BGE 114 V 6 vom 3. Februar 1988

Datum: 3. Februar 1988

BGE referenzen:  116 V 198

Quelle: bger.ch

Urteilskopf

114 V 6


3. Auszug aus dem Urteil vom 3. Februar 1988 i.S. A. gegen Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen und Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen

Regeste

Art. 23 Abs. 4 AHVV : Steuermeldung.
Eine Steuermeldung, die auf einer Ermessenstaxation der aus selbständiger Erwerbstätigkeit erzielten Einkommen von Ehepaaren beruht, ist für die Beitragsbemessung auf dem Einkommen der Ehefrau nicht verbindlich.
Art. 23 Abs. 4 AHVV kommt nicht zur Anwendung.

Erwägungen ab Seite 6

BGE 114 V 6 S. 6
Aus den Erwägungen:

3. c) Die Steuermeldung beruht auf einer rechtskräftigen Ermessenseinschätzung der Erwerbseinkommen der Beschwerdeführerin und ihres Ehemannes. Es entspricht der Regelung von Art. 13 des Bundesbeschlusses über die direkte Bundessteuer (BdBSt) und den meisten kantonalen Steuergesetzgebungen, dass bei Ehegatten, die in ungetrennter Ehe leben, das aus selbständiger oder unselbständiger Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen der Ehefrau ohne Rücksicht auf den Güterstand dem Einkommen des Ehemannes zugerechnet wird. Der Ehemann vertritt die Ehefrau sowohl in materieller wie in formeller Hinsicht, was zur Folge hat, dass die Ehefrau weder am Veranlagungs- noch am Beschwerdeverfahren beteiligt ist; insbesondere ist allein der Ehemann
BGE 114 V 6 S. 7
legitimiert, ein Rechtsmittel gegen die Veranlagung auch des Einkommens der Ehefrau zu ergreifen. Indessen haftet die Ehefrau solidarisch für den auf sie entfallenden Anteil an der Gesamtsteuer ( Art. 13 Abs. 2 BdBSt ; MASSHARDT, Kommentar zur direkten Bundessteuer, 2. Aufl., S. 69 N 1 ff. zu Art. 13 BdBSt ).
Gemäss bisheriger Rechtsprechung des Eidg. Versicherungsgerichts ändert die gemeinsame Veranlagung der Einkommen von Ehepaaren und die damit verbundene gesetzliche Vertretung der Ehefrau durch den Ehemann im Steuerverfahren an der Verbindlichkeit von Meldungen der Steuerbehörden über die rechtskräftige Einschätzung des selbständigen Erwerbseinkommens der Ehefrau gemäss Art. 23 Abs. 4 AHVV nichts. Um ihre Rechte im Steuerveranlagungsverfahren zu wahren, habe die Ehefrau dem Ehemann alle nötigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und von ihm Auskunft über den Gang und das Ergebnis des Veranlagungsverfahrens zu verlangen. Falls sich der Ehemann im Steuerverfahren pflichtwidrig nachlässig verhalte, habe die Ehefrau die damit verbundenen Rechtsnachteile zu tragen (unveröffentlichtes Urteil B. vom 4. November 1981).
An dieser Rechtsprechung kann nicht festgehalten werden. Eine analoge Anwendung des Prinzips der Steuersubstitution gemäss Art. 13 BdBSt ist im Beitragsrecht nicht vorgesehen. Die Erwerbseinkommen der Ehegatten werden hinsichtlich der Beitragspflicht getrennt behandelt, indem die Sozialversicherungsbeiträge auf jedem Einkommen separat erhoben werden und jeder Ehegatte für die auf seinem Einkommen erhobenen Beiträge haftet. Die Ehefrau muss daher das Recht und die Pflicht haben, an der Bestimmung ihres beitragspflichtigen Einkommens teilzuhaben. Daran fehlt es, wenn das für die Beitragserhebung massgebliche, aus selbständiger Erwerbstätigkeit erzielte Einkommen aufgrund einer Ermessenseinschätzung der Einkommen beider Ehegatten festgelegt wurde. Es widerspricht dem in Art. 4 Abs. 2 BV verankerten bundesrechtlichen Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau, wenn die selbständigerwerbende Ehefrau persönliche Sozialversicherungsbeiträge zu entrichten hat aufgrund einer Ermessenstaxation durch die Steuerbehörde, in welchem Verfahren sie weder gehört wurde noch zur Ergreifung eines Rechtsmittels legitimiert war. In diesem Fall kann Art. 23 Abs. 4 AHVV nicht zur Anwendung gelangen.

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