit seinem Personenwagen einen Selbstunfall, bei welchem er eine Kompressionsfraktur eines Brustwirbels mit konsekutiver inkompletter Paraplegie erlitt. Durch Dekret des Procuratore Pubblico della Giurisdizione Sopracenerina vom 5. Februar 1986 wurde er wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand und fahrlässiger schwerer Körperverletzung mit 15 Tagen Gefängnis bestraft. Nachdem er bereits ab 1. Oktober 1985 teilweise und ab 1. Januar 1986 vollständig arbeitsfähig gewesen war, ist er nunmehr nach einem im April 1986 eingetretenen Rückfall seit 1. November 1986 wieder uneingeschränkt arbeitsfähig.

B.- Die Mobiliar überwies am 18. Juli 1985 die Akten der gemäss ihrer Auffassung für die Schadenserledigung zuständigen SUVA.
Mit Verfügung vom 4. November 1985 lehnte die SUVA die Ausrichtung von Versicherungsleistungen an Nicola G. infolge Unzuständigkeit ab, wogegen dieser Einsprache erheben liess. Daraufhin ging die SUVA davon aus, dass zweifelsohne einer der beiden Versicherer für die Unfallfolgen aufzukommen habe und es Nicola G. nicht zumutbar sei, bis zur Lösung des Kompetenzkonfliktes auf Leistungen zu warten. Sie teilte ihm daher am 11. März 1986 mit, dass sie - bei grundsätzlichem Festhalten an ihrer Unzuständigkeit - die (allenfalls wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des Unfalles zu kürzenden) Versicherungsleistungen erbringen und sich mit der Mobiliar direkt auseinandersetzen werde.
In der Folge kam zwischen der Mobiliar und der SUVA keine Einigung zustande.

C.- Die SUVA erhob am 16. Februar 1987 gegen die Mobiliar verwaltungsrechtliche Klage und stellte folgende Rechtsbegehren:
"1. Es sei festzustellen, dass die Beklagte für den Versicherungsfall des
Nicola G. vom 6. Mai 1985 zuständig und leistungspflichtig ist.
2. Eventuell sei die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin Fr. 27'199.95
zu bezahlen, und es sei festzustellen, dass die Beklagte für die weiteren
Auslagen aus dem Versicherungsfall vom 6. Mai 1985 nach dem 31. Oktober
1986 leistungspflichtig ist.
3. Subeventuell sei die Beklagte zur Bezahlung des Betrages von Fr.
27'199.95 an die Klägerin zu verpflichten und dieser sei ein
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Nachklagerecht
für künftige Aufwendungen im Versicherungsfall des Nicola G. einzuräumen."
Die Mobiliar beantragt, die klägerischen Rechtsbegehren seien abzuweisen und es sei festzustellen, dass die SUVA für den Versicherungsfall des Nicola G. allein zuständig sei. Widerklageweise stellt sie den Antrag, die SUVA sei zu verurteilen, ihr den Betrag von Fr. 24'320.-- zu bezahlen. Die SUVA beantragt, die Widerklage sei abzuweisen.

Erwägungen

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1. a) Erachtet sich ein Versicherer als unzuständig, so überweist er die Sache unverzüglich an den zuständigen Versicherer ( Art. 78 UVG ). Gemäss dieser Bestimmung überwies die Mobiliar die Unfallmeldung vom 28. Mai 1985 am 18. Juli 1985 der SUVA, welche sich mit Verfügung vom 4. November 1985 als unzuständig erklärte. Die SUVA behandelte die hiegegen erhobene Einsprache des Nicola G. nicht, sondern erbrachte statt dessen - bei grundsätzlichem Festhalten an ihrer Unzuständigkeit - die Versicherungsleistungen; dabei erklärte sie, sich mit der Mobiliar direkt auseinanderzusetzen.
b) Gegen Einspracheentscheide, welche die Zuständigkeit eines Versicherers betreffen, kann innert 30 Tagen Beschwerde beim Bundesamt für Sozialversicherung ( Art. 105 Abs. 2 UVG ) und gegen dessen Entscheid Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Eidg. Versicherungsgericht erhoben werden ( Art. 110 Abs. 1 UVG ).
Die SUVA hat Nicola G. den gesetzlich vorgesehenen Rechtsweg nicht geöffnet, sondern die Versicherungsleistungen ausgerichtet. Sie vertritt die Auffassung, die Beschreitung des dargelegten Rechtsweges sei demjenigen Versicherten unzumutbar, der - wie hier - auf jeden Fall gegenüber einem der beiden Versicherer leistungsberechtigt sei. Zudem wäre es verfahrensrechtlich unzulässig, die Leistungen ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zu erbringen und den Versicherten zugleich auf den Beschwerdeweg zu verweisen. Der Rechtsweg nach Art. 105 Abs. 1 und 2 UVG sei nur gangbar, wenn die Leistungspflicht eines Versicherers allein streitig sei. Daher habe sie unpräjudiziell die Führung des Versicherungsfalles übernommen und die gesetzlichen Leistungen erbracht. Sie fordere nunmehr von der Mobiliar als dem zuständigen Versicherer die Übernahme des Falles und dessen Weiterführung.
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Es gehe somit um eine geldwerte Streitigkeit zwischen Versicherern. Das hiefür zulässige Rechtsmittel sei die verwaltungsrechtliche Klage an das Eidg. Versicherungsgericht als einziger Instanz gemäss Art. 110 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 130 und 116 lit. k OG . Allenfalls könnte dieses Gericht als von beiden Parteien prorogierte Instanz analog Art. 41 lit. c OG auf die Streitsache eintreten.

2. Dieser Auffassung, welche von der Mobiliar geteilt wird, kann nicht beigepflichtet werden.
a) Die in Art. 105 Abs. 2 und 110 Abs. 1 UVG getroffene Regelung des Rechtsweges ist für - positive und negative - Kompetenzkonflikte zwischen Versicherern generell anwendbar (MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, S. 74 f.) und mithin nicht nur in Fällen, da allein die Leistungspflicht eines einzigen Versicherers streitig ist. Insbesondere erweist sich der Schluss als unzutreffend, dass der in Erw. 1b dargestellte Rechtsweg bei Kompetenzkonflikten nicht anwendbar sei und die Versicherer den Zuständigkeitsstreit direkt vor dem Eidg. Versicherungsgericht austragen könnten, sofern die Leistungspflicht des einen Versicherers auf jeden Fall gegeben sei. Für eine solche Einschränkung der gesetzlichen Ordnung bieten weder der Wortlaut noch die Materialien einen Anhaltspunkt. Zwar beurteilt das Eidg. Versicherungsgericht gemäss Art. 110 Abs. 2 UVG im Verfahren der verwaltungsrechtlichen Klage (Art. 116 lit. k in Verbindung mit Art. 130 OG ) als einzige Instanz geldwerte Streitigkeiten zwischen Versicherern (vgl. dazu Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung vom 18. August 1976, BBl 1976 III 226 in fine). Indessen geht es nicht an, ausserhalb der klaren, für Zuständigkeitsstreitigkeiten geschaffenen gesetzlichen Regelung Kompetenzkonflikte unter Versicherern durch Privatvereinbarung dem Eidg. Versicherungsgericht auf dem Wege der verwaltungsrechtlichen Klage zum Entscheid zu unterbreiten (vgl. GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege, 2. Aufl., S. 103). Dem Umstand, dass sich die geltende Regelung des Verfahrens bei Kompetenzkonflikten für den Versicherten in zeitlicher Hinsicht ungünstig auswirkt, können die beteiligten Versicherer dadurch Rechnung tragen, dass sie sich bei an sich klaren Leistungsfällen auf eine unpräjudizierliche Vorleistung einigen.
b) Nach Art. 118 OG ist das Bundesgericht verpflichtet, als einzige Instanz die Beurteilung anderer Streitigkeiten verwaltungsrechtlicher Natur zu übernehmen, wenn es von beiden Parteien
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angerufen wird und der Streitwert in Streitigkeiten vermögensrechtlicher Natur wenigstens Fr. 20'000.-- beträgt. Diese Prorogation ist für das Eidg. Versicherungsgericht in den entsprechenden Bestimmungen des OG nicht vorgesehen. In den Verweisungsvorschriften der Art. 130, 131, 133 und 135 OG fehlt ein Hinweis auf die Anwendbarkeit von Art. 118 OG . Es erweist sich denn auch nicht als notwendig, dass das Eidg. Versicherungsgericht als einzige Instanz über die für das verwaltungsrechtliche Klageverfahren vorgesehenen Streitigkeiten auf dem Gebiet der Sozialversicherung (Art. 116 lit. b-h und k in Verbindung mit Art. 130 OG ) hinaus Streitigkeiten mit Streitwert ab Fr. 20'000.-- beurteilt, sofern es durch Parteivereinbarung angerufen wird oder der Beklagte sich auf die Klage einlässt (GYGI, a.a.O., S. 103).

3. Nach dem Gesagten kann auf die verwaltungsrechtliche Klage der SUVA und die Widerklage der Mobiliar nicht eingetreten werden. Die SUVA hat die Einsprache des Nicola G. gegen die Verfügung vom 4. November 1985 zu behandeln.

4. (Kostenpunkt.)

Dispositiv

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:
Auf die verwaltungsrechtliche Klage und die Widerklage wird nicht eingetreten.

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